Einfach Reiten, bedeutet das einfach drauf los reiten? Bedeutet Einfach Reiten die Suche nach dem einfachen Weg? Ist Akademisch Reiten tatsächlich einfach und für jeden Reiter umsetzbar?
Im Stand über den Schritt, im Schritt über den Trab und dort dann über den Galopp „nachdenken“. Wer sich „outet“ in der Akademischen Reitkunst seine Passion gefunden zu haben, wird gerne als „Nerd“ bezeichnet. Ist Akademische Reitkunst tatsächlich an der Theorie oder Praxis orientiert?
Wenn Träume wahr werden…
Diesen Artikel habe ich im Februar 2014 zum ersten Mal verfasst. Sechs Jahre später ist der Wunsch nach Leichtigkeit, Harmonie und Eleganz allüberall spürbar. Wer mit Pferden zusammen sein möchte, der möchte heute eine gute Zeit mit seinem vierbeinigen Partner verbringen. Toleranz und Respekt – unter diesem Motto wird Pferdeausbildung heute mehr gelebt, den je.
Vor 6 Jahren habe ich einmal ein bisschen „gegoogelt“:
6,5 Millionen Treffer habe ich damals für „Enfach Reiten“ gefunden – heute sind es mehr als 37 Millionen.
Die Tendenz ist also steigend.

Einfach Reiten
Was bedeutet einfach reiten für mich?
Einfach Reiten bedeutet für mich, sehr wohl eine große Auseinandersetzung mit Theorie und Biomechanik. Lese ich ein sehr gutes Buch über Ostheopathie oder Bewegungskonzepte, dann fühlt sich das für mich tatsächlich an, wie ein Krimi. Wie funktioniert was und warum?
Ich möchte meinen Reitschülern genau die Begeisterung vermitteln, die ich beim Forschen und Tüfteln spüre. Gleichzeitig erkenne ich an den vielen Fragen, die über den Newsletter, Kommentare oder auch im direkten Unterricht an mich heran getragen werden eine große Verunsicherung, verursacht durch viel „Fachchinesisch“ im Netz.
Dazu habe ich eine sehr schöne Passage im Buch „Ergotherapie für Pferde“ von Dr. Ruth Katzenberger-Schmelcher und Yvonne Katzenberger gefunden:
„Fachchinesisch“ ist ebenfalls fehl am Platz: Dorsal, distal, ventral und Co sind den wenigsten Menschen, die nicht im therapeutischen Spektrum zuhause sind, geläufig. Was im fachlichen Austausch unter Kollegen üblich ist, ist im Gespräch mit dem Kunden meist fehl am Platz. Die eigene Kompetenz durch Fachausdrücke, die das Gegenüber nicht versteht, zu unterstreichen, sollte nie das Ziel eines Therapeuten sein. Ganz im Gegenteil: Ein guter Therapeut kann komplexe Sachverhalte so herunterbrechen und sich so ausdrücken, dass die Thematik für den fachlichen Laien nachvollziehbar ist.“
Als ich die Akademische Reitkunst kennen lernte, war ich geplättet und ein wenig eingeschüchtert. Plötzlich wurden Bewegungen analysiert, ich traf Menschen, die Dinge sahen, die ich einfach nicht einordnen konnte. 2008 fühlte ich mich ziemlich in die Geschichte von „Des Kaisers neue Kleider“ versetzt.
Akademische Reitkunst – Alles für die Elite?
Akademisch Reiten, bedeutete dies tatsächlich die Reitkunst zu studieren? Muss man zu einem elitären Kreis gehören und braucht man ein Diplom?
Ich kann diese Fragen heute beantworten:
Wer sich der Akademischen Reitkunst verschreibt, der wird tatsächlich ein bisschen ein Tüftler. Man erlernt ein Handwerk, das heißt, wir lernen durch die Bodenarbeit, durch das Longieren, durch die Handarbeit, durch die Arbeit am Langen Zügel und durch den Crossover, was es bedeutet, dem Pferd in verschiedenen Positionen einen Rahmen zu geben. Wir arbeiten an einer gemeinsamen Kommunikation mit dem Pferd. Das Pferd spricht Pferd, der Mensch spricht Mensch. Wir können nicht „pferdisch“ sprechen. Wir müssen eine gemeinsame Kommunikation finden und lernen. Wenn wir diese Kommunikation festigen, lernen wir gleichzeitig auch sämtliche Werkzeuge kennen, die uns zur Ausbildung und Schulung unseres Pferdes zur Verfügung stehen.
Dass ich noch immer eine Suchende bin, mir jeden Tag neue Fragen stelle und mit meinen Pferden an den Antworten tüftle – das macht mich keinesfalls unglücklich. Es geht nicht darum, irgendwo „anzukommen“ und dann „fertig“ zu sein. Ich bin bereits mitten in der Tüftelei angekommen – und erlebe die Spannung des Krimi nicht nur beim Lesen und Forschen sondern freilich auch in der täglichen Praxis. Daher kann ich für mich und meine Schüler sagen, dass ein Großteil der Arbeit mit dem Pferd im Tun passiert. Ob eine Sache zu verkopft wird oder nicht – das hängt von jedem Lernenden selbst ab. Der eine wird aber gerne mehr Theoretiker sein, der andere ist eher praktisch veranlagt. So gibt es eben auch verschiedene Lerntypen. Während der eine visuell ist, ist der nächste eher auditiv veranlagt – sprich – lernt am besten durchs Zuhören. Und der nächste muss einfach Tun, um voran zu kommen.
Wir studieren also die Reitkunst und das mit großer Leidenschaft. Und dabei nehmen wir auch durchaus die gesamte Entwicklung innerhalb der Akademischen Reitkunst kritisch unter die Lupe und hinterfragen uns selbst.
Elitärer Kreis? Nein. Jeder darf mitmachen, wenn genug Passion und „Biss“ vorhanden ist.
Der Begriff „Akademische Reitkunst“ bezieht sich auf die historischen Reitakademien, die während der Renaissance überall in Europa zu finden waren und deren Ziel die künstlerische, geistige und körperliche Ausbildung von Mensch und Pferd war. Und genau dieses Wissen aus der damaligen Zeit, das Wissen der „Klassiker“ wie Guérinière, Pluvinel, Herzog von Newcastle, Steinbrecht….findet im „Akademisch Reiten“ heute wieder praktische Umsetzung.
Man braucht heute auch kein Diplom, was man eben braucht, ist der von mir angesprochene Biss – ein gewisses Durchhaltevermögen.

Aus der Praxis
Ich habe mal folgenden Satz auf der Stallgasse aufgeschnappt:
„Ja, mir wurde das Akademische auch empfohlen, aber ich glaube nicht, dass ich noch etwas neues lernen kann“.
Wie bitte?
Es ist doch nie zu spät, etwas neues zu lernen? Wollen wir immer auf der Stelle treten und uns und unser Pferd etwa gar nicht weiter entwickeln?
Aller Anfang ist schwer…wenn man später Einfach Reiten möchte
Das bezieht sich auf jedes „Fach“, das uns am Stundenplan des Lebens begegnet. Wenn wir später eine Fremdsprache flüssig beherrschen wollen, dann müssen wir uns mit den Vokabeln, Satzbau und Grammatik auseinander setzen.
Wenn wir später „flüssig“ reiten wollen, dann müssen wir uns mit einigen Themen auseinander setzen: Das fängt bei der Beziehung zum Pferd an, geht über die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache hinaus und führt zu den verschiedensten Facetten der Bodenarbeit.
Dem Pferd müssen wir beibringen, uns korrekt zu tragen, wir arbeiten an Balance, Losgelassenheit, Durchlässigkeit, Tempo, Takt, Schwung, Formgebung und Geraderichtung sowie Versammlung.
Zu Beginn mag jedem Lernenden die Übersicht über den Stundenplan dicht und geballt erscheinen, aber wir lernen ja Schritt für Schritt.
Mir war es persönlich immer wichtig, alles einfach zu halten.
- Ich möchte einfach eine schöne Zeit mit meinem Pferd. Ich möchte auf mein Bauchgefühl hören, ich möchte genau hinspüren, was mein Pferd zu meinen Ideen zu sagen hat. Ich wünsche mir ein Pferd, das meine Vorschläge gerne annimmt und mir vertraut.
- Ich möchte genau verstehen, was ich am Boden zu tun habe.
- ich möchte wissen, wie ich ein guter Ausbilder meines Pferdes werden kann.
- Dafür muss ich aber immer einen Schritt voraus sein.
- Wie tief soll sich ein Pferd tatsächlich dehnen? Wie zeigt man Dehnungshaltung nachhaltig und verständlich dem Pferd? Wie lehrt man Aufrichtung und warum?

Die Ziele der Akademischen Reitkunst um Einfach zu Reiten
Es gibt tatsächlich nur ein Ziel: Das Pferd soll durch gezieltes Muskeltraining in die Lage versetzt werden, das Gewicht des Reiters in allen Lektionen ohne Schaden an Leib und Seele ein Leben lang tragen zu können (das bezieht sich auch auf jene Pferde, die gerne und wie ich finde irrtümlicherweise als „Gewichtsträger“ bezeichnet werden). Und: Wir wollen doch sicherlich ein Pferd, das auch gerne mit uns Zeit verbringt!
Wie wird es einfach?
Die Formulierung macht es möglich.
Was die meisten Reiter eint, ist die Erfahrung, dass wir alle auf Floskeln herum reiten. „Gib ihm eine Parade“. „Achte auf die korrekte Stellung“. Im Reitunterricht wird permanent mit Fachbegriffen herum geworfen, ohne aber den Schüler überhaupt mal im Gespräch auf Herz und Nieren zu prüfen: „Sprechen wir bei einer Parade tatsächlich von einer ähnlichen Idee?“ Sind wir hier einer Meinung? Können wir uns etwas ähnliches vorstellen, wenn es um Stellung und Biegung geht? Gerade in der Reitkunst scheiden sich ja oft die Geister, weil dieselben Begriffe verändert werden, jeder Reiter allerdings eine gänzlich andere Konnotation damit verbindet. Wir müssen uns also auf gemeinsame Vokabel einigen, erst dann können wir gemeinsam die Zutaten für alle Inhalte formulieren. Was brauchen wir für ein korrektes Vorwärts-abwärts. Wer gerade den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr klar sieht, dem sei geraten, immer auszuformulieren, was man für welchen Inhalt tatsächlich braucht, bereits erarbeitet hat oder noch Lücken aufweist. Dann wird Reiten tatsächlich einfach. Oder Bodenarbeit, oder Handarbeit. oder…..
Akademische Reitkunst ist eine lange Reise, eine Beschäftigung mit vielen Detailfragen, die man an sich selbst und an das Pferd stellt. Durch die sehr genaue Hilfengebung lernt das Pferd auf die Hilfen zu reagieren und nicht zirzensisch Lektionen abzuspulen.
Der Reiter muss vor allem sein Gefühl und Auge schulen – eine Sache, die schwierig scheint, sich aber lohnt. Vielen mag der Weg lang erscheinen – aber wer sich viel Zeit für die Basis nimmt, Reitet später Einfach. 😉
(Dieser Artikel, war einer der ersten, der auf meinem Blog erschienen ist. Ein kritischer Facebook-Kommentar hat mich dazu veranlasst, ihn herauszuschen und zu überarbeiten.)
Akademisch Reiten = Einfach Reiten zum Weiterlesen oder Hören:
Podcast: Mein Weg in die Akademische Reitkunst
Artikel: Die sechs W in der Akademischen Reitkunst
Artikel für das Bookazin „Feine Hilfen“ zum Thema Trainerhopping
Artikel zum Thema „Zweifel in der Reitkunst“ oder warum man sie nicht haben sollte!

Ich hätte da gleich mal eine Frage zum Herzog von Newcastle. Das Pferd geht ja gebogen (SH oder Travers?) auf 4 Hufschlägen. Wie weit darf denn das innere Hinterbein übertreten, ohne daß das Pferd Schaden nimmt.? Bis zur Mitte unter den Bauch ist ja völlig ok, darf es aber auch weiter übertreten oder muß ich das verhindern? Beansprucht es dann die falsche Muskulatur oder entzieht sich oder ist es im Gegenteil sogar von Vorteil für das Pferd,wenn es weiter unter seinen Bauch tritt ?(macht es gelenkiger)
Ich hoffe, daß es verständlich ist, was ich meine und vielen Dank für die Antwort. Sylvia
Hallo Sylvia. Bei den Seitengängen und alten Stichen verhält es sich gerne so, dass gerade in großer Abstellung (auf 4 Hufschlägen) mit maximaler Versammlung geritten wurde. Dies ist bei der Interpretation der Bilder unbedingt zu berücksichtigen. Allzu oft sehe ich daher Pferde in eiligem Tempo, in flottem Seitwärts, die Beine weit kreuzend. Dann würde ich auf jeden Fall sagen: Ziel verfehlt. Die Angabe im Schulterherein, das innere Hinterbein zwischen die Hufabdrücke der beiden Vorderhufe treten zu lassen ist eine ganz gute Richtschnur – allerdings – gerade zu Beginn ist weniger oft mehr. Es kann zwar sein, dass der Vorgriff ganz gut aussieht, das Pferd auch tatsächlich zwischen die beiden Hufspuren der Vorderbeine tritt – allerdings ist die Arbeit aus der Hüfte heraus nicht korrekt, die Sprunggelenke wackeln, das Pferd dreht in den Fesselgelenken. Eine weitere Möglichkeit: Das Seitwärts sieht ganz gut aus, allerdings tritt das äußere Hinterbein im Schulterherein dann viel zu breit und von der Masse des Pferdes weg….die Fehlerquellen sind beträchtlich und es bedarf meist einiger Zeit, bis Auge und Gefühl geschult sind, um die Korrektheit des Seitenganges gut einschätzen zu können.
GLG Anna