Die meisten Probleme in der Reiterei liegen in der Kommunikation. Beim Kurs mit Bent Branderup haben wir nicht nur unsere Sprache geschult – wir haben auch herausgefunden, dass viele Redensarten in der deutschen Sprache aus der Reitkunst kommen.
Trotz hitziger Bedingungen waren Reiter, Pferde und Zuseher am vergangenen Wochenende hoch motiviert. Bent Branderup hatte uns aus Dänemark wie immer viel Wissen rund um die Akademische Reitkunst mitgebracht. Besonders zum Schmunzeln war die Verwandtschaft zwischen Reitkunst und Sprache. So kommt die Karriere – vom Carriere: dabei kann das Pferd mit der Kraft der Hinterbeine aus der Versammlung heraus eine maximale Beschleunigung erzeugen. Auch bei Rennpferden kann man dies aus der Startbox heraus betrachten. Und manchmal schaffen wir es auch mit geballter Kraft aus einer „Startbox“ heraus Karriere zu machen. Oder wir schaffen eine ganz großartige Leistung „aus dem Stehgreif“, ganz wie von Zauberhand.
Wer schreibt der bleibt….
Das älteste Buch der Reitkunst wurde im 4. Jahrhundert vor Christus verfasst. Xenophon galt nicht nur als großer Pädagoge seiner Zeit, er beschreibt genau wie die Hinterhand des Pferdes dem Brustkorb seine Richtung gibt.
Bent Branderup führte uns durch die Geschichte der Reitkunst gepaart mit viel neuem Wissen aus aktueller Forschung. Dabei betonte er immer wieder Wissenswertes und Zitate aus der Arbeit der Alten Meister wie Pluvinel, Steinbrecht und Guérinière – getreu nach dem Motto:
Wer schreibt der bleibt – was sich damals bewährt hat, hat heute in der Reitkunst noch Gültigkeit.
Wer mit einem Pferd zu arbeiten beginnt, der muss sich sowohl mit der Psyche, als auch mit den physischen Voraussetzungen des Pferdes auseinander setzen. Aller Anfang liegt aber in der Kommunikation mit dem Pferd – und der Erarbeitung einer gemeinsamen Basis.
„Basis ist aber nur Basis, wenn es für irgendetwas Basis ist“ (Bent Branderup)
In diesem Sinne mahnte uns der dänische Reitmeister nicht immer nur in „Endprodukten“ zu denken.
„Wenn ich in manche Reithallen schaue, dann habe ich oft das Gefühl, dass es nur wenige Menschen gibt, die noch wirklich gerne eine schöne Zeit mit dem Pferd verbringen möchten“. (Bent Branderup)
Denn sie wissen nicht was sie tun…
Wie fängt man eigentlich an, wenn man dem Pferd eine bestimmte Form geben möchte? Hier schließt sich der Kreis wieder zu Xenophon, der betonte, die Hinterbeine des Pferdes nach vorne zu reiten und dem Pferd eine Parade zu geben, um die Tragkraft des Pferdes nach und nach zu stärken. „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“ – Gustav Steinbrecht schlägt hier in dieselbe Kerbe. Und dafür gab es auch gleich eine Bild zum Schmunzeln:
„Menschen und Pferde benutzen relativ selten ihre Vorderbeine zur Bewegung. Es geht um die Schulung der Hinterhand. Wir Menschen benutzen ja auch nicht unsere Vorderbeine – nun ja vielleicht nach einem Kneipenbesuch spätnachts kann es schon sein, dass der eine oder andere auf allen Vieren nach Hause kommt. Die Bewegung erarbeiten wir also immer aus der Hinterhand. (Bent Branderup)
Bevor wir uns aber in den Sattel schwingen, sollten wir unser Auge, unser Gefühl, unseren Geist und unsere Hand vom Boden aus schulen. So wurde in der ersten Theorieeinheit zunächst die Arbeit mit dem Kappzaum besprochen. Vom Genick und seiner Hergabe – oder besser gesagt „Hingabe“ – wurde die Bewegung der Wirbelsäule bis zur Erarbeitung von Schwung, der ja eine dreidimensionale Schwingung der gesamten Wirbelsäule mit vielen Zeichnungen dem gebannten Publikum erklärt. Branderup mahnte dabei das Pferd in Einzelteile zu zerlegen. Die Wirbelsäule könne nur als Ganzes betrachtet werden. Ist somit die dreidimensionale Schwingung überhaupt möglich, wenn die Wirbelsäule im Bereich des Halses durch beispielsweise Ausbinder fixiert wird? Hier kamen die Zuschauer ins Grübeln.
Genauso wenig wie man die Wirbelsäule isoliert betrachten kann, können Muskeln isoliert betrachten.
„Muskeln arbeiten immer in Gruppen zusammen. Was sind die Gegenspieler, wenn es um die Entspannung der Oberlinie geht? Wenn wir das Pferd formen, dann müssen wir wie biomechanische Schachspieler Zug um Zug voraus denken. (Bent Branderup)
Bent Branderup erklärte wie Stellung und Biegung die Wirbelsäule beeinflussen und warum die Rotation des Unterkiefers essentiell für eine korrekte Biegung ist. Dabei ließ er uns auch ein bisschen in die aktuelle Forschung schnuppern. So sammelt sich oft gekautes Rauhfutter als „Rolle“ an der Zunge. Wenn Pferde abschnauben oder husten haben einige Reiter sicherlich schon mal so eine „Rolle“ gesehen. Die Form der Rolle wird nun untersucht, um über die Bewegung der Zunge Aufschluss über das physiologische Gebiss für das Pferd zu geben.
Wie Pferde kauen und wie die Zahnreihen zueinander stehen spielt auch bei der Anpassung des Kappzaums eine große Rolle. Ein zu hoch verschnallter Kappzaum kann beispielsweise Schmerzen an der Backe durch Zahnkanten verursachen.
Jedes Lebewesen mag Balance…
„Wenn es dem Pferd zu viel Kraft kostet die Balance zu halten, dann wird das Pferd ermüden. Wir müssen dem Pferd also gute Vorschläge für gemeinsame Bewegung und Balance geben, dann wird das Pferd auch gerne mitmachen. Ganz nach dem gemeinsamen Motto: Yes we can!“ (Bent Branderup)
Wie stellen wir also die Balance her. Dafür gibt es in der Akademischen Reitkunst die Bodenarbeit, die Longenarbeit, die Handarbeit, die Arbeit mit dem Langen Zügel und die Pilarenarbeit. Und natürlich: den Reitersitz. Die Hilfe, die praktisch nie aussetzen kann, da wir ja nun mal auf dem Pferd sitzen.
Dass wir Pferde auch abstumpfen können, zeigt das Beispiel mit der Fliege. Der größte Kaltblüter kann seine Muskeln bewegen und zusammenzucken, wenn er eine kleine Fliege verscheuchen wird. Wir müssen so fein und leicht wie die Fliegen werden. Wie sieht korrekte Rückentätigkeit aus und warum ist ein korrekt über den Rücken gerittenes Pferd auch für den Reiter gut? Ein Pferd, das für den Reiter unbequem ist, das ist auch für sich selbst unbequem konstatierte Branderup.
Wir können also wählen das Pferd in der Tragkraft auszubilden, damit es uns gut tragen kann, oder uns dafür entscheiden uns einfach transportieren zu lassen.
„Jeder Muskel hat eine gewisse Fähigkeit, aber die Ausdauer muss von uns entwickelt werden für das Reiten. Und pädagogisch gesehen ist es die wichtigste Fähigkeit des Reiters nicht etwas zu verlangen, sondern zu analysieren, was da unter mir vorgeht“. (Bent Branderup)
Das horizontale Gleichgewicht braucht das Pferd, um seine Hufe so abzunutzen, wie es das in der Natur tun würde. Wer ab und zu einen Blick auf die Hufabdrücke im Sandboden wirft, der lernt auch einiges über die Balance.
Wie Hund und Katz…
In der Kommunikation kann auch mal etwas schief gehen. So interpretiert der Hund das Schwanzwedeln der Katze gänzlich anders, als von der Katze beabsichtigt. Der Hund lernt vielleicht aus den Kratzern an der Nase…Wir sprechen also nie „Pferd“. Und unser Pferd spricht nicht „Mensch“. So müssen wir uns bemühen, bei allem was wir tun, das Pferd zu sehen. Hier lernen wir am meisten, wenn wir uns das Pferd immer wieder in der Natur anschauen.
Von der Theorie ging es dann zur Praxis.
Die erste Einheit des Kurses durfte ich meine Arbeit mit meiner Schülerin Julia Kiegerl und ihrem 10-jährigen Vollblut-Wallach „Catch the Moon“ zeigen. Seit eineinhalb Jahren darf ich Julia begleiten und unser Thema war auch ganz klar: Kommunikation. Durch viel Bodenarbeit wurden die Missverständnisse zwischen den Beiden immer geringer. Der schönste Erfolg war am Kurs eigentlich nicht die tolle Boden- oder Longenarbeit, sondern der vertrauensvolle Umgang zwischen den beiden.
Und ja: zum Feiern gab es doch auch was: Ich freue mich riesig für Julia und Moon zur bestandenen Boden- und Longenarbeitsprüfung! 🙂
Bent begleitete alle Reiter an diesem Wochenende mit viel Feingefühl und Geduld. Wir freuen uns schon riesig auf die Fortsetzung in Graz im nächsten Jahr…auch wenn wir vor Ungeduld vielleicht sogar ein bisschen „…im Karree springen“….;-)
PS: Danke für die Fotos an die wunderbare Katharina Gerletz. Einen gesamten Fotorückblick vom Kurs gibt unter diesem Link auf Katharinas Facebook Fotoseite.
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