Wie schaffen wir es, dass zwei Geister wollen, was zwei Körper können?

In der dritten Theorieeinheit bei unserem Kurs mit Bent Branderup Anfang Juni rund um das erste und zweite Descente stellte dieser die Pädagogik in den Vordergrund:

(Französisch Experten sehen mir in meiner Zusammenfassung bitte nach, dass ich la descente (verlangt einen weiblichen Artikel) eher mit „das“ Nachgeben übersetzt habe)

„In der Theorie haben wir zuerst das erste und zweite Descente   durchgemacht und auch die physischen Voraussetzungen diskutiert, damit wir diese Inhalte im Pferdekörper überhaupt umsetzen können. Egal ob in der Boden- Longen-  und Handarbeit, oder auch der gerittenen Arbeit – es ist wichtig, dass Mensch und Pferd eine gemeinsame Balance finden. Das ist der Grund warum wir die Pferde überhaupt zuerst vom Boden ausbilden. Mensch und Pferd – jeder für sich können sich in einer Balance bewegen, die die Teilnahme des Anderen für sich ausschließt. Wir wollen aber eine gemeinsame Mitte. Ein Miteinander. Dies wird zu unserem Hauptmotto: Zwei Geister müssen wollen, was zwei Körper können.“

Alles auf Automatik?

Unsere Hilfengebung ist keinesfalls eine Mechanik, es gibt keine Zahnräder, die ineinander greifen und einen raschen Erfolg versprechen. Wir haben keine Hebel für unsere Mitteilung an das Pferd, es sind pädagogische Aufgaben, die wir dem Pferd stellen. Das Pferd muss also nach und nach unsere Hilfen verstehen, wie ein Kind, das das Alphabet lernt, bringen wir dem Pferd eine gemeinsame Sprache bei.

„Wir können dem Pferd allerdings nur eine gemeinsame Sprache beibringen, wenn wir eine Erstsprache beherrschen.“

Die Schwierigkeit für uns Menschen liegt besonders darin, Lehrender und Lernender zugleich zu sein. Wir müssen also zuerst etwas ganz klar und deutlich visualisieren können. Was ist für uns eigentlich ein innerer Schenkel, was bedeutet es, wenn wir mit der Gerte in der Bodenarbeit in eine bestimmte Position zeigen? Bekommen wir vom Pferd später eine positive Antwort auf unsere Frage, wenn wir dem Pferd dieses Signal zeigen? Wenn wir generell von Schenkelhilfen sprechen, dann muss das Pferd später genau interpretieren lernen, ob wir einen direkten, einen umrahmenden, einen verwahrenden, um sich herum biegenden, von sich weg biegenden oder versammelnden Schenkel meinen.

„Wir scheitern jedoch oft an unseren eigenen pädagogischen Fähigkeiten. Also müssen wir lernen, wie wir dem Pferd eine Mitteilung geben können. Die erste Hürde heißt in Wirklichkeit, eine Beziehung zu dem Pferd aufzubauen. Das Pferd muss in uns einen Lehrer sehen. Wer bist du in den Augen deines Pferdes in welchem Moment. Das ist die erste Frage, die uns beschäftigt!“

Viele Menschen scheitern nicht nur an der Rückwärtsbewegung im eigenen Körper in der Bodenarbeitsposition. Schwierig wird es auch, wenn das Pferd schnappt und den Reiter vor sich her treibt. Dann sieht das Pferd meist nicht den Lehrer in seinem Menschen, sondern beispielsweise bei Hengsten, die Lieblingsstute, die das Pferd gerne vor sich hertreibt. Wechselt der Mensch dann in eine seitliche Führposition, um das Treiben zu verstärken, erntet er ein klares „Nein“ von seinem Pferd, das mit der Rolle des Getriebenen durchaus nicht einverstanden ist.

Wie verschaffen wir uns aber den Respekt und das Ansehen eines guten Lehrers in den Augen des Pferdes?
Abgesehen von den klaren Bildern, die wir im Kopf haben müssen, wenn wir Inhalte an unser Pferd vermitteln, geht es laut Bent Branderup um eine große Sache:

Sympathie

Wenn wir an unsere eigene Schulzeit zurück denken? Wer war ein guter Lehrer für uns? Ich hatte beispielsweise in der Unterstufe eine Mathematiklehrerin, für die ich nur wenig Sympathie aufbringen konnte. Damit war einer potenziellen Leidenschaft für Mathematik bereits der Garaus gemacht (unabhängig davon, meine Leidenschaft galt von jeher schon Worten und Sprache). In der Oberstufe änderte sich das Ganze: Ich hatte eine Professorin, die es verstand, dass die ganze Klasse ihr wohlwollenden Respekt entgegen brachte. Schließlich brachte sie auch uns Teenagern, mitten in der schwierigsten Phase unseres Lebens eine Portion Respekt entgegen. Die Sympathie zu ihr war es, die mir ein „Überleben“ in Mathematik ermöglichte.
Immer, wenn Bent Branderup diesen Teil in seinem Theorievortrag erwähnt, muss ich an meine Matheprofessorinnen denken, die mein eigenes Lernverhalten nachhaltig prägten.

Sympathie alleine reicht aber nicht aus, um Inhalte zu vermitteln. Wenn wir unserem Pferd etwas beibringen wollen, müssen auch die Inhalte stimmen. Es reicht nicht sympathisch zu sein.
Mit Augenzwinkern erwähnt Bent Branderup:

„Die größten Schwindler sind oft die sympathischen Menschen. Nur weil jemand sympathisch ist, heißt das noch lange nicht, dass die Inhalte stimmen, die uns erzählt werden. Denken wir beispielsweise an die eine oder andere Geschichte vom erfolgreichen Gebrauchtwagenhändler, der die Leute reingelegt hat….“.

Neben der notwendigen Sympathie habe ich bereits den zweiten Faktor aus meiner eigenen Schulzeit erwähnt, der einen Lernerfolg ermöglichte:

Respekt

„Im deutschen Sprachgebrauch hat Respekt für meinen Geschmack zuviel mit Disziplin zu tun. Daher fange ich immer an mit Sympathie, Respekt ist für mich nur auf Gegenseitigkeit begründet. Wenn zwei Hirsche miteinander kämpfen, dann schlagen sie die Geweihe zusammen. Sie könnten das Geweih ja auch in den Bauch des anderen schlagen. Das tun sie aber nicht, denn sie haben weit mehr Respekt vor dem Leben des anderen, als wir Menschen. Wenn wir von Menschlichkeit sprechen, dann ist das oft den Menschen weniger eigen, als den Tieren“.

Pferde wachsen im Idealfall in einer bestimmten Herdenstruktur auf und werden durch die anderen Tiere sozialisiert. Das Pferd steckt uns also später in eine bestimmte Rolle, die es in Relation zu seinen vorangegangen Erfahrungen stellen kann. Wir müssen in jeder Situation erkennen lernen, was das Pferd in uns sieht und wie wir unser Verhalten an Einschätzung des Pferdes anpassen. So müssen wir dem Pferd eine klare Mitteilung geben, wenn es uns vor uns hertreibt, ohne Sympathie und Respekt füreinander zu verlieren.

Wir müssen dem Pferd den Unterschied begreiflich machen: Handelt es sich um eine Situation mit anderen Pferden oder kommuniziert es nun mit einem Menschen? Die verschiedenen Führpositionen, die wir vor, neben, seitlich hinter dem Pferd und auf weitere Distanz in der Akademischen Reitkunst einnehmen stellen uns immer wieder vor neue Herausforderungen.

Was sagt mein Pferd?

Was wir als Pädagogen lernen müssen ist außerdem auch die verschiedenen Gesichtsausdrücke des Pferdes zu deuten:

„Pferde haben mindestens genauso viele Gesichtsausdrücke wie Schimpansen. Wir Menschen können diese jedoch beim Schimpansen leichter ablesen, da die Gesichtsausdrücke dem Menschen ähnlicher sind. Die Emotionen der Pferde sind mit ganz anderen Gesichtsausdrücken verbunden. Wir sind dann, wenn wir das Pferd nicht lesen können sehr reduziert in den Fähigkeiten, die wir haben“.

Welche Kommunikation und Möglichkeiten wir haben, hängt auch von der Vielseitigkeit des Akademsichen Werkzeugkoffers ab. Alle pädagogischen Elemente sind in diesem Werkzeugkoffer enthalten. Jedes Werkzeug an sich nutzt aber nichts, wenn wir nicht die richtigen Werkzeuge der jeweiligen Situation und Hilfengebung entsprechend wählen.

„Ich bin ausreichend stolz, wenn ich von einem Schüler sagen kann, er ist ein guter Handwerker“.

Wenn es um die Reitkunst geht, dann geht es auch um das Automatisieren von Vorgängen. Sicherlich erinnern sich einige noch an die ersten Fahrstunden, als man noch zur Kupplung blicken musste, zum Schaltknüppel und die Gänge regelrecht suchen. Heute können wir uns auf unser Gehör verlassen, dass uns ohne große Gedanken die Information weiterleitet, jetzt wäre das Wechseln in einen anderen Gang von Vorteil. Ebenso vergleicht Bent Branderup die Musik mit der Reitkunst. So lange ein Pianist vom Blatt spielen kann ist er ein guter Handwerker, erst wenn alle Handgriffe ohne Nachzudenken fließen ist Platz für Interpretation und somit auch Platz für die Kunst. Kunst beginnt, wenn wir uns über die Technik hinweg setzen können.

„Daher gibt es viele Dinge, die wir förmlich bis zum Erwürgen üben müssen, damit alles vollautomatisch läuft. Das ist der Unterschied zwischen Lernen und Können, wenn die Hilfe vollautomatisch da ist, dann ist man technisch so weit, dass man sich vom Handwerker zum Künstler bewegen kann. Egal auf welchem Niveau wir in der Reiterei unterwegs sind: Ich empfehle immer meinen Schülern genau auf der Stufe, auf der sie stehen alle Handgriffe zu automatisieren,bis man nicht mehr nachdenken muss. Dann sind wir auf unserem Weg bereit für die nächste Etappe“.

Voller Emotion

„Kunst ist, eine reelle Emotion zu erleben. Hoffentlich eine positive. Ist die Fähigkeit sich zu freuen, nicht mehr vorhanden, dann wird alles belanglos, wenn wir keinen Inhalt mehr haben. Wir müssen heute nicht reiten. Wir dürfen. Es ist heute keine Notwendigkeit mehr eine Kutsche zu ziehen, oder über bunte Stangen zu hüpfen. Es gib keinen Grund zu reiten, außer Zeit schön zu verbringen. Erinnern wir uns an die Freude, die wir hatten, als wir als Kinder mit Pferden zusammen waren. Wenn diese Freude verschwindet, dann hat sich die ganze Sache überlebt, dann gibt es keinen Inhalt mehr dafür.

Ich sehe in die Gesichter der Zuschauer und ahne, dass wir alle ganz ähnliche Erinnerungen teilen. Die Ruhe Abends im Stall, wenn wir den Pferden beim Fressen gelauscht haben. Das Beobachten der Pferde auf der Koppel. Das stundenlange Putzen und einfach Zusammensein mit den Pferden.“

Bent fragt uns: Wo ist die Freude geblieben? 
Einige Zuschauer schütteln verständnislos den Kopf. Ja, in dieser Gruppe, so fügt auch Bent hinzu, hat er ganz und gar nicht den Eindruck, als würde es an Freude am Zusammensein mit dem Pferd fehlen. Beim nächsten Satz stimmen dann wieder einige Zuschauer nickend und murmelnd zu:

„Manchmal wenn ich in eine Halle schaue, habe ich nicht das Gefühl, dass die Menschen ihre Pferde wirklich mögen“.

Auch ich stoße auf meinen Unterrichtstouren immer wieder auf solche Bilder. Wo ist die Freude geblieben? Was ist passiert, dass Pferde scheinbar das Schlechteste in uns hervorbringen. Wer sind wir dann in den Augen unserer Pferde?

Bent Branderup konstatiert, dass natürlich Erwachsene Schuld seien, wenn die Freude der Kinder verloren geht. Ich muss unweigerlich an den „kleinen Prinzen“ von Antoine de Saint-Exupéry und „die großen Leute“ denken, die die Fantasie des kleinen Prinzen nicht verstehen. Wenn aber die naive Fähigkeit verloren geht, am bloßen Zusammensein Genuss zu empfinden, dann geht auch die Kunst verloren.

„Dann wird die Kunst ein leeres Abrufen von Exerzizien. In der Kunst wollen wir aber die Emotion in unser Schaffen zu integrieren. Das kann man übrigens nie vor Publikum üben. Um eine Emotion auszulösen, brauchen wir eine aussergewöhnlich gute Situation. Sich freuen ist im Grunde ja ein chemischer Zustand. Das will heißen, wenn ihr auf einer Ebene der Ausbildung seid und alles aus dem Ärmel schütteln könnt, dann löst das keine Emotion mehr aus. Daher brauchen wir auch immer wieder die Herausforderung, um es auf einer noch höheren Ebene wieder zu können“.

Bent Branderup rät in diesem Sinne seinen Schülern die Ausbildung Schritt für Schritt voranzuschreiten. Treppchen für Treppchen zu nehmen. Zuerst kommt die Arbeit an der Technik, dann wird man nicht so frei sein für den gefühlsmässigen Austausch, aber sobald man sich in der Technik sicher ist, kann man die Emotion integrieren.

„Technik ist das, was ich euch beibringen kann. Ich kann euch das Gefühl nicht beibringen. Ich kann euch nicht zeigen, wie eine Rose duftet und wie sich die Farbe rot anfühlt. Denkt immer zurück, was war der Anlass, warum ihr mit Pferden zusammen sein wolltet. Dies ist der Gedanke, der uns davon abhält uns zu stark in der Technik zu verheddern.
Die Technik alleine wird uns nicht weiterbringen. Erst in dem Moment, wo das Pferd interpretiert aus unseren Mitteilungen wird uns die Intelligenz des Pferdes in ihrer Gänze gewahr. Pferde sind klug und unsere Mitteilungen sind kein Verstärkung einer Hilfe, sondern wir verstärken das Verständnis und die Aufmerksamkeit bei unserm Pferd.“

Und wie lange dauert es das gegenseitige Verständnis und die Reitkunst zu schulen? Auch hier hat Bent Branderup natürlich eine Anekdote parat:

„Ein Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule wurde vor vielen vielen Jahren im Alter von 65 Jahren befragt, wie lange es dauert reiten zu lernen. Er ritt bereits das Solo einhändig und stellte das Pferd in allen Schulen und Gängen vor. Er antwortete auf die Frage: „Ja, ich war das Talent meiner Zeit, ich saß auf dem bravsten und klügsten Pferd. Ich hatte die großartigsten Lehrmeister. Also ich meinem Fall würde ich sagen, es dauert 200 Jahre.“ Es geht also nicht darum fertig zu werden, es geht um das gemeinsame Erlebnis mit dem Pferd, es geht um Herausforderungen, die wir an uns als Team stellen und es geht um das Erreichen von Etappen und Meilensteinen.
Wenn ihr aber zu der Sorte Mensch gehört, die unbedingt gestern schon fertig sein möchte, dann kann ich euch garantieren, mit der Akademischen Reitkunst werdet ihr nicht glücklich werden, denn es gibt immer ein höheres Niveau, das erstrebenswert ist. Wir sind nie fertig. Werdet aber technisch gut, auf dem Niveau, wo ihr gerade seid. Werdet so gut, dass ihr nicht mehr über die Technik nachdenken müsst und legt dann den nächsten Schritt.“

Je sicherer unsere Ausgangslage, unser Niveau auf einer bestimmten Ausbildungsstufe ist, umso eher können wir uns an die nächsten Schritte wagen. Immer im Hinterkopf: Warum sind wir mit unseren Pferden zusammen und wer sind wir jetzt und heute in den Augen unseres Pferdes.

Wer sind wir in den Augen unserer Wegbegleiter?

Ich möchte mich sehr bei meinen Schülern bedanken, die diesen Kurs mit gestaltet haben und den Zuschauern auch immer sehr viel Inspiration und Wissen weiter geben. Danke, dass ihr mir Jahr für Jahr vertraut und unseren „geschützten“ Bereich verlässt, um vor Publikum euer Können zu zeigen und weiter zu verbessern.
Besonders stolz bin ich natürlich heuer auf Viktoria die ihre Wappenträgerprüfung geschafft hat, sowie Julia, die trotz vieler Verletzungen von Vollblüter Moon Hürde um Hürde genommen hat und sehr schöne Arbeit am Kurs zeigen konnte. Unsere jüngste Teilnehmerin Viktoria mit Avanti hat von Bent einige knifflige Aufgaben für den Reitersitz erhalten und konnte trotz ihrer ersten Kursteilnahme alles wunderbar umsetzen.

Danke auch an das Team meiner Schüler, die beim Auf- und Abbau des Kurses so wunderbar geholfen hat.

Eins noch in Punkto Kommunikation. Eigentlich wollte ich mit meinem Youngster „Conversano Aquileja“ am Kurs teilnehmen. Leider hatte sich mein braver Schimmel am Montag vor dem Kurs in der Box verlegt und musste genäht werden. Fuchs Tabby ist erst seit kurzem wieder im Einsatz, also musste ich für zwei Einheiten auf Pina ausweichen, die eigentlich seit Winter mit meinem Vater Rudi im Wald oder ein wenig in der Halle unterwegs ist.

Obwohl wir beide also derzeit keine gemeinsame Routine haben, hat die Kommunikation so unfassbar gut funktioniert. Abgesehen davon, dass wir an der Qualität der fliegenden Wechsel und an den Ansätzen zu Passage gearbeitet haben, war das Schönste eigentlich Pina so bei mir zu wissen, so dass wir uns ganz leise, still und heimlich unterhalten konnten. Es war tatsächlich so, wie Bent immer sagt: Zwei Körper, die sich aktuell nicht so gut kennen fanden eine geistige Übereinstimmung und ein gemeinsames Wollen. Pina hat mich einmal mehr zu Tränen gerührt. Meine großartige schwarze Stute, die eigentlich alles immer schon lange vor mir weiß.

Im Oktober wird unsere Seminarreihe übrigens forgesetzt – dann geht es um das dritte Descente, um die Versammlung. Der Kurs findet dann in Ainring bei Salzburg statt, organisier von Andrea Harrer.
Ich hoffe sehr, dass ich dann mit klein Conversano aka Konrad dabei sein kann.
Bis dahin üben wir uns in der mentalen Verbindung, schließlich sind wir noch eine Zeit lang in der Ausbildung vom Reiten entfernt.

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PS: Die schönsten Kursbilder von Katharina Gerletz gibt es hier