Ehrgeiz und Reiten – passt das überhaupt zusammen? Ist es nicht durchaus menschlich, ein bisschen „gesunden Ehrgeiz“ zu entwickeln? Und ist Ehrgeiz, wie das Sprichwort sagt – tatsächlich „gesund“? Passend zu meinem letzten Artikel über die Liebe zu Pferden und deren Bedeutung lese ich gerade ganz gespannt das Buch „Vollendete Reitkunst“ von Udo Bürger.
Die Entwicklung des Reiters mit allen Stärken und Schwächen
Schon auf den ersten 30 Seiten finde ich so viel Wahrheit und Realität, wie ich vieles heute sehe und höre und genauso oft finde ich mich auch selbst wieder in den Beschreibungen. Heute würde sich niemand mehr trauen, all diese Dinge so niederzuschreiben, denn in der heutigen Gesellschaft ist Kritik nicht mehr angebracht.
Die ersten Seiten des Buches befassen sich nicht mit dem Pferd, sondern es geht um den Menschen, der sich zum Reiter entwickelt. Die Frage lautet immer: Was für ein Reiter möchte ich denn eigentlich sein? Wie wichtig ist Selbstbeherrschung und wie soll der Mensch mit seinem Partner Pferd umgehen.
Der aufmerksame Leser müsste lügen, wenn man sich in manchen der Beschreibungen nicht selbst erkennen würde. Ich zumindest, finde mich einige Male wieder.
Ehrgeiz – oder muss immer alles funktionieren?
Ich habe mir schon einige Male Gedanken darüber gemacht wie ich mich oft fühle, wenn es mal so gar nicht klappen will mit meiner Stute Amira und mir. Ob wir denn „funktionieren“ und arbeiten müssen oder ob es auch reicht, wenn wir einfach mal nichts tun.
Manchmal fehlt es einfach an Motivation und Energie, doch mich treibt mein Ehrgeiz oft zu sehr an.
So stehe ich mir leider oft selbst im Weg und dadurch vergesse ich manchmal, warum ich mich der Leidenschaft Pferd zugewandt habe und ihr verfallen bin. So passiert es dann auch, dass ich meine Stute unnötigen Druck aussetze.
„Aber auch die Reiter, die vom Willen reiten zu lernen, besessen sind, vergessen gar zu leicht, dass Reiten eine glückhafte Beschäftigung ist und keine Sucht, die Kreatur zu bändigen, sondern ein Spiel mit dem Partner Pferd mit dem Endziel, dass aus beiden Geschöpfen eines wird.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Als ich diese Zeilen gelesen habe, musste ich mich zügeln, nicht sofort aus dem Bett zu springen und in die Tastatur zu klopfen, denn in meinem Kopf kreisten hunderte Gedanken.
Wie oft erwischen wir uns dabei, wenn wir uns gerade mal wieder darüber beschweren, dass dies und jenes einfach nicht klappt? Oder, dass wir auf der Stelle treten und nicht weiterkommen?
Wenn man dann aber darüber nachdenkt, was denn wirklich das Schönste mit unserem Partner Pferd ist, ist es nicht der Stolz etwas zu können oder erlernt zu haben. Nein, es ist das Gefühl eins zu werden, zu verschmelzen mit seinem Partner Pferd, und zwar physisch wie mental. Für mich gibt es oft nichts schöneres, als einfach nur den gemeinsamen Rhythmus gefunden zu haben. Keiner stört den anderen und wir schweben in einem schwungvollen Trab durch die Halle. All die Schmerzen, die ich zuvor in meinem Körper spürte, sind wie weggeblasen, als wären sie nie da gewesen. Meine Stute Amira ist nicht selten meine Physiotherapeutin. Mich plagen oft Rückenschmerzen durch eine Fehlstellung meiner Wirbelsäule, die durch das viele Autofahren, welches in meinem Beruf notwendig ist, in Mitleidenschaft gezogen wird.
Das gemeinsame Vertrauen und die Kommunikation ohne Worte, ist mit nichts vergleichbar.
Vor kurzem hatte ich erst eine Einheit mit meiner Stute, wo ich stundenlang weitertraben und galoppieren hätte können, ohne den Wunsch Einfluss auf mein Pferd nehmen zu wollen.

Ehrgeiz und der Wunsch Momente zu sammeln
Aber diese Momente, in denen es uns so gut geht und wir stundenlang so weiter machen könnten, die geraten am schnellsten in Vergessenheit.
Denn an einem anderen Tag klappt es dann plötzlich nicht so gut, man ist verspannt, gereizt oder einfach energielos und möchte trotzdem mit seinem Pferd arbeiten. Tja, diese Erlebnisse sind dann jene, die einen tagelang verfolgen, von denen wir erzählen und uns darüber beschweren. Der traumhafte Moment ein paar Tage zuvor ist wie aus dem Gedächtnis gelöscht und im Kopf bleiben nur die schlechten Erlebnisse.
„Betrachte das Reiten niemals als Pflicht und mache dich nicht zum Sklaven ein und derselben Stunde… Wenn man kann, erhalte man sich das Vergnügen, im Sattel nicht mit der Zeit geizen zu müssen und nur zu reiten, wenn man sich richtig darauf freut.“
Udo Bürger
Diese Tage können sich dann sehr schnell zu Phasen entwickeln. Man kommt nicht mehr gut gelaunt und voller Freude in den Stall, sondern schon mit dem Gedanken: Heute muss es doch endlich wieder klappen. Man ist mental verbissen und wieder setzt man das Pferd jenem Druck aus, den man sich selbst macht.
Besser wäre es wohl eine Pause einzulegen und zur Ruhe zu kommen. Denn wie Udo Bürger uns in seiner „Vollendeten Reitkunst“ zu sagen versucht, wir MÜSSEN nicht reiten, wir DÜRFEN.
Vielleicht stresst uns zusätzlich noch etwas anderes wie die Arbeit, Familie, der Verkehr am Weg in den Stall oder ein wichtiger Termin, den wir heute unbedingt noch einhalten müssen.
An solchen Tagen versuche ich mir nichts mit Amira vorzunehmen, klappt aber leider auch nicht immer, weil mein innerer Ehrgeiz wieder ruft: Ach das geht sich schon aus!
Ja und dann, klappt es wieder nicht so, wie ich mir es erwartet habe.
Wenn der Ehrgeiz sagt: Das muss doch klappen!
Vor unserem schönen Moment hatten wir eine lange Durststrecke. Ich hatte das Gefühl, nichts gelingt, wir beide haben keine Lust mehr daran weiterzuarbeiten. Gerade in dieser Zeit habe ich mir selbst viel Stress gemacht, denn nach dem Weihnachtsurlaub im neuen Jahr möchte man natürlich wieder so richtig durchstarten und ich wollte all meine Schüler besuchen und betreuen.
Hier hatte ich mir bei weitem zu viel aufgehalst, sodass für Amira und mich keine Energie mehr übrigblieb und somit unsere „schlechte“ Phase ihren Lauf nahm.
Als dann endlich das Wetter besser wurde haben wir den Moment genutzt, um im Gelände unsere Köpfe auszulüften.
Danach ging einfach alles wie von selbst. Wir sind aber nicht nur dahingeschlendert, sondern haben unsere Energie und die freien Strecken genutzt, um die Dinge, die zuhause nicht klappen wollten, mit Spaß zu füllen – Perfektion war dabei nicht wichtig. Manchmal braucht man einfach einen Perspektivenwechsel.
Anna hat zum Thema „Training im Gelände“ einen Blog verfasst, den ihr nachlesen könnt.
„Man darf nicht sagen: „Was, du Mistvieh, du willst nicht?“ Sondern: „Entschuldige, mein Tier, ich werde schon noch dahinterkommen, wie ich es lerne, dich peu à peu auf den rechten Weg zu führen.“ Um ein Lebewesen zu beherrschen, muss man sich selbst beherrschen lernen.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Gerade die Selbstbeherrschung ist ein großes Thema. Sowohl seelisch als auch körperlich.
Denn kommt man mit einem vollen Kopf zu seinem Pferd, ist genervt oder verärgert und kann dies nicht abstellen, so wird uns unser geliebter Partner spiegeln. Wir werden uns gegenseitig aufschaukeln und keine Freude aneinander haben.
Das Pferd durchschaut unseren Ehrgeiz
Wir müssen immer wieder darüber nachdenken, dass unser Pferd ein Ausgleich und eine Bereicherung für unser Leben sein soll und nicht eine weitere Aufgabe, die wir an diesem Tag bewältigen müssen.
Seit ich das Reiten nicht mehr nur als Hobby betreibe, sondern es auch zu meinem Beruf geworden ist, erwische ich mich immer öfter dabei, mir und meiner Stute Druck zu machen. Denn es folgen Kurse, es werden Schüler von mir da sein, um zu begutachten, was wir denn seit dem letzten Mal weitergebracht haben. Dieser Druck tut aber weder mir noch meiner Amira gut. Gerade weil sie sehr sensibel auf meine Gefühlsregungen reagiert.
Daher versuche ich mir immer das Ziel zu setzen die gemeinsame Zeit zu genießen und Spaß zu haben, denn dafür habe ich doch mein Pferd. Aber es gelingt mir leider nicht immer, denn der Ehrgeiz und der Druck (den ich mir selber mache) kommen immer wieder durch. Zum Leid meiner geliebten roten Stute.
Schon früher, bei Bewerbungsgesprächen, habe ich meinen Ehrgeiz immer als meine Stärke sowie meine Schwäche angegeben. Mein Ehrgeiz hat mich stets angetrieben, teilweise schnell zur Frustration und Engstirnigkeit/Sturheit verleitet, aber letztendlich zu meinen Zielen gebracht.
Damals war es nur mein Problem – und ja, vielleicht auch das meiner Kollegen 😉 – aber heute betrifft es auch jemanden, der mir nicht immer sagen kann, dass ich zu viel will, denn wenn ich nicht genau hinhöre, dann merke ich es nicht.
Als Mensch ist man nun mal nicht fehlerfrei. Wir haben unsere Ecken und Kanten und im Endeffekt müssen unsere Tiere diese ertragen. Aber sie nehmen uns mit all unseren Fehlern, so sollten auch wir das mit ihnen tun.
„Und doch zeigt der Partner Pferd dem Reiter alles an. Er muss es nur verstehen lernen, mit Besinnlichkeit forschen und sich die Zeit nehmen, die Bewegungen des Pferdes und all seine Willensäußerungen an der Hand und unter dem Sattel gründlichst zu studieren.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Es hat alles einen Grund, wenn etwas nicht klappt und zum Großteil sind wir selber dran schuld. Unser Partner Pferd versucht uns alles recht zu machen, aber wenn wir nicht mit dem ganzen Herzen bei der Sache sind, werden wir nicht herausfinden was es uns mitzuteilen hat.
Wenn man es aber schafft, seine ganze Aufmerksamkeit der einen Sache zu widmen und diese mit vollster Ruhe anzugehen, so werden wir aus diesen Situationen, die nicht perfekt sind, am meisten lernen.

„Reiten ist Lebenskunst – als Lebenskünstler lebt man nicht länger, aber mehr!“
Bent Branderup, Akademische Reitkunst
„So kann man auch an Misserfolgen Freude haben, wenn man dadurch nur herausbekommt, welchen Fehler man gemacht hat und gar in der Lage ist, ihn abzustellen.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Würden wir den Fehler nicht bei uns, sondern bei unserem vierbeinigen Partner suchen, dann sollten wir uns wohl schnell eine andere Art der Freizeitbeschäftigung suchen, denn selbst wenn es bei dem Pferd mal zwickt oder es sich unwohl fühlt, kann es nicht seine Schuld sein, wenn wir unzufrieden sind.
„In allen anderen Sportarten gilt allein die persönliche Leistung, nur beim Reiten gibt es so viele Ausreden für die eigene Unzulänglichkeit.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Ehrgeiz und Reitkunst? Verträgt sich das?
Wie bin ich denn nun eigentlich, trotz meines großen Ehrgeizes, zur Reitkunst gekommen?
Denn hier gibt es weder Turniere noch Bewertungen, auf die ich zuarbeiten könnte.
Hier hat mich definitiv die Liebe zu den Pferden geleitet.
In allen anderen Sportarten, die ich betrieben habe, wie Tanzen oder Leichtathletik, ging es mir nur ums Gewinnen. Beim Reiten zählte für mich nur die Leidenschaft und das Zusammensein mit den Pferden. Es war nicht nur meine Leistung gefragt, sondern die von zwei Lebewesen.
„Über allem aber steht die Liebe zum Pferd – ihr dienen wir, indem wir uns selbst überwinden.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Mein Weg zur Reitkunst
Zu Reiten begonnen habe ich schon mit 7 Jahren. Ganz normal im Schulbetrieb, einmal in der Woche. Ich habe meinen Reiterpass und meine Reiternadel gemacht und nebenbei noch andere Sportarten betrieben. Ich liebte Pferde, aber es war lange Zeit trotzdem eines von vielen Hobbies. Vor allem, weil ich kein eigenes Pferd haben konnte und ich so nur schwer eine Beziehung aufbauen konnte, obwohl der Wunsch nach einer solchen seit jeher bestand.
Als ich älter war, hatte ich die Möglichkeit auf Turnierpferden einer Bekannten Unterricht zu nehmen. Die Pferde waren fix fertig hergerichtet und aufgewärmt. Eigentlich auch nicht das, was ich mir wünschte. Zwar konnte ich regelmäßiger mit Pferden Zeit verbringen und arbeiten, aber die große Liebe konnte ich auch so nicht finden. Nach einiger Zeit wollte ich das nicht mehr und verspürte nicht mehr den Wunsch „nur“ zu reiten. Ich wollte viel lieber eine Beziehung mit einem dieser wundervollen Geschöpfe haben und so widmete ich mich einem 33 Jahre alten Pferd im selben Stall, dass sich über meine Aufmerksamkeit sehr freute. Ich hatte kein Verlangen zu reiten oder etwas anderes mit dem Pferd zu arbeiten. Nur das Zusammensein und die gemeinsame Zeit zu genießen war für mich wichtig. Die Dankbarkeit in den Augen des Pferdes war mir das größte Geschenk.
Im selben Stall war auch Anton zuhause. Jener Anton, der schon so viele Menschen auf den Weg zur Kunst geführt hat.
Ich bekam die Möglichkeit auf ihm zu fühlen, was es bedeutet miteinander zu tanzen. Natürlich war ich anfangs überfordert, da er auf die kleinsten Regungen in meinem Körper reagierte. Ich musste erst mal lernen mich selbst zu beherrschen und unter Kontrolle zu bringen. Aber mir war sofort klar: so und nicht anders möchte ich reiten. Es war sofort eine Verbindung da. Ich hatte nicht einmal das Gefühl oder Bedürfnis diesem Pferd irgendetwas sagen zu müssen.
Ich bin unendlich dankbar, dass mir die Möglichkeit gegeben wurde diese Liebe zu einem nicht mir gehörenden Pferd aufbauen zu dürfen. Ich bin Eva, Antons Besitzerin, heute noch so dankbar, dass ich diese Erfahrung mit diesem Pferd machen durfte. Nicht einmal hatte ich das Gefühl, nur an zweiter Stelle zu stehen. Anton war wie MEIN Pferd und wir hatten jedes Mal, wenn ich in den Stall kam, eine wundervolle Zeit. Egal ob in der Halle oder auf der großen Wiese, wo wir eins wurden.

3 Jahre durfte ich auf Anton lernen und auch Lurko von meiner lieben Freundin Silke kam als Lehrmeister dazu. Silke durfte ich auch durch die Akademische Reitkunst kennenlernen.
Als ich nach diesen 3 Jahren nach Wien zog, brach es mir das Herz, die beiden zurückzulassen, aber mir war klar, jetzt möchte ich mein eigenes Pferd und dieses genauso ausbilden und genauso lieben wie diese zwei wundervollen Wesen. Da kam meine liebe Freundin und heute Kollegin Anna, die ich auch in Graz kennengelernt hatte ins Spiel. Sie brachte mich zu meiner roten Stute Amira.

Jetzt wo ich in Wien wohne und für mich selbst verantwortlich bin, wo ich alles was ich mir leisten möchte selbst erarbeiten muss, ist die Unbeschwertheit des jungen Mädchens in Graz ein bisschen verloren gegangen.
Der Alltagsstress geht mir hier viel näher, als damals. Man ist irgendwann einfach im Leben angekommen und setzt sich selbst viel Druck aus, den man dann ungewollt an sein Pferd weitergibt.
Ich versuche mir immer wieder in Erinnerung zu rufen, dass ich nicht mit meinem Pferd arbeiten muss, sondern darf und wir diese gemeinsame Zeit, trotz allem um uns herum genießen sollten.
Denn wenn wir in den Genuss kommen, was es bedeutet den Stress fallen zu lassen, dann Reiten wir Einfach.
Oh yes!! Zwar habe ich das Buch noch nicht gelesen- könnte aber auch bei den Zitaten sofort aufspringen und diese in die (Reiter-)Welt hinausschreien. Es ist so wahr und jeden einzelnen Tag müsste man jede/n einzelne/n Reiter aufs Neue darauf hinweisen.
Ich kann Deinen Weg sehr gut nachvollziehen, enthält er doch Elemente, die ich auf meinem Weg auch so oder ähnlich erlebt habe.. das wiederum führte mich ebenfalls zur Reitkunst. Für mich mit meinem Pferd absolut der Schlüssel zur (relativ gesehenen ;)) Entspannung. Neben all dem, was sonst im Alltag fordert, kann man mit dem typisch menschlichen Ehrgeiz beim Hobby Pferd meiner Meinung nach seeehr viel kaputt machen….