Es reicht mit der Rechthaberei 

Meine Güte, ist die Pferdewelt anstrengend geworden. Manchmal frage ich mich, ob es wirklich noch um die Pferde geht, oder ums Rechthaben. Es gibt so viele verschiedene Möglichkeiten, sich über Pferde weiter zu bilden. Ich selbst liebe ja nicht nur beim Reiten Podcasts, ich höre Menschen und ihren Erfahrungen einfach gerne zu. Aber manchmal beschleicht mich das Gefühl, es geht gar nicht mehr darum, Erfahrungen zu teilen, sondern primär um das eigene Ego. 

Jeder hat irgendwo recht. Aber jeder hat auch irgendwo unrecht. Der Tag, wo ich glaube, nichts mehr lernen zu können, ist der Tag, an dem ich tatsächlich aufhöre, für die Pferde und für meine Leidenschaft zu leben. 

Die einen sagen, dass sie heilen und deshalb recht haben, dann gibt es wieder Pferdemenschen, die sich voll der Forschung verschrieben haben und wirklich gute Erkenntnisse teilen könnten, dies aber auch primär durch Kritik an Dritten umsetzen. 

Ich habe manchmal wirklich genug und finde prinzipiell einen Wettbewerb der besten Ideen eine tolle Sache, wenn man sich denn einander zuhören würde und den Weg zum Pferd offen und neugierig gestalten würde. Neugierig zu sein, das hat mich persönlich immer schon ein bisschen weiter gebracht. Das mit der Neugierde ist aber natürlich auch eine schwere Sache. 

Neugierde, aber auch Gewohnheit

Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Neue Gewohnheiten zu etablieren fällt uns schwer. Das zeigt sich nicht nur nach den Feiertagen vom Dezember und Jänner, wenn wir uns zum Jahresbeginn vornehmen, nun sportlicher zu werden, mehr auf die Ernährung zu achten, vielleicht bessere Schlafgewohnheiten zu etablieren. Und Dinge in der Reiterei zu ändern, das ist sowieso auch eine schwere Sache. 

Obwohl ich mit meiner eigenen Reiterei sehr unglücklich war, war es dennoch auch schwer für mich, Dinge neu zu denken, als ich auf die Akademische Reitkunst stieß. Die wichtigste Sache, die ich hier für mich lernte, nicht zuletzt durch die Begegnung mit wunderbaren Gleichgesinnten, wie beispielsweise meiner lieben Kollegin Annika Keller war, dass man eben niemals stehen bleiben darf, immer neugierig sein sollte und sich selbst auch wiederholt hinterfragen sollte. 

Wir sehnen uns einerseits nach Regeln und Vorgaben, diese könnten das Leben ja auch leichter machen und somit auch die Reiterei. Aber es gibt halt nicht DIE Reiterei, es gibt so viele Schulen, Ausbildungswege und Interpretationen, und wenn man die verschiedenen Ansichten und die oft so stark auseinander driftenden Meinungen und Methoden vergleicht, kommt man nicht umhin, sich auch mit der Entstehung jeder einzelnen „Schule“ auseinander zu setzen. 

Jede Reitweise schafft eigene Prinzipien, übernimmt Inhalte, die zur Philosophie passen und beansprucht diese Inhalte dann auch sehr gerne für sich .

„..infolgedessen gibt es keinen Stallmeister, ja keinen noch so mittelmässigen Bereiter, dessen Eigenliebe sich nicht durch die Idee beleidigt fühlt, dass seine Praxis einigen Modifikationen unterworfen werden sollte“. Chevalier de Bohan

Mit diesem Zitat wird auch noch einmal die Schwierigkeit der Reiterei unterstrichen. Das eigene Ego. Und wer glaubt, das Ego reitet nur im Wettbewerb mit, der irrt, denn der Wettbewerb der besten Ideen ist mittlerweile so groß geworden, dass es für so manchen Interessierten schwierig wird, sich überhaupt darin zurecht zu finden. Schwierig wird die Sache dann überhaupt, wenn das Ego größer wird, als die Sache selbst und wir genau diese Gewohnheit nicht durchbrechen können. 

Sehr demütig berichtet hier der Herzog von Newcastle

„Ich hab mich jederzeit der Reitkunst beflissen und derselben unter der Anführung der berühmtesten Leute in allerhand Ländern eifrigst nachgestrebt. Ich habe sie von ihrer Kunst reden gehört, selbst viel versucht und ihre Lehrarten auf die Probe gestellt. Ich habe ihre Bücher sowohl in englischer, französischer und italienischer als auch lateinischer Sprache emsig gelesen. Mit einem Wort, ich habe alle guten und bösen Schriften dieser Wissenschaft durchgegangen, etliche tausend Pistolen auf Pferde angelegt und viel zuschanden gemacht, bis ich den Grund dieser vortrefflichen Kunst endlich gefunden habe. Ich strauchelte oft und erkannte wohl, dass ich nicht auf dem rechten Wege sei, und alles was ich tat und ins Werk stellte, gefiel mir selbst nicht…Künste, Wissenschaften und gute Gaben lernt man nicht durch Schlafen. Es kommt solches nicht von Geburt her; man kann es keinem einblasen. Der eigene Fleiß, Mühe, Arbeit und stetige Übung müssen das Beste tun: und eben deswegen begehren die Herren nichts zu lernen, wenn es nicht so leichtlicht ist, als die sieben Todsünden zu begreifen; sie schwätzen unaufhörlich und trachten nur nach schönen Kleidern, reichen Banden, zierlichen Federn, die sollen den Glanz ihres Adels geben, weil sonst nichts an ihnen ist….

Sind nicht in allen Handwerken und Wissenschaften Leute, die 7 und 8 Jahre, ja ihr Leben lang lernen? Und in noch höheren Künsten sind wohl 20 und 30 Jahre nicht genug, zur Vollkommenheit zu kommen, und obgleich das Reiten eines von den schwersten Dingen der Welt ist, so finden sich doch unzählbar viele Edelleute, die wohl zu reiten und innerhalb von 6 Monaten soviel erlernt zu haben vermeinen, als ein vollkommener Reiter wissen mag; aber sie betrügen sich so sehr, als diejenigen, welche die guten Gaben und Qualitäten durch Geld zu erkaufen gedenken“. 

Oh wie ich mich in diesem Zitat von Newcastle wieder finde. Bloß waren es bei mir nicht sechs Monate sondern gleich mal 20 Jahre, die ich als unerschütterliche Basis für mein Reiten bewertet hatte. Nur war diese Basis auf sehr wackeligen Beinen, wie ich später herausfinden sollte. 

Ich habe vieles verändert und verändere vieles heute noch. 

Die wahre Kunst ist die Kunst Fehler einzugestehen

Was habe ich in den letzten Jahren so alles falsch gemacht? Kann ich das überhaupt sagen? Werde ich dann als Trainer, Wegbegleiter und Freundin meiner Pferde überhaupt noch ernst genommen? 

Wer ist schon unfehlbar? Wir machen in der Grundschule Fehler beim Diktat, wir versprechen oder verrechnen uns und trotzdem kann aus uns etwas werden. Darin sind wir uns wohl alle einig. 

In meinem reiterlichen Werdegang habe ich es auch schmerzlich erfahren müssen, dass ich mit einem Trainer, der immer nur recht hat mit Sicherheit in einer Sackgasse lande. 

Ich habe also auch Fehler gemacht. Ich kann gerne darüber erzählen. 

Fehler #1: Jetzt habe ich den heiligen Gral gefunden 

Als ich mit meiner Stute Barilla bei der Akademischen Reitkunst fündig wurde, hatten wir schon viel miteinander probiert und erlebt. Wir waren festgefahren und hatten keinen Ausweg für unsere schlechte Beziehung, wenn ich am Platz etwas erarbeiten wollte. Damals hatte ich auch keine Ahnung oder Idee, warum ich wirklich, welchen Inhalt erarbeiten sollte und war maßlos begeistert, endlich auf meine vielen Fragen eine Antwort zu haben und auch die Antworten meines Pferdes besser interpretieren zu können. Ich war so begeistert, dass ich stur behauptet habe, dass ich jetzt endlich angekommen bin. Aber reist man tatsächlich um anzukommen? 

Ich kann behaupten, dass ich in der Akademischen Reitkunst tatsächlich sowas wie eine Verwurzelung und Familie gefunden habe. Ich möchte Kollegen und Schüler nicht mehr missen, die ebenso viel Begeisterung aber auch ganz viel „Inspektor Columbo“ in sich tragen und immer wieder hinterfragen. Akademische Reitkunst bedeutet für mich „akademisch“ an gewisse Dinge zu gehen und zu hinterfragen. Immer. Ist das, was ich mache wirklich physisch für mein Pferd gut? Ist das, was ich mir vornehme für mein Pferd emotional okay? 

Wenn mir etwas heilig ist, dann ist es das Wohlbefinden meines Pferdes, aber nicht das Festhalten an einer Methode oder einer Herangehensweise. 

Viele Dinge haben sich bewährt und haben in meinem Training einen fixen Platz, andere habe ich aber auch wieder verworfen und dann an neuen Dingen gearbeitet. 

Fehler #2: Das war schon immer so. 

Ich habe im letzten Jahr einen sehr schönen Austausch mit Arthur Kottas-Heldenberg gehabt. Arthur Kottas ist der ehemalige erste Oberbereiter der Spanischen Hofreitschule und abgesehen von seinen fachlichen Ideen und Inputs kann man sich wirklich eine große Scheibe abschneiden, was Achtsamkeit und Offenheit anbelangt. 

Als wir eines Tages in meiner Reithalle waren und uns über die verschiedenen Facetten der Bodenarbeit und des Longieren unterhalten haben, fragte mich Arthur, warum ich keine Ausbinder benutze. Man muss schon wissen – in der Spanischen Hofreitschule waren Ausbinder quasi Tradition, das Pferd wurde in der Handarbeit und an den Sprüngen ausgebunden. 

Ein kleiner Exkurs, wobei ich hier Alois Podhajksy zu Wort kommen lasse, der die Nutzung der Ausbinder wie folgt beschreibt: 

„Im Allgemeinen soll bei jungen Pferden der Ausbindezügel nicht zu tief geschnallt werden, weil dies leicht zu Widersetzlichkeit und zum Überschlagen führen kann, wenn sie Angstzustände bekommen. Die Ausbindezügel sollen in den Trensenring oberhalb der Trensenzügel eingeschnallt werden. Es muss angestrebt werden, dass das Pferd die Anlehnung mit langem Hals in die Tiefe sucht, weil es so am leichtesten den Rücken richtig wölben kann.“

Das ist jetzt freilich nicht die einzige Ausführung, die Podhajsky zu Ausbindern hat. Ich muss gestehen mein „Ich-habe-den-heiligen-Gral-gefunden-und-lasse-nichts-anderes-gelten“-Ich, welches sehr überzeugt war und mitnichten bescheiden (wer bin ich schließlich, wenn ich das Wissen sämtlicher Alter Reitmeister zusammen zähle) hatte den Podhajsky wütend zugemacht und gleich mal ins Buch notiert, dass das so doch nicht klappt, dass so keine reelle Biegung und Formgebung erarbeiten werden kann. 

Trotzdem ist das gesamte Werk von Podhajsky nicht schlecht. Mitnichten – ich zähle seine Schriften zu meiner Lieblingslektüre. 

Aber bevor ich weiter abschweife, zurück in die Reithalle. 

Ich stehe also hier mit Arthur Kottas und wir diskutieren das Für und Wider von Ausbindezügeln. Arthur Kottas trat 1960 in die Spanische Hofreitschule ein. 1980 wurde er Erster Oberbereiter und trat mit seinen Hengsten überall auf der Welt auf. Einige wunderbare Zeitdokumente findet man heute noch auf Youtube. 

Unzählige Pferde wurden von ihm bis zu den Schulsprüngen gefördert und trotzdem lehnt er sich nicht zurück, hört mir nun in der Halle aufmerksam zu, warum ich gebisslos ausbilde und warum ich einfach keinen Ausbinder nutzen möchte. Und er würde mir auch niemals etwas aufdrängen, was gegen meine Prinzipien geht. Das nenne ich auch wahre Größe eines Ausbilders und Pferdemenschen. 

Immer zuzuhören, immer dazu zu lernen und genau hinzusehen, Harmonie zu suchen und zu finden – diese Reise möchte ich ebenso offen und wertschätzend allen Pferdemenschen gegenüber umsetzen. 

Fehler #3: Die Dosis macht das Gift

Gehen wir genauer in die Praxis, dann habe ich genug falsch gemacht. Ich habe manche Dinge überdosiert, von wegen Tragkraft sicher mal ein wenig zu viel Fokus auf Hankenbeugung gelegt und die Schubkraft sehr lange „weg negiert“, als etwas, was ich nicht brauche und dem Pferd schadet. Ich habe manchmal zu einseitig gearbeitet und dann wieder zu kleinschrittig. Ich habe zu sehr an Bewegungen rumgenörgelt und das Gefühl des Pferdes für Bewegung außer Acht gelassen. Ich habe genug Fehler gemacht, um damit ganze Bücher zu füllen. Und ich freue mich über jeden einzelnen Fehler, den ich gemacht habe. 

Genug ist genug 

Meine Güte, es gibt so viele tolle Pferdemenschen und überall könnten wir etwas dazu lernen. Was mir jedoch wirklich reicht ist der ständige Wettbewerb, wenn es darum geht, das eigene Ego ins Zentrum zu stellen, immer recht haben zu müssen und einen Perfektionsanspruch für sich zu pachten. Wir haben alle recht und wir haben alle unrecht. 

Wir könnten so viel voneinander lernen, wenn wir die Rechthaberei endlich sein lassen könnten. 

Da werden Bilder und Videos auseinander genommen, ohne den Weg von Pferd und Mensch zu kennen, Videos von Lernenden, die vielleicht nicht den Anspruch erhoben haben, in diesem Moment und Bildausschnitt alles Richtig zu machen. 

Es wird nicht einander zu gehört, es wird mehr aufeinander herum gehackt. 

Finde ich Inhalte, die ich fachlich spannend finde, dann teile ich das auch mal gerne. Manchmal setzt man sich in die Nesseln, wenn der Autor nicht der „Richtung“, die man entlang laufen sollte „entspricht“. Und das ist auch wieder eine traurige Schubladisierung. 

Wie oft bezeichnen wir uns als „offen“, „achtsam“ und tatsächlich interessiert und sind es in Wahrheit nicht, weil es uns so schwer fällt, zuzugeben, dass wir vielleicht unrecht hatten oder zuzugeben, dass wir etwas dazu lernen könnten. 

Es reicht – Zum Weiterlesen