Zurück zum Urpsrung – so lautet das Motto der lizensierten Branderup Trainerin Annika Keller. Mit ihrem Equestrian Move Konzept möchte sie vor allem beim Reiter den Spaß an der Bewegung fördern und dadurch auch den Reitersitz verbessern. Im Interview verrät sie wie das funktionieren kann!
Anna: Im heurigen Jahr startest du mit einem neuen Konzept, das vor allem den Reitersitz schulen soll. Wie sorgst du für mehr Bewegung in der doch Büro- und sitzdominierten Welt der Reiter?
Annika: Primal Move ist ein integratives Bewegungssystem, das die ursprüngliche Bewegung des Menschen zu Tage bringt. Das heißt es geht hier um ursprüngliche Bewegungsmuster, die wir als Kinder noch ganz selbstverständlich ausgeführt haben. Für uns war es damals keine große Sache aus dem Stand heraus einen Purzelbaum zu schlagen. Wir haben uns immer wieder aus unserer horizontalen Sichtlinie heraus begeben. Das tun wir heute selten, daher erschrecken wir auch so, wenn wir einmal zu Boden stürzen. Durch „Primal Move“ wird die spielerische Art der Bewegung neu aufgegriffen, das zentrale Nervensystem wird quasi mit Frischzellen unseres früheren Bewegungsrepertoires versorgt. Heute sitzen wir – auch aus beruflichen Gründen mehr, als wir uns bewegen. Mehr Bewegung kann aber die Lebensqualität verbessern. Wobei mir ganz wichtig ist, dass der Spaß an der Bewegung nicht auf der Strecke bleibt.
Anna: Warum kann ein Handstand nützlich sein, um den Reitersitz zu verbessern?
Annika: Wir bilden bislang in erster Linie unsere Pferde aus, das heißt wir möchten die Bewegungsmuster des Pferdes verbessern. Balance ist hier für die Arbeit mit dem Pferd ein wichtiges Thema – aber wie steht es um unsere eigene Balance?
Es geht also darum zu prüfen, wie gut die eigene Balance in verschiedenen Bewegungen ist. Die gesteigerten Fertigkeiten lassen sich wunderbar auf den Pferderücken übertragen, mit dem Ergebnis auch hier die Balance des Reiters zu verbessern.
Anna: Was ist notwendig, um die „Primal Move“ Übungen zu üben?
Annika: Primal Move bietet eine große Palette an Alltagsübungen, die man super zwischendurch einbauen kann. Beispielsweise kann man mal versuchen Treppen auf allen vieren, oder auch mal rückwärts zu nehmen. In der Akademischen Reitkunst laufen wir ja auch bei der Bodenarbeit rückwärts. Aller Anfang ist auch hier schwer und jeder, der es probiert hat weiß, dass sich Gefühl und Sichtweise, sowie Motorik und Balance ändern. Auch hier gilt: In der Kindheit waren solche Bewegungen spielerisch ausgeführt ganz normal. Mit Primal Move kann man kreativ sein – ändern Sie alltägliche Bewegungen – führen Sie diese seitwärts oder rückwärts aus.
Anna: Klingt spannend und selbst für gestresste Menschen im Alltag umsetzbar. Wie kamst du denn eigentlich auf „primal move“?
Annika: Mir hat vor allem die Kombination gefallen, wenn Training und Spaß spielerisch miteinander verbunden werden. Mir persönlich fällt es schwer, mich für ein Training zu begeistern, das nicht direkt mit dem Reiten verknüpft ist. Auch diese starre Denkweise: Ich trainiere jetzt meinen Körper hat nicht dazu geführt, Motivation und Freude zu steigern.
Als Kind war das noch anders. Und auch bei den Pferden ertappt man sich immer wieder dabei zu denken: Ich arbeite jetzt mein Pferd. Beides macht aber auf Dauer keinen Spaß und ist ein zu straffes Korsett. Ich wollte also wieder spielerischer sein – auch in meiner Arbeit mit dem Reiter und mit dem Pferd. Wer sich ursprünglicher bewegt – und wir orientieren uns ja auch beim Pferd an den Bewegungen, die es natürlich kann, steigert Körperbewusstsein und Freude. Das Primal Move Konzept hat hier perfekt dazu gepasst, weil es eben nicht defizitorientiert ist und ausschließlich Fehler aufzeigt. Einfache Übungen zielen darauf ab, dass man wieder mehr mit seinem Körper und seiner Beweglichkeit ausprobieren möchte.
Anna: Das Programm soll ja auch den Sitz verbessern. Was sind denn deines Erachtens die größten Fehler beim Sitz?
Annika: Das Hauptproblem ist zu wenig Bewegung. Wenn ich Schüler oder mich selbst observiere, vor allem wenn man sehr konzentriert an einzelnen Punkten arbeitet stelle ich fest, dass es uns immer wieder passiert die Bewegung auszusetzen. Wenn ich auf einem Wackelbrett stehe, dann erreiche ich durch kleinste Bewegungen am ehesten Balance. Wer also beispielsweise beim Reiten von Lektionen sprichwörtlich vor lauter Konzentration die Luft anhält, blockiert Bewegung und blockiert letztlich im Sitz. Es geht also auch beim Reitersitz in erster Linie um die Steigerung und Verbesserung der Beweglichkeit des Reiters.
Anna: Und wenn Reiter umgekehrt das Gefühl haben sie sind zu beweglich auf dem Pferd?
Annika: Auch hier entsteht Ruhe durch mehr Balance und mehr positive Bewegung im Einklang mit dem Pferd. Wenn Menschen Bewegung als unrund wahrnehmen, dann bewegt man sich meist auch außerhalb seiner eigenen Balance und der des Pferdes. Viele Reiter kommen dann auch hinter die Bewegung des Pferdes. Das bedeutet im Endeffekt, dass man mit der großen Bewegung des Pferdes nicht mehr mithalten kann. Daher ist meine Idee von Ruhe auf dem Pferd auch in erster Linie zuerst die Beweglichkeit zu steigern, um in weiterer Folge zu einer ausgeglichenen Balance zu kommen.
Anna: Viele Reiter klagen über die Schwierigkeit fühlen zu lernen…
Annika: Ja und an dieser Stelle kann man nur raten, sich Zeit zu lassen. Der Trainer muss das Pferd an die Hand nehmen, damit der Schüler die Gelegenheit hat zu spüren. Allerdings ist das nicht immer möglich, manchmal müssen wir zuerst technisch eingreifen, dem Pferd eine Form geben, damit der Schüler auch überhaupt etwas spüren kann. Das ist wie beim Tanzen – zuerst muss ich auch technisch die Schritte lernen, erst dann kann man spüren, ob man flüssig oder holprig mit dem Partner unterwegs ist.
Anna: Noch mal zu primal move und equestrian movement. Was passiert denn jetzt genau bei deinem Konzept?
Annika: Es handelt sich um ein Bewegungstraining für Mensch und Pferd, wobei die vier Säulen in Humane Osteopathie, Equine Osteopathie, Bewegungstraining für Mensch und Pferd zusammengefasst werden können. Wir arbeiten dann mit dem Zwei- und Vierbeiner an Stabilität, Mobilität, Flexibilität, Kraft und Koordination.
In einem Jahresprogramm aufgeteilt auf vier Wochenendlehrgänge und einem Tagesworkshop werden Mensch und Pferd zunächst einmal osteopathisch durchgecheckt. Ich werde hier von einer Human-Osteopathin unterstützt. Da ich ja selbst Pferdeosteopathin bin fällt der Pferde-Check in meinen Aufgabenbereich. Mit dem Primal Move Instruktor wird dann ein Bewegungsprogramm für den Menschen ausgearbeitet.
In den Reitstunden erarbeiten wir dann eine Choreographie, die am Jahresende einen messbaren Vergleich ermöglicht. So können wir eindeutig kontrollieren, ob es denn zu Verbesserungen im Reitersitz gekommen ist. Mir ist es wichtig, nachvollziehbar zu machen, wie ein Trainingsprogramm auch wirkt.
Anna: Du sagst Mensch und Pferd werden osteopathisch durchgecheckt. Gibt es denn da ähnliche Ergebnisse?
Annika: Ja durchaus, wir stellen viele Probleme im Schultergürtel und Stabilität des Brustkorbes – bei Mensch und Pferd fest. Wir als Menschen werden nicht geritten und haben die gleichen Probleme wie unsere Pferde in der Rotation des Brustkorbes und in der Stabilisierung. Dann gibt es auch Probleme mit Bewegung und Beweglichkeit, sowie der Stabilität des Beckens. Das ist ja auch bei uns der Krafteingangswinkel. Genau wie beim Pferd können wir die Bewegungsqualität von der Kraftübertragung bis in die Arme überprüfen. Beim Pferd machen wir das ja auch und stellen fest, ob es auf der Vorhand läuft oder nicht. Wichtig ist auch über die eigene Händigkeit und die des Pferdes Bescheid zu wissen!
Ein großes Dankeschön an Annika Keller für das spannende Interview!
Das ganze Interview mit Annika Keller gibt es auch zum Nachhören im Podcast.
Mehr über das Konzept und den ersten Tagesworkshop am 30. Mai in Königsmoor gibt es auf Annikas Homepage
Hallo Annika, hallo Anna!
Ich bin mehr als begeistert von dem Interview und dem neuen Konzept, die Reiter in das Bewegungstraining mit einzubeziehen!!!
Seit 15 Jahren habe ich eine eigene Reitschule und als Physiotherapeutin in meiner Grundausbildung war und bin ich mehr als einmal über das Bewegungsvemögen der Reitschüler verzweifelt.
Dies betrifft ja lange nicht nur die Erwachsenen, sondern auch immer mehr die Kinder aller Altersstufen!
Daher müssen meine Reitschüler regelmäßig Tanz- und Zirkusworkshops besuchen, ebenso „Pferdeverstehseminare“ zur Schulung des Auges und ihres Körpers für die Verbesserung der Kommunikation zwischen Mensch und Pferd absolvieren.
Diese Aktivitäten werden direkt von der Reitschule regelmäßig angeboten und auch recht gut angenommen. Der Erfolg dieser Impulse ist sehr gut zu sehen und für die Reitschüler und Pferde zu fühlen!
Vielleicht gibt es ja Ideen und Möglichkeiten, dieses oder ähnliche Konzepte auszubauen, sodass die Optimierung des Bewegungsverhaltens der Menschen, die Reiter werden wollen, einer größeren Anzahl von Reitschülern, aber auch vor allen Dingen den Pferden zugute kommt?
Vielen Dank nochmal für den tollen Beitrag
Sabine Reifenrath
PS.: Ich absolvierte letztes Jahr den OCC Kurs bei Welter-Boeller, KInessiotaping-Lehrgang und möchte gerne nach Österreich …….
Hallo Sabine!
Vielen Dank für dein Feedback! Ich freue mich sehr, wenn dir der Podcast gefällt. Ich kann dir und Annika nur beipflichten. Je mehr ich mich auch bewege, desto eher bin ich nach einem Bürotag wieder ganz „hungrig“ auf die Bewegung. Und ich glaube gerade für Kinder wird es immer notwendiger, wenn Bewegung im Alltag so ins Hintertreffen kommt. Spitze, was du da in deiner Reitschule selbst auch umsetzt – wo bist du denn da zu Hause? 🙂 GLG Anna
Hallo Anna,
seit Mai 2013 bin ich in Embsen bei Lüneburg mit der Reitschule zuhause.
Seit dem Jahr 2001 war ich auf dem Forstgut Rehrhof bei Amelinghausen, auf dem die Reitschule entstanden ist. Es gab Zeiten, da hatte ich 18 Pferde……. jetzt habe ich die Anzahl wieder auf 6 Pferde schrumpfen lassen.
Seit November letzten Jahres habe ich das Konzept dahingehend umgestellt, dass die Reitschüler sich in Ihrer Reitzeit gegenseitig unterrichten lernen. Dadurch entsteht eine eins zu eins Betreuung und es bleibt mehr Spielraum für Bewegungserfahrungen (nicht immer nur Anweisungen folgen). Der gegenseitige Austausch hilft jedem beim Bewegungslernen, Fehleranalysen und dem Erkennen des Fortschrittes!
Auch wenn ich immer die ein wenig „exotische“ Arbeit mache (bei uns ist Luhmühlen direkt um die Ecke), bin ich sehr überzeugt von diesem, und eben ja auch Eurem Ansatz! Nur manchmal ist man halt sehr alleine;)
Beste Grüße
Sabine
Hallo!
Danke für diesen, wie immer, tollen Beitrag! Ich bin nun stolze Besitzerin von Turnringen. ;)) In der Schulzeit war ein Purzelbaum auf den Ringen ein Kinderspiel, nun musste ich feststellen wie man diese Bewegungen komplett verlernt hat. Ich übe fleißig ;)) Traurig eigentlich was wir Menschen von unseren Pferden erwarten um selbst von seiner eigenen schlechten Gymnastizierung abzulenken!!! Sollte JEDER darüber nachdenken. Danke euch!!! Liebe Grüsse Daniela
Hei Daniela! Danke für dein Feedback. Ich übe auch immer wieder Bewegungen, die in meiner Kindheit total selbstverständlich waren. Irgendwie hat man doch den Irrglauben – einmal gelernt – immer möglich. Bin fast ein bisschen neidisch wegen deiner tollen Turnringe 🙂 GLG Anna