Zu ihrer Zeit hatte das Reiten einen ganz anderen Stellenwert. Reitakademien dienten nicht nur dem Reiten, sondern vermittelten auch Kenntnis in Philosophie, Latein, Fechten und Umgangsformen. Antoine de Pluvinel (1555-1620), William Cavendish der Herzog von Newcastle (1592-1676), François Robichon de la Guérinière (1688-1751) und Gustav Steinbrecht (1808-1885) kamen nie zu einer Diskussion zusammen. Und wenn doch? Was hätten Sie wohl in einer Diskussionsrunde über den Sitz zu sagen gehabt?

Die Alten Meister über den Reitersitz

Pluvinel: Zuallererst sei gesagt, dass der Mensch, der reiten möchte angehalten ist, maßvoll und geregelt zu leben, um den ganzen Körper in einer guten Verfassung zu erhalten. Daher muss man alle Arten von Exzessen und Ausschweifungen meiden, die die Gesundheit beeinträchtigen, denn es ist unmöglich als jemand, der das geringste Unwohlsein verspürt zu Pferde etwas so  voller Eleganz umzusetzen. Und dann gibt es natürlich auch noch Vorbilder. Stellen Sie sich doch einen Reiter vor, der gut im tiefsten Punkt des Sattels sitzt, ihn fast nur in der Mitte berührt und eine aufrechte Haltung bewahrt. Ich halte es hier wie Xenophon, man soll demnach so auf dem Pferde sitzen, wie wenn man auf den Beinen stehen würde.

Newcastle: Dieser Interpretation kann ich voll und ganz zustimmen. Ich ziehe für den aufrechten Sitz auch gerne den Vergleich zum Tanz heran. Ein steifer Tänzer, aufrecht, aber steif, als hätte er einen Stecken verschluckt macht auf dem Parkett nicht viel her. Wenn die Tanzpaare nicht an Leichtigkeit und Balance zusammenpassen, so verhält es sich auch mit Pferd und Reiter. Wer nicht mit Geschmeidigkeit auf das Pferd passt, wird sich nie zu einem wahren „Horseman“ entwickeln, wie man heute so schön sagt.

Steinbrecht: Wahre Pferdemenschen. Da muss ich einhaken. Wir können heute feststellen, dass sich viele junge Leute von der Reitbahn und dem systematischen Studium der Reitkunst abgeschreckt fühlen und sich dann lieber dem ungebundenen Jagd- und Rennreiten oder dem Springen ganz einseitig zuwenden. Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass wir keine richtigen Reitakademien mehr haben, wo Reiter noch den richtigen Sitz zu Pferde fühlen können. Der Reiter sitzt aber nur dann richtig auf dem Pferd, wenn die beiden Schwerpunkte zusammen fallen. Nur dann kommt man zu Harmonie.

Es kann doch kaum etwas Verkehrteres geben, als den Schüler auf einen abgetriebenen und struppierten, verbogenen und vertrackten Philister zu setzen, ihn auf dieser Karikatur eines Reitpferdes in die Form des so genannten Normalsitzes hineinzuzwängen und nun zu verlangen, dass er sich bei dieser Art Leibesübung Begeisterung oder gar reiterliches Gefühl aneignen soll. (G. Steinbrecht, Gymnasium des Pferdes)

Guérinière: Herr Steinbrecht,Ihre Kritik stimmt mich nachdenklich. Wird denn der Reitersitz nicht mehr so gelehrt wie zu meiner Zeit? Wir sind mit den Reitanfängern so verfahren: Ein erfahrenes Pferd wurde zwischen den Pilaren gearbeitet, vorzüglich in der Piaffe. Der Reitschüler möge nun auf dem schwingenden Pferderücken zur Entspannung finden, so dass sich vice versa auch das Pferd zu Entspannung und Gehfreude motivieren lässt. Ich verstehe daher unter einer guten Haltung auf dem Pferd einen entspannten Sitz, der mit einer aufrechten und freien Haltung des Oberkörpers verbunden ist.  Herr Herzog von Newcastle, Sie teilen den Körper ja in einen beweglichen und einen unbeweglichen Teil ein? 

Newcastle: Ja Sie haben recht, der bewegliche Teil reicht vom Oberkörper bis zur Hüfte des Reiters und dann von den Knien abwärts zu den Füßen. Der unbewegliche Teil wird von der Taille bis u den Knien definiert. Damit meine ich aber nicht und das muss ich noch einmal betonen, dass der Reiter in diesem Bereich steif werden soll – hier geht es um die Verschmelzung zweier Lebewesen!

Pluvinel: Ja, dies ist als Ziel korrekt zu definieren, ich denke hier sind wir uns einig: Unser Ziel ist es das Pferd ganz alleine aus der Hüfte heraus zu dirigieren und in den Wendungen geschmeidig zu führen. Apropos Wendungen, oder Touren, die hat der Herzog von Newcastle auch sehr schön ausformuliert!

Newcastle: Wie die Herren wissen, arbeite ich meine Pferde ja sehr gerne auf dem Zirkel. Befinden wir uns auf der rechten Hand, dann muss meine linke, also die äußere Schulter etwas vorgelagert sein, die rechte Schulter bringe ich hinter meine innere Hüfte. So folgen wir dem Grundsatz: Reiterschulter parallel zu Pferdeschulter, Reiterhüfte parallel zu Pferdehüfte. Reiterkopf parallel zu Pferdekopf. Der innere Schenkel…

Guérinière: …hat die Aufgabe das Pferd um sich herum zu biegen. Ich darf hier ergänzen und sagen, dass die Oberschenkel und Knie etwas nach innen gedreht werden müssen, damit die flache Seite ganz nahe am Pferd liegt, ohne aber aber zu pressen oder zu klemmen. Viele Schüler machen ja verheerende Fehler, indem sie die Unterschenkel entweder weit nach vorne spreitzen, oder zu weit nach hinten…

Steinbrecht: Oder die Schenkel klopfen gleichzeitig. Das kann man von vorne gut beobachten. Der Reiter sitzt nicht in Balance..

Newcastle: Dabei müsste der Reiter doch in Balance gebracht von vorne betrachtet einen längeren, inneren Steigbügel haben. Mindestens 4 Inches länger.

Guérinière: Ihre 4 Inches sind aber auch eine sehr anspruchsvolle Angabe. Das sollte von Pferd zu Pferd wohl individuell unterscheidbar sein. Lernen kann man dieses Mitschwingen aus der Hüfte am besten doch im Trab und das für fünf bis sechs Monate ohne Steigbügel. Und selbst wenn man den längeren inneren Steigbügel als Prüfstein für den inneren Sitz hernimmt, sei davor gewarnt, dass der Reiter sich zu sehr darauf konzentriert und dann abhängend sitzt. Das ist überhaupt einer der größten Fehler.

Pluvinel: Ich stimme hier voll und ganz zu. Ich möchte aber ebenso ergänzen, dass der Bügeltritt nicht als Hilfe zur Verlängerung des inneren Bügels missbraucht werden sollte. Diese Hilfe kann wahre Wunder wirken, wenn es darum geht, das Gewicht noch weiter in Bewegungsrichtung zu verlagern. Der Innensitz ist ganz einfach im Gefecht zu überprüfen: Die Hilfe kam treffsicher an, wenn sich Ross und Reiter auf den Gegner zubewegen.

Steinbrecht: Der heutige Gegner ist ja der Reiter selbst, der gerne alles übertreibt. Spanntritte gegen die Hand. Reiter, die dafür im Oberkörper weit nach hinten lehnen. Die schönen Künste erzeugen wahrhaft Schönes nur wenn sie sich in den Grenzen des Natürlichen halten. Jede Überschreitung dieser Grenzen bestraft sich durch Zerrbilder und Karikaturen, und obgleich die Mode auch solche mitunter schön findet, haben sie doch nichts mit der Kunst gemein. Daher ist es unablässig über Anatomie und Biomechanik des Pferdes, wie es heute genannt wird bescheid zu wissen. Ich weiß, der Ausdruck Rippenbiegung ist heute nicht mehr korrekt, vielmehr wird von einem Absenken des inneren Rippenbogens gesprochen, wenn sich das Pferd eben nach innen biegt. Dadurch lässt sich auch der wie von Zauberhand länger scheinende Bügel der Herren Newcastle und Guérinière erklären. Die innere Hüfte schwingt abwärts und das eben nicht nur auf dem Zirkel. Diese Abwärtsrotation lässt den inneren Bügel länger scheinen.

Lesen wir in den alten Meistern, dann verstehen wir und Reiten Einfach 😉

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PS: Dass es heute keine Reitakademien mehr gibt, bedauert wohl nicht nur Steinbrecht. Selbst, wer viele Trophäen daheim im Schrank sein eigen nennen kann, würde von den Alten Meistern wohl häufig zum „Nachsitzen“ mittels Longenstunden ohne Bügel verdonnert werden.