Es rauscht ein wenig, aber die moderne Technik macht es möglich. Die Verbindung via Skype zwischen Dänemark und Österreich ist quasi in Balance, der Unterricht kann losgehen. Ich sitze auf Tarabaya (Tabby) und habe Bent im Ohr…

Wir analysieren die Bewegungsqualität meiner Fuchsstute an diesem Montag Morgen. Egal welche Themen später folgen, als erstes wird überprüft, wie Tabbys Hinterbeine nach vorne schwingen und wie gut es um die Balance steht. 


„…In der Bewegung sollen die Hinterbeine des Pferdes genau unter den Schwerpunkt fußen, wenn das Pferd gut ausbalanciert ist. Tut es das nicht, dann trägt das Pferd die Hauptlast mit der Schulter und die Schwingungen der Wirbelsäule werden gestört. Seine Muskeln werden sich verkrampfen und die Losgelassenheit in der Form wird unmöglich“.

Bent Branderup, Akademische Reitkunst

Waldemar Seunig schlägt in Punkto Balance in dieselbe Kerbe. Seiner Meinung nach, ist Balance nur dann vorhanden, wenn: 

„…das Pferd zur Schwerlinie tritt. Reiterlich gesprochen geht ein PFerd im Gleichgewicht, wenn es das Tempo oder die Gangart nicht verstärkt oder erhöht, sobald man die Zügel soweit nachlässt, dass gar keine Verbindung zwischen Hand und Maul mehr stattfindet. Es darf im Zügel keine Stütze finden.“ Waldemar Seunig. Von der Koppel zur Kapriole

Waldemar Seunig, Von der Koppel zur Kapriole

Wir streben beim Reiten aber nicht nur nach körperlicher Balance, auch die innere Balance ist wichtig, denn sie bedingt Losgelassenheit und Durchlässigkeit – wenn man es technisch ausdrücken möchte. Wenn das Pferd mental in Balance ist, dann ist es mit uns zufrieden und erfreut sich ebenso an der gemeinsamen Zeit. 

„Im Streben nach Balance liegt der Sinn aller reiterlichen Übungen, es ist Anfang, Weg und Ziel der reiterlichen Grundschule. In der Balance führt der Weg zur Kunst wie zur Leistung. ….Das Pferd soll lernen sich selbst und später den Reiter auszubalancieren. Es genügt nicht über das Wesen der Balance nachzudenken und darüber zu diskutieren. Man muss sie erleben, zuerst am eigenen Körper und dann auf dem Pferde. Wir Menschen sind weit davon entfernt, von Natur aus ohne Selbstschulung gut ausbalanciert zu sein“.

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst

Den Sandsack auffangen

Rückblende: Vor einiger Zeit habe ich ein spannendes Training entdeckt, das sich um Mobilität, Stabilität und Kraft dreht. Was mir beim ersten Probetraining gut gefallen hat? Spielerisch haben wir uns an Balance geübt. Es ging einen Hürdenlauf auf und ab. Auf einem schmalen Holzbrett entlang balancieren, oder von Stein zu Stein springen. Das Training gab mir einen aktuellen Statusbericht über meine eigene Balance. Rückwärts mal die Treppe rauf und runter laufen – diesen Tipp hatte ich von meiner lieben Kollegin Annika Keller erhalten, als ich sie zu ihrem Equestrian Movement Konzept interviewte. (Nachhören könnt ihr den Podcast hier). Durch dieses Interview war ich auch motiviert, etwas für meinen Körper zu tun. Auf einer wackeligen Stange zu stehen und einen Sandsack aufzufangen – mich mit der Bewegung des Sackes wieder selbst ins Gleichgewicht zu bringen – das hat mir natürlich auch sehr viel zu Denken gegeben, was unsere Pferde und Balance anbelangt. 

Wer versucht, über ein Cavaletti zu balancieren wird bemerken, dass die Übung umso besser gelingt, je mehr man die Hanken beugt. Andererseits kann es auch mal helfen an Tempo zuzulegen, um die Balance auf zwei Beinen nicht zu verlieren. 

Zurück in den Sattel. Das Ziel bleibt Balance, akribisch arbeiten wir daran, ein gleichmässiges Vorschwingen beider Hinterbeine in Richtung Schwerpunkt zu bekommen. Aber warum tritt eigentlich ein Hinterbein zum Schwerpunkt, das andere nicht? 

„Diese Gehtechnik, die bei allen ungeschulten Tieren, ganz besonders deutlich beim Hund zu sehen ist, entspricht ungefähr dem Auswärtsstellen der Fußspitzen des Menschen, der damit auch seine Standfestigkeit auf Kosten seiner Beweglichkeit und Wendigkeit erhöht. Diese Technik schont die Muskeln auf kosten der Gelenke. Gerittene Pferde setzen oft nur ein Hinterbein als Balancestütze aus der Spur heraus nach außen.“

Udo Bürger, Vollendete Reitkunst

Die gesamte Unterrichtswoche spielen wir also mit der Balance. Aber das Alpha und Omega der Balance bleibt das Vorschwingen der beiden Hinterbeine. Dann und nur dann können wir mit der Balance in verschiedenen Schwungrichtungen spielen. Gemeinsam Tanzen, bis die Musik verstummt. Sobald ich das Gefühl habe ich muss treiben, das Pferd „verhungert“ ist schon wieder was in Punkto Balance passiert. Da fällt mein Pferd mal auf die Schulter, dort ist es ein Hinterbein, das nicht so gut nach vorne kommt. In dieser Woche zeigt sich die Arbeit überhaupt etwas knifflig. Mittwoch haben wir eine schöne freie äußere Schulter auf der rechten Hand, Donnerstag ist die Sache schon wieder andersrum. 

Oder anders gesagt – warum reiten wir all diese Seitengänge? Antoine de Pluvinel verrät es:

„Um gerade zu richten“

Manchmal ist der Vorgriff eines Hinterbeins nur marginal geringer. Ein wahrer „Lügendetektor“ sind die Paraden. Bent lässt mich jeweils auf das innere oder das äußere Hinterbein und dann später auf beide Takte hin versammeln. 

„Aus einer gut gemachten Parade zieht man verschiedene Vorteile: sie vereinigt die Kräfte des Pferdes, verschafft ihm Anlehnung, bringt Kopf und Hanken in die richtige Stellung und macht es leicht in der Hand. So nützlich aber auch die Paraden sind, wenn sie im richtigen Augenblick gegeben werden, ebenso schädlich sind sie, wenn man sie zum falschen Zeitpunkt macht….Die besten Übungen, die ja nur erfunden werden, um die natürlichen Veranlagungen eines Pferdes zu vervollkommnen, wirken sich negativ aus, wenn man sie durch Anwendung zur falschen Zeit missbrauscht“.

Francoise Robichon de la Guérinière, Barockes Reiten

Wenn ein Hinterbein also beim Versammeln schlechter drunter kommt, fahre ich mit dem Thema nicht weiter fort. Es wäre sinnlos, denn das Hintebrein presst gerade in den Boden und kann nicht besser drunter kommen und beugen. Ich lasse das betroffene Hinterbein wieder etwas mehr nach vorne und versuche es von Neuem. Hier ist die Arbeit mit der Schulparade auch eine gute Sache, um herauszufinden, ob das Pferd unsere Paraden versteht und in der Bewegung nicht umsetzen kann, da es an physischen Gegebenheiten scheitert, oder die Pädagogik einfach zu kurz kam. 

Je besser die Balance umso besser kann ich mit den verschiedenen Schwungrichtungen spielen, am Mittwoch nehme ich die Schwingung etwas mehr ins aufwärts mit und habe ein wunderbares Gefühl im Sattel. Donnerstag testen wir, wie die Balance nur aus der Schwerpunktverlagerung in Kruppeherein oder Schulterherein, mal mit mehr oder weniger Versammlung verändert werden kann.

Ich denke in dieser Woche viel über Gleichgewicht nach. Auch über den Themenschwerpunkt und dass Balance ja ein Gleichgewicht zweier Komponenten sein kann. Nach der Versammlung muss also unweigerlich der Test erfolgen, wie gut das Pferd nun vorschwingen kann und im Vorwärts die Balance hält.

„Abschließend sein noch zu bemerken, dass Balance keine reiterliche Lektion ist, welche man als Einzelübung schult und bewertet. Sie gehört wie Losgelassenheit, Haltung und Stil zu den elementaren Grundlagen der Körperbeherrschung. An ihrer Vollkommenheit arbeiten Reiter und Pferd feilend das ganzeLeben, aber nur wenigen ist es vergönnt, sich von aller technischen Erdenschwere zu lösen und wie auf Flügeln getragen zu werden.“                

Udo Bürger. Vollendete Reitkunst