Ein Mann ein Wort? Ein Reitlehrer viele Worte.
So ist es unmöglich die besten Zitate von Bent Branderup eines Seminars in nur einem Blogartikel zusammen zufassen.

Was uns Bent Branderup zum Thema „Parade“ in Ainring bei Salzburg zu sagen hatte? Eine ganze Menge – von Biomechanik, gutem Handwerk und schließlich was einen guten Künstler ausmacht. 

Warum ist das Nachgeben so schwer? 

Das Nachgeben ist dann schwer, wenn das Pferd nicht weiß, wie es reagieren soll. Ein Nachgeben kann man nicht verstärken, wie man auch beispielsweise den Schenkel kräftiger einsetzen kann. 

Wenn der Schwung den richtigen Weg durch das Pferd geht, dann streckt sich das Pferd zur Hand hin. Wir müssen also hinten etwas erzeugen, das die richtige Muskelverkettung anspricht, wodurch alle Sehnen, Bänder und Faszien ebenso biomechanisch involviert sind. Und deswegen rufe ich auch gerne diesen guten alten Reitersatz in Erinnerung: 

Was du in der Hand hast oder eben auch nicht hast, ist hinten nicht geschehen!

Was soll denn von hinten geschehen?
 

Im Idealfall ist es der Vorgriff des Hinterfußes, der die Oberlinie zur Dehnung bringt. Da haben wir bei mehreren Pferden die Nickbewegung beobachtet, so dass in dem Moment wo die Oberlinie gedehnt wird, die Schädelbasis nach vorne federt. Daraus kommt das zur Hand strecken. Wenn die Schädelbasis nach hinten oben federt dominiert der Rückschub und dann kürzt sich die Oberlinie ab. Daher ist es völlig richtig, dass das Vorwärtsreiten die Grundlage für alles ist.
Aus gutem Grund unterscheidet Gustav Steinbrecht deutlich zwischen „schnell“ und „vorwärts“. Wenn durch „Über Tempo reiten“ der Rückschub des Hinterfußes dominiert, dann haben wir kein richtiges zur Hand hin suchen des Pferdes. Schnell zu reiten verbessert also nicht ubedingt den Vorgriff, schneller zu reiten führt zu einem Öffnen der Gelenke nach hinten raus.

Über das Zusammenspielen der Gelenke 

Wir hatten in der ersten Parade den Weg über den Rücken, der Ausbilder stand vor dem Pferd und hat den Rücken gut überblicken können. Wir hätten dann gerne eine bestimmte Formgebung der Wirbelsäule und damit einhergehende Platzierung des Beckens. Konkret gesagt: die innere Hüfte soll sich nach vorne-unten bewegen, das ist dann der Moment, wo das Becken teilnimmt an der Gesamtreaktion der Wirbelsäule.  In der zweiten Parade wird das Gewicht nach hinten genommen, wenn die Hinterfüße am Boden stehen. Das Pferd kann bei der Verlagerung des Schwerpunktes aber auch falsch reagieren: Den Po nach hinten strecken und Knie Sprunggelenke steifen.  Das Pferd muss also in diesem Fall begreifen die Gelenke der Hinterhand zu beugen. Wir versuchen mit der Gerte das Pferd auf der Höhe des Hüftgelenks zu berühren und so zu erklären, wo wir gerne mehr Beugung sehen wollten. Manchmal beugen Pferde in der Hüfte nehmen aber Knie und Sprunggelenk wieder nicht mit. Wenn das Knie aktiv wird, dann sind Knie und Sprunggelenke miteinander gekoppelt, Wir Menschen können Knie und Sprunggelenk separat bewegen – Pferde können das nicht. Das hängt damit zusammen, dass Pferde im Stehen schlafen können. Rastet dann nur das Knie ein und das Sprunggelenk nicht, fällt das Pferd in der Ruhe um. In der Bewegung erreichen wir Knie und Sprunggelenk zu Beginn einfacher: Bewegt sich das Pferd und hebt es den Huf aus dem Sprunggelenk, dann kommt das Knie in der Bewegung freilich mit.

Aber Achtung: Wenn der Reiter diese Arbeit allzu fleissig mit der Touchiergerte angeht, dann verwendet das Pferd alsbald lieber die Hüfte, um den Hinterfuß zu heben. Wir sehen dann so genannte Rüdenpinkelpiaffen. Das Problem ist, dass beim Heben einer Hüfte diagonal die Schulter nach unten fällt.  Das Pferd hebt die Beine imposant fürs Auge, ist aber kein bisschen versammelt. Es hat mehr Gewicht auf der Vorderhand als auf der Hinterhand.

Die Sache mit der Versammlung und der Forschung 

Mein Rappe Tysson hat ungefähr 600 Kilo. In einer idealen Levade trägt also jeder Hinterfuß rund 300 Kilo.  Wir dürfen aber die Physik nicht auslassen. Jeder kennt die Formel: Masse mal Beschleunigung – dann hat unser Pferd ungleich viele Tonnen Gewicht auf dem (Vorder) Fuß – bei der Entschleunigung haben wir auch viel Gewicht auf dem (Vorder)Fuß. Das meiste Gewicht wird also nicht beim Tragen aufgenommen, sondern wenn das Pferd ent-und beschleunigt. 

Das meiste Gewicht auf der Hinterhand zu tragen in der Versammlung ist also eine falsche Vorstellung. Freilich muss aber die Vorhand leichter werden in der Versammlung. 

Vor einigen Jahren hatte ich Besuch von einer Professorin von der Universität Stockholm. Sie hat eine Reihe moderner Pferde mit Hufschuhen und Druckplatten untersucht. Hier wurden dann einige Warmblüter in der Piaffe gemessen, die hatten allerdings auf der Vorhand mehr Gewicht als auf der Hinterhand. Das Fazit der Forschung war also: In der Versammlung ist mehr Gewicht auf der Vorhand als auf der Hinterhand. Bis sie meinen Tysson untersucht haben. Im Stehen hat Tysson den Schwerpunkt von der Schulparade aus in Richtung Levade nach hinten in Richtung Hinterhand genommen. Und an der Levade konnte man zweifelsohne erkennen, dass das PFerd in der Versammlung dann null Gewicht auf der Vorhand hatte. Nun hatte die Studie das Ergebnis, das sie gerne haben wollte. 

Das Sonderbare an der modernen Reiterei ist aber: Sie ist mit einer Theorie unterwegs, die mit der Praxis nicht übereinstimmt. 

Was die Natur kann und eben nicht kann…

Wenn das Pferd in der Versammlung die erstrebte Beugung der Gelenke einfach nicht machen kann, dann wird es schwierig, Sie kennen sicherlich Kinder, die von Natur aus einfach so einen Spagat machen können. Ich persönlich würde es nicht schaffen, egal wie viel ich aufwärme. Dieses Unvermögen kann an Sehnen und Bändern liegen, die nicht lang genug sind, es kann aber auch an der Begrenzung eines Gelenks liegen. Wie weit kann sich das Hüftgelenk in der Gelenkspfanne bewegen? Wenn das Gelenk sagt: Hier ist Schluss, dann ist hier Schluss. 

Wenn die Natur es möglich macht, dann brauchen wir „nur noch“ eine gute Kommunikation. Gibt es physische oder mentale Grenzen, dann kann ich das Beugen eines Gelenks unmöglich erzwingen. Es muss schon das Pferd aktiv seine Gelenke beugen und nicht der Mensch oder eine Zwangsapparatur. Gewaltmaßnahmen können dem Pferd keinen Inhalt erklären. 

Andere Pferde wiederum finden ihre Hinterhand nicht. In der Wissenschaft diskutieren wir aktuell darüber, ob das Pferd seine Knie willentlich beugen kann. Jedes Mal wenn ein Pferd steht, dann rasten die Knie ein – bei Bewegung rastet das Kniegelenk aus. Wir sehen aber in der Arbeit mit der Schulparade im Stand, wie manche Pferde lernen können, ihre Kniegelenke zu öffnen, obwohl sie eben stehen. Die allermeisten Pferde haben aber Schwierigkeiten ihre Knie überhaupt zu finden. Wir werden also entdecken: Die Pferde, mit denen wir außerdem eine hervorragende Kommunikation haben, die können wir gut ausbilden. Zwei Geister müssen wollen, was zwei Körper können. Und die Begrenzung liegt selten am Körper und am Geist des Pferdes. 

Was tun wenn das Pferd in den Gelenken der Hinterhand dreht? Wenn der Huf im Sand dreht? 

Wenn sich der Hinterfuß weg dreht, dann ist es das Hüftgelenk. Daher muss der Ausbilder die Muskulatur rund um das Hüftgelenk stärken, dann wird das Gelenk nicht mehr weg drehen. Durch korrekte Seitengänge arbeite ich zuerst an der Beweglichkeit, an der Mobilität, mildere die Steifheit und lasse es dann eine Richtung finden. 

Die Geschichte vom guten Handwerker 

Es ist wichtig, dass wir ein Minimum an Biomechanik verstehen, bevor wir am Pferdekörper manipulieren: Wir sehen Pferde, die sind gesund und munter und im Handumdrehen sind sie kaputt geritten. ich möchte gerne von meinem Schüler sagen können, er oder sie sei ein guter Handwerker. Was gehört zum Handwerk? Vergleichen wir uns doch mit einem anderen Handwerker, zb einem Tischler?

Stellen wir uns vor, Sie hätten selbst das Material. Sie haben also das Holz und bringen es zum Tischler. Sie erwarten zunächst eine ausführliche Beratung zur Herstellung eines Tisches. Der Tischler weist Sie darauf hin, dass man aus Ihrem Pappelholz keinen robusten Tisch herstellen könne. „Wollen Sie mit ihrem Holz etwas Anderes haben oder möchten Sie einen anderen Tisch aus einem anderen Material?“fragt der Tischler die Kundin.

Ich muss als Bereiter ebenso sagen: ich kann Ihrem Pferd eine bestimmte Springtechnik beibringen, aber ich kann keinem Shetty beibringen 1,80 m hoch zu springen. Ich muss innerhalb der Fähigkeiten des Körpers arbeiten. Sie werden verstehen, dass ein Shetty nicht so hoch springen kann, trotzdem kann es natürlich eine gute Springtechnik seinen Fähigkeiten entsprechend lernen. 

Dann nimmt der Tischler das Holz entgegen und fängt an es zu bearbeiten. Stellen Sie sich vor, sie bringen ein Pferd zu einem Berufsreiter. Der Tischler sagt, in zwei Wochen kommen Sie wieder und holen Ihren Tisch ab. Sie kommen wieder und finden einen Stapel Brennholz vor und der Tischler will sein Geld haben. Das ist ungefähr das, was Sie heute oft erleben, wenn Sie ein Pferd zu einem Berufsreiter bringen. 

Fragen Sie sich warum das Durchschnittsalter des Sportpferdes bei 7 Komma irgendwas liegt. Das sind übrigens die Pferde, die im Turniersport eingetragen sind – wie hoch ist dann die Zahl der Pferde, die es nicht bis dorthin geschafft hat?

Es gibt Leute, die im Wald herum laufen und versuchen den Baum auf der Rinde zu lackieren. Das ist wenn die Leute Piff Paff und Blamage haben wollen, bevor sie ein korrektes vorwärts-abwärts können. 

Der Baum wird erst gefällt, bearbeitet und dann zum Tischler gebracht, der dann das fertige Meisterwerk lackiert. Das ist eine Qualität, die auch einen guten Berufsreiter ausmacht. Er kann das Pferd beurteilen und innerhalb der Fähigkeiten fördern. Wenn Sie ein Pferd haben, das zuerst schönes Grundgangarten hatte und nach der Ausbildung nicht mehr, dann sind Sie gescheitert. Können wir also die Fähigkeiten der Natur veredeln oder zerstören? 

7 wichtige Punkte

Balance, Losgelassenheit, Durchlässigkeit, Form, Tempo, Takt und Schwung sind die großen sieben, die in einem bestimmten Verhältnis zueinander. Jeder Muskel muss hier seine Arbeit machen und ebenso sein Gegenspieler. Losgelassenheit ist für die richtige Form notwendig, ohne Balance ist sie jedoch nicht möglich. Balance, Losgelassenheit und Formgebung greifen also direkt ineinander, wenn das geschafft ist, dann kann die Wirbelsäule innerhalb einer bestimmten Losgelasenheit schwingen. Schwung und Spannung schließen sich gegenseitig aus. Wir sehen oft verspannte Pferde strampeln, das ist aber das Gegenteil von Schwung. Daher beharre ich Wochenende für Wochenende darauf, meinen Schülern die biomechanischen Grundlagen zu erklären. Ich kann es euch erklären, aber ihr müsst es also verstehen. Man muss verstehen, bevor man an der Mechanik herumpfuscht. 

Wir möchten die Fähigkeiten entwickeln, wo wir dem Pferd sagen können: Könntest du bitte. Unsere Pferde sollen nicht alt werden, weil sie klug sind, sich gegen dumme Vorschläge zu wehren, sondern alt werden, weil wir durch gute Vorschläge dazu beitragen, dass sie in Würde altern können. 

Kunst? 

Kunst kommt vom Können. Seit Jahrtausenden können wir uns darauf einigen, dass ein guter Künstler auch ein guter Handwerker war. Ein Künstler war nicht der, der einfach nur eine Farbe an die Wand schmierte und das besser konnte, als andere. Michaelangelo hat sicherlich für die Sixtinische Kapelle ein bisschen geübt. Es gibt also nur eins. Üben. Der Meister ist öfter gescheitert, als es der Anfänger überhaupt probiert hat. 

 

Österreicher und das bayrische Nachbarland aufgepasst: Nächstes Jahr freuen wir uns auf Kurse mit Bent Branderup zum Thema „Sekundäre Hilfen“, „Primäre Hilfen“ und „Seitengänge“, Austragungsorte sind diesmal wie üblich Ainring bei Salzburg und Hart bei Graz – und eine neue Location kommt in Niederösterreich hinzu. Seid gespannt!

zum Weiterlesen und Einstimmen:

Best of Branderup Teil 1

Best of Branderup Teil 2 zum Thema Paraden