Geduld, Geduld und nochmals Geduld. Bereits die alten Meister betonten geduldig und mit Weitblick an die Ausbildung des jungen Pferdes heranzugehen, denn: „…Die Anmut eines jungen Pferdes ist wie der Duft einer Blüte, der einmal verflogen, nie wiederkehrt“, schrieb bereits Antoine de Pluvinel im 17. Jahrhundert.

Die Betonung langsam zu arbeiten taucht in der Reitliteratur immer wieder auf – und das aus gutem Grund.

Die Krux mit der Ergebnisorientierung

Wir leben in einer ergebnisorientierten Welt, also wollen wir auch von unserem Pferd Ergebnisse sehen. Von unserem Pferd. Und nicht in allererster Linie von uns.

Ganz anders formulierte es da Gustav Steinbrecht in seinem Gymnasium des Pferdes. Denn er wollte zunächst einmal ein paar grundlegende Charaktereigenschaften des Reiters sicher stellen:

„Hätte die Kunst nicht ihre großen Schwierigkeiten, wir würden gute Reiter und vorzüglich gerittene Pferde in Menge haben. Sie erfordert aber, abgesehen von allem anderen, schon Charaktereigenschaften, die sich nicht in jedem vereint finden: unerschöpfliche Geduld, feste Ausdauer bei Anstrengungen, Mut mit ruhiger Geistesgegenwart gepaaart. Nur eine wahrhaft warme Liebe zum Pferde kann diese Eigenschaften, wenn der Keim zu ihnen vorhanden ist, zu derjenigen Höhe steigern, die alleine zum Ziel führt“.

In dieselbe Kerbe schlägt Egon von Neindorff:

„Lass dich nicht hetzen. Aber wird das immer gewollt? Lass deinem Pferd und dir Zeit zur körperlichen und seelischen Entwicklung. So müsste es auch in der Reituasbildung allgemein heißen. Denn wie soll ein Pferd leicht und weich führbar werden und so vielleicht auch für eine Spezialausbildung heranreifen, wenn man keine Geduld mit ihm hat, heute sogar vielfach von ihm verlangt, es solle sich schon im ersten Ausbildungsjahr rentieren?“

Wer mit Kindern eine Reise tut, kennt die Frage von der Rückbank: „Sind wir schon da?“. Reiter stellen ähnliche Fragen. Wer Unterstützung bei der Ausbildung von Pferd und Reiter anbietet, kommt nicht umhin, die Frage nach der Dauer der geplanten Arbeit zu beantworten. Wie lange dauert er – der Weg der Akademischen Reitkunst?

Heute Arbeit im Stehen – morgen Piaffe?

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Wer reitet weiß – schnell geht nichts. Dieser Satz wird gerne und überall betont, innerlich plagt sich der unruhige Geist mit der Ungeduld. Der Weg ist in der Reitkunst wirklich das Ziel, vor allem wenn wir uns immer wieder vor Augen halten, dass wir Lektionen ja nicht zum Selbstzweck reiten, sondern den Inhalt der Lektionen für unser Pferd nutzen möchten.

Als ungeduldiger Mensch verstehe ich aber die verzweifelte Frage von der Rückbank. Vielleicht hilft es, ein wenig Struktur in das Ganze zu bringen? Können wir uns möglicherweise auch vom Ergebnis zum Erlebnis orientieren? Hilft es der Ungeduld ganz bewusst die Erarbeitung der einzelnen Schritte zu erleben und immer wieder kleine Erfolge zu feiern?

Struktur, Reihenfolge, Leiter…

Zunächst geht es einmal um unsere Fähigkeiten als Ausbilder für unser Pferd zu schulen. Schließlich möchten wir ja unbedingt ein Pferd haben, das gerne Zeit mit uns verbringt. Sicher hat jeder noch Erinnerung an einen bestimmten Lehrer aus der Schulzeit, für den wir wenig Sympathien aufbringen konnten. Dann gab es den sehr beliebten Lehrer. Wo hat man wohl leichter gelernt und kann Wissen noch heute abrufen? Daher steht

  1. Beziehungspflege ganz oben auf der Leiter.
  2. Balance am Boden – für den Reiter. Bodenarbeit ist eine wichtige Grundkomponente, ein Fundament könnte man sagen. Wenn ich aber selbst auf wackeligen Füßen stehe, dann werde ich mir schwer tun, ein stabiles Fundament zu bauen. Daher sind „Trockenübungen“ ohne Pferd zu empfehlen. Schließlich wollen wir unser Pferd ohne Probleme führen und dabei selbst problemlos rückwärts gehen, um den Überblick über unser Pferd nicht zu verlieren.
  3. Körpersprache. Bevor wir an Biegung und Stellung arbeiten müssen wir eine gemeinsame Sprache mit dem Pferd finden. Hier gehört auch die Schulung von Achtsamkeit dazu. Vereinfacht gesagt: Werde zum Überraschungsei für dein Pferd. Sei was spannendes, was zum Spielen und Schokolade 😉
  4. Good cop or bad cop? Wir selbst wissen über die Macht von Worten bescheid. Nur wer sein Pferd positiv verstärkt, kann sehr exakte Botschaften senden. PS: Dazu zählt auch die Macht des Leckerli 😉 Es lohnt sich vor Biegung und Stellung darüber nachzudenken wie man loben will und auch das Loben zu schulen. Wer mit viel Freude loben kann ist klar im Vorteil. Wer hochkonzentriert arbeitet, vergisst oft die emotionale Komponente des Lobes. Ein stocksteifes „Gut“ ist lieb gemeint, ein überschwängliches „Guuuuuuuuuuut“ verankert sich aber ganz anders beim Pferd.
  5. Bodenarbeit: Hier gehört die Arbeit am Kappzaum, oder mit dem Cavecon oder Cavesal dazu. In allerersten Schritten lernt das Pferd mit dem inneren Hinterbein in Richtung Schwerpunkt zu treten. Das Pferd lernt dadurch sich zu formen und sich vom Reiter führen zu lassen. Nach und nach wird sowohl im Stehen, wie auch in der Bewegung Stellung und Biegung erarbeitet und verfeinert. Die Arbeit wird gesteigert, die Seitengänge Schulterherein und Kruppeherein werden hinzugefügt. Eine der wichtigsten Sekundarhilfen – die Gerte – dient dazu dem Pferd den inneren und den äußeren Zügel, sowie den inneren und den äußeren Schenkel in aller Ruhe vom Boden aus zu erklären.
  6. Vergrößerung der Distanz: Beim Longieren wiederholt das Pferd die Hilfen der Bodenarbeit. Vorrangig ist hier die Arbeit in den drei Grundgangarten. Wer hier besonders sorgfältig in der Bodenarbeit Zügel und Schenkelhilfen erarbeitet hat, kann sogar Seitengänge an der Longe abrufen.
  7. Ein junges Pferd lernt nun den Reiter aus einer gänzlich neuen Führposition kennen. Vom Boden geht es in den Sattel, wobei sämtliche Hilfen der Bodenarbeit hier als Übersetzungshilfe mitgenommen werden. Pferde, die bereits den Reiter kennen, können nun auf dem Zirkel in allen Grundgangarten gearbeitet werden und verfestigen die Seitengänge Schulterherein und Kruppeherein, um der Geraderichtung Schritt für Schritt näher zu kommen.
  8. Geraderichtung und Formgebung der Oberlinie. Durch die fortschreitende Gymnastizierung bekommt das Pferd auf beiden Händen und in allen Grundgangarten vermehrt Geschmeidigkeit, Losgelassenheit, Takt, Balance und Schwung.
  9. Versammlung und Tragkraft bis hin zur Piaffe. Das Pferd kann sich durch die bereits erarbeiteten Stufen immer besser tragen und gewinnt an Ausstrahlung und Schönheit, in weiterer Folge auch an
  10. Kadenz, ohne dabei durch Spanntritte in der Passage den Rückenschwung zu verlieren.
  11. Die gesteigerte Lastaufnahme der Hinterhand und die Schulung der Paraden führen schließlich nach und nach zu Schulparade und Levade.
  12. Wer die Schulter und Hüfte seines Pferdes durch die Seitengänge kontrollieren kann ist nun auch bereit für den Fliegenden Wechsel.

Und jetzt? Sind wir schon da?

An dieser Stelle wiederhole ich sehr gerne eines meiner Lieblingszitate von Bent Branderup:

„Viele Menschen wissen eigentlich nicht, was sie wollen, aber sie wollen es jetzt“.

Das kleine Kind am Rücksitz, kennt das Ziel der Urlaubsreise nicht, möchte aber schon gerne „da sein“.

Als Reiter kann es für uns sehr hilfreich sein, die tägliche Arbeit mit unserem Pferd in Meilensteine oder Etappen einzuteilen.

Lernen wir unsere Ziele zu formulieren. Wir wissen dann eher, was wir erreichen wollen, können den Weg erkennen und genießen.

Wie heißt es so schön – Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Konzentrieren wir uns also Baum für Baum – und vor allem – genießen wir auch mal zwischendurch. Vielleicht sind wir noch nicht bei der perfekten Piaffe angekommen – sind wir aber nur auf die Piaffe fokussiert, werden wir blind für andere tolle Dinge. Es fühlt sich nämlich toll an, wenn man sein Pferd zwischen den Hilfen hat und diese Ergebnisse aus der Arbeit mit den Seitengänge spürt.

Es gibt kein Patentrezept, wie für die Weihnachtskekse. „Nach 30 Minuten backen“ kommt trotzdem keine Piaffe raus. Wer aber täglich ein bisschen Zeit in die Vorbereitung investiert, gibt sich selbst ein wenig mehr Sturktur und Klarheit.

„Sind wir schon da“ – fragt das Kind von der Rückbank oder der Reiter vom Sattel aus. Vielleicht wird da die eine oder andere Kindheitserinnerung wach. Und was hat geholfen? Ein lustiges Spiel mit den Beifahrern, ein wenig Musik, oder Ablenkung. Vom Ergebnis zum Erlebnis.

Ich klaue jetzt mal von Trainer Christofer Dahlgren und sage: Play, smile and practice – dann reiten wir einfach und haben Spaß an der Geduld! 🙂

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PS: Wer hinter die Kulissen und Ausbildungsschritte der Akademischen Reitkunst und Pferdeausbildung blicken möchte, dem empfehle ich das Tagebuch von Swan – Bents hübschem PRE. Einen Trailer und das dazugehörige Video findet ihr hier!