Stellung und Biegung sind das A & O der Reitkunst. Ohne Stellung und Biegung kein Geraderichten, keine Balance, keine Überprüfung der Durchlässigkeit und kein Schwung. Im heutigen Blogbeitrag geht’s um die Praxis.

Was war zuerst? Arbeit am Stand oder die Bewegung?

Alles dreht sich beim Reiten um die Hinterhand des Pferdes, die auch bei Stellung und Biegung, sowie der Formgebung des Pferdes ein gewichtiges Wörtchen mitzureden hat. Allerdings – wir können von unserem ungeschulten Pferd nicht erwarten, sämtliche Hilfen bereits in Bewegung umsetzen zu können. Daher beginnen wir auch bei der Einführung in Stellung und Biegung am besten im Stehen. Was wir für diese Arbeit brauchen? Ich arbeite sehr gerne mit dem Cavesal von Jossy Reynvoet. Dies ist ein Kappzaum gänzlich aus Leder. Am Nasenriemen sind drei Ringe befestigt. Sehr gerne arbeite ich auch mit dem Cavecon. Dies ist ein sehr leichter Kappzaum mit einer weich gepolsteten Fahrradkette als flexibler Nasenteil, die sich optimal der Pferdenase anpasst. Keine Angst, qualitativ hochwertige Cavecons sind wirklich ausreichend gepolstert.

Mit dem Kappzaum ausgerüstet, können wir nun mit der ersten Arbeit an Stellung und Biegung beginnen. Der Reiter stellt sich nun vor sein Pferd und hängt die Longe oder einen längeren Führzügel in den mittleren Kappzaumring ein. Die Hand an der Longe fragt nun durch leichte Impulse, ob sich das Pferd zum Senken des Kopfes überreden lassen würde.

Entsteht hier ein Widerstand? Dann lieber nicht gegen diesen Widerstand weiter arbeiten. Wir verlangen vom Fluchttier Pferd ja auch, dass es sich durch uns formen lässt und dazu ist auch ein gutest Stück Vertrauen und die Bereitschaft loszulassen wichtig. Die Bereitschaft den Kopf zu senken, kann Anfangs übrigens auch duch die Hilfe eines Leckerli geweckt werden.

Wenn dieses Kopfsenken klappt, kann der erste Punkt in Richtung Blickschulung überprüft werden. Wie schaut es mit dem Winkel zwischen Unterkiefer und Atlasflügel aus? Das dehnen nach vorwärts abwärts im Stehen soll zur so genannten Ganaschefreiheit führen. Erst wenn diese erreicht ist, kann die weitere Stellung und Biegung erarbeitet werden.

Der Pluspunkt bei dieser Arbeit? Im Stehen kann ich dem Pferd die Reaktion auf die Reiterhand in aller Ruhe beibringen. In Bewegung würde eine so tiefe Halsstellung allerdings wenig nutzen, da die Vorderbeine durch die tiefe Haltung nicht leicht aus der Schulter schwingen können. Für das korrekte Absenken des Kopfes in Bewegung gilt daher – und dies ist der nächste Tipp in Punkto Blickschulung: Nicht tiefer als das Buggelenk sollte der Kopf getragen werden.

Auf dieser Höhe können wir nun von unserem Pferd eine seitliche Stellung abfragen. Auch hier kann ich mir durch das Fühlen Zeit lassen und zunächst einmal den Pferdekopf seitlich nach links und nach rechts bewegen. Klappt das überhaupt? Kann ich den Kopf zwischen ersten und zweiten Halswirbel bewegen ohne dass sich der gesamte Pferdehals mitbewegt?

Der nächste Schritt ist die Überprüfung der Rotation, die aus dem Unterkiefer kommt. In einer Linksstellung soll der Unterkiefer nach rechts unter den Atlasflügel rotieren. Dies kann durch die Arbeit am Kappzaum umgesetzt werden. Auch hier gilt – wer am Trensenring innen zieht, wird eine falsche Unterkieferrotation – nämlich nach innen verursachen. Einer der Gründe übrigens, warum ich niemals mit der Longe in der Trense longieren würde. Mit der richtigen Unterkieferrotation fängt schließlich die gesamte Biegung im Pferdekörper an. Diese setzt sich durch die Wirbelreihe fort. Nächster Punkt der Blickschulung: die innere Pferdehüfte. Kommt diese durch die Biegung nach vorne-unten? Das kann Anfangs eine ganz kleien Bewegung beim Pferd sein, also nicht frustriert sein, wenn es Anfangs nicht gleich so deutlich sichtbar ist. Auch der Blick muss nach und nach geschult werden.

Ein Pferd mit einem üppigen Mähnenkamm (Iberer oder Friesen) eignet sich übrigens besonders gut zur Blickschulung – denn ein nach innen springender Mähnenkamm verrät, ob die Biegung vom Unterkiefer in die Halswirbel richtig umgesetzt werden konnte.

Blickschulungstipp: Beim Üben von Stellung und Biegung gilt es nicht nur Unterkiefer, Hals, Mähnenkamm und Hüfte zu beobachten.

Wer trotz der Bodenarbeit einen Sattel auflegt, kann auch schön beobachten, ob sich die korrekte Rotation in den Brustkorb fortsetzt. Der innere Brustkorb soll nach unten rotieren, der äußere Brustkorb nach oben. Bei einer falschen Rotation kippt die Hinterzwiesel oder Galerie des Sattels nach oben-außen. Dies kann man vor allem in der Schrittbewegung sehr gut beobachten. Wenn das innere Hinterbein nach vorne greift und der Sattel dabei nach außen-oben schwingt, konnte die Brustkorbrotation nicht korrekt übertragen werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt sind die Beine des Pferdes. Gerade die Vorderbeine geben darüber Aufschluss, ob das Gewicht des Pferdes gleichmäßig verteilt wurde, oder ob ein Bein mehr belastet ist. Steht das Pferd zu sehr am äußeren Vorderbein, kann man das Pferd am inneren oder mittleren Kappzaumring auffordern, das Gewicht ein wenig mehr in die andere Richtung zu verlagern. Die Gerte kann hier als verlängerte Arm fungieren und diagonal unterhalb des Halses die äußere Schulter berühren, um das Gewicht mehr auf das innere Vorderbein zu bringen.

Als Innenzügel kann die Gerte umgekehrt das Gewicht vom inneren Vorderbein mehr auf das äußere Vorderbein verlagern.

Gelingt diese Übung, ist das Pferd zwischen den Zügeln, also zwischen den Schultern gelöst, ist die innere Hüfte nach vorne gebracht und der innere Brustkorb nach unten rotiert – dann kann der Reiter fühlen, ob er mit Hilfe der ersten halben Parade die Hinterbeine und somit auch Fesselgelenk des Pferdes erreicht.

Arbeiten wir genau an Stellung und Biegung, gelingt uns auch eine gute Blickschulung einfach 🙂

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PS: Ein Dankeschön an Sabine und Oliver Oettel für die tollen Beitragsfotos!