Es war wohl 2005, als ich ein Abonnement im Fitnessstudio abgeschlossen hatte. Ich war am Ende meines Studiums angelangt und hatte den Sommer über gut Zeit mit meiner Stute Barilla zu arbeiten. Ich verbrachte täglich viele Stunden im Stall und hatte regelmässig Unterricht. Und um diesen Unterricht überhaupt zu schaffen, brauchte ich ein Fitnesstraining. Und in jeder Reitstunde ging mir der Saft aus. Ich hatte keine Ahnung warum.
Das Mysterium Reitunterricht
1986 startete mein Projekt „Reitunterricht“. Ich hatte keine Ahnung von Pferden und war natürlich voll auf mich fokussiert. Ich werde nie das Gefühl vergessen, als ich als sechsjähriger Knirps die Trakehnerstute „Kaldea“ reiten durfte. Sie war ein Schimmel (ob wohl hier meine Liebe zu den Schimmeln geboren wurde?), hasste es mit weichen Bürsten geputzt zu werden und war ein Goldschatz bei Reiten.
Aufstiegshilfen gab es damals nicht und ich stemmte mein kleines Knie in den Steigbügel und zog mich dann in den Sattel hoch. Ich werde nie vergessen, wie ich es, geleitet durch meine damalige Reitlehrerin schaffte, Kaldea „an den Zügel“ zu reiten. Plötzlich fühlten sich ihre Bewegungen ganz anders an. Das Pferd war runder, wir konnten im Schritt wunderbar dahin schreiten und trotzdem – ich hatte keinen Durchblick, wie genau ich zu diesem wunderbaren Gefühl gekommen war.
Viele Reitstunden später war ich frustriert, denn obwohl ich nicht mal 10 Jahre alt war, kam mir das Einhängen von Ausbindern nach der Schrittarbeit wie ein Niederschlag vor. Mir war sehr bewusst, dass ich da irgendwas nicht schaffte. Ich konnte dieses wunderbare Gefühl von Formgebung nicht mit in die Trabarbeit nehmen und hatte keine Ahnung, wie ich das eigentlich, mit welchen Hilfen im Schritt geschafft hatte.
Der Reitunterricht wurde von mir akribisch aufgezeichnet. Ich habe natürlich auch zu Hause mit Steckenpferden, Barbiepferden und was alles nach Pferd aussah „geübt“. Trotzdem konnte ich mich nicht verbessern und hatte das Gefühl – Reiten bleibt ein Mysterium.
Es ist mir trotzdem dann vier Jahre später, mittlerweile 14-jährig ganz gut gelungen, meinen Trakehner Wiesenkobold anzureiten. Damals sehr autodidaktisch und mit den gelernten Regeln aus dem Trakehnergestüt, wo ich auf Kaldea reiten gelernt hatte. Mir war klar, was man tun sollte, aber das Warum im Detail, das hat mir immer gefehlt.
Das Pferd, dein Lehrer
Viele Jahre später traf ich auf meine Warmblutstute Barilla. Sie war meine beste Lehrmeisterin, nur wusste ich das damals noch nicht. Mit Barilla hatte ich schon wieder das Thema Formgebung ganz oben auf der Wunschliste. Damals war es ziemlich Usus im turniergeprägten Freizeitstall die Pferde mit Schlaufzügeln zu reiten. Ich wollte weder viel Material in der Hand haben, noch viel Gewicht in der Hand. Beides war jedoch der Fall. Ich hangelte mich von Training zu Training. Hatte riesiges Glück bei einer sehr einfühlsamen Bekannten zu reiten, ohne ihre Anweisung war ich jedoch aufgeschmissen. Es wurde immer schlechter zwischen Barilla und mir.
Während meiner Studienzeit ritt ich sie nur im traumhaften Wienerwald ins Gelände. Dann wieder der Umzug nach Graz und nun wollte ich endlich richtig reiten lernen.
Ich hängte mich klassisch bei Stallkollegen „dran“, wenn ein Trainer für Unterricht im Stall zu Besuch war. Eine Stunde werde ich nie vergessen. Nach wenigen Minuten wurden schon wieder Ausbinder eingeschnallt und in einem Höllentempo ritt ich förmlich um mein Leben. Wie es wohl Barilla dabei gegangen ist?
Es blieb meine einzige Stunde bei diesem Trainer. Ich hatte keine Ahnung, warum ich überhaupt was tun sollte und, dass wir praktisch völlig talentfrei wären wurde mir auch in dieser Stunde restlos bestätigt.
Nächster Versuch und jetzt wurde Reiten ein wirklicher Kraftakt. Ich kämpfte teilweise mit den Tränen, hatte immer mehr den Eindruck, mich immer weiter von der Erinnerung auf „Kaldea“ zu entfernen. Hatte ich mir das alles damals als Kind eingebildet?
Das einzige Thema, das den Unterricht beherrschte, war die Beherrschung des Pferdes, das sich scheinbar nicht artig genug gebärdete. Dass Barilla damals nicht komplett die Flinte mit mir ins Korn warf, spricht absolut für sie.
Letztlich war es aber gut, dass ich am meisten auf sie gehört habe und auf den Tierarzt, der uns mit einer einjährigen Koppelkarenz endlich befreite. Und wie befreit sich das auch angefühlt hat.
Wir hatten endlich nicht mehr den Druck, funktionieren zu müssen. Wir konnten endlich so sein, wie wir waren und wenn wir halt beide kein Talent hatten, dann war das halt auch so.
Trotzdem blieb ich suchend. Und ich fand.
Kein Mysterium: Die Reise zur Akademischen Reitkunst
In meiner Reise zur Akademischen Reitkunst hörte ich so vieles, was ich bereits gehört hatte, aber nicht auf ein korrektes Timing zuordnen konnte. Ich verstand zum allerersten Mal, warum ich wann treibe und welcher Zweck dahinter liegt. Ich konnte nach und nach meine Hilfen sortieren und diese auch zielgerichtet zuordnen. Und ich begann den Körper des Pferdes und natürlich auch die Psyche immer besser zu erfassen.
Einerseits nahm mein Wissen zu, aber andererseits nahm mein Selbstvertrauen auch ab. Eine komische Sache, nicht wahr? Man müsste durch steigendes Wissen ja eigentlich auch an mehr Selbstvertrauen gewinnen. In einer Welt der „Nerds“, wie ich sie gerne nenne, wurde das Gefühl immer größer, eigentlich nichts zu wissen, auch wenn sich das Wissen stetig steigerte.
Ich musste „springen“ und mich „trauen“, auch ganz einfach aus dem Grund, da ich wöchentlich oder monatlich gar keinen Unterricht bekommen konnte. Wir hatten zwar Trainer zu Gast im Stall, aber das doch sehr sporadisch und manchmal sogar nur einmal im Jahr. Von diesen Kursen habe ich ewig gezehrt. Ich habe dann endlich auch die „richtigen“ Bücher gefunden und verschlungen – und es wurden Aufgaben gestellt, die ich – ein bisschen auch angetrieben durch meinen Ehrgeiz – alleine bewältigen musste.
Erst kürzlich habe ich einen interessanten Satz gelesen.
Wenn wir uns etwas wünschen, dann wählen wir Menschen einfach sehr gerne eine Abkürzung.
Ein Trainer kann freilich eine wunderbare Abkürzung sein, aber für mich war es aus beruflichen Gründen schon alleine nicht möglich etwa ein Langzeitpraktikum zu machen und so konnte ich mir eine Auszeit zum Lernen schon alleine gar nicht leisten. Ich musste also selbst ran. Mit allen Hürden, die da mitkamen. Das bedeutet, für alle Fehler war ich selbst verantwortlich. Mir wurde klar, dass ich durch jede Sackgasse ungemein viel Wissen mitnehmen konnte. Natürlich hätte ich mir gerne die eine oder andere Umleitung erspart oder auch jemand der neben mir gestanden wäre und mir gut zugeredet hätte. Aber das war nicht möglich.
Mysterium: Die Abhängigkeit vom Reitlehrer?
Als ich dann einige Jahre später auch selbst Unterricht gab, stellte ich fest, dass meine Schüler, die im Unterricht aufmerksam zugehört hatten und einfach weit von mir entfernt waren meist sehr viel mehr in einem Monat geschafft hatten, als Schüler, die sich jede Woche von mir „berieseln“ ließen.
Vielleicht schneidet man sich damit auch selbst ins Fleisch, wenn man seine Schüler so unabhängig wie möglich haben möchte. Ich bin beispielsweise unglaublich stolz auf meine Kolleginnen Viktoria Portugal oder Martina Frei, die aufgrund von größerer Distanz nicht so regelmässig Unterricht hatten, wie andere Schüler und sich bis zur Selbstständigkeit als Trainer immer weiter verbessert hatten.
Dieser Artikel soll kein Plädoyer für die Abschaffung von Reitunterricht sein. Im Gegenteil – was ich jedoch sagen möchte: Man kann es schaffen. Ich hatte in der Zeit, in der ich beinahe täglich Unterricht hatte nichts gelernt. Wirklich nichts.
Nicht ein Funke ist hängen geblieben.
Aber als ich auf mich alleine gestellt war, musste ich selbst die Sache in die Hand nehmen. Ich nahm nicht nur die Reiterei in die Hand, sondern auch zunehmend mehr Verantwortung für meine Pferde und die Beziehung zu meinen Pferden verbesserte sich dadurch so nachhaltig, dass ich noch immer sehr dankbar bin für meine Begegnung mit Barilla, ohne die ich diesen Weg wohl nie gegangen wäre.
Guter Reitunterricht bedeutet für mich, dem Schüler immer das Gefühl zu geben, dass er es auch alleine schaffen kann. Ein paar Grundlagen, ein paar Ratschläge ernst genommen und schon lässt sich bis zur nächsten Stunde wirklich eine ganz tolle Basis erarbeiten, auf die man dann weiter aufbauen kann.
Und am meisten freue ich mich über die Columbo Fragen, wenn sich meine Schüler wirklich viele Gedanken machen oder mir auch mitteilen, was ihnen alles aufgefallen ist.
Der beste Reitlehrer kann dich niemals ersetzen. Du hast es in der Hand. Und weil wir manchmal auch gerne wissen, wie schnell wir am Ziel sein könnten? Das kommt ja freilich auf das Ziel, das man sich gesetzt hat an. Aber man kann durchaus in einem Jahr eine sehr gute Basis in der Boden- und Longenarbeit aufbauen. Man kann in einem Jahr ein Pferd anreiten und eine wirklich schöne Basis erarbeiten, die auch unbeschwertes Zusammensein im Gelände ermöglicht. Auch mit einem Pferd, das gut über den Rücken geht und ein „Kaldea“ Gefühl gibt. Und man weiß in dieser Zeit auch, warum, was, wie funktioniert.
Es liegt oft an uns selbst und ein bisschen Fleiß, es zu schaffen!
Du willst mit uns lernen? Dann trag dich ein, die Online Kurse Handarbeit und Reiten starten in Kürze
Mysterium: Reitunterricht zum Weiterlesen
- Als Pädagoge halten Sie vornehm den Mund
- Schaffst du es alleine I
- Schaffst du es alleine: Anreiten
- Buchtipp: Vollendete Reitkunst von Udo Bürger
Letzte Kommentare