Schwung – das war das Thema des Sommerkurses 2020 mit Bent Branderup. Ein Kurs, indem wir Coronabedingt weiter auseinander rückten, aber uns näher waren denn je. Wir hatten ein wunderbares Wochenende mit Bent Branderup zum Thema Rückenschwung – für alle, die es verpasst haben, gibt es nun die Zusammenfassung:
Was bedeutet Schwung? Was bedeutet über den Rücken?
Wo beginnt Pferdeausbildung? In den Augen von Bent Branderup jedenfalls am falschen Ende, wenn wir mit dem Kopf beginnen – jedoch ist gerade in der Bodenarbeit ein „verkehrter“ Anfang, oft die richtige Entscheidung, um als Lernender einen Blick und Gefühl für die korrekte Schwingung des Pferdes zu bekommen.
„Aber in dem Moment, wo wir an der Wirbelsäule manipulieren, werden wir den Schwung manipulieren“. Gerade in der Pferdewelt ist es schwierig, eine korrekte Definition zu finden oder gar sich auf eine Definition zu einigen.
„Schwung ist ein Wort. Wir verwenden sehr viele Wörter in der Reitkunst, die woanders eine ganz andere Bedeutung haben. Schauen wir nach oben, dann sehen wir in der Halle zwei Metallstücke, die für den Architekten eine Traverse sind. Für uns Reiter ist es ein Stück Metall, das Holz verbindet. Wenn wir einen Travers reiten, dann verwenden wir ein Wort, das anderswo für einen anderen Zweck verwendet wird. Wörter sind leere Schalen, die wir mit empirischen Inhalten füllen müssen“ .
Bent Branderup
Schwung wird in der Physik, wenn es um Klangkörper geht jedenfalls anderes definiert als in der Reitkunst.
„Das Pferd kann nicht „Ping“ sagen, und trotzdem kann es schwingen.
Bent Branderup
Friedrich von Krane (*1812) verwendet „Schwung“ als erster in der Reitliteratur. Er beschreibt Schwung als dreidimensionale Tätigkeit des Rückens, also der Wirbelsäule.
In der Akademischen Reitkunst beginnen wir mit der Ausbildung mit der Platzierung des Kopfes in der Bodenarbeit. Bent Branderup betont daher, wie wichtig es ist zu verstehen, was wir mit den Kopfplatzierungen erwirken und was wir auf keinen Fall erwirken sollen. Die biomechanische Reise beginnt immer in der Hinterhand. Jetzt zeichnet Bent Branderup Becken, Hüftgelenk, Knie, Sprunggelenk sowie Fesselkopf und Huf auf das große Flipchart. Für den Reiter besonders interessant ist freilich die Tätigkeit der Hinterhand, die sich auf das Becken und wiederum auf den Pferderücken auswirkt.
Die Hinterhand – der Garant für Schwung?
Mit der Tätigkeit der Hinterhand steht und fällt der Schwung. Zunächst brauchen wir Vorgriff, dabei beobachten wir als Reiter die Hüftgelenkstätigkeit. Fußt der linke Hinterfuß nach vorne, dann sollte sich das Becken links etwas nach vorne und abwärts bewegen, so dass der Brustkorb deutlich innen nach vorne-unten schwingt. Gleichzeitig schwingt rechts das Becken nach hinten oben, der Brustkorb rechts hebt sich also. Je nachdem, welche Bewegung dominant ist, in dieser Art überträgt sich dann der Schwung. Auf der einen Seite ist also Vorgriff, auf der anderen Rückschub.
„Diese beiden Tätigkeiten geschehen gleichzeitig und wenn wir die Geschichte der Reitkunst anschauen fängt es mit Xenophon an. Er schreibt: „Reite die Hinterfüße unter den Bauch des Pferdes und gib dem Pferd eine Parade, so dass es in den Gelenken der Hinterhand beugt. Dann muss das Pferd den Brustkorb heben, dass man von vorne die Genitalien sehen kann, dann wird das Pferd die schönsten Gangarten bekommen, wie wenn sich Pferde schön und stolz fühlen.“
Bent Branderup
Bent Branderup geht nun etwas genauer auf die verschiedenen Gelenke der Hinterhand ein: die Tätigkeit von Knie und Sprunggelenk ist durch die so genannten Spannsägenkonstruktion ja miteinander verbunden. Ist die Schubkraft dominant, dann öffnet das Hüftgelenk, anstatt zu schließen, Knie und Sprunggelenk sind dann überstreckt.
Was die Hinterhand tut, oder nicht tut – das überträgt sich freilich auch auf die Vorhand.
„Wenn ich also meine Arme hängen lasse, obwohl ich evolutionär seit 200.000 Jahre meine Vorderbeine nicht mehr benütze, schwingen die Arme, wenn ich gehe. Das ist die Übertragung von Schwung, daher unterscheiden wir zwischen Rückengänger und Schenkelgänger.“
Bent Branderup
Anschaulich demonstriert Bent Branderup, was passiert, wenn wir Menschen beim Gehen die Arme frei pendeln lassen und was sich ändert, wenn die Arme vor der Brust verschränkt werden.
Woran erkennen wir also auch den Verlust von Rückenschwung beim Pferd? Am verlorenen Takt!
Die Elemente der Reitkunst lauten: Balance, Losgelassenheit, Form, Tempo, Takt und Geraderichten.
Branderup betont hier, dass Schwung immer vor Takt und Tempo stehen muss. Wir können beim Pferd große Schwingungen bei großen Tritten wahrnehmen und kleinere Schwingungen des Rückens bei kleinen Tritten. Dies sehen wir sehr gut im Unterschied zwischen Piaffe und Passage.
Lektionen dürfen freilich nie so ausgeführt werden, dass sie die natürlichen Gangarten des Pferdes zerstören.
Bent Branderup fährt fort und zeichnet nun eine Vorhand mit Schulterblatt, Ellenbogen, Karpalgelenk, Fesselkopf und Huf auf das Papier. Fußt der Hinterfuß auf, dann soll sich eine Kraftübertragung über das Becken auf die Wirbelsäule und weiter zur Vorhand übertragen. Von der Vorhand geht es weiter zum Hals, Kopf und Schädel.
„So ist der Schädel, das andere Ende der Wirbelreihe. Und in dem Moment, wo wir eine Tätigkeit hinten haben, ist die Frage, was dominiert, der Vorgriff, oder der Rückschub? Wenn der Rückschub dominiert, dann wird der Rücken horizontal eher abwärts schwingen und wenn wir hier vorne den Schädel mit Ohren sehen, dann wird der Schädel in Richtung des Reiters federn. Ist der Vorgriff dominant, dann federn die Ohren nach vorne-unten und das Pferd tritt an die Hand des Reiters heran. Wird der Vorgriff eher dominiert, dann wird eine Richtung dominanter. Und deswegen schreibt Steinbrecht reite dein Pferd vorwärts – aber – verstehen Sie mich nicht falsch, ich meine nicht das schnelle.“
Bent Branderup
Vorwärts ist so wichtig für das Reitpferd, weil der aufwärts Schwung dominiert wird, sprich die Tragkraft. Versammlung und Tragkraft bedeutet jedoch nicht, die Wirbelreihe mittels menschlichen Gewicht nach unten zu drücken.
Wie verwenden Pferde ihre Hinterbeine?
Bent Branderup erzählt nun, wie unterschiedlich verschiedene Pferderassen ihre Hinterbeine gebrauchen. Der schwere Kaltblüter, der etwa zum Holzrücken im Wald gezüchtet wurde, setzt seine Gewichtsmasse ein, um die Körpermasse über das Vorderbein zu bewegen, erst dann wird die Hinterhand eingesetzt, um sich nach vorne zu stemmen. Das Fahrpferd verwendet den Schub nicht so extrem wie das Rückepferd, da ist die Vorhand nicht so schwer im Einsatz, dennoch trägt beim Fahrpferd die Vorhand das Gewicht, während die Hinterhand mehr zur Vorwärtsbewegung eingesetzt wird. Traber, die eher breit treten, können mit der Hinterhand kaum an der Tragkraft teilnehmen.
Schwung und welche Kräfte erzeugt die Hinerhand?
Steinbrecht bezeichnet in seinem „Gymnasium des Pferdes“ jene Kräfte, wobei der Hinterfuß in den Boden drückt vorwiegend als Schubkräfte. Hier unterschiedet Bent Branderup etwas präziser:
„Die erste Kraft ist eine Teilnahme des Hinterfußes an der Dezeleration, also an der Entschleunigung. Je weniger der Hinterfuß an der Dezeleration teilnimmt, umso mehr „rummst es am Hintern, wen man am Pferd drauf sitzt. Das Pferd kann aber nicht für den Reiter unbequem sein, ohne für sich selbst unbequem zu sein. Wir haben viele Pferde der Natur entfremdet mit der Zucht“.
Bent Branderup
An dieser Stelle erzählt Bent Branderup von seiner Erfahrung mit Gepäckpferden:
„Ich habe viel Tausende Km auf Gepäckpferden zurück gelegt. Ich habe noch nie ein Gepäckpferd gesehen, das nicht gut über den Rücken ging. Ein kleiner Esel kann viel mehr tragen, als ein riesiger Friese, weil die Tragkraft nicht weggezüchtet wurde.“
Wie schnell sich die Zucht auf die Bewegungsqualität bezüglich der Tragkraft auswirkt, sehen wir vor allem an der langen Nutzung des Pferdes als Reittier versus der wesentlich kürzeren Nutzung vor der Kutsche.
Schwung versus Pass
Vom bergauf und bergab der Gepäckträger gibt uns Bent Branderup gleich mal eine Blickschulung mit.
„Wenn ein Pferd bergab geht und der Hinterfuß kann nicht genügend beugen, dann fällt der gesamte Körper auf die Thoraxschlinge, was wiederum die Vorhand blockiert und den Rückenschwung stark reduziert. Das Pferd ist dann im Pass unterwegs. Kann das Pferd keinen reinen Schritt beim Bergablaufen machen, dann habe ich bereits ein Problem“.
Bent Branderup
Hier kommt auch das Geraderichten ins Spiel:
„Es geht darum, das Pferd in Balance zu bringen: Deswegen heißt es nicht gerade reiten, sondern gerade richten. Man richtet alle Körperteile zueinander. Man richtet die Schulter auf die Hüfte aus. Die Schulter muss anders auf der Hüfte ausgerichtet werden, wenn man bergab reitet oder bergauf reitet. Deswegen ist es ein großer Unterschied zwischen gerade reiten oder gerade richten.“
Bent Branderup
Schwung und Forschung
Bent erzählt von vielen Forschungen hinsichtlich des Rückenschwungs.
„Jetzt haben wir das Problem, dass der moderne Forscher ein älteres Springpferd her nimmt und es mit Ausbildern auf das Laufband stellt. Da sind Forschungsergebnisse mit Hunden weit besser, denn dem Hund kann der Forscher sagen, wohin er laufen soll, ohne ihn fest zu binden. Hier sind die Ergebnisse besser, wenn man mit Ausbindern den Hals nicht fest hält. Ein weiteres Problem am Laufband ist, dass wir hier keine Beschleunigung haben und somit auch keine Entschleunigung. Ohne diese beiden Faktoren können wir aber den Rückenschwung und die Kräfte, die von der Hinterhand ausgehen nur unzureichend verstehen“.
Bent Branderup
Schwung, Tragkraft und Federkraft
Tragkraft, die wir beispielsweise in der Levade sehen, ist eine geringere Kraft als bei der Entschleunigung. Federkraft kommt hinzu, wenn die Körpermasse nach oben heben, sie ist verwandt mit der Schubkraft.
„Ich nenne sie ungerne Schubkraft, weil dies jene Tätigkeit bezeichnet, die das Pferd ausübt, wenn es den Brustkorb in das Geschirr oder die Hand drückt. Daher ist es der größte Irrtum in der Reiterei, dass es legal ist, Gewicht in der Hand zu haben“.
Bent Branderup
Dafür ist der Unterkiefer des Pferdes jedoch nicht gebaut:
„Beißen Sie mal in eine Kante vom Küchentisch und stemmen Sie mit den Beinen dagegen. Dafür ist der Unterkiefer nicht gedacht. Das ist der größte Irrtum in der Reitkunst“.
Bent Branderup
Das Gewicht oder die Spannung, die bei diesem Versuch entsteht, verhindert jeglichen Schwung. Schwung und Spannung kann nie gleichzeitig stattfinden.
Die Federkräfte sollen also nur die eigene Körpermasse heben, während de Beschleunigung die Körpermasse nach vorne bringt, jedoch nicht in einer Art, dass das Pferd gegen die Hand drückt.
Schwung und wie kommt man vorwärts?
Was braucht das Pferd, damit es die Körpermasse nach vorne bringt? Das Wildpferd braucht keinen Druck im Maul, damit es die Körpermasse nach vorne bringt. Gehen wir in unseren biomechanischen Überlegungen immer von der Natur aus – dazu rät Bent Branderup.
„Wir haben also eine Schwungrichtung, nach oben und nach unten, nach rechts und links und wir haben eine Rotation der Wirbelreihe, des Brustkorbes. Somit gibt es drei verschiedene Richtungen, die wir als Schwung bezeichnen.
Wir haben einen Wirbelköper mit Dornfortsatz, dann kommt der Brustkorb mit dem Sternum, dann haben wir die Schulterblätter, mit dem Oberarm und dann haben wir hier die Vorderbeine und unten die Hufe. Und dann sehen wir die Thoraxschlinge, hier sind die Schultern des Pferdes aufgehängt, die Vorderbeine haben keine Knochenverbindung zum Skelett, da Pferde kein Schlüsselbein haben.“
Bent Branderup
Nun gibt es wieder ein bisschen anschauliche Theorie. Wir menschen haben zwar eine knöcherne Verbindung, also das Schlüsselbein, trotzdem können wir nicht durch das Schwingen unserer Arme die Beine zur Bewegung veranlassen. Umgekehrt bringen unsere Beine unsere Arme in Bewegung sehr wohl zum Schwingen.
Und da wird es spannend – denn auch beim Pferd gibt es Ideen, die Schultern zu arbeiten, um die Hinterhand zu bewegen. Übertragen wir das anschauliche Beispiel von Bent Branderup, dann ist dies jedoch mehr Wunsch als Wirklichkeit.
Schwung und warum alle diese Seitengänge?
Der französische König Ludwig der XIII. fragt seinen Lehrmeister Pluvinel nach der Zweckmässigkeit der Seitengänge. Pluvinel antwortet. „Damit wir gerade richten können“.
Wenn die Hinterhand ausfällt und wir können kein Kruppeherein, dann können wir nicht geraderichten. Wenn die Schulter ausfällt und wir können kein Schulterherein, dann können wir ebenso wenig Geraderichten.
„Erinnern Sie sich, was ich mit geraderichten meinte – es geht nicht um gerade reiten, sondern um die Ausrichtung der Körperteile. Eine Galopp Pirouette ist ein anderes Wort für Geraderichten. Die meisten Pferde werden in den Grundgangarten reduziert, wenn der Hinterfuß in eine falsche Position kommt, wo er keine kraft erzeugen kann. Wenn es der Hinterfuß nicht kann, dann muss es der Vorderfuß tun? Wo kommt also der Pass her? Der Pass entsteht, wenn wir das Pferd in den Schultern fest kriegen und der Hinterfuß durch den Verlust des Schwunges nicht zum Einsatz kommt. Deswegen müssen wir uns als Ausbilder immer wieder fragen – arbeite wir gegen die Natur? Wenn ich einen Apfelbaum richtig beschneide, dann trägt er schönere und bessere Äpfel. Das ist auch beim Pferd ähnlich. Habe ich eine Veredelung der Natur durch Ausbildung oder arbeite ich dagegen. Ich muss einem Pferd nich beibringen über bunte Stangen zu hüpfen. Suchen wir nicht die Geltung in den Augen von anderen Menschen, arbeiten wir immer für das Pferd“.
Bent Branderup
Von der Theorie zur Praxis
Diesmal waren wir wieder ein bunt gemischter Haufen Teilnehmer. Vom Isländer, zum Gidran, vom Warmblut über Lipizzaner und PRE – alles war mit dabei.
Besonders hat mich das Feedback zahlreicher Zuschauer gefreut – so war es vor allem die Harmonie und das Miteinander, die das Publikum in den Bann gezogen hat. Ich denke, man hat bei jedem einzelnen Paar gesehen, dass hier wirklich zwei Geister wollen, was zwei Körper können.
Ich freue mich besonders für meine Schülerin Katrin Gamsjäger und ihre Lipizzaner Stute Betalka, die am Vormittag mit Bravour die Boden- und Longenarbeitsprüfung abgelegt haben!
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