Alle Welt spricht von der Hankenbeugung – warum aber ist der Abdruck der Hinterbeine so wichtig?
Wunderwerk Hinterhand
Es heißt ja immer, die Tragkraft kommt aus der Hinterhand, das ist nicht falsch, eine tragende Rolle hat aber auch die Vorhand. So schreibt Udo Bürger in „Der Reiter formt das Pferd“
„Die Vorhand ist zum Tragen, die Hinterhand für den Abschub geschaffen“.
Betrachten wir die anatomischen Besonderheiten von Vor- und Hinterhand, dann wird klar, die Vorhand hat durch ihre Aufhängung in der Muskulatur, ohne skelettäre Verbindung zur Wirbelsäule eine Stoßdämpfer Funktion, gleichzeitig drückt sie über die Rumpfträger den Brustkorb nach oben und sorgt für Stabilität und Balance. Die Rumpfträger hängen den Brustkorb zwischen den Schulterblättern elastisch ein, dabei setzen sie an der Innenseite der Schulterblätter an, ziehen sich fächerförmig nach unten bis zu den Tragerippen und an den Hals fort.
Die Vorhand federt also den Rumpf vom Boden weg nach oben. Das Hinterbein verfügt über eine gelenkige Verbindung über das Becken mit dem Rumpf.
Was wir Reiter uns wünschen? Ein tragfähiges Pferd. Dabei spielt in unseren Köpfen vor allem die Versammlung eine Hauptrolle.
Das ist nicht grundlegend falsch, allerdings können wir von unserem Jungpferd noch lange keine Versammlung verlangen – ansonsten würden wir den für die Fortbewegung, Tonisierung der Muskulatur (Stichwort Rumpfträger) und den Bewegungsfluss verantwortlichen Abdruck verlieren.
Warum können wir nicht gleich versammeln?
Unsere Pferde bringen ja prinzipiell alle Bewegungen schon mit, wenn wir junge Hengste im Spiel beobachten, dann ist alles schon da – Piaffe, Passage, Levade – allerdings – die Pferde belasten ihre Hinterhand nur durch ihr Eigengewicht und auch hier ist der Beugegang alleine eine hohe Beanspruchung für die Muskulatur.
Stellen wir uns vor, wir wären in Kniebeugen unterwegs und wir kommen immer tiefer und tiefer. Ja, vermutlich beugen wir unsere Beine immer mehr, was uns aber ermüden lässt ist die passend zum Grad der Biegung umgesetzte Federung nach oben.
Es wundert also nicht, wenn Pferde die für sie anstrengende Beugung eher vermeiden. Und schließlich hat die Muskulatur der Hinterhand nicht nur im Beugen was zu tun. Die natürlichste Tätigkeit ist es, den Abschub vom Boden in der Vorwärtsbewegung umzusetzen.
Da die Muskulatur der Hinterhand, die für Abschub und Beugen zuständig ist weniger sehnig durchsetzt ist, ermüdet sie eben auch rasch.
Schauen wir uns aber die Phasen der Bewegung nun im Einzelnen an:
Die 4 Phasen der Bewegung
4 Phasen? Warum ist jetzt von 4 Phasen die Rede – es gibt das Spielbein und das Standbein und fertig? Das wäre zu einfach gedacht. Das Hinterbein schwingt nach vor (Phase 1), fußt auf (Phase 2) und jetzt wird es erst richtig spannend. In Phase 3 stützt das Hinterbein, dabei kommt es bereits zu einer geringen Beugung und kurz danach wieder zum Abschwingen oder Abschieben (Phase 4) vom Boden weg.
Anders gesagt: Die Qualität der Bewegung lässt sich umso besser beurteilen, je mehr das Pferd mit dem Boden interagiert. Denken wir erneut an den Beugegang und die mangelnde Abfederung. Wenn wir bei unseren sachten Kniebeugen nur Energie in den Boden lassen (und das eher statisch-passiv) dann verläuft unsere ganze Energie nicht nur sprichwörtlich im Sande. „Interagieren“ wir allerdings mit dem Boden, lassen wir uns vom Boden wieder Energie zurück geben, dann können wir uns leichter vorwärts bewegen.
Beim Pferd gibt es bereits in der Spielbeinphase eine gewisse Beugung, wenn das Hinterbein am Boden aufkommt, ist das Hüftgelenk gebeugt, auch Knie und Sprunggelenk sind nicht mehr voll gestreckt. Sobald das Hinterbein Last aufnimmt federn die Gelenke des beanspruchten Beins einmal leicht durch und strecken sich danach, um wieder ins Abschieben zu kommen.
Tierarzt Udo Bürger schrieb dazu:
„Diesen natürlichen Gang der Remonte zu erhalten ist die Grundbedingung für die Ausbildung. Alles andere – Haltung und Zügelanlehnung sind dieser Bedingung untergeordnet, ihre Voraussetzung in der Ausbildung muss früher oder später zu Schwierigkeiten führen, wenn der natürliche Ablauf der Gehbewegung dabei gestört wird. Dieser natürliche Gang ist taktmässig und deshalb hat der Reiter als Erstes und Allerwichtigstes auf den Rhythmus des Ganges zu achten“.
Udo Bürger, Der Reiter formt das Pferd
Was, wenn der Abdruck verloren geht?
Das Problem ist natürlich der saubere Takt. Pferde, wie auch wir Menschen haben ein unterschiedliches Rhythmusgefühl. Da gibt es Taktzauberer, wie unseren Amena, der einfach wie ein Uhrwerk traben kann – immer im Rhythmus, immer in der Kraft aber damit auch in einer gewissen Ruhe und Zwanglosigkeit. Sobald der Takt gestört wird, zu hoch ist oder auch zu niedrig haben wir ein Problem, aber besonders, wenn das Pferd zu eilig wird.
Dann möchte der Reiter natürlich den Fluss der Bewegung zügeln, manchmal wird das schon mit Versammlung verwechselt. Für uns Reiter ist es daher wichtig, zu fühlen, wann die Hinterbeine abfussen und den Rhythmus ruhig zu beeinflussen.
Wir können uns vom Pferd bewegen lassen und dem Rhythmus folgen oder aber auch wir übernehmen aus unserem Sitz den Takt und sorgen für Ruhe. Ein Pferd, das eilt, wird auch seinen Rücken eher festhalten. Für uns Reiter ist es wichtig, einen gleichmässigen Kreislauf in der eigenen, inneren Hüfte zu finden, diesen dem Pferd schmackhaft zu machen, so dass es auch seine Beine in aller Ruhe sortieren kann.
Für das Pferd ist wie gesagt die Beugung in der Stützbeinphase das besonders schwierige Element. Wir Reiter müssen aber auch diesen Moment genau erfühlen, um mit der Zeit eben diesen Moment zu verlängern gleichzeitig aber auch den Gang durch die Federkraft schwungvoller zu gestalten (und nicht eiliger).
Wenn wir mit voller Handbremse reiten, dann geht der Abschwung und der Abdruck verloren. Wenn wir permanent die Schritte nach hinten raus in die Verlängerung der Standbeinphase verkürzen, dann kann es auch passieren, dass das Pferd zu wackeln beginnt (wird auch gerne mit Versammlung verwechselt), dabei werden die Hinterbeine zwar früher angehoben (was wir uns bei Versammlung ja auch durchaus wünschen würden), das Pferd beginnt allerdings sich in der Bewegung zu verhalten und bleibt nicht unter dem Sitz. Häufig sehen wir in Zeitlupe dann auch, dass die Hinterbeine zwar früher abfussen, allerdings fällt das Pferd fulminant auf die Vorhand, diese fußt sogar früher auf als das Hinterbein und trotz vermeintlicher Beugung fällt das Pferd im Brustkorb herunter, der Unterarm wird scheinbar kraftlos gehoben – nicht nur scheinbar, es findet tatsächlich keine Kraftübertragung (weil kein ordentlicher Abschub und kein Federn) aus der Hinterhand statt.
Mein Pferd hat keinen Takt
Der Weg zum Takt ist immer ein gleichmässiger Rückenschwung. Die wenigsten Pferd haben tatsächlich Taktfehler oder überhaupt keine Grundgangarten. Ich persönlich finde es ziemlich übergriffig, Pferden ihre Bewegungskompetenz abzusprechen. Schonungslos sagt auch hier Udo Bürger:
„Worin liegt der Grund dafür, dass die Pferde ihren natürlichen Gang aufgeben? Daran ist immer der Reiter schuld. Wer ehrlich ist, wird zugeben, dass diese Gangschwierigkeiten in einer Remonteabteilung erst dann auftreten, wenn die Pferde die Anlehnung an die Zügel finden und die Schwierigkeiten nehmen mit mäßigen Reitern erschreckend zu, wenn die Kandaren eingehängt werden“.
Udo Bürger, Der Reiter formt das Pferd.
Manchmal sind es die Zwischenzeilen, die besonders wichtig sind – und wer könnte es besser formulieren als Gustav Steinbrecht:
„Die Hinterbeine sind die eigentlichen Motoren der Fortbewegung. Von ihrer Kraftäußerung und Stärke hängen hauptsächlich Schnelligkeit, Gewandtheit und Ausdauer des Pferdes ab. Ihre einzelnen Teile sind so gegeneinander gerichtet und durch Gelenke miteinander verbunden, dass sie sprungfederartig auf die zu tragende und zu bewegende Gewichtsmasse wirken.“
Gustav Steinbrecht, Das Gymnasium des Pferdes
Dabei geht Steinbrecht auch auf den Körperbau des Pferdes ein und spricht davon, dass eine gut gebaute Hinterhand viele Defizite im übrigen Körper ausgleichen könne.
Gustav Steinbrecht, das Gymnasium des Pferdes.
„Solche Hinterbeine biegsam zu machen ist eher ein Vergnügen als eine Arbeit, da sie es schon von Natur sind, dass nur eine Belehrung des Pferdes erforderlich ist. Groß aber können die Hindernisse sein, die dem Bbereiter durch mangelhaften Bau dieser Gliedmaßen entgegentreten „
Steinbrecht betont, dass die Kraft zum Stützen und Fortbewegen aus der Hinterhand durch den Ausbilder entwickelt werden muss.
Dabei warnt er gleichzeitig davor, den Schwerpunkt des Pferdes zu rasch und forsch in Richtung Hinterhand zu legen, dann dadurch kann die Freiheit der Hinterhand beeinträchtigt werden – und hier nennt er den wesentlichen Punkt für Bewegung: Abdruck entsteht durch die Freiheit der Hinterhand.
Er schlägt weiter in dieselbe Kerbe wie Udo Bürger:
„Entscheidend für den guten Gang ist es, ob das saufgefußte Hinterbein die Last in gebogener Stellung elastisch federnd aufnimmt und stützt um sie dann wieder, rechtzeitig abfussend durch kraftvolle Streckung seiner Gelenke elastisch fortzubewegen…desto schöner ist der Gang und man nennt dies beim rohen Pferd eine gute Folge. Je weniger der Gang diese Eigenschaft besitzt, desto mangelhafter ist er in irgendeiner Beziehung, sei er nun verhalten und matt oder auseinander gefallen und schleppend“.
Gustav Steinbrecht, das Gymnasium des Pferdes
Steinbrecht beschreibt dabei auch die Rolle des Sprunggelenks sehr detailliert. Er attestiert dem Sprunggelenk eine Hauptaufgabe beim Schieben und Tragen, je nachdem ob das Hinterbein mehr gegen die Gewichtsmasse oder unter ihr wirkt. Wir denken wieder an unsere Kniebeugen.
Auch Steinbrecht wird nicht müde, etwaige Schädigungen durch des Gelenks durch eine Überlastung, beispielsweise durch manuelle Aufrichtung der Vorhand und ein Herabdrücken der Hinterhand zu betonen.
Auch er spricht sich deutlich für eine Erarbeitung der ersten Biegungen im Vorwärts vor, vor allem deswegen, weil die Belastung vom einen auf das andere Hinterbein recht rasch übertragen wird und die „dabei tätige Schubkraft dem Reiter gleichzeitig als Maßstab dient, wie stark er durch Belastung biegend einwirken kann. Unterdrückt er den Gang, können sich also die Gelenke nach der Biegung nicht wieder frei strecken, s sondern müssen sich zusammengedrückt unter ihrer Last mühsam fortbewegen, so ist die. Belastung für die Anfangsübungen zu stark und muss so weit vermindert werden, bis die frische Tätigkeit der Schubkraft dem Reiter wieder fühlbar wird.“
Klingt kompliziert?
Einerseits dürfen wir uns nicht nur auf die Spielbeinphase konzentrieren. Wir arbeiten die Hinterbeine des Pferdes des Pferdes nach vorne. Dann ist die Frage, wie das Pferd vom Boden weg kommt – wenn wir an der Biegung der Hinterbeine beispielsweise durch Seitengänge arbeiten, dann ist ein Indikator schon mal ein langsam aber sicher stotternder Motor – das Pferd wird im Seitengang immer langsamer. Auch die Abstellung im Seitengang spielt freilich eine Rolle – wie viel für welchen Ausbildungsstand. Und immer wieder vorwärts reiten, aber nicht eilen.
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