21. Oktober 2009. Ich fahre wie ferngesteuert über die Autobahn. Vor mir fährt der Anhänger mit meiner Stute Barilla. Sie hat eine Kolik, wir fahren in die Klinik. Allerdings fahren wir niemals mehr gemeinsam zurück nach Hause.

Heute vor sechs Jahren ist Barilla gestorben und es kommt mir nach wie vor wie gestern vor. Barilla war das Pferd, das mich zur Akademischen Reitkunst brachte und das Pferd, das vermutlich am meisten „leiden“ musste. Wie sagt Bent Branderup in seinen Theorievorträgen:

„Das erste Pferd leidet immer am meisten.“

Weil wir da noch selbst einiges zu lernen haben. Barilla war nicht mein erstes Pferd, sondern mein zweites. Und vermutlich war dies auch das Hindernis, warum ich Anfangs nicht so bereitwillig lernen wollte. Schließlich hatte ich mit Anfang zwanzig meiner Meinung nach in den letzten 14 Jahren genug vom Reiten gelernt. Hatte schwierige Pferde über Hindernisse dirigiert, war von Steigern nicht abgestiegen. Kurz: ich hatte einiges an Mut und Durchsetzungsfähigkeit bewiesen. Dinge also, die man zum Reiten braucht.
Ach tatsächlich? Das braucht man zum Reiten?

Von Barilla habe ich nach und nach tatsächlich gelernt, was es tatsächlich braucht, ein guter Reiter zu werden.

In allererster Linie nämlich Demut: Denn – wir müssen unseren Pferden nichts beibringen. Es ist ja bereits alles da. Deswegen kann grundsätzlich auch (körperliche Schwierigkeiten und Krankheiten ausgeschlossen) jedes Pferd alles lernen.

Damals war ich gerade im zweiten Semester meines Studiums der Kommunikationswissenschaften. Interessanterweise war ich jedoch nicht bereit, mit meinem Pferd zu kommunizieren. Ich wollte irgendwann ein wenig mehr als Ausreiten und ging davon aus, Barilla würde ohnehin alles verstehen, was ich von ihr wollte.

Jedoch – dem war nicht so. Ich hatte das Gefühl eine „Tonne“ in der Hand zu haben. Sie stützte sich auf meiner Hand ab, war gleichzeitig furchtbar triebig und klemmig.

Körperliche Schwieirgkeiten habe ich damals viel zu spät erkannt. Und ich kam zu einer sehr eigenartigen Theorie: ich hatte wirklich das Gefühl, mein Pferd würde absichtlich sämtliche Aufforderungen zur Mitarbeit mit mir negieren. Mein Hauptziel: Der Schädel muss unten sein. Aber der wollte eben nicht. Zumindest nicht ohne diese Masse an Gewicht in meiner Hand.

Und da habe ich noch immer nicht auf mein Pferd gehört, sondern Tierärzte, Sattler usw. konsultiert.

Erst mit der Akademischen Reitkunst konnte ich verstehen, warum wir an so vielen Punkten gescheitert waren. Plötzlich konnte ich sehr klar mit Barilla kommunizieren. Freilich – auch hier war es in allererster Linie sehr schwierig mit mir. Barilla war natürlich skeptisch. Schließlich hatten wir zuvor einige Trainingsmethoden ausprobiert, die rückblickend betrachtet nicht mit, sondern eher gegen das Pferd arbeiteten.

So ist es nicht verwunderlich, dass wir uns jetzt über jeden winzigen Schritt, jede minimale Rückeroberung des Vertrauens freuen mussten. An große Schritte war nämlich nicht mehr zu denken.

Ich lernte, dass ich meine Ansprüche absolut zurückschrauben musste. Ich schulte meine Geduld. Ich versuchte meine Enttäuschung über mich selbst möglichst vor meinem Pferd zu verbergen. Und gelang mir das nicht, erschrak ich, denn mein Pferd begann plötzlich mich zu spiegeln – oder sagen wir so – ich begann den schonungslosen Blick in den Spiegel zu ertragen und weiter daraus zu lernen.

Ich erkannte die Bedürfnisse meines Pferdes besser. Ich verstand, dass ich in erster Linie mich schulen musste, was Hilfengebung und Kommunikation anbelangt.

Ich habe wirklich viel von Barilla gelernt. Wir konnten den Weg der Akademischen Reitkunst nur für sehr kurze Zeit gemeinsam erkunden. Barilla hat die Kolikoperation heute vor 6 Jahren nicht überlebt.
Was blieb, war die Erkenntnis, dass ich mich für mein Pferd bessern konnte.

Nach Barilla zogen zuerst Tabby (Tarabaya D) und dann Pina (Pina Colada) in den Stall. Wieder mal zwei Stuten. Unterschiedlicher wie sie nicht sein könnten.

Von Tabby habe ich gelernt möglichst deutlich zu formulieren, wenn wir aneinander vorbei reden. Was mir selbst auch bei aller Konzentration immer wieder schwer fällt – mich mit meinen Pferden über ihre Fähigkeiten zu freuen. Manchmal bin ich so vertieft, dass ich mich selbst wachrütteln muss. Tabby hat auch diese Fähigkeit geschult.

Pina möchte alles richtig machen. Heißt aber auch – manchmal passieren Erfolgstreffer einfach so – ganz zufällig. Das schult aber auch die Kommunikation unter uns. Denn schließlich lassen sich Zufälle nur schwer auf Wunsch abrufen. Pina schult außerdem meinen Minimalismus. Sie hat mir gezeigt, wie wunderbar leise man mit einem Pferd auch flüstern kann.

Wir lernen täglich von den Pferden und nicht jede Lektion, die man auch fürs Leben mitnehmen kann, schmeckt süß. Nicht immer ist es angenehm, seine eigene Unzulänglichkeit am Präsentierteller serviert zu bekommen. Aber dann sind da die Momente, wo ich merke, dass sich meine Pferde für mich anstrengen, mir mal weiterhelfen, wenn ich gerade ratlos bin.

Bent Branderup schreibt in seinem Buch: Jeder Mensch bekommt das Pferd, das er verdient.

Ich bin sehr dankbar von Kobold und Barilla gelernt  zu haben und nun meinen Weg mit  Tabby und Pina weitergehen zu dürfen!

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PS: Wer waren eure Lehrmeister und was habt ihr von ihnen gelernt. Wie immer freue ich mich über eure Geschichten. 🙂