Zügel hin, Zügel her, die Sache mit den Zügeln ist ja eine spannende Sache. Wir wünschen uns nichts mehr als mit Leichtigkeit zu reiten. Einerseits wollen wir nichts in der Hand haben, andererseits haben wir alle Hände voll zu tun.
Wenn wir uns mit den Zügelhilfen befassen, dann kommen wir nicht umhin, zwischen indirektem und direktem Zügel zu unterscheiden. Und bevor wir die Dinge in die Hand nehmen, ist es auch spannend, die vielseitigen Sprichwörter rund um Zügel genauer anzuschauen:
„Die Zügel ergreifen“, „Die Zügel schleifen lassen“, „Die Zügel aus der Hand geben“, einer Sache/jemandem Zügel anlegen, sich/ jemanden/ etwas im Zügel halten, die Zügel fest in der Hand haben, die Zügel lockerer lassen oder die Zügel stramm anziehen. Es gibt eine Menge Sprichwörter und alle stammen sie letztlich aus der Reiterei.
Was macht der Zügel mit uns emotional?
Ich gebe zu, ich werde nicht gerne gezügelt. Aber wer will das schon? Unsere Leistungsgesellschaft legt uns gerne Zügel an und gibt Regeln vor. Nichts gegen Regeln, die sind schon ganz in Ordnung, aber ich weiß noch, wie ich mich unter einer Chefin gefühlt hatte, die mir weder vertraute, noch viel Freiraum ließ. Ich denke, die Antwort kann man leicht erraten.
Bemerkenswert ist, dass es viele Redensarten gibt, die ein Festhalten oder eine gewisse Führung durch Zügel beschreiben. Umgekehrt denken wir bei der Formulierung, die Zügel aus der Hand zu geben, an die Abgabe von Verantwortung und Kontrolle.
Zieh` nicht am Zügel
„Der ganze Drang, der ganze Schwung nach Vorwärts sind gestört, wenn das vergessen wird. Du versündigst Dich am Heiligsten, wenn du am Zügel ziehst. Du sollst selbst dem großen Drang Deines Pferdes nicht mehr Zügel auferlegen als dazu gehören würde, eine Schwalbe zu lenken“.
Rudolf G Binding
Wenn wir über Zügelhilfen nachdenken, dann unterscheiden wir zwischen direkten und indirekten Zügelhilfen. Indirekte Zügelhilfen wirken sich auf die Führung zwischen den Schultern aus, direkte Zügelhilfen nehmen Einfluss auf das Genick.
Wie bildet man die Hand aus?
In der Reitkunst stehen uns viele Facetten der Ausbildung zur Verfügung. In der Bodenarbeit ist eine der allerersten Hilfen die direkte Hand. Wir stehen vor dem Pferd lösen es am Kappzaum mit der Nase abwärts und laden es ein, den Hals zu entspannen und die Oberlinie zu dehnen. Wenn wir jedoch von einem Bewegungskonzept und vom Bewegungslernen ausgehen, dann bietet die Arbeit im Stand sowie das detaillierte Einfühlen der Hand wie alles im Leben Vor- und Nachteile. Die Frontposition hat mit Sicherheit den Vorteil, dass wir uns einen guten Überblick verschaffen und rückwärts vor dem Pferd ein recht gutes Gefühl für Balance entwickeln (können!). Der Nachteil ist jedoch häufig: Wir sind vor dem Pferd zu langsam und verursachen häufige Dysbalancen. Ist die Beziehung zwischen Mensch und Pferd so gut, dass wir bislang viel Wert auf die Meinung des Pferdes gelegt haben, dürfen wir uns jetzt auch nicht wundern, wenn das Pferd durch Druck oder Schub gegen die Hand uns mitzuteilen versucht, dass wir einfach zu langsam sind. Etwaige Verbiegungen oder Überbiegen werden dann mit weiteren Sekundarhilfen korrigiert.
Die erste wichtige Lektion für uns ist an dieser Stelle nicht viel erzeugen zu wollen. Dabei nehmen wir die Dinge aber so gerne „in die Hand“. Die direkte Hand sollte in erster Linie zu Beginn der Grundausbildung nur spüren. Unsere Laufrichtung sowie auch die zeigenden und berührenden Gertenhilfen können das Pferd zwischen den Schultern führen, die Hand kann einen Weg zur Formgebung zeigen, allerdings sollte sie nicht als Primärhilfe eingesetzt werden. Für alles, was in der Basisarbeit am Boden stattfindet gilt stets der Grundsatz, dass die Hilfen vom Boden aus betrachtet sich niemals mit den Reiterhilfen konterkarieren sollen. Denken wir also wieder an das Ziel der Leichtigkeit beim Reiten, dann würden wir es auch eher ablehnen permanent vom Sattel aus das Pferd mit den Zügeln formen zu wollen.
Praxisbeispiel Mandrake
Mein Lusitano Mandrake ist ein gehöriger Freigeist. Er liebt es, den Wind in der Mähe zu spüren, er ist wahnsinnig gerne kreativ, voll bei der Sache, wenn wir etwas unternehmen, aber er möchte sich in seiner Bewegung nur ungern einschränken lassen. In der Bodenarbeit war ich immer etwas zu langsam vor ihm. Ich wollte ihm jedoch nicht die Bewegungsfreude nehmen. In der Frontposition haben wir daher immer nur für wenige Schritte gearbeitet, so dass ich niemals mit der Hand seine Schrittlänge bremsen musste. Manchmal fühlen wir uns völlig zu Unrecht geschoben und mit meinen 1,65 Metern und Mandrakes 1,61 Metern und viel längeren Beinen und weit mehr „Spitzigkeit“ war die Longenposition weit besser gewählt. Hier hatte Mandrake von Natur aus eine schöne Aufrichtung, allerdings wollte ich auch die Dehnungsbereitschaft zur Hand hin erarbeiten. An der Longe klappten die meisten Dinge dann relativ schnell und Mandrake war ein eifriger Schüler.
Als es ans Reiten ging stattete ich uns mit einem Cavesal und der 3:1 Zügelführung aus. Das war jedoch für meinen jungen Lusitano noch viel zu viel Einflussnahme. Mandrake hatte mit den nah am Hals liegenden Zügeln bzw. mit Zügeln generell noch ein Problem. Er fühlte sich zwischen den Schultern nicht frei, auch wenn die Zügel natürlich stets zum Nachgeben bereit waren. Ein Zwischenschritt war die Lösung. Ich habe Mandrake longieren lassen und ihn dabei einhändig geführt begleitet. Warum nicht gleich in die Handarbeitsposition wechseln? Weil ich Mandrake die Sache vereinfachen wollte, indem wir etwas, was mein wilder Lusitano gut konnte mit einer neuen Aufgabe kombinierten.
Nach drei Wiederholungen waren Zügel kein Problem mehr und ich nahm erneut im Sattel Platz. Wir verlegten nun das Training ins Gelände. Nach vielen Spaziergängen an der Hand hatte sich zwischen uns eine hervorragende Vertrauensbasis ergeben – so konnte ich einfach dem Weglauf folgend indirekte Zügelhilfen hinzufügen und Mandrake die „Lenkung“ näher bringen.
Beim Reiten im „Sandkasten“ war es jedoch noch schwer, Mandrake eine konstante Verbindung schmackhaft zu machen. Ich grübelte und wir fanden Spaß darin, entweder mit zwei Gerten für die Schulterführung, inspiriert von Rebecca Dahlgren zu reiten oder aber auch einfach mit dem Halsring. Null Kopfmanipulation und das mit dem rasanten Mandrake – aber auch darin lag der Reiz – meinen „Freigeist“ die Form selbst herausfinden lassen und sich lediglich auf die Ausrichtung von Hinterhand und Schultern zu konzentrieren. Die Form ergab sich mit der Zeit von selbst und sich vermehrt auf den Sitz in Punkto „Renn-mir-nicht-unter-dem-Hintern“ davon zu konzentrieren brachte Mandrake mehr und mehr unter meinen Sitz und wo wir im Stakkato im Schritt und Trab unterwegs waren, gelangen uns nun auch längere, geräumigere und ruhigere Tritte.
Mandrake hat mir auf diese Weise auch noch einmal beigebracht, den Grundsatz: Der Hals formt sich zuletzt zu beherzigen.
Die Hand „messen“
Hand aufs Herz – wie oft nutzen wir einen direkten oder einen indirekten Zügel? Welche Zügelhilfe nutzen wir mehr? Statistisch gesehen sind die meisten Reiter Rechtshänder und nehmen daher vor allem links gerne „mehr“ in die Hand. Auch weil die meisten Pferde mit dem rechten Hinterbein mehr schieben als tragen, wird der linken Hand häufig mehr „Gewicht“ zugespielt.
Gerne denken wir beim direkten Zügel vorwiegend an den inneren Zügel, weil wir hier im besten Fall lösend und stellend einwirken können, wenn das innere Vorderbein in die Spielbeinphase kommt. Allerdings ist auch der äußere, direkte Zügel nicht zu unterschätzen. Er sorgt häufig dafür, dass Paraden geradlinig durch die gesamte Wirbelsäule geleitet werden können, er begrenzt Biegung, hebt sie auf oder reduziert sie.
Wenn wir das nächste Mal am Pferd sitzen, observieren wir uns am besten selbst: Wie häufig nutzen wir bewusst indirekte oder direkte Zügelhilfen? Wie gut kommen wir tatsächlich vom inneren Zügel weg, wenn wir das Pferd in eine Wendung begleiten? Kürzen wir vom äußeren, direkten Zügel die Oberlinie ab? Wandert unsere äußere Hand permanent nach außen, weil wir ständig die Richtung korrigieren wollen?
Die Schulung der Hand bedeutet im Grunde vor allem eins zu lernen – den Sprichwörtern rund um die Zügel zu widersprechen und die Zügel eben NICHT zu stark in die Hand zu nehmen.
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