Betrachtet man den equinen Schädelknochen, dann fehlt bei den meisten Anschauungsmodellen ein kleiner H-förmiger Knochen, dem oftmals von der Form und Gestalt her Ähnlichkeit mit einem Schlitten nachgesagt wird – das Zungenbein.
Wer?
Wer im Fachlexikon nachschlagen möchte, muss mit dem Begriff Os hyoideum oder Os hyoides suchen.
Was?
Das Zungenbein ist ein kleiner Knochen, zu finden im Unterkiefer des Pferdes. Konkret ist das Zungenbein die Verbindung zum Schläfenbein und liegt zwischen Zunge und Kehlkopf. Es ist also gelenkig mit dem Schädel verbunden und zwar konkret mit dem Schläfenbein. Über Muskeln und Faszien ist das Zungenbein direkt oder indirekt mit dem Schädel und dem Unterkiefer, dem Bereich Schulter/ Oberarm und dem Bereich Becken/ Kreuzbein verbunden. Fasst man von unten an den Ganaschen des Pferdes nach innen ist das Zungenbein zwischen den Unterkieferästen mit den Fingern vorsichtig zu ertasten. Das Zungenbein hat weiters eine Verbindung zum Kehlkopf, es liegt also seitlich des Rachens. Es besteht aus mehreren kleinen, stabförmigen Elementen.
Wozu?
Die Aufgabe des Zungenbeins lässt sich als Aufhängeapparat für die Zunge beschreiben. Es dient außerdem als Befestigung der Zungenwurzel. Funktion übernimmt es auch beim Kau- und Schluckakt. Da das Zungenbein rein muskulär, also ohne direkte knöcherne Verbindung mit dem Zungengrund und dem Kehlkopf verbunden ist, wird klar, dass es auch beim Reiten eine entscheidende Funktion einnimmt. Nicht umsonst spricht man von einem ruhigen und entspannten Maul.
Kommt der „Schlitten“ in einen Schiefstand – also wird das Zungenbein schief gestellt, dann vermutet man in der Ostheopathie auch einen Schiefstand in der Kommunikation. Eine falsche Lageinformation, was die horizontale Körperausrichtung anbelangt wird an das Hirn durchgegeben, das Pferd leidet unter Gleichgewichtsstörungen und ataktischen Störungen des Bewegungsapparats.
Aus ostheopathischer Sicht macht es wenig Sinn, das Zungenbein losgelöst vom Rest des Körpers zu betrachten, es bedarf einer kompletten Untersuchung des Pferdes und vermutlich einer Behandlung an verschiedenen Bereichen des Pferdekörpers. Die Behandlung am Zungenbein beruht auf der Lösung muskulärer und faszialer Spannungen durch eine so genannte Listening-Technik, so Tierarzt und Ostheopath Manuel Flätgen.
Stichwort Kommunikation: In diesem Zusammenhang wird das Zungenbein auch als Schaltstelle zwischen Körper- und Kopffaszien bezeichnet. Bei koppenden Pferden werden Kontraktionen zwischen Zungenbein und Brustbein- sowie den Unterkiefer Muskeln festgestellt.
Wodurch?
Wodurch kann das Zungenbein verletzt oder blockiert werden? Als Hauptverursacher ist wie immer der Mensch zu nennen. Das Pferd stolpert im Gelände, der unerfahrene Reiter hält sich am Zügel fest. Schon kann es zu einer Verletzung kommen. Vorsicht ist auch bei Zahnbehandlungen geboten, wenn die Zunge aus dem Maul geführt wird, sollten ruckartige, reißende Bewegungen vermieden werden. Ein guter Pferdezahnarzt prüft auch nach der Behandlung, ob das Zungenbein verschoben wurde, oder ob Blockaden vorliegen.
Lernen wir die Anatomie verstehen, dann können wir auch richtige Fragen an unsere Ostheopathen, Chiropraktiker, Physiotherapeuten und Tierärzte stellen…:-) Lernen hört nie auf! Zum Glück!
Hallo Anna,
vielen Dank für den Beitrag. Eine gute Abbildung des Zungenbeins findet man im Atlas der Anatomie des Pferdes, herausgeben von Christoph Mülling, Christiane Pfarrer, Sven Reese, Sabine Kölle, Klaus-Dieter Budras auf Tafel 8.10: Larynx oder Abbildung 8.9-4, auch wenn mir die räumliche Vorstellung immer noch schwer fällt.
Ich habe mich damals mit dem Thema beschäftigt, weil mein Pferd an temporohyoider Osteoarthropathie erkrankt ist, was endoskopisch diagnostiziert wurde, nachdem sie nicht mehr geschluckt hat. Ihr reflexartiges Wegzucken mit dem Kopf zu einer Seite, z.T. beim Saufen, manchmal ohne ersichtliche Ursache, war aber vermutlich auch schon ein Symptom, das wir aber nicht zuordnen konnten.
Dank unserer hervorragenden Tierärztin haben wir dann aber noch fast zwei Jahre geschenkt bekommen. Mein Pferd hat damals durch den ersten Schub eine halbseitige Gesichtslähmung davongetragen, und einen Teil ihrer Sehkraft verloren, weil das Lid nicht mehr richtig schloss. Wobei mein Pferd sich an beidem nicht sonderlich gestört hat :).
Vielleicht liest das hier ja jemand, der seinem Pferd dadurch irgendwann mal früher helfen kann.
Liebe Steffi, danke für deinen Erfahrungsbericht. Du schreibst, vielleicht könnte man in so einem Fall durch deine Schilderung früher eingreifen: Magst du vielleicht erzählen, wie der Verlauf war? Gibt es erste Anzeichen, auf die man achten kann? 🙂
Hallo Anna,
bei uns war es wie gesagt vermutlich das reflexartige Wegzucken mit dem Kopf zu einer Seite, ohne dass ein auslösender Reiz erkennbar war. Dann kam plötzlich die Verweigerung des Schluckens, zwei Tage später die Gesichtslähmung dazu, daraus folgend die Kerativitis, sowie im Gesamten Verlauf immer mal wieder ein Heraushängen der Zunge. Das Hörvermögen war anscheinend auch beeinträchtigt (die Richtung, aus der das Geräusch kam, wurde nicht mehr erkannt). Es gibt auf Pubmed (nach „temporohyoid osteoarthropathy horse“ suchen) auch einige Artikel zu dem Thema, wo noch weitere mögliche Symptome beschrieben sind.
http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/j.1939-1676.2002.tb02410.x/pdf
Bei mir ist es ja auch nur eine Fallstudie ;).
Hier ist auch ein ganz guter Übersichtsartikel:
http://www.vetfolio.com/internal-medicine/vestibular-disease-temporohyoid-osteoarthropathy