Was tun, wenns mit dem Sitz nicht so klappt? Hier beginnt die harte Arbeit für den Reiter. Während die alten Meister ihre Schüler in den Pilaren piaffieren ließen, um den Sitz zu fühlen, können wir uns heute fachkundige Hilfe holen. Laura Haitzmann, die diplomierte Physiotherapeutin für Mensch und Pferd leistet im heutigen Interview Erste Hilfe für die Primärhilfe Sitz.
Der Sitz wird die primäre Hilfe in der Akademischen Reitkunst genannt. Nur – oft wünschen sich Reiter allzu gerne selbst „Erste Hilfe“ für den Sitz. Warum führen Kommandos wie „Fersen tief“ oder „Hände ruhiger“ oft ins Nirwana und ändern genau gar nichts?
Laura: Weil das Warum fehlt. Wenn ich etwas lerne, muss ich wissen, warum ich es machen soll (und leider fehlt den Reitlehrern heutzutage auch oft das Hintergrundwissen, warum welche Kommandos gegeben werden). Ich kann ja in Mathematik auch nicht das Ergebnis auswendig lernen ohne Ahnung vom Rechenweg zu haben. Der Sitz ist eine komplexe Angelegenheit, er ist sowohl beweglich als auch stabil. Man kann den Rücken dreidimensional bewegen und gleichzeitig koordiniert der Rumpf die Bewegungen der Arme und Beine, das heißt ohne Stabilität im Rücken ist kein Gleichgewicht möglich. Oft führen sinnlos in die Bahn geschmissene Kommandos dazu, dass sich der Reiter noch mehr verspannt weil er das Gefühl hat etwas falsch zu machen. Gegen sein eigenes Gefühl anzureiten, geht meist nur auf Kosten von Losgelassenheit und verlangsamt Bewegungen, was wiederum eine präzise Hilfengebung erschwert. Simple Korrekturen ohne individuellen Zuschnitt können keine komplexen Probleme (und Sitzprobleme sind immer komplex) lösen.
Wenn es um das Reiten lernen geht, wird vor allem die Vorstellung eines korrekten Sitzes und einer korrekten Hilfengebung vermittelt. Dass aber viele Menschen aufgrund von Verspannungen, Fehlhaltungen und körperlichen Beschwerden gar nicht korrekt sitzen KÖNNEN, wird im normalen Reitunterricht leider oft gar nicht beachtet.
Verbessert man den Sitz eher mit oder ohne Pferd?
Laura: Zunächst muss man ein Körperbewusstsein schaffen. Das ist unsere Grundlage, auf der man später aufbauen kann. Oft ist es leichter diese Grundlage ohne Pferd zu erlernen. Sitzt man dann am Pferd, wirkt der Sitz ständig, er kann nicht nicht wirken sobald wir auf das Pferd steigen. Oft sind wir dann einzig mit unserem Körper beschäftigt. Die Folge: Eine ganze Menge an Überforderung, denn wir müssen auf die anderen in der Bahn Rücksicht nehmen, das Pferd „lenken“, uns auf die Hilfengebung mit Schenkel, Gerte und Zügel konzentrieren….Ich wage zu behaupten, so multitasking-begabt sind nicht mal wir Frauen. 😉 Erst wenn gewisse Abläufe beim Reiten automatisiert sind, kann man sich auf den eigenen Sitz konzentrieren.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass das Körperbewusstsein und die Haltung unserer modernen Gesellschaft immer schlechter wird, nicht zuletzt dadurch, dass viele Menschen sitzenden Tätigkeiten nachgehen. Deshalb macht es Sinn, schon vor dem Reiten an seiner Körperhaltung zu arbeiten.
Kannst du uns ein paar „Trockenübungen“ ohne Pferd nennen?
Allgemeine Trockenübungen sind schwierig auszuwählen, da jeder individuelle Defizite aufweist.
Ich versuche im folgenden Übungen zu erklären, die meiner Erfahrung aus der täglichen Praxis auf die meisten Reiter zutreffend erscheinen:
1. Brustkorb öffnen:Platzieren Sie ein zusammengerolltes Handtuch (Fortgeschrittene können die Übung auch mit einem Holzkeil durchführen oder mit 2 Tennisbällen, die man in einer Socke zusammenbindet) unterhalb der Schulterblätter auf eine Matte und legen Sie sich nun langsam darauf. Lassen Sie den Atem fließen, auch wenn es sich zuerst unangenehm anfühlt. Durch diese Übung wird die Brustwirbelsäule geöffnet. Diese befindet sich im Alltag allzu oft in Beugehaltung.
2. Oberschenkelinnenseite dehnen: Sie befinden sich in Rückenlage, legen dann die Fußsohlen aneinander und lassen die Knie so weit wie möglich nach außen fallen (normal wäre, dass Ihre Knie den Boden berühren, wobei die Fersen so nahe wie möglich Richtung Gesäß geführt werden). Bleiben Sie mindestens eine Minute in dieser Position liegen.
3. Atemwahrnehmung: Probieren Sie diese Übung am besten zuerst im Sitzen auf einem Stuhl aus. Setzen Sie sich also mit aufrechtem Rücken auf einen Stuhl, allerdings ohne sich anzulehnen (also ähnlich wie auf dem Pferd). Wenn Sie dabei die Augen schließen, kann Ihnen das helfen, aufmerksam in sich hineinzuspüren.
Vergleichen Sie einmal diese beiden Arten zu atmen:
- Legen Sie zuerst eine Hand auf Ihr Brustbein und atmen Sie ausschließlich in diesen Bereich des Brustkorbes. Ein kurzer Check: Was macht das mit Ihnen? Wie fühlen Sie sich? Wie spüren Sie den Kontakt der Sitzknochen zum Stuhl?
Legen Sie nun die Hand auf den Unterbauch, also unterhalb des Bauchnabels, und atmen Sie nur dorthin. Spüren Sie auch hier wieder nach: Was macht das mit Ihnen? Wie fühlen Sie sich? Wie spüren Sie den Kontakt der Sitzknochen zum Stuhl?
Beim Atmen im Brustbeinbereich spürt man meist eine Anspannung im Körper, ein Verlagern des Schwerpunktes nach oben und eine Kurzatmigkeit. Die reine Bauchatmung ist hingegen sehr entspannend.
4. Beckenbeweglichkeit bei gleichzeitiger Rumpfstabilität:
Setzen Sie sich auf einen Gymnastikball und üben sie dort die Beweglichkeit ihres Beckens. Sie sollen ihr Becken auf dem Ball nach vorne/ hinten und nach rechts/links fein kippen können. Danach fügt man die Bewegungen zu einer liegenden 8 zusammen, dabei achten sie darauf, dass ihr Oberkörper gerade und stabil bleibt.
Übrigens: Lauras Tipps gibt`s auch Face to Face. Die Physiotherapeutin für Mensch und Pferd bietet Sitzintensivtage an.
Insgesamt 6 Reiter können an solch einem Tageskurs teilnehmen.
Interesse? Dann kontaktiere Laura via Facebook oder laura@physiotherapie-mensch-pferd.at
Mehr Infos auch auf Lauras Homepage
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