Pole Dance und Akademische Reitkunst? Nein da liegt kein Tippfehler vor. Am zweiten Fortbildungstag bei Hanna Engström hielten wir uns quasi gegenseitig die Stange. Nach einer Theorieeinheit und Demonstration zur Einführung von Hanna Engström wagten Viktoria und ich uns an die Garrocha. Viktoria sattelte dafür Chaval, ich übte mich zunächst auf Indio mit der Garrocha. 

Die Garrocha stammt aus der Gebrauchsreiterei. Sie wird eingesetzt, um Rinder aus der Herde zu separieren.  Bei Hanna haben wir eine einfache Garrocha aus Holz benutzt, in einer Länge von ungefähr 3 Metern 70. 

Natürlich waren diesmal keine Rinder im Spiel, es ging einerseits um die Verbesserung unseres Sitzes, andererseits um die Gymnastizierung des Pferdes, bei der die Garrocha wertvolle Dienste leisten kann. 

Das Thema ist und bleibt der korrekte Zirkel. Ich werde zunächst mit der Handhabe der Garrocha auf Indio vertraut gemacht. Anfangs hält Hanna noch das Ende der Garrocha und leitet mich an. Ich soll wieder Stabilität in meinem Drei-Punkte-Sitz finden. Mit der Garrocha fühlen sich versale und traversale Bewegungen, also Schulterherein, Kruppeherein und Renvers auf dem Zirkel ganz natürlich an. Ganz spielerisch beschäftigen wir uns nun mit der korrekten Platzierung der Hinterbeine auf dem Zirkel. Ziel ist es außerdem meine Sekundären Hilfen zwischen den Zügeln auf ein Minimum zu reduzieren. Auch meine Unterschenkel benutze ich nicht. Hanna weist mich an, mich in der Leiste zu öffnen und der Schulterbewegung des Pferdes zu folgen – so wird die innere Schulter von Indio im Travers leichter. Wir verkleinern und vergrößern den Zirkel und schon wiederholen wir die Übungen im Trab. Öffne ich bei einem Handwechsel meine innere Leiste, bekomme ich im Gegenzug sofort die korrekte Rotation und Biegung im Brustkorb. Von Hanna gibt es natürlich wieder viele nützliche Bilder, die das neue Sitzerlebnis fühlbar und umsetzbar machen. Dabei habe ich nicht wirklich das Gefühl, das Pferd zu „arbeiten“. 

Spielerisch „erarbeiten“ wir uns einen sanften Zugang zum Mittelpunkt des Zirkels. Dort liegt unser gesamter Fokus. Durch die Garrocha kann ich für mich persönlich noch besser empfinden, wie sich die Arbeit um den Pilaren für ein Pferd anfühlen könnte. 

Später in meiner zweiten Einheit auf Flamenco wiederhole ich die Basics die mir Indio beigebracht hat. Indio, ein sehr strenger Lehrmeister, der in Punkto Schulterführung noch mehr von meinem Sitz angesprochen werden möchte, als von den Zügeln hat mich bestens auf den kleinen, wendigen Flamenco vorbereitet. Hanna möchte nun, dass ich die Garrocha mittig fasse und in der Luft vor dem Pferd halte. So weise ich Flamenco den Weg. In unserer Fantasie treiben wir ein Rind durch die Halle, separieren es von seiner Herde und bewegen es von A nach B. Dabei verwende ich spielerisch Schulterherein, Kruppeherein und Renvers. Flamenco ist mit mir sehr zufrieden. Ich freue mich über die sehr gelungenen Einheiten, man kann die Garrocha nicht festhalten und einfach darum zirkeln. Verspannungen im eigenen Körper sind sofort fühlbar . 

Am nächsten Tag wiederhole ich auf Flamenco und Indio die Garrocha Basis. Auf Indio stelle ich mir einen Ritt mit Garrocha vor, ohne diese mitzuführen. Ich fühle mich selbst ohne Garrocha mit dem Zirkelzentrum viel besser verbunden. Wendungen, Versammlung, und das Leichtermachen aus der Leiste machen die Sache absolut rund. Später auf Flamenco kommt die Garrocha wieder hinzu und wir üben uns spielerisch in den verschiedenen Wendungen. Hannas Tipp an den “alten Portugiesen” auf dem Pferd zu denken, der einfach Platz nimmt und sich über komplizierte Wendungen nicht den Kopf zerbricht zeigt Wirkung. Manchmal muss man sich auch einfach etwas trauen. Eine Sache, die gerade unter den Tüftlern in der Akademischen Reitkunst oftmals zu kurz kommt. Vor lauter Spüren-Denken-Fühlen-Körper sortieren-Hilfen sortieren kommt Spontaneität oftmals zu kurz. Ich bin über die engen und gesetzten Wendungen, die der kleine Flamenco unter mir locker schafft überrascht. Flamenco ist eher überrascht, dass ich seine Fähigkeiten angezweifelt habe. Am Ende der Einheit brummelt – oder eher qietscht er zufrieden. Schön, wenn wir gemeinsam Spaß hatten. 

Gemeinsam Spaß – das ist mir auch für alle Daheimgebliebenen wichtig. Da mein Vater erst kürzlich an der Schulter operiert wurde ist er aktuell etwas bewegungseingeschränkt. Ich schildere Hanna die Situation und sie entwickelt prompt ein Coaching Programm für Rudi und Pina. Ich halte meinen Arm wie in einer Schlinge und bekomme alle möglichen Sitz-Inputs aus ihrem Sitzprogramm, Teil 1. Gemeinsam erkunden wir, welche Übungen zielführend sein könnten, um wieder zurück zur alten Form zu kommen. Ich selbst habe Hannas Sitzbasis noch nicht am eigenen Leib erfahren, es ist sehr spannend Bewegungsübungen im Sattel durchzuführen. Mal fühle ich mich wie ein Spieß beim Barbecue, mal wie ein Schweizer Messer, mal wie eine Ente mit ausgestrecktem Hintern oder in der berühmten Titanic Pose. Hannas Assoziationen klingen lustig, gehen aber richtig unter die Haut. Der Efffekt ist sofort spürbar. Mal fühlt man sich im Sattel leichter, mal tiefer und besser gesetzt, mal werden die Schambeinknochen, mal die Sitzbeinhöcker deutlicher spürbar. Eine ungemein spannende Angelegenheit – wieder etwas für die Tüftler unter uns 😉 

Freitag ist dann unser letzter Tag, bevor es auf eine hoffentlich stressfreie Heimreise geht. In der ersten Einheit wiederhole ich mit Indio einige Sitzübungen, die das Bewusstsein des Reiters für seinen Körper verbessern sollen. Ich bin überrascht wie leicht sich nach wenigen Minuten einzelne Körperteile besser wahrnehmen lassen. 

Danach steht noch etwas Action am Programm. Flamenco und ich tanzen um Hanna und die Garrocha – die beiden haben sich in der Mitte des Zirkels als Pilar platziert. Auf einem sehr kleinen Zirkel wird sofort spürbar, wenn ich das äußere Hinterbein im Schulterherein verliere oder Flamenco auf die Schulter fallen sollte. Flamenco nimmt jede Herausforderung von Hanna motiviert an. Handwechsel versal, traversal oder renversal – alles kein Problem. Die korrekte Handhabe der Garrocha ist mir erstaunlich schnell vertraut geworden. War die Stange vor zwei Tagen noch schwer wirklich an einem fixen Punkt im Zirkel zu positionieren läuft es nun wie geschmiert. Wir wagen unser Programm mit Seitengängen auf dem Zirkel, Handwechsel und – Stichwort “Leiste” – neue Biegungsrichtung, Erleichterung der neuen inneren und äußeren Schulter zunächst im Schritt, dann im Trab und zum krönenden Abschluss sogar im Galopp. 

Flamenco bedankt sich für meine gute Mitarbeit (ich habe versucht möglcihst wenig zu stören) mit seinem fröhlichen “Jauchzer” als ich absteige. 

Was bedeutet es wirklich im Sattel Platz zu nehmen? Was meinte Antoine de Pluvinel seinen Anspruch, das Pferd ausschließlich aus der Hüfte heraus zu dirigieren.Diesen Leitsatz verstehe ich durch die Tage bei Hanna neuerlich ein Stück besser. 

Ich bin heuer bereits zum dritten Mal bei Hanna Engström vor Weihnachten. Ich habe einen Kurs von Hanna in Österreich als Theorieteilnehmer besucht und einen weiteren Kurs organisiert und mitgeritten. Was ich an Hanna so wertvoll finde ist, dass es immer etwas Neues gibt, Hanna wird nicht müde den Sitz bis ins letzte Detail zu erforschen und die Hilfengebung noch feiner für das Pferd zu machen. Sie erinnert ihre Schüler immer wieder ohne Erwartungen ans Pferd und ohne Erwartungen an den eigenen Körper an die Sache zu gehen. Ein wunderbarer Zugang. Das Lernen ohne sich dabei unwohl fühlen zu müssen steht im Vordergrund. Für jeden Wunsch und jeden Schüler hat sie ein passendes Rezept in der Schublade.