Wie werde ich zum guten Pädagogen für mein Pferd? Mit dieser Frage beschäftigten wir uns vergangenes Wochenende beim Seminar mit Bent Branderup in Wendlmuth.

4 Geister müssen wollen, was 4 Körper können. Letztes Wochenende wagten Eva und ich aus Graz die Reise nach Wendlmuth. Mit ein wenig Bauchweh habe ich Pina in den Hänger gestellt und nach Bayern gefahren. Wollen hier wirklich zwei Geister und Körper zum Kurs? Würde mir Pina die lange Reise übel nehmen?

Nein.

Pina kam staubtrocken, total relaxed und unaufgeregt in Wendlmuth an und war hochmotiviert.

Vom Visualisieren und der korrekten Blickschulung

Bent Branderup fesselte die Theorieteilnehmer in seinem ersten Vortrag zum Thema Biomechanik. Warum der Antrieb aus der Hinterhand kommt und sämtliche Gelenke der Hinterhand zusammenarbeiten sollten, erläuterte der dänische Reitmeister anschaulich und natürlich mit einigen Anekdoten zum Schmunzeln. Wie soll ein gerader Weg der Energie aus der Hinterhand durch den Pferdekörper nach vorne aussehen? Echter Rückenschwung überträgt sich aus der Hinterhand in die Vorhand. Dabei empfiehlt es sich durchaus nicht nur auf das Vorderbein in der Luft, sondern auch das stehende Vorderbein zu fokussieren. Als Ausbilder unsere Pferde sollten wir aber zuerst die Hinterhand genau beobachten und die daraus resultierenden Schwingungen analysieren lernen.

„Was macht die Wirbelsäule? Wenn wir uns fragen, worauf und warum wir auf das Pferd einwirken, dann müssen wir analysieren, wie sich die Hinterbeine bewegen. Welches Hinterbein trägt, welches Hinterbein schiebt – und wie sollte beispielsweise im Falle eines ausfallenden Hinterbeins die Bewegung nach der Korrektur aussehen?“ (Bent Branderup)

Werden schiebende Bewegungen dominant federt der Kopf eher nach vorne-oben. Echter Rückenschwung macht sich durch die Nickbewegung und der nach vorne kippenden Ohren bemerkbar. Dabei gilt aber: Schummeln verboten, denn:

„Ausbinder zur Platzierung einer Kopf-Hals-Position kaschieren Fehler. Aber wir müssen doch die Symptome sehen dürfen, um auf die weitere Vorgehensweise in der Ausbildung zu schließen“. (Bent Branderup)

Wie erkennt man also, ob der Brustkorb des Pferdes richtig und korrekt rotiert? Wenn sich das innere Hinterbein hebt und nach vorne schwingt, sollte sich die innere Hüfte absenken. Der innere Rippenbogen sollte nach unten schwingen, der äußere Rippenbogen sollte sich heben. Auch die alten Meister hatten hier unterschiedliche Formulierungen in der Blickschulung:

Steinbrecht schreibt hier vom sanften Hang nach innen, der dem Reiter vom Pferd vermittelt wird. Gueriniere sagt, das Pferd wird hohl um den inneren Schenkel des Reiters und Newcastle fühlt den inneren Steigbügel gleich 4 inches länger“. (Bent Branderup)

Die richtige Blickschulung wird aber nicht nur mit dem Auge vollzogen. Auch die Hand ist ein wichtiges Analyseinstrument für den Reiter, vor allem um Steifheiten im Pferdekörper aufzuspüren.

„Was ist zu tief und was ist zu hoch in Punkto Kopf-Halsposition. Es gibt hier keine Daumenregeln. Man muss das Pferd als Individuum sehen. Klar ist, je weiter der Hinterfuß nach vorne greifen kann, umso tiefer ist eine Dehnungshaltung möglich. Aber in der Bewegung gibt ein Blick in Richtung Buggelenk und dessen Tätigkeit Aufschluss darüber, ob das Pferd bereits zu tief kam“. (Bent Branderup)

Zuviel oder Zuwenig – das ist auch häufig die Frage in den Seitengängen.

„Pferde sind keine Krabben von der Nordsee. Gerade deswegen ist das Wissen über biomechanische Zusammenhänge so wichtig. Wer das Seitwärts über alle Maßen ausdehnt, verursacht Schäden in den Gelenken. Hier kann es auch hilfreich sein, sich das eigene Knie vorzustellen und mit den eigenen Beinen Seitwärtsbewegungen zu erfühlen. Wer sein Pferd zu sehr seitwärts und vom Schwerpunkt wegschickt, könnte in kritischen Situationen im Gelände durchaus in Wohnungsnot geraten (Wenn das Pferd bei einem Seitensprung nicht mehr dem Schwerpunkt des Reiters folgt), oder man macht sein Pferd hilflos – und keinesfalls brav wie so oft und fälschlicherweise angenommen“. (Bent Branderup)

Wie arbeiten Gelenke richtig? Worauf gilt es hier zu schauen? Saubere Grundgangarten fangen bei den Hufen an. Das Pferd muss flach auf und abfußen können. Hier kann es auch für AHA- und Lerneffekte sorgen, wenn man sich den Hufabdruck im Sand genauer anschaut. Wo hat das Pferd mehr Gewicht verlagert. Mehr in Richtung Ballen oder mehr in Richtung Zehe? Wird Sand aufgewirbelt, wenn das Pferd den Huf auf den Boden setzt?

„Wer sein Pferd gerade richtet, wird feststellen, dass die Kräfte und Energien zunehmend gerade durch den Körper kommen können“. (Bent Branderup)

Von der Theorie ging es zur Praxis.

Mit Pina hatten wir in der ersten Einheit die Handarbeit von außen geführt zum Inhalt. Da sich Pina sehr gerne auf die Schultern stützt und in der Versammlung gerne zu sehr auf die Stelle möchte, habe ich diese Position gewählt. Sicherlich würde es mir aus der Distanz (zb Longenarbeit) leichter fallen, das gesamte Pferd im Überblick zu behalten. Auch durch unsere Größenunterschiede wäre dies praktischer. Dennoch – von außen geführt, habe ich die Möglichkeit durch meinen Körper zum äußeren Zügel zu werden und genau da eine Hilfe einzusetzen, wo ich sie brauche. Schade, dass ich mich für diese Arbeit aber nicht größer zaubern kann 😉

Kommunikation

Um die Hilfengebung aller Sekundarhilfen vom Boden, Longenposition, Langzügelposition oder bei der Handarbeit aus ging es auch in Bents zweitere Theorieeinheit.

„Ein Pferd, das die Hanken gleichermaßen beugt, ist komplett ausgebildet. Die Parade ist die Abwesenheit jeglichen Widerstands. So schreibt Xenophon im 4. Jahrhundert vor Christus: „Reite die Hinterbeine des Pferdes nach vorne und gib eine Parade, so dass das Pferd die Hanken biegt. Wer diesen Satz verstanden hat, hat die gesamte Reitkunst verinnerlicht“. (Bent Branderup)

Hilfen sind nur dann Hilfen und Kommunikationsmittel, wenn sie helfen. Sie sollen keine Dauerkrücken werden,  mahnte Bent Branderup vor übermäßigem Einsatz. Der Sitz ist eine Hilfe, die nicht ausgesetzt werden könne, wenn man auf dem Pferd sitzt – schon alleine durch die physische Präsenz. Sekundarhilfen können hier den Sitz unterstützen, bis das Pferd – ganz nach Vorbild von Meister Pluvinel – frei aus der Hüfte heraus bewegt werden könne. Zu Pluvinels Zeiten war es noch üblich den Reiter auf geschulten Pferden auszubilden.

„Heute ist es auch ein Problem, wenn Sitzschulungen auf Pferden ohne korrekten Rückenschwung durchgeführt werden“. (Bent Branderup)

Übung macht den Meister – und Übung will oft wiederholt werden:

„Je öfter eine Bewegung ausgeführt wird, umso eher werden Nervenverbindungen geschlossen und Kommunikation zwischen den Synapsen findet statt. Übung und Wiederholung sind hier die Schlüsselworte – es kommt gar nicht so auf das Talent an“. (Bent Branderup)

Wiederholung heißt aber auch Variation zu zulassen:

„Wenn ein Reiter sagt, er verwendet immer die gleichen Hilfen, dann machen wahrscheinlich auch die Pferde immer die gleichen Fehler. An muss sämtliche Lektionen im Körper haben. Wie sollen die Körperteile des Reiters in Schulterherein, Kruppeherein positioniert sein? Kopf parallel zu Kopf, Schulter parallel zu Schulter und Hüfte parallel zu Hüfte“. (Bent Branderup)

Wie die verschiedenen Energierichtungen in der Praxis aussehen können und welche unterschiedlichen Möglichkeiten der Schwungentfaltung es gibt konnten wir dann in der zweiten Praxiseinheit erfühlen.

Analysieren

In der dritten Theorieeinheit legte Bent den Schwerpunkt auf die Reiterliche Analyse:

„Es geht nicht darum sich zu fühlen, sondern durch sich zu fühlen“. (Bent Branderup)

Wenn wir zu den Ausbildern unserer Pferde werden wollen, dann müssen wir ein klares Bild von lösbaren Aufgaben im Kopf haben. Das fängt beim korrekten Hufe-geben an und schließt den Kreis zur Biomechanik.

„Wer die Biomechanik des Pferdes kennt, weiß, dass man den Hinterhuf des Pferdes nicht rückwärts raus ziehen darf. Der Huf muss zuerst nach vorne genommen werden. Werden die Hinterhufe sofort rückwärts gezogen, stehen die wenigsten Pferde still. Wir dürfen also die Natur des Pferdes nicht unsachgemäß beeinflussen“. (Bent Branderup)

Bent Branderup empfahl den Teilnehmern zu denken und zu verstehen wie die Pferde.

Wir müssen das Pferd bei seinen guten Eigenschaften nehmen und daraus entwickeln.
Talent ist nur ein kleines Stück der Gesamtmasse. Und für alle Reiter, die sich manchmal vor unüberbrückbaren Hürden sehen, gilt:

„Wer direkt vor dem Berg steht, der kann den Gipfel nicht sehen. Daher gilt es einzelne Schritte zu analysieren. Was liegt nun vor mir und wie kann ich das Problem überwinden? Talent macht es vielleicht am Anfang leichter, wenn es aber immer schwierig war, lernt man mehr über sich und sein Pferd, spätere Hürden scheinen dann gar nicht mehr so hoch.“ (Bent Branderup)

Die eigene Entwicklung sollte als Geschenk gesehen werden. Negative Gefühle müssen nichts schlimmes sein – so kann so manche Verzweiflung in viel Freude umgewandelt werden, vor allem wenn gute Leistungen unsere Erwartungen übertreffen.

„Es ist noch nicht so lange her, da hat sich die Ritterschaft der Akademischen Reitkunst der Schulparade und ihrer Erforschung gewidmet. Anfangs wussten wir noch gar nicht alle Fehler, denn sie waren ja schließlich noch nicht gemacht. Durch die Kommunikation untereinander, konnten wir Fehler machen, durch Feedback lernen und Wissen weitergeben. Man muss sich nicht als Einzelkämpfer sehen.“ (Bent Branderup)

Je sicher die Basis erarbeitet wird, umso weniger dramatisch wären spätere Fehler. Wer zu schnell ausbilde, der würde laut Bent Branderup rasch durch sein Pferd zur Ordnung gerufen.

„Man kann wie am Klettersteig mit Flaschenzug und Aufzug arbeiten. Das wäre dann die Illusion vom Aufstieg. Ähnliche Phänomene gibt es beim Reiten. Selbst auf hohem Niveau ist der Selbstbetrug möglich. Wir sollten uns aber nicht in Richtung der Illusion entwickeln, sondern in der Richtung unserer Träume“. (Bent Branderup)

Ein Trost für schwierige Situationen. Denn ein problemloses Leben macht uns nicht happy. Echte Freude wird auch vom Pferd wahrgenommen und nichts ist schöner, als wenn sich Mensch und Pferd im Einklang über die gemeinsamen Fähigkeiten freuen.

Als Ausbilder unserer Pferde ist es aber wichtig, ihnen lösbare Aufgaben zu stellen. Dass es für den Menschen durchaus aber auch schwierig sein kann, sich ehrlich mit dem Pferd zu freuen, mag auch am Alltag der Städter und der englischen Umgangsformen liegen. Höfliche Zurückhaltung gilt quasi nicht beim Pferd. Wer sich im Alltag bemüht, seine Emotionen ständig herunterzufahren, darf sich nicht wundern, wenn das Pferd dem Reiter ein liebloses „Brav“ nicht als echtes Lob abkauft.

Zum Abschluss erinnerte Bent Branderup uns, zwei Geister und Körper gleichmäßig zu arbeiten, dann wird Harmonie nicht zum Zufallsprodukt!

4 Geister und 4 Körper traten inspiriert und voller neuer Ideen den Heimweg an.

Ein großes Dankeschön an Sabine Oettel für die Organisation des Kurses, an Bent Branderup, dem Ratschläge und Antworten nie ausgehen, Silke Linhart Eva Stix und Pia Haas für weitere Denkanstöße und die immer schöne Fachsimpelei, sowie Kati Gamsjäger und Andrea Lichtenberger, die mich und Pina auf der Reise unterstützt haben.