Obwohl wir heute in unserem Alltag meistens sitzen, fällt uns das Sitzen auf dem Pferd schwer. Letzte Woche habe ich mich daher mit der diplomierten Physiotherapeutin für Mensch und Pferd – Laura Haitzmann über einige Übungen unterhalten, die uns helfen können den Sitz zu Pferd zu verbessern.

Heute geht es im zweiten Teil um die Tücken, die uns bei der Arbeit mit uns selbst begegnen:

Warum fällt es vielen Reitern eigentlich so schwer an Ihrem Sitz zu arbeiten?

Laura: Weil das Schwierigste am Reiten die Arbeit an sich selbst ist! Oft stimmmt das innere Bild nicht mit der äußeren Wahrnehmung überein. Die Wahrnehmung eines Außenstehenden kann nämlich ein ganz anderes Bild liefern als die Eigenwahrnehmung. Selbst wenn wir all unsere Sinne einsetzen, können wir immer nur ein Stück des Gesamtbildes erfassen. Jeder erlebt eine subjektive Wirklichkeit.
Dazu gibt es einen interessanten Versuch: Nehmen sie 3 Wassergläser: 1 Glas mit heißem Wasser, eines mit kaltem und eines mit lauwarmen Wasser. Tauchen Sie den Finger einer Hand in das kalte Wasser, den Finger der anderen ins heiße Wasser. Danach tauchen Sie beide in das lauwarme Wasser, nun entsteht ein klassisches Dilemma, der Finger der vorher im kalten Wasser war meldet warm, der im heißen war meldet kalt.
So kann man sich auch folgende Situation vorstellen: Wenn der Reiter nach einer gelungenen Dressurprüfung strahlend das Viereck verlässt, sich die Wertnote des Richters aber wie eine Ohrfeige anfühlt.

Nicht immer steht ein Coach dabei – gibt’s eine Checkliste für das innere Auge?

Laura: Meist konzentriert man sich bei der Arbeit mit dem Pferd auf einen Aspekt ganz besonders und bleibt quasi „daran hängen“.  Wenn kein Coach dabei steht, lautet mein Tipp: Lassen Sie das Bewusstsein wandern: vom Sitz, zu den Hilfen mit den Schenkeln, zu den Zügeln , dann auf das Pferd: wie entspannt fühlt es sich an? Stimmen Stellung und Biegung? Nach dieser Überprüfung wandert das Bewusstsein dann wieder zurück zum eigenen Sitz.

Das Wichtigste dabei ist, dass der Reiter seine eigene Mitte findet, dabei gerade sitzt, aber nicht steif, Stabilität aufbaut, gleichzeitig losgelassen bleibt. Scheinbare Widersprüche müssen sich im Reitersitz vereinen.

Stellen Sie sich zur Überprüfung folgende, weitere Fragen:

– Spüre ich beide Gesäßknochen gleichmäßig bzw. den inneren vermehrt?
– Kann ich mein Becken vom Pferd in alle Richtungen bewegen lassen?
– Kann ich den Brustkorb anheben, während das Becken weiterhin vom Pferd bewegt wird?
– Kann ich den Oberkörper zu beiden Seiten gleich weit drehen?
– Komme ich eher vor oder hinter die Senkrechte?

_MG_1022bc_3Was kann man denn im Alltag verbessern?  Bent Branderup sagte beim Kurs im November 2014 in Salzburg: „Trau dich schön zu sein. So wie wir gehen, so steigen wir auch aufs Pferd“  Gibt’s ein paar Tipps und Tricks, die uns im Alltag ohne Turnen und ohne Pferd (vielleicht sogar im Büro) zum besseren Reiter machen?

Laura: Ich möchte hier besonders das Zitat „So wie wir gehen steigen wir auch auf das Pferd“ aufgreifen. Reiten ist mit dem Gehen verwandt. Deshalb kann Reiten auch so erfolgreich bei Patienten mit Gehbehinderungen aller Art eingesetzt werden.
Ein gutes Gangbild im Alltag wirkt sich daher auch positiv auf die Koordination im Sitz aus. Riskieren Sie also ruhig öfter mal einen Blick in den nächsten Spiegel und sehen Sie sich ihr Gangbild an. Gehen Sie auch mal ein paar Runden rückwärts, bevor Sie sich aufs Pferd setzen, besonders dann wenn Sie selbst „Kreuzschmerzen“ haben.

Bewegen Sie ihr Becken-das geht auch auf dem Bürostuhl- in alle Richtungen, denn nur wer in jede, beim Reiten wichtige Richtung beweglich ist, kann später „unsichtbar“ auf das Pferd einwirken. Zudem stehen die Stellung des Beckens und die Aufrichtung des Oberkörpers in einem funktionalem Zusammenhang.

Wie viel „Kondition“ brauchen wir Reiter eigentlich?

Laura: Das Wort Kondition beinhaltet mehrere Aspekte und setzt sich zusammen aus Kraft, Schnelligkeit, Ausdauer und Beweglichkeit. Auf Kraft und Schnelligkeit werde ich im Folgenden nicht eingehen, da ich diese Komponenten für einen Reiter nicht als sehr wichtig erachte.

Je besser die Ausdauer, desto besser ist auch die Konzentrationsfähigkeit, weil es länger dauert bis ein Ermüdungszustand eintritt. Auch Formel 1 Rennfahrer trainieren hart ihre Ausdauer, obwohl sie „nur“ im Auto sitzen. Aber damit bleibt ihre Konzentrationsfähigkeit auch bei langen Rennen erhalten. Ich selbst betreibe viel Ausdauersport, den man auch mit dem Pferd kombinieren kann, beispielsweise gehe ich zweimal pro Woche mit meinem Minishetty und meinem Hund zum Laufen, dabei führe ich meinen Shetty am langen Zügel und bereite ihn so auf seine spätere Kutschenkarriere vor.

Auch die Beweglichkeit ist ein wichtiger Aspekt für uns Reiter, ich gehe deshalb schon lange regelmäßig zum Yoga, hier werden Dehnpostionen lang gehalten und auch viele andere Aspekte der Körperwahrnehmung geschult. Für die Beckenbeweglichkeit bieten sich Tänze wie Merengue oder Salsa hervorragend an und sie machen auch Riesenspaß.

Gibt es auch Übungen am Pferd, die im Fall des Falles schnelle Hilfe bieten?

Laura: Zügel zur Seite legen (natürlich nur, wenn dies ohne Gefahr möglich ist) und sich ausnahmsweise einfach mal transportieren lassen, dabei auf die eigene Atmung konzentrieren und den Atem in den Bauch lenken. Wer sich traut kann auch die Augen schließen und versuchen dieses Gefühl von Leichtigkeit und Losgelassenheit wieder mitzunehmen.
Der entscheidende Schritt für einen guten Sitz ist die Verbesserung der Körperwahrnehmung und die selbstkritische Einsicht, dass der Reiter selbst Teil aller Probleme auf dem Pferd ist.

Vielen Dank, liebe Laura für das ausführliche Interview!

Den ersten Teil des Interviews könnt ihr hier nochmal nachlesen!

Alle Übungen für Atmung, Beweglichkeit und Koordination kann man auch gemeinsam mit Laura umsetzen. Insgesamt 6 Reiter können an einem Tageskurs zum Thema „Sitz“ mit Laura teilnehmen.

Alle Infos dazu gibt es via Facebook oder  ihr schreibt ein Mail an Laura.