In der Akademischen Reitkunst legt man großen Wert auf den Sitz. Manche Reiter anderer Reitstile werfen „den Akademikern“ allerdings Sitzfehler vor. Für die Ausgaben der FEINEN HILFEN Nr. 25 wurde ich interviewt, um Missverständnisse aufzuklären.

FEINE HILFEN: Was hat der Sitz in der Akademischen Reitkunst für einen Stellenwert?

Anna Eichinger:Einen sehr großen Stellenwert – nicht umsonst wird der Sitz als primäre Hilfe bezeichnet. Primär deshalb, weil der Reitersitz nie aussetzen kann. Wenn wir auf dem Pferd sitzen, dann wirken wir auch immer ein – ganz unabhängig davon, ob wir jetzt mit der Qualität der Einwirkung zufrieden sind oder nicht. 

Die Art und Weise, wie wir auf dem Pferd sitzen, verrät sehr viel über uns als Mensch im Alltag. Ich denke, jeder Reiter kennt das Gefühl, wenn Großhirn, Kleinhirn und Körperteile versuchen miteinander zu kommunizieren und die Bewegungen in unserem Körper leider ganz anders ankommen, als wir es geplant hatten. 

Um etwas Aufklärung in die Sache mit der Bewegungslegasthenie zu bringen, hilft uns zunächst einmal die Auseinandersetzung mit der Theorie. Weil sich die Frage explizit auf die Akademische Reitkunst bezieht darf ich hier folgende Definitionen näher erläutern:

  1. der physische Sitz
  2. der statische Sitz 
  3. der fühlende Sitz.

Der Reiter folgt den Bewegungen des Pferdes und nimmt darauf Einfluss – das wird als physischer Sitzbezeichnet. Wir müssen uns zunächst also mit den Bewegungsabläufen des Pferdes – insbesondere denen der Wirbelsäule beschäftigen. Die Wirbelsäule schwingt dreidimensional, das heißt im Brustkorb beobachten wir eine Bewegung nach oben und unten, eine seitliche Bewegung sowie eine Rotation. 

Es gibt viele Reiter, die über Rückenschmerzen klagen. Andererseits wird diese dreidimensionale Bewegung der Pferdewirbelsäule eingesetzt, um Menschen mit körperlichen Schwierigkeiten in der Therapie zu helfen. Wie passt das zusammen? 

Stellen wir uns vor, wir sitzen auf dem Pferd und reiten auf der linken Hand. Wenn das linke Hinterbein, also das innere Hinterbein abfußt und nach vorne schwingt, fühlen wir, wie sich unser linker Sitzknochen nach vorne-unten bewegt wird. Das Pferdebein fußt auf und schiebt nach hinten – unser linker Sitzknochen wird nach hinten-oben geführt. Wir können eine sachte Kreisbewegung unserer inneren Hüfte wahrnehmen, die möglichst gleichmäßig und rund ablaufen sollte. Gegengleich spüren wir die Bewegung ebenso in der äußeren Hüfte. Sitzen wir also gegen die Bewegung, dann kommt es unweigerlich zu Verspannungen in der eigenen Hüfte, was sich wiederum auf Becken, Lenden-, Brust-  und Halswirbelsäule des Reiters auswirkt. Nicht anders ergeht es dem Pferd. So gesehen blockiert ein „gegen die Bewegung sitzen“ den korrekten Rückenschwung – manchmal sogar mit voller Absicht, um die Bewegungen des Pferdes noch spektakulärer erscheinen zu lassen. 

Unser Ziel in der Akademischen Reitkunst ist allerdings den mal größeren und mal kleineren Rückenschwung zu fühlen und mit zu gestalten – je nach Versammlungsgrad und Bewegungsrichtung. Womit sich der Kreis zur gezielten Einflussnahme schließt und wobei der Reiter den Bewegungen des Pferdes stetig folgt. 

Der statische Sitzist für die verschiedenen Gleichgewichtsrichtungen zuständig. Unser Ziel in der Akademischen Reitkunst ist es, das Gleichgewicht von Reiter und Pferd in Übereinstimmung zu bringen. In der Bodenarbeit schulen wir daher bereits unser Auge, wenn wir dem Pferd zeigen, wie es korrekt unter seine Masse hin zum Schwerpunkt treten soll. Später, auf dem Pferd, können wir anstelle unseres Auges auch unser Ohr einsetzen. Tritt das Pferd nicht in Richtung Schwerpunkt, sondern daran vorbei, wird es vermutlich nicht nur schwer in der Hand, sondern der Fuß wird auch schwer auf dem Boden aufsetzen. Wir hören und spüren die Erschütterungen, wenn der Schwung nicht korrekt über die Wirbelsäule von der Hinterhand an die Vorhand übertragen wird. 

Was passiert also, wenn wir die Schwingungen des Pferdes verändern, mal zulegen und mal wieder aufnehmen? Hier ist der statische Sitz unser wichtigster Assistent. So können wir beispielsweise unseren Schwerpunkt im Kruppeherein in Richtung innerer Schulter verschieben, um ein wenig zuzulegen und in Richtung innerer Hüfte des Pferdes, um das Kruppeherein ein wenig zu versammeln. 

Jeder hat schon mal in der Reitschule das Kommando gehört: „Sitzen Sie gerade“. Was bedeutet „gerade“ im Zusammenhang mit dem Schwerpunkt? Diese Anweisung nutzt dem Reiter also relativ wenig, wenn er nicht erfühlen kann, ob die Hinterbeine des Pferdes in Richtung Schwerpunkt unterwegs sind oder daran vorbei treten? 

Der fühlende Sitzist mit Sicherheit eine sehr individuelle Zutat rund um den korrekten Sitz. Wie fühlt sich für Sie Harmonie an? Manchmal höre ich von Schülern die Klage: Ich fühle nichts. Wir sind so sehr darauf programmiert, dass wir Fehler suchen und Fehler erspüren. Wenn dann alles klappt und harmonisch wird, dann ist es doch ein zarter Hauch von Nichts, der uns als Belohnung geschenkt wird. 

Um zu fühlen müssen wir verstehen. Um zu verstehen müssen wir die Theorie studieren: Was wollen wir überhaupt sehen, wie sieht korrekter Rückenschwung aus, wie sollen sich Hinter- und Vorhand bewegen? 


„Nur einem denkenden Reiter kann man einen fühlenden Sitz lehren und der Reiter muss verstehen, was er fühlt.“

Bent Branderup

In der Bodenarbeit schulen wir zunächst unser Gefühl für korrekte Stellung und Biegung, wir erfassen erstmals die dreidimensionale Schwingung der Wirbelsäule des Pferdes. Wir entwickeln ein Gespür dafür, was überwiegt, Rückschub oder Vorgriff. Später nehmen wir dieses geschulte Gefühl mit in den Sattel – oftmals mit einer großen Enttäuschung. Was vom Boden aus so toll geklappt hat, fühlt sich nun vom Sattel aus anders an. Natürlich, denn wir haben das Pferd zwar so weit geschult, aber in der Bodenarbeit noch nichts für unseren physischen und statischen Sitz getan. 

FEINE HILFEN:Vielen AR-Reitern wird vorgeworfen im Stuhlsitz zu reiten. Tatsächlich sieht man oft, dass die Unterschenkel weiter vorn liegen, als etwa bei klassisch-deutschen Dressurreitern. Warum ist das so?

Eichinger:  Zunächst einmal müssen wir uns – auch ohne die gesehenen Bilder von lernenden Schülern zu kennen – über die Definition klar werden: Ist tatsächlich ein Stuhlsitz, ein offener Sitz oder ein geschlossener Sitz gemeint? 

In der Akademischen Reitkunst gib es viele unterschiedliche Pferderassen und Menschen. Oft haben wir das Phänomen, dass sehr große Pferdehüften mit einer enormen Bewegung auf ein kleines, menschliches Becken treffen. Hier passen die Größenverhältnisse nicht optimal zusammen. 

Nehmen wir beispielsweise eine junge Reiterin auf einem Kaltblutpferd. Das Hüftgelenk ist ein Kugelgelenk, der Oberschenkel kann sich nur begrenzt aus dem Hüftgelenk bewegen. Die Reiterin versucht trotz alledem den Bewegungen des Pferdes korrekt zu folgen. Ohne Sattel und geeignetes Pad sitzt der Reiter dann zu breit, der Reiter kann tatsächlich in den Stuhlsitz kommen, wenn der Oberschenkel nicht mehr entlasten kann und das Gesäß des Reiters dann zu weit nach hinten  gedrückt wird. Das Hüftgelenk wird dann nach vorne rausgepresst. Wir brauchen in solch einem Fall dann einen Sattel, damit der Oberschenkel besser nach unten gleiten kann; der Sattel würde außerdem den Abstand zwischen Gesäßknochen und Pferderücken auch vergrößern. Manchmal ist es aber auch aufgrund des enormen Größenunterschieds schwierig, einen passenden Sattel zu finden, der den Reiter adäquat platziert. Ich denke, viele Reiter fühlen sich in der Akademischen Reitkunst als Lernende besonders gut aufgehoben, da sie nicht in eine bestimmte Form gezwungen werden, die sie rein physisch noch gar nicht einnehmen können. 

Oder um es auch mit Gustav Steinbrechts Worten zu sagen: 

„Ein eingewurzeltes Vorurteil hat einen so genannten Normalsitz des Reiters festgestellt, nämlich die Körperhaltung, die der Reiter zu Pferde ein für allemal anzunehmen habe. Ich suche in dem Umstand, dass dieser Normalsitz dem Schüler von Anfang an angewiesen und mit Strenge eingeübt wird, den Hauptgrund, weshalb viele junge Reiter von der Reitbahn und dem systematischen Studium der Reitkunst abgeschreckt werden……. Einen Normalsitz zu Pferde, wenn man darunter eine auch nur für die Mehrzahl der Fälle richtige Körperhaltung verstehen will, gibt es gar nicht, denn der Reiter sitzt nur dann richtig zu Pferde, wenn der Schwerpunkt oder vielmehr die Schwerpunktlinie seines Körpers mit der des Pferdes zusammenfällt. Nur dann ist er mit seinem Pferde in vollkommener Harmonie und gleichsam eins mit ihm geworden……Wer einsieht, dass Schönheit und Leichtigkeit des Sitzes nicht von der Körperhaltung des Reiters alleine, sondern ebenso sehr von der guten Haltung und dem geregelten Gang des Pferdes abhängen, der wird es natürlich finden, wenn ich rate, den Schüler, sobald er Sicherheit gewonnen hat, darauf hinzuführen dass er auch auf die Richtung des Pferdes einwirkt, sollte dies auch unter Einbuße an vorschriftsmäßiger Haltung geschehen“.

Gustav Steinbrecht, Das Gymnasium des Pferdes

FEINE HILFEN: Man sieht dich oft ohne Sattel oder im Fellsattel. Was macht das Reiten ohne (Baumsattel) mit deinem Sitz? Hat es ausschließlich positive Effekte oder hättest du Bedenken, wann man nur ohne Sattel reitet?

Eichinger: Ohne Sattel reite ich ausschließlich in unserem Schwimmteich. Ich besitze sowohl Baumsättel, sowie einige Filzsättel und den Bent Branderup Schulungssattel für meine Pferde. Ins Gelände gehe ich ausnahmslos mit einem Baumsattel, für die Arbeit in der Halle und die Arbeit an meinem eigenen Sitz ziehe ich persönlich den Schulungssattel aus diversen Gründen vor. Im Fellsattel hatte ich auch oben beschriebenes Problem, da meine Hüfte eigentlich für meine beiden Stuten zu klein ist. Im Filzsattel konnte ich sowohl die Rotation des Pferdebrustkorbs wie auch meine eigene Bewegung besser erfühlen lernen. Das „Feintuning“ erarbeite ich also sehr gerne im Schulungssattel von Bent Branderup. Ein Sattel kann im Grunde aber nichts in meinem Sitz erzeugen – aber ich greife je nach Bedarf auf Ledersattel mit Baum oder eben den Filzsattel oder den Schulungssattel zurück. Für mich gibt es da kein Dogma. (Anmerkung – zum Zeitpunkt des Interviews gab es den Schulungssattel bei mir im Schrank noch nicht – ich habe diese Angabe daher aktualisiert)

Schülern, die gerne ohne Sattel reiten oder mit einem Pad das Fühlen erlernen wollen, rate ich bei der Auswahl des Pads oder Filzsattels darauf zu achten, dass die Sitzknochen nicht in den langen Rückenmuskel des Pferdes drücken. Nun würde ich mit meinen Schülern daran arbeiten, das Reitergewicht auf den Oberschenkeln zu verteilen.  Wobei wir hier anatomisch gesehen, wieder bei der Rundheit der Rippen versus der Rundheit der Oberschenkel sind. Pferd und Mensch gleichen sich anatomisch eben nicht eins zu eins – es empfiehlt sich also eine geeignete Unterlage zu wählen, die es den Oberschenkeln des Reiters ebenso möglich macht, zwar nahe ans Pferd zu kommen, aber auch gut der „Rundung“ zu folgen. 

FEINE HILFEN: Hat der leichte Sitz für dich eine Bedeutung? 
Eichinger:Ja, natürlich hat der leichte Sitz für mich auch eine Bedeutung. Wenn ich mal einen zügigen, flotten Galopp – und der kann bei meiner blutgeprägten Przedswitstute durchaus sehr rasant ausfallen – wähle, dann galoppiere ich im Gelände natürlich auch mal im leichten Sitz. Wichtig ist mir dabei die Statik. So wie ein Jockey im Rennen und ein Springreiter über dem Sprung mit dem Pferd im Gleichgewicht bleiben – so möchte ich ebenso meinen statischen Sitz nicht verlieren. Wichtig zu ergänzen wäre hier, die Beschaffenheiten des eigenen Sattels, sowie den muskulären Zustand des Pferdes genau im Auge zu behalten. Im schlimmsten Fall könnte das Kopfeisen durch den leichten Sitz nach unten in den Pferderücken gedrückt werden. Die Folge sind Atrophien, die wir leider sehr häufig bei Pferden finden. Der Ausdruck „leichter“ Sitz darf also nicht in die Irre führen, er macht uns nicht leichter, er soll uns lediglich Unterstützung bei der Übereinstimmung der Schwerpunkte von Pferd und Reiter bieten. 

FEINE HILFEN: Wo sitzt du in der Biegung? Außen, innen oder mittig? Und warum? 

Eichinger:In einer korrekten Biegung sitze ich physisch etwas mehr nach innen. Natürlich möchte ich mich zunächst mal auf dem Pferd entspannen und beide Sitzknochen spüren. Dann nehme ich beispielsweise einen Linkssitz ein (Schultern parallel zu Schultern, also kommt die äußere Schulter etwas mehr vor, während ich ebenso die innere Hüfte etwas mehr vornehme als die äußere). Gustav Steinbrecht beschreibt dieses Phänomen mit einem sanften Hang in der inneren Hüfte. Wichtig ist es allerdings, nicht in der Hüfte einzuknicken. Das könnte passieren, wenn das überbogene Pferd den Reiter nach außen setzt, da der Brustkorb innen fälschlicherweise nach oben rotiert und nicht nach unten. In der Reitliteratur findet man hier viele innere Bilder. Steinbrecht erwähnt eben den „Sanften Hang in der inneren Hüfte“, der Herzog von Newcastle schreibt von einem Steigbügelriemen der innen vier Inches länger scheint und Guérinière schreibt ebenso davon, dass der Steigbügel innen länger scheint. 

In korrekter Biegung rotiert der Brustkorb nach innen unten – das heißt die äußere Oberlinie dehnt sich, der äußere Brustkorb kommt außen hoch. Wenn der Reiter dann nach außen sitzt, würde er den Pferdekörper an jenen Stellen, die sich unmittelbar dehnen, belasten. Je nach Größe der Schwingung – anders gesagt je nach Versammlungsgrad – sitze ich in den versalen und traversalen Biegungen entweder mit dem Schwerpunkt im Kruppeherein mehr nach vorne in Richtung innerer Schulter – bei der Versammlung in Richtung innerer Hüfte des Pferdes. ImSchulterherein nehme ich den Schwerpunkt mehr in Richtung Schweif beim Versammeln – beim Vorwärtsschwingen achte ich darauf, nicht zu stark nach innen zu sitzen, da das Pferd sonst vom Schwerpunkt weg tritt. Sitze ich zu stark nach außen, belaste ich den Brustkorb zu stark, die äußere Schulter kann nicht frei werden. Physisch muss der Reiter dann also innen sitzen bleiben, den Schwerpunkt aber der Bewegungsrichtung folgen lassen. 

FEINE HILFEN: Vielen Dank für das Gespräch.