Zum letzten Themenseminar auf dem Gestüt Moorhof mit Bent Branderup in diesem Jahr lud Marius Schneider, Meister der Akademischen Reitkunst nach Lüdinghausen im Münsterland ein. Das Thema: „Facetten der Bodenarbeit“. Teilnehmerin Stefanie Niggemeier hat die Highlights aus dem Seminar für uns zusammengefasst:

Welches Ziel hat die Bodenarbeit in der Akademischen Reitkunst?

Wenn wir mit dem Pferd vom Boden aus arbeiten, befinden wir uns in bester Gesellschaft mit den Alten Meistern. Auch sie haben vom Boden aus dem Pferd das erklärt, was wir „reiterliche Hilfen“ nennen . Mit Hilfe dieser Werkzeuge kann man dann Wichtiges erarbeiten.

  1. Es kann eine Kommunikation mit dem Pferd hergestellt werden
  2. Es kann ein Verständnis für Gleichgewichtszustände im Körper des Pferdes, mit jetzt in diesem Moment gearbeitet wird, erworben werden. Der Mensch hat die Chance, Probleme zu erkennen und zu definieren, er lernt zu sehen, was für ein Pferd er hier vor sich hat, wo zum Beispiel seine Abweichungen zum Ideal eines geschulten Reitpferdes sind und wie und wo man dann entstehende Probleme zu lösen hat. Es geht also um die Schulung der Wahrnehmung.
  3. Dann wird Gleichgewicht im Körper des Pferdes hergestellt. Das Pferd lernt, sich in einer „Selbsthaltung“ zu tragen: es ist in der Lage, den Brustkorb aus der Hinterhand im Takt der entsprechenden Gangart zu stabilisieren und in ein horizontales Gleichgewicht zu kommen. Kann es sich selber tragen, kann es auch mit zusätzlichem Reitergewicht belastet werden. „Es ist derselbe Brustkorb, auf dem man sitzt“, so Bent Branderup. In diesem Punkt der Ausbildung geht es also um die Formgebung des Pferdes.
  4. Hat man das Pferd nun schon so weit ausgebildet, ist auch der Mensch mit der Zeit in seinen Bewegungen immer koordinierter und seiner Wahrnehmung immer feiner. Jede
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    Stefanie Niggemeier mit ihrem Finn in der Handarbeit von außen geführt. Foto von Martina Glahe

    Bewegung, die er ausführt, wird beim Pferd eine Reaktion hervorbringen, so dass man sagen kann, dass die Körpersprache und die Körperwahrnehmung nun zu Primarhilfen geworden sind. Primär deshalb, weil der Mensch nicht aufhören kann, dem Pferd Informationen mit seinem Körper zu übermitteln, sei es durch Atmung, Muskelspannung, Stimmlage oder sogar Hormonausstoß. Die Sekundärhilfen , die Hilfen, die man bewußt an- und abschalten kann, wie Hand-, Zügel-, Schenkel-, Gerten-, oder Stimmhilfen sind zu diesem Zeitpunkt so geschult und können mit so viel Gefühl für das Pferd gegeben werden, dass sie mit in den Sattel genommen werden können.

Das Ziel der Bodenarbeit ist also ein Pferd in horizontaler Balance, das ein umfassendes Verständnis von Hilfen hat – selbst wenn es aufgrund verschiedener Faktoren niemals geritten wird , wie zB ein Shetlandpony.

„Die Bodenarbeit hat keinen Selbstzweck, sie ist vielmehr eine Art Reise. Zum Pferd, vor allem aber zu unserem Ich. Ich lerne schon am Boden, mich zu entscheiden, was für ein Mensch ich sein will. Wie gehe ich mit Konflikten um? Was braucht es, damit ich die beste Version meines Selbst leben kann? So gestalte ich meine tägliche Arbeit mit dem Pferd, um Zeit schön miteinander zu verbringen.“ (Bent Branderup)

Es wird also nicht nur eine körperliche Fähigkeit beim Menschen geschult, sondern eine gewisse Souveränität im Zusammensein mit dem Pferd erreicht.

Welche Techniken gibt es denn ,die in der akademischen Reitkunst für die Ausbildung des Pferdes vom Boden aus genutzt werden?

Die Alten Meister nutzten schon vor 400 Jahren den Doppelpilaren, zwei in den Boden der Reitbahn eingelassene Pfeiler, zwischen denen die Pferde fixiert und so geschult wurden.

Bent Branderup weiß, warum diese Methode heute nicht Sache für Jedermann sein sollte:

„ Zum Einen ist diese Technik mit großem Gefahrenpotential verbunden, wenn das Pferd sich aufregt. Es kann sich, aber auch den Menschen schwer verletzen. Zum Anderen hat sich durch züchterische Einflüsse auch die Biomechanik des Pferdes über die Jahrhunderte verändert. Durch Einkreuzung von Pferden, die viel Schub entwickeln und damit sehr geeignet als Fahrpferde sind hat sich nicht nur die Funktion vom Reitpferd zum Fahrpferd gewandelt. Dadurch haben sich auch die Gelenke der Hinterhand verändert – unter Spannung gesetzt, würden sie schnell verschließen. Daher müssen wir andere Wege gehen, um zur Geschmeidigkeit und Gymnastizierung zu kommen .“ (Bent Branderup)

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Marius Schneider zeigt wie fein Verbindung und Kommunikation sein können.

Hier bietet die Akademische Reitkunst eine Palette an Möglichkeiten an: 

In der Regel beginnt man die Ausbildung des Pferdes aus der sogenannten „Bodenarbeitsposition“: der Mensch geht rückwärts vor dem Pferd her, das er am Kappzaum führt, während er so das gesamte Pferd im Blick hat und beobachten kann, was im und mit dem Pferd passiert. Dann kann man beginnen, die Position zu verändern und zB ein wenig auf Distanz zum Pferd gehen, in die Longenposition.

„Wenn man nun bemerkt, dass das Pferd zusätzlich zu den Hilfen, die man von innen geben kann, auch äußere Hilfen bräuchte, arbeitet man sich langsam vor in das, was wir avanciertes Longieren und Cross-over nennen“, führt Bent Branderup aus. Hierzu läßt sich der Mensch in eine Langzügelposition zurückfallen, kann so mit der Gerte als Schenkelersatz das äußere Hinterbein unterstützen oder sogar nach außen-hinten wechseln und mit seinem Körper zum äußeren Schenkel werden. Braucht das Pferd mehr Unterstützung an der äußeren Schulter, kann dies mit Hilfe der Gerte oder des Körper geschehen- wir befinden uns in der Handarbeitsposition, in der wir einhändig die Reiterhand simulieren können.

„Es kommt nicht darauf an, sich auf eine Technik zu versteifen, sondern genau zu beobachten, wo das Pferd Hilfe braucht. Dann kann ich dort gezielt Unterstützung anbieten. Es gibt nicht die eine gute Technik, bin ich außen, sind die Hilfen von innen schwierig, bin ich innen, sind äußere Hilfen weniger stark. Es geht also um die Frage: wo kann ich Hilfen weglassen? Wo kann ich mich zurücknehmen und das Pferd ist trotzdem so unterstützt, dass es Lösungen finden kann?“ (Bent Branderup)

Wie sah das dann in der Praxis aus?

Marius Schneider und einige Schüler setzten die Theorie im Anschluss in die Praxis um. Die gespannten Zuschauer konnten so mit den Teilnehmern von und durch verschiedene Pferde mit unterschiedlichem Ausbildungsstand und Problemen lernen. Dem Publikum wurde schnell klar, dass die Ausbildung des Pferdes eine völlig individuelle sein muß. Denselben Weg? Den kann es unmöglich zweimal geben.

So machten Unterschiede beim Exterieur, aber auch die verschiedenen Persönlichkeiten der Pferde, wie auch der Menschen es absolut unmöglich, eine Vorgehensweise nach Schema „F“ abzuspulen.

„Ausbildung darf zu keiner Religion werden, sondern muß eine Reise durch ein Haus mit vielen Räumen sein. In diesen Räumen gibt es Türen, die man öffnet. Sieht der Raum dahinter gut aus, ist das, was ich in dem Raum finde sinnvoll für mich und mein Pferd in diesem Moment, dann trete ich ein und kann weitere Türen öffnen. Manchmal verirre ich mich – das gehört dazu und ist menschlich. Manchmal finde ich etwas, was mir zwar jetzt nutzt, aber in 14 Tagen vielleicht nicht mehr. Dann muß ich weiterziehen – oder zurückgehen. Es geht in der Reitkunst nicht ums Finden, sondern ums Suchen.

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Stefanie Niggemeier mit „Nyx“ in der Arbeit am langen Zügel. Foto: Martina Glahe

Ebenso verhält es sich mit den Schriften der Alten Meister: Welche Dinge waren in der Pferdeausbildung in der Vergangenheit nützlich und sind es heute noch? Genau diese Punkte soll sich der geneigte Leser herauspicken, von allen Seiten kritisch betrachten und schließlich in die Arbeit integrieren – oder eben auch verwerfen. Akademische Reitkunst wird so zu einem Stück gelebter Archäologie.“ (Bent Branderup)

 

Die Wahl zu haben, verschiedenen Dinge auszuprobieren, Techniken, Lektionen, Führpositionen zu nutzen oder sie wieder zu verwerfen, sich frei entfalten zu dürfen, die eigene Persönlichkeit entwickeln zu dürfen, gemeinsam mit dem Pferd; das Pferd stolzer, schöner, gesünder zu arbeiten „ so, dass das Pferd von anderen Pferden als schön befunden wird“, zitiert Branderup die unvergessenen, bereits  2400 Jahre alten Gedanken Xenophons.

Diese Wahl sei ein Privileg, welches nicht leichtfertig verschenkt werden solle; Nicht das, was andere Menschen über das denken, was sie in unserer Arbeit sehen, kann hier zählen, sondern das Ziel solle stets sein, sich so gut zu schulen wie nur möglich und so in den Augen unserer Pferde so kompetent und interessant zu sein, dass sie sich uns gerne zuwenden mögen. Verständnis, Wahrnehmung und respektvoller Umgang, sowie klare Aussagen der uns zur Verfügung stehenden Hilfen bringen uns dann in den Genuß, mit dem Pferd einen Paartanz zu erleben, „in dem der Mensch als Herr die Musik hört und in seinem Körper fühlen und umsetzen gelernt hat und das Pferd als Dame nicht dominiert werden muß, sondern sich gerne führen lassen möchte, weil es so angenehm ist.“

Dieses Seminar war ein runder Abschluß eines gelungenen Jahreszirkels von Themenseminaren auf dem Gestüt Moorhof  von Marius Schneider.  Meine Pferde und ich waren dankbar für dieses Kursjahr voller Inspiration und vieler großer und kleiner schöner Momente. Wir freuen uns schon auf eine Fortsetzung im kommenden Jahr.

 


Ein Herzliches Dankeschön an Stefanie Niggemeier für die Zusammenfassung des letzten Themenseminars bei Marius Schneider.
Das macht doch wirklich Vorfreude auf unser Seminar mit Bent Branderup in Ainring bei Salzburg am 15. und 16. Oktober 2016.

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