Ich sehe es einfach nicht. Ich hatte keine Chance. Ich fühlte mich wie bei „des Kaisers neue Kleider“. Ich hatte ein schlechtes Gefühl auf dem Pferd, aber angeblich „sah alles gut aus“.
Warum Blickschulung ein von mir so gar nicht gemochter Begriff ist und warum es sich eher lohnt sein Auge auf Seminaren zu schulen als im Internet.
Warum ich Blickschulung nicht mag
Okay, zuerst also ganz kurz ein Bekenntnis. Wenn ich in sozialen Foren unter dem „Deckmantel“ der Blickschulung lese, wie so manche Reiter auseinander genommen werden, dann stellen sich mir nicht als studierte Publizistin die Nackenhaare auf, sondern als Mensch, als Reiterin, als Lernende, als leidenschaftliche Pferdebegeisterte.
Lernen ja, aber bitte dann nicht auf Lernende losgehen.
O. B.
Wie O.B? Was meint die jetzt damit? Ohne Blick? Nein – O.B. steht für „Ohne Beurteilung“. Wenn ich mir ein Bild anschaue, dann versuche ich neutral zu lernen. Manchmal gibt ja schon die Ausrüstung darüber Aufschluss, welche Reitweise oder welcher Schule ein Paar angehört – allerdings möchte ich mich nicht davon beeinflussen lassen, denn die spannende Frage lautet ja:
„Glauben wir, was wir sehen oder sehen wir, was wir glauben?
Blickschulung: Die Elemente der Reitkunst
Die Elemente der Reitkunst, die wir als „Entdecker“ und nicht als „Pauschaltouristen“ genauer unter die Lupe nehmen lauten:
- Balance
- Losgelassenheit
- Durchlässigkeit
- Tempo
- Takt
- Schwung
- Formgebung
Blickschulung: Balance
Balance ist nicht nur ein physisches Merkmal – auch die mentale Balance spielt freilich eine große Rolle. Stellen wir uns vor, wir sind bei einem Wochenendseminar, beispielsweise mit Bent Branderup. Ein Schimmel betritt die Reithalle und sieht sich um. Ist das Pferd aufgeregt? Wie ist der Muskeltonus? Wie trägt es seinen Schweif, wie ist seine Atmung? Ist es energetisch oder sogar tiefenentspannt?
Wenn die Ausbilderin dann vor dem Publikum zu arbeiten beginnt, observiert sie ihr Pferd im Stehen. Alle schauen mit. Wie ist die Balance? Sind die vier Füße des Pferdes gleichermaßen belastet? Lehnt das Pferd in der Arbeit mit der Parade stark auf der äußeren Schulter? Verliert es beim Dehnenlassen immer wieder die Balance und macht einen Schritt auf den Ausbilder zu? Scheint das Pferd im Stand ohne jegliche Energie oder wäre es – wenn man tatsächlich im Stand über den Galopp nachdenkt auch tatsächlich bereit anzuspringen?
Lässt das Pferd die Schultern hängen? Scheint die Kruppe höher? Wie sieht das Brustbein des Pferdes aus?
Wir haben häufig auch viel zu oft Angst, die falschen Antworten zu geben. Bei der Arbeit im Stand haben wir jedoch wirklich den Luxus Zeit. Wir können uns Zeit nehmen unseren Eindruck einfach zu beschreiben. Viele Kinder haben ein ausgezeichnetes Gespür für Balance und beschreiben meist alles schon sehr detailgenau. Erlauben wir uns wieder ein kleiner Indiana Jones zu sein und gehen wir auf eine Entdeckungsreise.
Blickschulung: Losgelassenheit
Losgelassenheit hat freilich auch viel mit Balance zu tun. Wenn wir unser Pferd beobachten, dann zählen freilich äußerliche Merkmale wie Entspannung im Ausdruck, hier können wir konkret Augen und Maul beobachten. Fältchen, die sich hier bilden geben auch Aufschluss über die Losgelassenheit, ebenso der Muskeltonus.
Neben dem Offensichtlichen, wie Zähneknirschen, Schweifschlagen, Abschnauben oder lockerem Pendeln des Schweifes können wir uns freilich auch den Reiter ansehen. Tanzt das Pferd scheinbar Rumba und der Reiter Salsa, dann wird es auch um die reiterliche Losgelassenheit wohl
Blickschulung: Durchlässigkeit
Wir beobachten wieder unsere Teilnehmerin, die ihren hübschen Schimmel im Stand arbeitet. Die Ausbilderin versucht eine Parade durch die gesamte Wirbelsäule zu schicken, die Reise endet irgendwo kurz vor dem Übergang von der Brustwirbelsäule in die Lendenwirbelsäule. Das Pferd drückt die Lende hoch und tritt mit dem linken Hinterbein von der Hand der Ausbilderin weg. Die Durchlässigkeit hat hier ihre Endstation gefunden, nun soll freilich analysiert werden. Warum hat das Pferd die Parade nicht annehmen können? Wie ist die Ausbilderin vor dem Pferd gestanden? Wie hat die Parade ihren Anfang genommen und wo ist die Hilfe falsch abgezweigt? Können wir anhand von Stellung und Biegung schon ausmachen, welcher Fehler passieren wird? Ein unglaublich spannendes Rätsel.
Blickschulung: Tempo
Unser Schimmel ist nun mit seiner Reiterin in der nächsten Einheit unterwegs. Er wirkt im Trab fleissig, vielleicht sogar ein wenig gehetzt? Die Reiterin kommt nicht so leicht zum Sitzen, wir beobachten gleich mal weiter den
Blickschulung: Takt
Hier ist es für das Auge in der Bewegung schon schwieriger zu analysieren, ob der Takt gestört ist, ob ein Bein zu früh oder zu spät abfusst. Noch schwieriger ist es freilich auch im Galopp. Sind das linke Hinterbein und das linke Vorderbein etwa gleichzeitig aufgekommen? Ist das Pferd im Galopp im Pass unterwegs? Woran kann ich eigentlich ausmachen, dass sich die Qualität der Gänge verbessern oder verschlechtern?
Und wie mache ich jetzt die Blickschulung?
- Wenn du dir Fotos anschaust, nimm vergleichbare Bilder, also ähnliche Bewegungsmomente
- Suche nach positiven Bildern, arbeite nicht immer mit negativen Beispielen – lerne für dich und dein Pferd vor allem auch das Positive zu sehen!
- Lies! Lies nach, das Gymnasium des Pferdes von Gustav Steinbrecht arbeitet quasi ohne Bilder, dafür aber mit einer sehr bildhaften Sprache – lerne zu verstehen und dann zu sehen!
- Lies nach, die zweite. In Waldemar Seunigs „Von der Koppel zur Kapriole“ sind auch einige Bilder mit spannenden Erklärungen (Die Auflösung ist dann meist im Glossar zu finden), wo du auch aktiv deinen Blick schulen kannst!
- Besuche Kurse und sei nicht enttäuscht, wenn du keinen aktiven Reiterplatz ergatterst – auch beim Zuschauern lernt man eine riesige Menge, oft sogar mehr als aktiver Teilnehmer, weil du da ständig unterwegs bist und ordentlich zu tun hast!
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