Es ist der schlimmste Moment. Es gibt keine Worte, die trösten. Es ist der letzte Weg. Der letzte Weg meines Feuerfuchses 

Adieu – die Gedanken darüber

Im Jänner des heurigen Jahres 2020 war Tabby plötzlich lahm. Sofort wurde der Tierarzt verständigt. Röntgen unauffällig. Eine Anästhesie abwärts des Fesselgelenks verbesserte die Lahmheit nicht. Eine Untersuchung im MRT (Magnetresonanztomographie) sollte die erhoffte Klarheit bringen. 

Sichtbar waren im MRT vorne links am Fesselgelenk eine alte Bandverletzung, Knorpelschäden, Arthrose, Arthritis – alles sehr gering – der schwerste Befund jedoch ein Knochenmarksödem. 

Die Behandlung wurde evaluiert und besprochen. Tabby sollte Infusionen bekommen, die das Knochenmarksödem „trocken legen“ und die Umbauprozesse am Knochen stark verlangsamen. 

Der erste Verlauf war sehr optimistisch. Tabby wurde nur noch vom Boden aus sehr schonend gymnastiziert. Auf der Weide war sie fröhlich mit ihren Freundinnen unterwegs. 

Tabby ist mit Pina und Beti am glücklichsten. In eine Box gesperrt endet dies nur in Toberei und lautstarkem Protest. Mein Feuerfuchs zeigt dann sehr deutlich – der Name ist Programm. 

Es ging also langsam aufwärts und während des Lockdown war ich mit unserem Tierarzt in ständiger Verbindung. Alles war gut bis zum 7. Mai. Hier informierte ich über eine neuerliche Schwellung am Fesselgelenk. Mit Retterspitzverbänden konnte ich die Entzündung ein wenig eindämmen. 

Eine Woche später ein akuter Reheschub. Tabby wurde nun freilich separiert und nach vier Tagen heftigen Protests fügte sie sich der für sie „aufgezwungenen Ruhe“und ruhte sich aus. 

Zwei Monate Boxenruhe und die Hoffnung alle Wehwehchen in den Griff zu bekommen. 

Und immer wieder die Gedanken: „Wie würde ich mich entscheiden, wenn es noch schlimmer kommt“. 

Adieu – heute ist es soweit

Es kam noch schlimmer. Tabby konnte ab August wieder zurück zu ihren Freundinnen auf die Koppel. Sie hat sich so gefreut. Pina und Beti sind ihre eigene kleine Herde. Und heute, heute wird Tabby gehen müssen. Der letzte Befund war sehr schlecht. Tabbys Knochen löst sich dermaßen schnell auf. Warten bis zu einem Belastungsbruch? Kommt nicht in Frage. Heute ist also Tabbys letzter Gang…

Die Kraft Adieu sagen zu können

Warum schreibe ich gerade heute über dieses Thema? Der Abschied von unseren Pferden ist mit Sicherheit der allerschlimmste Moment überhaupt. Niemand kann den Betroffenen trösten. Man kann den Schmerz verstehen, aber man kann ihn nicht nehmen. Ich nehme jetzt zum dritten Mal Abschied und kann es eigentlich noch immer nicht in richtige Worte fassen. Und dabei hilft mir das Schreiben über jedes Tief. Schreiben ist meine Katharsis. Und ich denke – über dieses Thema spricht man nicht gerne. Man ist sehr einsam. Vielleicht helfen meine Zeilen daher auch weiter. 

Adieu Kobold 

Meinen Trakehner Wiesenkobold kannte ich vom Tage seiner Geburt. Als er zweijährig war wurde er mein großer Traum. Mein erstes eigenes Pferd. Wir waren praktisch unzertrennlich – bis zu jenem Tag. Eine Vergiftungskolik riß mein erst fünfjähriges Pferd völlig unerwartet aus dem Leben. Ich war damals 16 und nicht dabei. Wir waren im Urlaub, als es passierte – und damals – war es noch nicht Usus, dass jeder ein Mobiltelefon hat und ständig mit „Daheim“ kommunizieren kann. Ich weiß nicht, wie mein Vater informiert wurde. Aber ich weiß, dass ich fassungslos war. 

Meine beste Freundin Kati hat sich damals um Kobold gekümmert – wie schrecklich muss es auch für sie gewesen sein. Sie war so unglaublich tapfer, denn auch sie hatte mich getröstet. 

Ich glaube, ich habe noch nie einen so schlimmen Schmerz gespürt. Mitten in der Pubertät das Wichtigste und Liebste zu verlieren – das ist schlimm. 

Meine Schulfreunde verstanden meinen Schmerz nicht. Sie konnte es nicht nachfühlen. Ich hatte plötzlich viel Zeit und wusste jedoch nach zwei Wochen: Im Kaffeehaus sitzen nach der Schule, Nächtelang durchtanzen. Es hinterließ alles eine unfassbare Leere. 

Adieu Barilla 

Barilla kam ca. vier Jahre später in mein Leben. Ich hatte mich verliebt. Wir waren acht Jahre zusammen – bis zu jenem Abend, an dem ich Barilla in die Klink brachte. Kolik. Operation. Es gab jedoch kein Aufwachen mehr. Barilla jedenfalls hat mich sehr zum Aufwachen gebracht, was meine reiterliche Entwicklung anbelangt. Sie ebnete mir den Weg. Einen Weg, den ich weiter mit Tabby gehen sollte….

Tarabaya D 

Am 24. Oktober 2009 lernte ich Tabby kennen. Ich war eigentlich wegen einer braunen Stute zu Tabbys Züchtern gefahren. Aber Tabby sah aus dem Fenster und ich erkannte in ihr eine rote Version jener Trakehnerstute, auf der ich reiten gelernt hatte. Tabbys Schelm in den Augen, ihre spektakulären Bewegungen, ihre Ausstrahlung, Kraft und Energie. Ich war sofort gefangen. 

Ich bin Tabbys Züchtern, der Familie Durlacher unheimlich dankbar, dass sie mir dieses wundervolle Pferd anvertraut haben. Tabby hat mein Leben verändert und das in vielerlei Hinsicht. 

Tabby hat mir so ziemlich alles beigebracht. Sie hat mich nicht nur reiterlich ausgebildet und ist in jeder Unterrichtsstunde mit dabei. Sie hat mir auch gezeigt, dass Feuerfüchse Verantwortung für ihre Lieben übernehmen. Sie hat mir gezeigt, dass man treu liebt. Wenn Pina einen schlechten Tag hatte, dann war Tabby niemals nachtragend. Auch das hat sie mir gezeigt. Als ich meinen privaten Weg der Reiterei zu meinem beruflichen Weg machte, da war Tabby maßgeblich beteiligt, denn sie hat mich mit Mut und Kraft davon überzeugt, das man es schaffen kann – selbst wenn es viele Stimmen dagegen gibt. 

Tabby selbst wurde für mich auch einmal ein bisschen entzaubert, als wir so manches Ziel nicht gleich erreicht haben. Als ihr beispielsweise nachgesagt wurde, sie könne keine komplette Hankenbeugung erreichen. Und doch hat Tabby gezeigt, dass sie es kann. 

Eine ganz liebe Freundin hat dieser Tage zu mir gesagt: „Vielleicht hat Tabby alles erledigt, was sie auf dieser Welt zu tun hatte“. 

Ich weiß es nicht…aber vielleicht ist es so. 

Ich schreibe diese Zeilen bewusst vor dem 20. November 2020. Ich weiß nicht, wie es mir an diesem Tag gehen wird. Ich weiß, es tut fürchterlich weh. Ich kann mir eine Welt ohne meinen Feuerfuchs nicht vorstellen. Die letzten Tage konnte ich sie aber unheimlich verwöhnen. Wir haben massiert, geschlemmt, die Sonne genossen und uns viele Dinge gesagt. 

Wenn ich weinen musste, stand Tabby zähneknirschend und mit angelegten Ohren neben mir. So, als würde sie meinen Kummer verscheuchen wollen – oder eben gar nicht wollen, dass ich weine. So typisch Tabby – einfach immer tapfer. 

Heute werden wir Tabby, meine Heldin so gehen lassen, wie es sich für eine Heldin geziemt. Sie wird keine Schmerzen mehr haben. Ich werde aufgefangen von meinen Lieben, die mit uns wachen werden. 

Ich habe häufig in diesen Tagen gehört, dass es ja jetzt noch viel schlimmer für mich sein müsse. Weil ich auf den bestimmten Tag warten muss. 

Jedes Adieu schmerzt

Kobold wurde mitten aus dem Leben gerissen, bei Barilla wusste ich – es kann auch schlecht enden. Jeder Abschied schmerzt. Es gibt beim Schmerz denke ich kein Maß bezüglich der Quantität. In den letzten Tagen habe ich unheimlich viel geweint. Und wenn ich nicht geweint habe, dann tat mein ganzer Körper einfach nur weh. 

Ich kann es jetzt nicht ändern. Es ist, wie es ist. Ich habe die Tatsachen akzeptiert, aber ich weiß auch, ich darf an etwas glauben. Wenn man an etwas glaubt, dann glaubt man. Es gibt kein Verbot. Somit trösten mich meine Gedanken, ich glaube an etwas bestimmtes, ich glaube an eine Verbundenheit zwischen Tabby und mir, die immer bleibt und bleiben wird. Was ich mir da genau vorstelle – das bleibt zwischen Tabby und mir. Es hilft mir ungemein. 

Warum erlebt man solchen Schmerz bewusst immer und immer wieder? Sobald wir uns für ein bestimmtes Pferd entscheiden, nehmen wir auch diesen Schmerz in Kauf, der früher oder besser – ganz viel später kommen wird. Die Antwort für mich: es geht nicht ohne sie. Ich liebe meine Pferde. Ich bin dankbar für jeden einzelnen Tag, für jede einzelne Stunde und jede einzelne Minute. 

Und ich bin dankbar, dass ich durch meine Erfahrung mit Barilla für Tabby jeden Tag FÜR sie da war. Ich habe meine Verantwortung wahr genommen – ich habe am Sonnenhof ein wunderschönes Zuhause für Tabby und Pina gefunden. Ich habe mich bemüht, Tabby nach bestem Gewissen zu begleiten, was Bewegungsqualität anbelangt. Ich denke wirklich, ich war auch für Tabby gut. Und das ist das Wichtigste. Und ich habe mich auch nicht vor der letzten Entscheidung gedrückt. Ich habe auch hier selbstverständlich für Tabby entschieden. 

In den letzten Tagen wurde mir bewusst, dass Tabby nicht nur für mich viel getan hat. Ich habe durch sie so viel gelernt – abseits der Reiterei. Ich habe mich durch sie so sehr weiter entwickelt. Und Tabby hat so viele Menschen berührt. Wie oft haben wir in den letzten Tagen Schmerz geteilt. Wie oft zusammen geweint. Es tut weh, aber es ist gleichzeitig schön zu wissen, dass Tabby so vielen Menschen etwas bedeutet hat. 

Das Schönste, was meine Tabby hinterlassen kann, ist ein Lächeln im Gesicht derjenigen, die an sie denken. 

Wenn du bei Nacht den Himmel anschaust,
wird es dir sein,
als lachten alle Sterne,
weil ich auf einem von ihnen wohne,
weil ich auf einem von ihnen lache.

Antoine de Saint-Exupéry