Was bedeutet eigentlich an den Hilfen stehen? Hilfen sind auf jeden Fall nur Hilfen, wenn sie die Bedeutung ihres Namens vollfüllen, wenn sie helfen. So schrieb Udo Bürger einst:

„Wo rohe Kräfte sinnlos walten, da kann sich kein Gebild gestalten“.

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst. 

Eigentlich wollte ich an dieser Stelle primär über Hilfen sprechen – und ob das Pferd eben an den Hilfen steht. Aktuell habe ich jedoch auch viel darüber nachgedacht, was Hilfen bedeuten. 

Kommunikation als Einbahnstraße?

In erster Linie sind Hilfen dafür da, um zu helfen. Tun sie das nicht, sind sie freilich keine Hilfe. Und Hilfen sollen freilich auch dem Pferd eine Unterstützung bieten, wenn es mit dem Reiter in Balance kommen soll. In Balance kommen – im Gleichklang unterwegs sein. Darum geht es in der Reiterei. An den Hilfen stehen, das klingt jedenfalls streng, akribisch und ganz genau. 

Freilich müssen wir genau kommunizieren, genau und klar sein, wenn wir unserem Pferd eine gemeinsame Sprache beibringen wollen. Ich bin sehr oft richtig baff, wenn ich sehe, wie sehr die Pferde meiner Schüler in kurzer Zeit „an den Hilfen“ stehen, wie gut die Kommunikation verläuft, wie fein und geschmeidig schon in der Basisarbeit vor dem Reiten miteinander gesprochen wird. Wenn kleine Gewichtsverlagerungen, Ausatmen, Energie tanken und Energie teilen leichtfüssig und in großer Selbstverständlichkeit umgesetzt werden. 

Wenn unser Pferd auf viele Kleinigkeiten reagiert, dann erwarten wir oft, es immer „an den Hilfen“ zu haben. Wir erwarten, dass unser Pferd auf Pfiff sofort auf der Koppel auf uns zukommt. Stillstehen am Putzlatz gehört zur Selbstverständlichkeit dazu. Und sobald es in die Halle tritt, formen wir, verschieben wir nach Belieben den Schwerpunkt und entschieden über Richtung, Tempo und Takt. 

Bevor ich also über das Wesen der Hilfen schreibe, möchte ich betonen, dass wir dieses „an den Hilfen“ stehen, nicht als Selbstverständlichkeit hinnehmen dürfen. Neulich war ich selbst ausgelaugt und müde. Ich war glücklich, als mir Konrad zu verstehen gab:

„Mit dieser Energie habe ich eigentlich nicht richtig Lust mitzukommen“.

Conversano Aquileja aka „Konrad“

Und wißt ihr was? Es war okay. Für Konrad war ich in diesem Moment auch „an den Hilfen“, denn ich habe seine Botschaft aufgenommen. Ein Buch geholt, mich in die Sonne zu ihm gesetzt und gelesen. Und wir waren beide so innig und verbünde in dem Moment. Konrad kam immer wieder zu mir und zog dann weiter zum Grasen. Und dann kam er wieder vorbei. Wir waren verbunden, obwohl wir an dem Tag nichts überprüft hatten? Und doch hatten wir unsere Kommunikation auf die Probe gestellt – äußerst erfolgreich, wie ich finde. 

Nun aber ans Eingemachte: 

Was sind Hilfen? 

Um die Frage zu beantworten, ob das Pferd überhaupt an den Hilfen steht, müssen wir überhaupt die gängigsten Hilfen zusammen fassen: 

In der Akademischen Reitkunst unterschieden wir zwischen 

Primärhilfen und Sekundarhilfen

Primärhilfe Sitz

Der Sitz bzw. der Körper des Menschen IST. Wir sind quasi immer da. Wenn wir mit dem Pferd unterwegs sind, dann erzählt unsere Körpersprache zweifelsohne eine Botschaft – ob wir wollen – oder nicht. Auf dem Rücken des Pferdes wirken wir durch unseren Körper ein. Es ist sehr schwer Hilfen, besonders aus dem Sitz auf ein Minimum zu reduzieren, vor allem wenn der Mensch denkt, der Körper jedoch in eine ganz andere Richtung lenkt. „Körperklaus“ – so nennen sich viele Reiter liebevoll selbst und könnten sich doch innerlich für die nicht optimale Kommunikation zwischen Großhirn, Kleinhirn, Pobacken und Armen verfluchen. Unser Körper ist unser stärkster Verbündeter, gleichzeitig aber unser größter Feind in Sachen Kommunikation mit dem Pferd. 

Der Sitz lässt das Pferd nicht „im Dunkeln“ tappen. Er kommuniziert eindeutig, jedoch auch unablässig!

An dieser Stelle: Kein Stress. Wir sind Lernende und unser Pferd ja auch. 

Damit wir uns auf eine gemeinsame Sprache einigen können, wurden uns kleine Helfer zur Verfügung gestellt:

Sekundarhilfen 

Sie werden wiederum unterteilt in 

  • Schenkelhilfen 
  • Handeinwirkung
  • Stimme und 
  • Gerte 

Die Sache wäre einfach, wenn es nicht wiederum eine Vielfalt an Schenkelhilfen gäbe. Insgesamt unterteilen wir in sechs verschiedene Schenkelhilfen, die wir dem Pferd bereits in der Bodenarbeit zeigen und sein Verständnis für diese festigen. Die Sekundarhilfe Gerte unterstützt uns dabei. Die Herausforderung für das Pferd ist, zwischen diesen vielen Schenkelhilfen zu unterscheiden. 

Insgesamt unterscheiden wir zwischen 6 möglichen Schenkelhilfen.

Bei der Arbeit im Stehen zeigen wir den formgebenden, um sich herum biegenden Schenkel. Der direkte Schenkel holt das gleichseitige Hinterbein im Abfussmoment ein wenig nach vorne, der von sich weg biegende Schenkel lädt ein zum Travers, der verwahrende Schenkel, beispielsweise der linke Schenkel passt auf, dass  das linke Hinterbein nicht breit tritt, auch der rahmende Schenkel kann hier unterstützend eingesetzt werden. Ist er der linke Schenkel des Reiters, dann kann er von der gegenüberliegenden Seite das rechte Hinterbein am Ausfallen hindern und somit einrahmen. Der versammelnde Schenkel bemüht die Hinterbeine um ein früheres Abfussen. Er versucht also die Phase des Rückschubs abzukürzen und mehr Vorgriff zu erzeugen. 

Ein gutes Händchen – die Hand nimmt und gibt Informationen weiter

Auch die Hand hat vielerlei Funktionen. Der direkte Zügel kann das Pferd formen und lösen, die indirekten Zügelhilfen sind für die Führung der Schulter notwendig. Für das Pferd ist es im Laufe seiner Ausbildung wichtig zu verstehen, wie es auf die verschiedenen Einwirkungen der Reiterhand antworten soll. Die Ausbildung beginnt – grobmotorisch gesagt – bei Gas und Bremse – feinmotorisch soll das Pferd die Vielfalt der Paraden begreifen und unterscheiden. 

„Wir würden bei unseren Schülern ein besseres Verständnis für die Handhabung der Zügel im Zusammenhang mit dem Gang erwecken, wenn wir nicht nur von ganzen und halben Paraden, sondern auch von Viertel- und Zehntelparaden sprechen würden, je nachdem ob wir vier oder zehn Tritte dazu brauchen, um mit vorsichtigen Einzelparaden durchzukommen“.

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst

Die Paraden in kleinste Segmente zu zerlegen, das ist auch hilfreich für die Schulung des Verständnis bei Mensch und Pferd: Mit einer Achtelparade kann der Reiter lernen, in das Pferd hinein zu spüren, eine viertel Parade korrigiert die Form, dabei ist die Challenge für den Reiter, die Parade so sanft zu gestalten, dass das Tempo durch die Parade nicht gedrosselt oder gar verstärkt wird. Tempo ist auch ein wichtiges Stichwort für die halbe Parade, sie prüft nicht, sie geht tatsächlich den offenen Weg vom Genick bis zur Hinterhand durch die Wirbelsäule des Pferdes und spielt dabei mit dem Schwerpunkt, der langsam immer mehr in Richtung Hinterhand geleitet wird. Ihre Anwendung soll das Tempo ebenso nicht beeinflussen, das bedeutet im Stehen darf das Pferd nicht rückwärts aus der Parade heraus treten. Erst mit der Dreiviertel-Parade wird das Tempo verlangsamt, am Takt darf sich jedoch nichts ändern. Takt und Tempo werden bei der ganzen Paraden verändert. Sie ist die wichtigste Parade in Übergängen und in Punkto Hankenbiegung. 

An den Hilfen: Wann kommt was? 

„Deshalb müssen wir wissen, was wir wollen. Und das Pferd muss wissen, was wir wollen, es soll begreifen, aber es soll nicht mechanisch gegängelt werden“.

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst

Udo Bürger trifft mit diesem Befund ins Schwarze. Erst müssen wir als Reiter wissen, was wir überhaupt wollen, dann büffeln wir die Theorie über alle Hilfen, die uns zur Verfügung stehen. 

An den Hilfen stehen, bedeutet im Grunde Königsklasse, oder um erneut Udo Bürger zu bemühen: 

„Die Modulationsfähigkeit unserer Hilfen ist so enorm vielseitig, dass man sich ganz in sie vertiefen muss, wenn man je erreichen will, dass sie von unserem geistigen Auffassen unabhängig werden und im Zusammenspiel der beiden Lebewesen als wohl geordnete Reflexe funktionieren. Wenn es soweit ist, dann trennt das Reitergefühl ganz klar unsere Einwirkungen, dann bekommen wir die Impulse vom Pferd, dann reiten wir nicht mehr mit Kopf, Schenkel, Kreuz und Hand, dann sind wir eine Einheit, die  mit dem Pferd verschmilzt“. 

Udo Bürger

Udo Bürger schreibt auch, dass sich der Reiter davor hüten solle, die Formgebung durch Manipulation mit den Händen zu verbessern. Form müsse aus der Versammlung selbst entstehen, Haltung und Versammlung würden sich gegenseitig ergänzen. 

Was Udo Bürger jedoch nicht kannte, war die heutige Bodenarbeit: In der Bodenarbeit können wir einem Pferd einen ganzen Rahmen an Hilfengebung zeigen. Wir können vor dem Pferd stehend in aller Ruhe formgebende Hilfen erklären und diese dann in eine seitliche Führposition, sogar einhändig geführt übertragen. Überhaupt übertragen wir alle Hilfen vom Boden in den Sattel. 

Die zwei wichtigsten Hilfen sind für den Reiter mit Sicherheit vortreibende und verhaltende Hilfen

„Es ist nämlich genau so einfach wie beim Autofahren: Wenn man Gas gibt, darf man im gleichen Augenblick nicht bremsen, und wenn man bremst, darf man nicht gleichzeitig Gas geben. Würden die zwischen bremsenden Hände und pressende Schenkel zusammengeschraubten Pferde Qualm entwickeln, wie gebremste Autos, dann würde mancher eher etwas merken und mancher müsste sein Leben lang mit Rauchschutzmaske reiten.“

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst

Unsere Primärhilfe Sitz ist hier das Um und Auf, wenn wir unser Pferd an die Hilfen stellen wollen. Je besser das Pferd trainiert ist, umso besser wird auch die Tiefenmuskulatur an der Wirbelsäule ausgebildet. Diese ist dann dafür zuständig, dass beinahe schon ein Gedanke des Reiters genügt und das Pferd vollführt jede gewünschte Bewegung. Je besser der Reiter ausgebildet ist, um so eher kann er in das Pferd hinein fühlen und dessen Bewegungen interpretieren. 

Ein Pferd würde vielleicht brav an den Hilfen stehen, wenn der Reiter es mit sinnlosen Korrekturen überfällt, ohne genau hinzuspüren, welche Hilfen überhaupt notwendig wären; dies unterstreicht die Forderung der Alten Meister, die unisono ein feines Gefühl oder den Reitertakt zu Pferd besonders hervor strichen. 

„Treiben und gleichzeitiges Verhalten schraubt das Pferd zusammen. Es wird in eingeengter Zwangshaltung in seinen Bewegungen behindert, das scheinbare Gleichgewicht ist nicht natürlich, sondern abhängig von der Zügelstütze. Fällt diese beim Überstreichen fort, eilt das Pferd und fällt auseinander. Zusammengeschraubte Pferde wehren sich, nur starke Reiter, die sie zwischen Schenkel, Kreuz und Hand zusammenhalten, können sie flüssig vorstellen.“

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst. 

An den Hilfen – Das perfekte Timing

Das perfekte Timing der HIlfengebung wird dem Reiter klar, wenn er gelernt hat zu spüren, zu analyiseren und zu bewerten. Wenn der Reiter seinem Pferd klar vermitteln kann, dass das Tempo gleichmässig bleiben soll, wenn er Taktunterschiede wahrnehmen kann und deren Ursache ermitteln – dann lässt sich auch nach und nach ein gleichbleibender Takt herstellen. Balance ist immer wieder neu zu bewerten und zu beurteilen. Um das Pferd überhaupt an die Hilfen zu stellen, muss also der Reiter zuerst wissen, welche Hilfen er wann gebrauchen kann und muss. 

Die wichtigste Reiterhilfe überhaupt: Das Gefühl für das Pferd

Je besser die Sekundarhilfen ausgebildet sind (sowohl bei Mensch und Pferd) umso sicherer wird der Mensch in seinen Mitteilungen durch die Primärhilfe und umso besser wird ihn das Pferd verstehen. 

Ein Pferd ist im Prinzip dann an den Hilfen, wenn es die kleinste Botschaft seines Menschen verstehen und in dessen Sinne interpretieren kann. 

Kommen wir zum Treiben und Parieren zurück. Der Reiter weiß, wann er für ein flüssiges und gleichmässiges Vorwärts treibt, er spürt, dass er auf seinem Pferd überhaupt zum treiben kommen kann, das Pferd sucht die Hand des Reiters und fühlt sich vom direkten Schenkel zur rechten Zeit angesprochen. Will der Reiter langsam versammeln, dann weiß er, dass er für einen gleichmässigen Erhalt von Energie sorgen muss, gleichzeitig sollen die Paraden nicht in der Abschubphase des Hinterbeins gegeben werden, in der stützenden Beugephase ist hingegen ein gutes Momentum zu finden, um eine Parade zu geben. Der gut geschulte Reiter weiß jedoch auch: Jedes Pferd ist anders, und das perfekte Timing muss für jedes Pferd individuell maßgeschneidert werden. Freilich gibt es technische Komponenten, einen Werkzeugkoffer voller Hilfen, um das Pferd zu führen, jedes Musikstück ist jedoch ohne Gefühl nichts. Und so gilt dies auch für das Reiten. 

Ich höre dir zu

An den HIlfen stehen – das bedeutet, dass zwei Wesen wissen, worum es geht. Es bedeutet aber auch, dass zwei Wesen einander zuhören möchten und einander verstehen wollen. Und das unterstreicht einmal mehr, warum eine gute Beziehung zu unserem Pferd das wichtigste Fundament für alles andere ist. 

An den Hilfen – zum Weiterlesen: