Welche Beziehung habe ich eigentlich zu meinem Pferd?
Nun, da gibt es viele Liebesgeschichten.
- Wir lieben Pferde für ihr Wesen. Mein Konrad ist unheimlich liebevoll und gütig, Amena ist so im Moment und Mandrake ist unglaublich treu.
- Wir lieben Pferde für ihre Schönheit. Konrad kann sich zu einer Statue formen, er wird ein Kaiserpferd, Amena tanzt so anmutig und Mandrake ist einfach Schönheit pur.
- Wir lieben Pferde für ihren Ausdruck. Konrad hat eine kaiserlich-königliche Ausstrahlung, Amena spielt mit dem Wind, Mandrake scheint manchmal ein Fabelwesen aus einer anderen Welt.
- Wir lieben Pferde für ihre Bewegung. Konrad hat unglaublich viel Kraft in der Statik, Amena ist so taktsicher und Mandrake drückt seine Stimmung, seinen Charakter, sein Wesen durch Bewegung aus.
Wenn wir uns zurück erinnern an unsere Kindheit, dann haben wir uns aus so vielen Gründen in Pferde verliebt. Wir wollten mit diesen wunderbaren Wesen, ehrlich und so geerdet, so im Moment Zeit verbringen, wir waren verliebt in ihre Schönheit, in ihren Ausdruck und in ihre Bewegung.
Und die Liebe aus der Kindheit ist geblieben.
Wir haben heute noch Spaß daran, unsere Pferde zu verschönern (auf der letzten Pferdemesse gab es mit Sicherheit die meisten Stände zu diesem Thema und für unglaublich viele Geschmäcker war was dabei), oder wir genießen ihre Schönheit ganz puristisch ohne jeden Tand. Wir teilen Freud und Leid mit unserem Pferd und wir denken mittlerweile unheimlich viel über Bewegung nach.
Bewegung zu welchem Zweck?
Bewegung ist heute für das Pferd eine durch und durch gemanagte Sache. Wir entscheiden ja freilich, wie wir unsere Pferde halten. Wer nur Box und Paddock zur Verfügung hat, muss sich gut überlegen, wie er sein Pferd bewegt. Da sich nicht in jedermanns Leben alles ausschließlich um das Pferd und dessen Bedürfnisse dreht, braucht es Schrittmaschinen, zeitgesteuerte Raufen, Bewegungsanreize am Paddock, geplante Trainingseinheiten und vieles mehr.
Wir planen und überlegen uns auch in Offenstallhaltung, wie wir unseren Pferden mehr Bewegungsanreize schaffen können. Bewegung muss stattfinden – und tut sie das nicht, dann ist der Mensch gefragt.
- Das Pferd soll sich also in seiner Freizeit bewegen und dabei bitte möglichst nicht verletzen. Soweit so gut.
Dann haben wir noch eine ganz besondere Beziehung zu Bewegung:
- Kontrollierte Bewegung
Wenn wir von einer Beziehung zur Bewegung sprechen, dann gibt es auch verschiedene Beziehungstypen:
Beziehungstypen und Bewegung
Aus der Psychologie kennen wir drei Beziehungstypen:
- den ängstlichen Beziehungstyp,
- den vermeidenden Beziehungstyp und
- den sicheren Beziehungstyp.
Bleiben wir einfach mal bei dieser Begrifflichkeit, wenn wir unsere Beziehung zur Bewegung erkunden wollen:
Der sicherer Beziehungstyp
Denken wir an unsere Kinderreitstunde zurück. Wir haben die Bewegungskompetenz unseres Pferdes nicht in Frage gestellt. Meistens wollten wir auch nichts erzeugen sondern einfach miteinander Bewegung stattfinden lassen. Wir haben vielleicht den einen oder anderen Bewegungsvorschlag gemacht – manchmal mehr, manchmal weniger insistierend. Wenn mein Vater mit unserer Pina unterwegs ist, dann ist er auf jeden Fall der sichere Beziehungstyp. Ob gerade rehabilitierte Schulteroperation oder Bandscheibenvorfall – mein Vater war sich der Bewegung unserer Pferde sicher und hat sich auf die Bewegungskomptenz des Pferdes absolut verlassen.
Der vermeidende Beziehungstyp
Wie der Name schon sagt – hier wird Bewegung relativ klein gehalten. Das Pferd darf sich nur innerhalb eines bestimmten Rahmens bewegen und sein Potenzial nicht voll ausschöpfen. Der Typ ist auch sehr eng verwandt mit dem…
Kontrollierenden Beziehungstyp,
der versucht, jede Bewegung des Pferdes möglichst nach seinen eignen Vorstellungen zu formen und zu reglementieren. Es gibt genaue Vorstellungen darüber, wie sich ein Pferd bewegen soll, gefürchtet werden ansonsten weitreichende Konsequenzen, was uns zum
Ängstlichen Beziehungstyp
führt, der freilich nur das Beste für sein Pferd will und permanent um die Gesundheit des Pferdes bangt.
Bewegung im Wandel der Zeit
Wer bei Steinbrecht, Guérinière und den Meistern der akademischen Reitkunst nachschlägt wird so viele Beschreibungen erfahren, wie sich Pferde bewegen und bewegen sollen. Die Beziehung zum Pferd war immer schon an die Beziehung zu dessen Bewegung geknüpft – machten wir uns doch Fortbewegung, Wendigkeit, Schnelligkeit und Eleganz zu nutze.
Bewegung ist freilich zweckgebunden, hat aber auch einen großen Ausdruck. Während wir in unserer Körpersprache nach und nach „verkümmern“, drücken sich Pferde immer über ihren Körper aus. Bewegung ist also auch immer ein emotionaler Aspekt des Ausdrucks.
Verantwortung in der Beziehung
Wir übernehmen nicht nur Verantwortung für das Pferd. Wir sind verantwortlich, wo und wie unser Pferd wohnt, wie es die Zeit ohne uns verbringt. Wir sind verantwortlich für die Bewegung im Privatleben und freilich auch die Bewegung, die wir miteinander teilen.
Hand aufs Herz – wir haben uns bereits viele Gedanken darüber gemacht, wie wir in unserer Beziehung zum Pferd sein wollen. Wir denken viel nach über Horsemanship, über Reitweisen, Ausbildungsmethoden und Systeme. Wir grübeln über positive und negative Verstärkung, wir denken darüber nach, wie wir mit unserem Pferd kommunizieren wollen – und alles findet immer rund um Bewegung statt.
Dein Beziehungscheck
- Wie ist deine Beziehung zur Bewegung deines Pferdes?
- Bist du eher der ängstliche Typ, wirfst du öfter mal einen besorgten Blick auf die Bewegungen deines Pferdes? Suchst du eher Fehler oder erfreust du dich an der Bewegung?
- Bist du mit der Bewegung deines Pferdes zufrieden oder wünscht du dir einen anderen Ausdruck?
- Weißt du über die Bewgungskompetenzen deines Pferdes eigentlich Bescheid? Welche Bewegungen fallen ihm leicht? Welche schwer? Nutzt dein Pferd die gesamten Bewegungsmöglichkeiten, die ihm zur Verfügung stehen? Hat sich dein Pferd verändert? Wurde die Bewegung schlechter oder besser? Was hat dein Beziehungstyp dazu beigetragen?
Liebe macht blind
Diesen Ausdruck kennen wir doch alle sicher. Liebe macht blind. Und erst, wenn die wunderbare Verliebtheit vorbei ist, wenn wir in den Alltag driften, fallen uns die Kleinigkeiten auf. Dass unser Partner schmatzt beim Essen, dass er nie pünktlich kommt – und meist sind es auch eher die negativen Auffälligkeiten, die wir registrieren, selten, weil wir gar nicht mehr offen hinschauen entdecken wir Neues oder Spannendes.
Geht es uns mit der Bewegung bei unseren Pferden auch so? Wie häufig sind wir verliebt und wie häufig im Alltag? Fallen uns weit mehr negative Bilder auf oder sehen wir eher das Gute?
Wie würde sich „Bewegung“ eine Beziehung mit uns wünschen? Tut es dem Gegenüber gut, ständig korrigiert, geformt und bewegt zu werden?
Bewegung und die Akademische Reitkunst
Als ich zur Akademischen Reitkunst kam, da sah alles so leicht und fein aus. Und mühelos. Endlich gab es ein neues Bild von Bewegung – so harmonisch und leicht.
Dann wollte ich Bewegung verstehen und habe mir auch einen unheimlichen Stress gemacht – denn ich konnte nicht alles sehen, was ich da in Vorträgen und von Gleichgesinnten hörte.
Als mich Tabby und dann Pina begleiteten habe ich mich sehr gestresst, denn ich hatte große Angst, ihre – nicht gesunden Bewegungsmuster ließen sich nicht korrigieren.
Und später habe ich herausgefunden, dass ich den Pferden auf jeden Fall mehr Eigenkompetenz übertragen muss.
Meine Beziehung zu Bewegung hat sich laufend geändert und ich bin so gespannt, was ich in den nächsten 10 Jahren an Wissen rund um Bewegung zusammen tragen werde.
Der erste Schritt ist auf jeden Fall darüber nachzudenken, welcher Beziehungstyp man ist in Punkto Bewegung. Das ist schon mal ein wichtiger Meilenstein bei der Frage – welcher Trainer möchte ich künftig für mein Pferd sein (und vielleicht auch für andere Menschen).
In der Akademischen Reitkunst geht es um Kommunikation. Wir können durch Kommunikation und Ausbildung Bewegungskompetenz vergrößern – allerdings ist es wie in jeder guten Beziehung – das selbe Wort, kann auf viele verschiedene Arten interpretiert werden. Und man lernt nie aus – eine Weisheit, die mir besonders gut gefällt. 😉
Die Beziehung zur Schulparade
Als ich Tabby Hankenbeugung im Stehen erklären wollte, hat es 4 Jahre gebraucht. 4 Jahre, in denen ich ganz schön an mir und meinen Fähigkeiten gezweifelt habe und leider auch an den Fähigkeiten meines Pferdes, schließlich wurde ihr an einem Lehrgang vom Lehrgangsleiter attestiert, dass sie niemals die Hanken würde beugen können.
Mit dieser „Hintergrundinformation“, die sich bei mir sehr bald in den Vordergrund spielte, war es schwer, Verständnis zu generieren. Aber wir blieben dran und ein Zufallstreffer beim fortgeschrittenen Longieren, als ich eigentlich mehr seitwärts korrigieren wollte, führte zu einer Idee bei Tabby. Plötzlich gaben alle Gelenke der Hinterhand nach, Hüft-, Knie- und Sprunggelenk. Ich war wie verzaubert. Wir waren uns durch die bereits vorangegangene Kommunikation sehr rasch einig, wie wir dieses „Anna-fällt-vor-Begeisterung-in-Ohnmacht-Ereignis“ reproduzieren konnten und Tabby zeigte fortan zuverlässig, wann immer gefragt Hankenbeugung.
Bei Konrad, meinem Lipizzaner war die Sache anders. Ihm traute ich alles zu. Schließlich hatte ich bereits Lipizzaner ausgebildet und gesehen, dass Hankenbeugung quasi nicht der Rede wert ist. Spielerisch haben wir also Paraden umgesetzt – durch simples vorwärts und stehen bleiben. Lange dachte ich, dass es einzig das gesteigerte Zuführen an Bewegungsenergie war, das mir so rasch ein Verständnis zum Erschließen der Hinterhand bei Konrad brachte – aber es war freilich auch meine Beziehung und mein Vertrauen in Konrads Bewegungskompetenz.
Diese Beispiele zeigen, wie eng Emotion und Bewegung aneinander geknüpft sind!
Beziehungs-Ratgeber für bessere Bewegung
- Die Logik hinter den Biegungen
- Podcast mit Annika Keller: Situationselastisches Chaos
- Podcast mit Lisa Rosentahl: Freiarbeit oder Freisein?
- Podcast mit Viktoria Portugal: Die Sache mit der Erwartungshaltung
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