Hand aufs Herz? Welche Art von Beziehung führst du mit deinem Pferd? Stellst du Fragen, erwartest dir aber vorgefertigte Antworten? Und wie oft darf dein Pferd auch tatsächlich Nein sagen? Wie diverse Zwangspausen ein großer Denkanstoß wurden.
Es ist April 2020 und wir befinden uns mitten in der Corona Krise. Corona hat mein Leben so ein bisschen gestoppt. Eigentlich hätte ich jetzt beinahe jedes Wochenende einen Kurs geben sollen, hätte liebe Schüler und ihre Pferde getroffen und wäre in meinem Perpetuum Mobile in ständiger Bewegung gewesen. Aber es sollte jetzt anders kommen. Und die Entschleunigung hat mich zum Nachdenken gebracht. Aber fangen wir doch erst mal zu Beginn des Jahres an:
Die Geschichte von Tabby
Im Februar fahre ich mit Tabby auf die Veterinärmedizinische Klinik nach Wien. Tabby ist wieder lahm und das Röntgen ist ohne einen spannenden Befund. Dafür ist das MRT aufschlussreicher. Tabby hat bedingt durch ein mittlerweile acht Jahre altes Trauma ein Knochenmarksödem, Schäden am Knorpel und geringgradig Arthrose und Arthritis. Eine alte Brandverletzung ist auch sichtbar. Die Diagnose macht die Behandlung klar. Und diese sieht eine lange Ruhepause vor. Vor acht Jahren ist Tabby im Winter in ein gefrorenes „Gatschloch“ auf der Koppel getreten und hatte sich Faserrisse am Fesselträger zugezogen. Seitdem gab es immer wieder Lahmheiten, die jedoch mit Tabbys ungünstiger Hufsituation in Verbindung gebracht wurden.
Irgendwie bin ich erleichtert.
Aber spulen wir doch noch ein bisschen weiter zurück.
2009 verliebe ich mich in eine freche aufgeweckte Stute, eine Energieexplosion namens Tarabaya. Tabby hat Ausstrahlung, sie ist ein bisschen unnahbar. Sie wirkt viel größer, als sie ist. Wenn sie antrabt, dann versetzen ihre spektakulären Bewegungen in Staunen. Hat sie Publikum wirft sie sich auf der Koppel in Pose, steigt, springt wie ein Geißbock.
Aber da ist auch noch was anderes. Ich sehe wie sie in der Hinterhand breitbeinig fußt, die Gelenke scheinen nicht sonderlich stabil, einerseits wirkt Tabby unheimlich mobil, andererseits kann sie nicht stabil in Richtung Schwerpunkt fußen. Wackelig und grobmotorisch zugleich.
Zu diesem Zeitpunkt war es erstens wichtig, dass ich mich verliebe, denn ich hatte gerade meine Stute Barilla verloren. Zweitens schüttle ich alle Bedenken über Bord: ich arbeite ja akademisch! Da geht es ja genau um das Sortieren der Hinterbeine, also das wird schon.
Doch mein anfänglicher Optimismus wird über die Jahre so ein bisschen reduziert. Tabby erweist sich als „mental“ schwierig. Wenn sie etwas nicht möchte, dann sagt sie das. Und das wird als Defizit betrachtet. Tabby verfügt über extrem viel Schub. Sie wird nie die Hanken beugen, höre ich. Und schon ist das nächste Defizit in meinem Kopf gespeichert. Mit der Zeit sehe ich immer mehr Probleme. Und manchmal scheint es schwer, die Stärken zu sehen.
Die Stärken sehen in unserer Beziehung
Auf Tabby ist Verlass. Sie hat sich sofort um Pina gekümmert, als die sanfte und sensible Stute in unser Leben kam. Keine Eifersucht. Sie war sofort Familienmitglied. Tabby kümmert sich auch um mich. Wenn ich sie brauche, dann ist auf sie Verlass. Für mich einer der innigsten Momente, war ein Ausflug 2017 zu einem Bent Branderup Kurs nach Ainring in Bayern bei Salzburg. Tabby war gut gelaunt im Hänger, Tabby war gut gelaunt am Kursort. Tabby war stolz auf sich. Tabby hat nicht einmal nach Pina gerufen (und normalerweise ist ihr das unheimlich wichtig, mit Pina zusammen zu sein). Tabby war ganz bei mir – und das offensichtlich sehr gerne.
Ich weiß, Tabby kann explodieren und in alle Richtungen springen, aber ich sitze gerne ohne alles auf ihrem Rücken. Ich vertraue ihr, wie keinem meiner Pferde.
Dein Körper?
Angespornt durch die mehrmals erwähnten körperlichen Defizite meines Pferdes – sei es, dass ich mir selbst ein Bild gemacht hatte, sei es, dass mich die Worte Dritter angetrieben hatten – viele Jahre habe ich mich sehr auf Tabbys Körper, auf ihre Hinterbeine fokussiert.
Ich weiß, Tabbys Temperament lässt Feuer spucken, ich weiß, ich habe auch in unserer Beziehung etwas richtig gemacht, sonst hätten wir auch nicht dieses Vertrauen und die Sanftheit zu- und miteinander gefunden. Und doch habe ich mich so stark auf Tabbys Körper fokussiert, weil ich Bewegug schulen und verbessern wollte, freilich mit dem Hintergedanken Tabbys Lebensqualität dadurch auch zu steigern. Ich hatte große Sorge vor Arthrosen, Spat oder ähnlichen Befunden durch die instabile Hinterhand. Manchmal habe ich jeden Schritt überwacht und war sehr einseitig mit meiner Kommunikation.
„Ich hätte gerne, dass du hier etwas schmäler trittst“.
„Das kann ich nicht“
„Doch, das kannst du“.
Im Dialog mit Tabby
Freilich habe ich meinem Pferd in der Ausbildung auch Mut gemacht. Mein Pferd war jedoch von jeher sehr selbstbewusst. Habe ich sie manchmal vielleicht auch entmutigt, wenn ich viel an der Bewegung gemotzt und korrigiert habe? Wenn ich zu besorgt in Richtung Hinterhand geschaut habe? Wenn ich mich mehr mit Defiziten als mit Stärken auseinander gesetzt habe?
Aktuell macht Tabby Pause und wir widmen uns vorrangig der Beziehung. Es tut gut, total absichtslos auf die Koppel zu kommen, einfach mal den restlichen Winterpelz vom Buckel zu kratzen und nichts voneinander zu wollen. Jetzt kommt Tabby oft wieder mit nach oben zum Stall, sie zeigt mir deutlich, dass sie mit mir zusammen sein möchte. So erlebe ich eine ganz andere Qualität des Zusammenseins.
Und dabei habe ich auch etwas ausprobiert. Tabby war unglücklich, drei Tage in der Klinik ohne ihre Freunde zu verbringen. Kurz nach der Klink, dann Behandlungen am Gelenk sowie Termine in Punkto Hufbearbeitung. Tabby hatte sicher Schmerzen und war nicht gerade begeistert, mit mir von der Koppel zu laufen. Das Schmerzgedächtnis ist zäh. Also habe ich danach mal das Halfter geschnappt, bin auf die Koppel gegangen und habe es Tabby angelegt. Und dann? Dann ist sie stehen geblieben. Eindeutig keine Lust wieder zu einer Behandlung zu marschieren oder erneut die Herde zu verlassen.
Und das war vollkommen in Ordnung. In letzter Zeit konnte Tabby immer klar sagen, ob sie mit möchte, oder nicht.
„Du verziehst damit dein Pferd“?
Gängige Aussage, wenn Pferde auch mal ihre Meinung sagen dürfen.
Ist es Verziehen, wenn ich meinem Pferd Platz einräume für seine Meinung? Wenn ich es in Ordnung finde, dass mein Pferd auf meine Frage Nein sagt? Das Nein hat uns sehr geholfen, denn am Tag wo ich diesen Artikel schreibe, sagte Tabby eindeutig Ja.
Ich habe durch Tabbys Auszeit zur Heilung viel darüber nachgedacht. Wir haben es mit Körper und Geist zu tun. Immer. Und das bringt mich zur nächsten Geschichte:
Pina und die erwünschte Wildheit!
Unsere Pina ist die Sanftmut in Person. Sie ist lieb, immer brav und macht sich unheimlich viele Sorgen, ob sie eh alles richtig macht. In der Herde ist sie eine ganz beliebte Freundin für viele Pferde und sie würde sich niemals streiten.
Justament zu Beginn der Corona Krise macht ein heftiger Wetterumschwung dem Pinchen zu schaffen. Pina hat seit 2015 keine ernsthafte Kolik mehr gehabt. Wegen ihr sind wir damals auch aufs Horse Resort am Sonnenhof gezogen. Mindestens 12 Stunden draußen sein in der Herde, viel Bewegung und immer ein Futterangebot zur Verfügung, das hatte Pinas Beschwerden deutlich verbessert. Der Wetterumschwung hat uns jedoch zum ersten Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Zum Glück ist die Sache gut ausgegangen, aber Pina hat wieder ordentlich abgenommen. Die Oberlinie ist weg, stelle ich leicht frustriert fest. Pina bemerkt meinen Blick und seufzt tief. Die Boden- und Handarbeit wird es schon richten, denk ich. Und dann verschiebe ich meinen Fokus. Freilich geht es um die Verbesserung von Kraft, um Mobilisation und Stabilität. Aber Pina soll sich vor allem in ihrem Körper wohl fühlen. Sie soll strotzen vor Selbstbewusstsein und Glück. Sie soll sich durch unsere Arbeit stolzer und wohler in ihrem Körper fühlen. Wenn ich sie also so kritisch betrachte, wird das nicht passieren. Wir spielen uns mit Piaffe und Übergängen in den Galopp und seit langer Zeit wieder mit dem Thema Levade. Pina ist stolz und als sie beim Angaloppieren quetscht und buckelt, dabei aber typisch Pina nicht ihre Achtsamkeit mir gegenüber verliert, entkommt mir ein lautes. „Pina du Schlimme“. Und ich finde es super, wenn Pina mal schelmisch und schlimm ist. Und auch wenn die physischen Inhalte dieselben bleiben, nehme ich mir fest vor, die „schlimme“ Pina zu fördern. Pina ist mit ihren 16, die Älteste. Sie ist immer brav. Es schadet ihr nicht, auch mal emotional ein bisschen auf den Putz zu hauen.
Konrad und Amena: In der Beziehung ist alles möglich!
Meine Lipizzaner Buben machen einfach Spaß. Und sie haben auch einfach Spaß am Zusammensein. Konrad fühlt sich am wohlsten, wenn er sich in der Arbeit ganz stolz machen kann. Dass die emotionale Komponente für ihn so wichtig ist, zeigt er mir deutlich wenn ich am Vortag „langweiliges Longieren“ am Stundenplan hatte. Ich beobachte dann Konrads Bewegung, er wohnt aus gutem Grund in der „Diätgruppe“. Aber wenn ich seine Figur kritisch betrachte, dann fühlt sich Konrad von mir nicht deutlich wahrgenommen. Konrad macht dann trotzdem mit, weil er treu ist. Aber Lust und Interesse hat er nicht an der Arbeit. Am nächsten Tag wird er mir nicht begeistert entgegen galoppieren. Haben wir am Vortag jedoch ein Programm gewählt, bei dem er sich emotional stolz und prächtig fühlt, dann ist er auf jeden Fall sofort bei mir.
Wenn Amena bei Julia etwas lernt, muss er es mir das nächste Mal zeigen und hat er bei mir eine zündende Idee, dann muss Julia gar nicht fragen – Amena ist so begeistert von unserer Emotion. Er hat gemerkt, wie sehr wir uns über seine guten Ideen freuen und packt diese daher gleich beim nächsten Mal wieder aus. „Schau ich kann das!“
Ja. Es ist wichtig, dass ein Pferd Hilfen lernt und dies auch zuordnen kann. Synchronität bedeutet für mich aber auch Sympathie füreinander und auch in Punkto Stimmung synchron zu schwingen. Es ist okay, wenn ich eine Bewegung vorschlage und meine jungen Lipizzanerbuben greifen die Idee auf. Es ist aber auch total in Ordnung, wenn ich mal Vorschläge der jungen Wilden entgegen nehme.
Foto 4: Ich seh dich, du siehst mich. Die Macht der Spiegelung sorgt für ein eindeutiges Ja!
Monolog oder Dialog in einer guten Beziehung?
Pferdeausbildung bedeutet für mich immer im Dialog zu sein. Es gibt viel Technik, es gibt viel Theorie, es gibt viel zu spüren. Aber das Wichtigste. Es gibt immer ein Gegenüber. Und ein Nein kann in dieser Hinsicht ein großer Vorteil sein, um auf ein gemeinsames Ja zu kommen.
Ich habe Wünsche, meine Pferde betreffend. Ich wünsche mir ein Pferd, das mir gerne zuhört. Ich wünsche mir von meinem Pferd, dass es bei Schmied und Tierarzt artig ist. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam entspannt im Wald unterwegs sein können.
Aber was wünscht sich mein Pferd von mir? Meine Verantwortung ist klar – ich habe für optimale Lebensbedingungen zu sorgen. Aber abgesehen davon – ich möchte auch im direkten Umgang immer wieder darüber reflektieren, was sich mein Pferd von mir wünschen könnte.
Es heißt ja immer, wir spiegeln uns in den Augen der Pferde. Manchmal werden wir das, was wir im Spiegel sehen nur schlecht ertragen. Das Pferd zeigt uns auch unsere eigene Unzulänglichkeit, unsere Ungeduld und ja, auch unseren Egoismus. Ich wollte Konrad unbedingt haben, ich war vom Fleck weg verliebt, aber würde mich Konrad auch so mögen?
Ich hatte Glück, Konrad und ich führen einen regen Dialog. Und ich spüre auch, dass mich mein Pferd wirklich mag.
Als Kind träumte ich niemals von Lektionen. Ich träumte von der Zuneigung zwischen Mensch und Pferd. Was bin ich doch für ein Glückspilz, dass diese Traum wahr wurde!
Über die Beziehung zum Weiterlesen
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