Wann ist ein Pferd an den Hilfen?
Gerne betrachten wir die Hilfen als etwas ganz „Technisches“. Das ist auch logisch, schließlich gehen wir die Sache ja auch sehr theoretisch vor der Praxis an.
Zunächst unterscheiden wir mal in zwei großen Brocken: Den vortreibenden und den verwahrenden Hilfen. Und dann gibt es natürlich noch viele Definitionen, je nach Lehre und Nuancierung finden wir verschiedene Ausführungen.
Sehr schön ist es natürlich in primäre Hilfen (Körper und Sitz) und sekundäre Hilfen (Gerte als verlängerter Arm, Schenkel für die Verbesserung von Zügelhilfen), Zügelhilfen, Schenkelhilfen, Stimmhilfen usw. zu unterscheiden.
Trotzdem möchte ich hier die emotionale Komponente nicht außer Acht lassen:
Hilfen und die Emotion
„Gibt es einen Unterschied in den Nerven, die die Empfindung in allen Organen veranlassen? Muss man nicht von der Ewigkeit ihrer Zusammensetzung un der Verschiedenheit ihres Gebrauches schließen, dass eine Seele oder ein Instinkt des Tieres sie unterscheidet, auffaßt und die Benachrichtigung empfängt“,
fragt sich Deputy de Clam.
Wenn wir also über Hilfen nachdenken, dann kommen wir nicht umhin über die Seele des Pferdes, seinen Verstand, seine Emotionen nach zu denken.
Wie hat das Pferd eigentlich Hilfen gelernt?
In meiner Tätigkeit als Ausbilder sind mir natürlich viele verschiedene Pferde begegnet. Da sind einmal Pferde, die ihre Jungend unbeschwert und fröhlich mit vielen positiven Erfahrungen mit dem Menschen verbringen konnten. Dann gibt es Pferde, die völlig überrumpelt aufgestellt und eingeschult wurden. Und dann gibt es natürlich Pferde, die die Hilfen mit viel Druck und einer großen Erwartungshaltung auferlegt bekommen haben.
Es lohnt sich, nicht nur über die Hilfe „Innerer Schenkel“ nachzudenken, sonder auch zu überlegen – wie könnte das Pferd diese Hilfe lernen oder wie hat das Pferd diese Hilfe bereits kennen gelernt?
Zwanglos?
Waldemar Seunig wird in seinem Werk „Von der Koppel zur Kapriole“ nicht müde, die Zwanglosigkeit als wichtigste Grundlage für Bewegung und weitere Ausbildung in den Vordergrund zu stellen. Das macht auch durchaus Sinn, denn ein Pferd, das in seiner Lernumgebung entspannen kann, sein natürliches Gleichgewicht findet, Tempo und Takt der Grundgangarten halten kann, das kann emotional losgelassen lernen.
Xenophon sagt dazu auch:
„So oft man das Pferd dazu bringen weiß, das zu tun, was es von selbst gerne tut, wenn es schön erscheinen will, so wird man ein Pferd finden, das mit Lust arbeitet und dabei ein lebhaftes, edles und prächtiges Aussehen hat“.
Interessant ist es hier auch über die Aussage von Baucher nachzudenken:
„Bestimmt das Tier selbst die Kraftverteilung, so bewegt es sich instinktiv, bestimmt hingegen der Reiter die Kräfte, die zu wirken haben, so nenne ich sie Übertragene“.
Baucher
Die Hilfen sinken lassen – das Endziel
Das große Ziel der Reitkunst ist freilich die Hilfen auszusetzen und ein gemeinsames Tun im gemeinsamen Wollen zu finden.
Wenn ich junge Pferde ausbilde, bei denen die Grundsätze der Aufzucht absolut stimmig waren, dann habe ich es leicht, denn ich kann mich der Instinkte der Pferde bedienen, ich kann die Freudigkeit am Spiel und an der Spiegelung nutzen, um dem Pferd meine Ideen näher zu bringen. Ganz viele Bewegungsideen haben sich so bei meinen eigenen, jungen Pferden entwickelt, ohne das sich schon je eine Hilfe zur Verfügung hatte.
Die Frage ist natürlich auch immer: Sind wir Passagier oder Pilot auf dem Pferd. Das ist natürlich eine gute Frage.
Zackelt mein Lipizzaner Konrad bereits im Schritt in die Idee der Versammlung, dann war ich nicht gut genug darin, ihn tatsächlich an die Hilfen zu stellen. Auch wenn das sehr militärisch klingt – ich möchte natürlich auch in der Lage sein, Gangart, Richtung und Form zu bestimmen. Wenn wir uns in einem sicheren Umfeld darüber uneins sind, dann stört mich das persönlich nicht. Wir finden einen guten Weg für uns gemeinsam, aber da ich mit all meinen Pferden ins Gelände gehe und auch der Sicherheitsaspekt eine große Rolle spielt, ist es auch wichtig im geschützten Rahmen ordentlich zu kommunizieren, was ich denn gerne möchte.
Auf der einen Seite möchte ich also meinen Sitz, meine Hilfen, meine Kommunikation verständlich machen, auf der anderen Seite geht es ja auch immer um Kommunikationsentwicklung, also die Verständigung durch eine gemeinsam gebildete Sprache, denn der Reiter spricht nicht Pferd (auch wenn es hier bereits einige interessante Übersetzungsmodelle gibt) und das Pferd spricht nicht Mensch.
Ich mag es, wenn Pferde auch ihre eigenen Ideen einbringen, ganz oft lösen wir mit Sicherheit eine Reaktion des Pferdes aus und waren uns auch selbst über unsere Kommunikation nicht im klaren – das ist auch okay. Kleine oder größere Missverständnisse schließen sich nicht aus – was ich aber unter „an den Hilfen stehen“ verstehe ist nicht alleine ein militanter Hilfengehorsam, im Gegenteil, ich möchte, dass das Pferd offen für meine Vorschläge ist, meine Hilfen nach und nach versteht und aber auch bei der Kombination verschiedener Hilfen mitdenkt und eine eigene Bewegungsvorstellung entwickelt.
So konnte ich aus dem Schulschritt mit seiner Kadenz nach und nach durch eine Veränderung des Taktes und der Energie eine Idee von Passage mit Konrad entwickeln. Es wäre zu einfach, wenn wir die Möglichkeit verschiedener einzelner Knöpfe hätten – nach dem Motto: Drücke Knopf A und raus kommt Passage.
Es ist immer eine Kombination von Hilfen, die dann eine neue Bewegungsinterpretation möglich macht.
Das bedeutet für uns Reiter Übung, Übung und nochmals Übung – weniger in der Technik, viel mehr in Punkto Gefühl:
„Wer ein Gefühl für den Gang seines Pferdes gewonnen hat, dem sind die rechtzeitigen Hilfen durch Hände und Schenkel instinktiv verliehen, wer dies nicht hat, wird sie sich niemals aneignen können sondern stets darüber in Zweifel und Unsicherheit bleiben. Lehren lässt sich dies nicht, denn die Momente der Rfußbewegung sind viel zu kurz, als dass der Lehrer sie rechtzeitig bezeichnen und der Schüler danach ie Hilfe prompt genug ausführen könnte“.
Gustav Steinbrecht, Gymnasium des Pferdes.
Von der Bodenarbeit in den Sattel
Zum Glück hat sich die Reitkunst stetig weiter entwickelt und so steht uns heute auch die Bodenarbeit, das Longieren oder die Handarbeit zur Verfügung, wobei wir die Bewegung des Pferdes sehen können, analysieren dürfen und auch ein bisschen Zeit haben, die gewünschte Hilfe auszuwählen und zu prüfen, ob sie uns tatsächlich geholfen hat.
Emotionen und Hilfen
Emotionen sind bei der Ausbildung des Pferdes ungemein wichtig. Ein guter Ausbilder weiß bereits die richtige Idee des Pferdes zu wertschätzen und zu bestätigen. Nicht immer müssen wir bereits bei der ersten Ausführung eines Kruppeherein auf das komplette Endergebnis abzielen.
Die Erfahrung des Ausbilders ist also auch nicht alleine die technische Ausführung der Hilfengebung, sondern auch das Erkennen von ersten Ansätzen und frühzeitiges Loben. Und dann ist natürlich auch die Frage, wie wir loben von Bedeutung.
Wenn ich ein nervöses Pferd neben mir habe, dann bestätige ich beispielsweise jede Idee nach Entspannung mit einer „kollegialen Geste“. Ich lobe nicht überschwänglich und füttere dann keinen Keks, weil ich jetzt mehr auf das Embodiment, also das sich sicher und zuhause fühlen im eigenen Körper abziele, als auf eine perfekte Ausführung. Meine Erwartungshaltung wird sich auch auf das Pferd übertragen und wer schon mal Angst hatte und sich der Erwartungshaltung des Gegenübers ausgesetzt fühlte, man möge sich doch jetzt endlich entspannen – der weiß, wie gut das funktioniert…nämlich gar nicht.
Unsere Emotionen bei den Hilfen
Wie geht es uns selbst, wenn wir Hilfen umsetzen? Ist es so, dass wir ruhig und abwartend reagieren und dann mal eine Hilfe ausprobieren, wieder ruhig und prüfend warten, ob das Pferd sie annimmt und versteht?
Oder aber wir gehören zu den Schnellkorrigierenden, die ganz schnell eine Korrektur ans Pferd bringen und wenn diese nicht hilft, dann ändern wir schnell unsere Strategie und wählen eine andere Hilfe.
Ob wir eine Korrektur in völliger Nervosität umsetzen, weil wir Angst vor Fehlern haben oder ob wir einfach auch mal ruhig und gelassen Hilfen nutzen – das macht in der Kommunikation mit dem Pferd wohl einen riesigen Unterschied aus.
Unsere Emotionen sind mit entscheidend. Meine Stute Barilla hatte lang ein Thema mit der Formgebung – es war überhaupt DAS Thema, das jahrelang zwischen uns stand. Fliegende Serienwechsel ja, aber Formgebung? Nein. Eigentlich unglaublich so in der Retrospektive – aber tatsächlich wahr – wir hatten für die Basis keine Kommunikation und somit auch keine Basis.
Die Erinnerung an dieses Manko, die Erinnerung an meine „Hilflosigkeit“ hat mich später noch einmal eingeholt und mir auch wieder vor Augen geführt: Kein Pferd gleicht dem anderen, aber wir nehmen auch unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit mit und übertragen sie dann auf das nächste Pferd, das möglicherweise ja noch gar keine Vergleichserfahrung mit der uns stressenden Thematik gemacht hat.
Egal wie gut wir die Theorie beherrschen, egal wie gut wir technisch in der Praxis sind – unsere Emotionen können noch immer Fallstricke und Stolpersteine beinhalten.
Wollen wir überhaupt Hilfe?
Wir lernen auf unterschiedliche Art und Weise. Schon als Kinder. Wenn das eine Kind gerne zuschaut, wie Bauklötze gebaut werden, möchte das andere Kind am liebsten selbst eingreifen und alles umsetzen. So unterschiedlich sind auch unsere Pferde.
Konrad hat sich gerne alles in Ruhe von mir erklären lassen. Er war und ist ein ausgezeichneter Zuhörer. Ich selbst bin manchmal gar kein guter Zuhörer – ich möchte schnell „liefern“, daher höre ich die Hälfte und bin schon am „Machen“. Das habe ich manchmal auch auf meinen Konrad übertragen – oder haben wir uns hier gegenseitig „angestachelt“? Es ist auf jeden Fall spannend darüber nachzudenken.
Schnucks war ganz anders als Konrad. Der vierjährige Konrad schien schon immer weise und abgeklärt, seine Stärke wie gesagt war das Zuhören. Schnucks ist wissbegierig und möchte alles richtig machen – aber er ist auch der Meinung gewesen, dass er eine gerade verstandene Hilfe dann inhaltlich auch IMMER umsetzen soll, einfach weil ich mich darüber gefreut hatte.
Hatte er beispielsweise am Montag den äußeren, von sich weg biegenden Schenkel für ein Kruppeherein verstanden, dann war am Dienstag doch GARANTIERT wieder der äußere Schenkel dran. Und wenn nicht, dann hatte der gefälligst dran zu sein und ich mich darüber zu freuen.
Ich habe zu diesem Zeitpunkt eine längere Pause für den Schnucks eingeplant und ihm auch immer nach dem Erlernen neuer Dinge mehr Zeit zum Nachdenken gegeben. Das hat weit mehr gebracht, als über die Hilfen und was ich tatsächlich meinte zu diskutieren.
Auch Pferde lernen individuell – und manche Pferde lassen sich gerne führen und anleiten, andere bringen gerne mehr Ideen ein, möchten auch das Gefühl von Selbstständigkeit nicht verlieren.
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