Ein bisschen Spaß muss sein – vor allem wenn es zu „bierernst“ wird im Training. Dieser Tage bin ich auf einen englischen Artikel meiner lieben Kollegin Ylvie Fros gestoßen.  Ylvies Artikel bringt besonders schön auf den Punkt wie wir Fokus, Entspannung und Energie ganz spielerisch miteinander verbinden können – da ich gerne selbst mit Dualgassen oder Pylonen arbeite, um den Fokus zu verändern, musste der Artikel unbedingt auch hier in einer deutschen Fassung veröffentlicht werden 😉

Vom Trainingsplan zur verspielten Variation

In der Akademischen Reitkunst nehmen wir das Training von Reiter und Pferd sehr ernst. Klar – damit wir höheres Level, mehr Versammlungsfähigkeit oder eben fortgeschrittenere Lektionen überhaupt erreichen, müssen wir regelmässig mit einem gut durchdachten Trainingsplan vorangehen.

Was wir uns aber tatsächlich wünschen, ist doch der elegante Tanz zwischen Mensch und Pferd, den wir aber nur erreichen, wenn wir in vielen Nuancen konzentriert, aufgeschlossen und mit einer tiefen Verbindung zwischen Mensch und Pferd vorgehen.

Wir spielen dabei mit Balance, Rhythmus, Tempo, der Position der Schultern und der Hinterhand, der Formgebung und der Durchlässigkeit des Pferdes. Und letztlich wollen wir all diese Ingredienzien erschaffen, um sie dann auch von Lektion zu Lektion mitzunehmen. Für den harmonischen und eleganten Tanz mit dem Pferd brauchen wir demnach eine bestimmte Leichtigkeit und Verspieltheit.

Steckengeblieben?

In unserem täglichen Training bleiben wir dann aber oft „stecken“, vor allem wenn wir an der Technik tüfteln, Kraft und Losgelassenheit unseres Pferdes erarbeiten, oder wenn wir eben an unsere eigenen körperlichen Grenzen kommen. Unser ganzer Fokus und unsere Entschlossenheit lassen uns dann nicht weiter vorankommen.

Natürlich ist unser tägliches Training nicht ohne Erfolg. Das Sprichwort sagt: Es sind Blut, Schweiß und Tränen, die da vergossen werden.

Aber genau mit dieser Energie fängt man an, wenn man etwas Neues lernt. Man kann aber in seinem Fokus stecken bleiben, wenn man dieselben Dinge immer und immer wieder praktiziert, bis sie vermeintlich perfekt sind. Überkonzentriertes Arbeiten führt auch zum Stillstand und nimmt Pferd und Mensch dauerhaft die Freude. Ich spreche in meinem Artikel vom so genannten „Hard Focus“. Darunter versteh ich, dass der Geist zwar konzentriert ist, aber eben nicht entspannt. Wir haben dann Energie, aber wir bringen diese quasi nicht auf den Boden. Wir haben Technik, aber keine Balance. Auch das komplette Gegenteil kann zutreffen – dann haben wir Entspannung, aber überhaupt keinen Fokus. Vielleicht kennt man das ja- wenn es sich großartig anfühlt, aber der Fortschritt ausbleibt: Dann bleiben wir quasi für immer in unserer ganz persönlichen Komfortzone. Es fühlt sich großartig an, aber Fortschritt gibt es halt auch keinen.

Dieser Fortschritt kommt erst dann wieder, wenn wir unseren Fokus mit Entspannung und Energie verbinden können. Ein entspannter und fürs Lernen offener Geist kann sich konzentrieren, ohne dabei zu verspannen. Für dieses „Mindset“ muss man aber aus seiner eigenen Komfortzone herauskommen – und zwar dergestalt, dass Pferd und Mensch gemeinsam als Team positive Erfahrungen sammeln. Das ist auch der Grund, warum ich meine Trainingstage sehr abwechslungsreich gestalte. Ich habe Tage, da trainiere ich innerhalb unserer Komfortzone, da brauchen wir quasi überhaupt keinen neuen Schritt  zu machen. Dann habe ich Tage, wo wir gemeinsam an unsere Grenzen gehen. Es gibt aber auch Tage, wo wir nur entspannen, und Tage wo wir einfach verspielt sind. Natürlich lassen sich diese Schwerpunkte auch kombinieren. Spiel und Bewegung ganz besonders, möglicherweise ist es sogar die beste Kombination, um Balance, Fokus und Entspannung auf einem höheren Energielevel zu erarbeiten.

Eine Balance zu finden zwischen ernstem Training, Spieß und Spaß ist sehr wichtig. Wir bringen einzelnen Trainingszielen eine Perspektive und zaubern Mensch und Pferd dabei quasi ein Lächeln – oder anders gesagt die Freude ins Gesicht. Durch diese Kombination können auch Hürden überwunden werden, die in neuem Licht betrachtet, vielleicht sogar weniger hoch erscheinen.

Ich baue gerne verspielte Elemente in meine Trainings und in meine Unterrichtsstunden ein. Wenn sich der Schüler vor lauter Konzentration und Ernst an der Sache verkrampft, dann können Unterrichtsmaterialien helfen, den Geist und Körper wieder zu entspannen und zu öffnen. Mit einer neuen Aufgabe lenke ich die Konzentration weg von der eigenen Körperwahrnehmung (sowohl bei Mensch, wie auch beim Pferd) auf eine komplett neue Herausforderung, die zunächst in erster Linie den Geist anspricht.

Diese Methode nutze ich auch sehr gerne für meine eigene Arbeit. Ich persönlich verharre gerne in der Komfortzone und wiederhole Dinge endlos, die eigentlich schon sehr gut funktionieren. Ich benutze Dualgassen, Pylonen oder andere Materialien, um einen neuen Fokus und ein neues Ziel zu entwickeln. Wenn ich mir selbst eine neue Aufgabe stelle, ist das der erste Schritt aus der Kompfortzone. Ich kann die gleiche Übung wiederholen und ausdehnen, bis wir uns erneut „langweilen“- so erklimmen wir quasi Level für Level und bleiben dabei beständig kreativ unter Nutzung sämtlicher Materialien.

Zuletzt war beispielsweise mein Ziel, meinen Appalosa Fitzer in einem entspannten Galopp auf der linken und der rechten Hand reiten zu können. Galopp war eigentlich nie sein Ding – überhaupt der Rechtsgalopp – der existierte praktisch nicht. Physisch war er zwar durch genügend Vorarbeit dazu in der Lage, aber mental war er total gestresst. Daher haben wir zunächst an der Entspannung gearbeitet. Der Trick dabei? Wir sind galoppiert und nach jedem Galopp haben wir Fitzer wieder Aufgaben gegeben, die er wirklich gut konnte, die also in seiner Komfortzone lagen.  So kamen wir immer wieder zur Entspannung zurück. Der nächste Schritt waren dann Übergänge bei gleich bleibender Entspannung, sowie das Energielevel zu senken oder zu erhöhen. Dieses Spiel hat uns auch geholfen, dass Fitzer seinen entspannten Fokus stets bei mir, seiner Reiterin behielt. Er wurde dabei sehr aufmerksam und schnell auf meine Hilfen, während er gleichzeitig mental ganz cool geblieben ist.

Als wir den Galopp wieder in die  eigentliche Arbeit aufgenommen haben, bin ich zunächst erneut in unserer Komfortzone stecken geblieben. Wir konnten einen netten vorwärts Galopp, ganz nette Übergänge, die Coolness haben wir ebenso behalten, kleinere und größere Zirkel im Galopp gingen auch mit ein wenig Versammlung und ein wenig Verstärkung. Der Gedanke nun an der Versammlung weiter zu arbeiten hat mich eher demotiviert und seinen Stress erneut erhöht. Also bin ich wieder zurück zu meinem Spiel mit Fokus-fördernden Materialien gegangen.

Die Übung war simpel. In meinem 40 X 20 Meter Viereck habe ich ein Rechteck von ca 25 X 12 Metern errichtet. Auf der Langen Seite meines Rechtecks habe ich Dualgassen in zwei parallelen Linien platziert, um einen geraden Tunnel zu bauen. Die gegenüberliegende Seite war quasi die „Wand“ meines Vierecks. Dann habe ich noch zusätzlich vier Ecken mit Pylonen abgesteckt. Es gab Ecken mit innen liegenden und außen liegenden Pylonen, die mir helfen sollten eine 90 Grad Kurve ordentlich zu visualisieren. Das Ziel war somit klar: ich wollte zuerst im Schritt, dann im Trab und endlich auch im Galopp in diesem kleinen Viereck reiten. Das bedeutete klare Wendungen in jeder Ecke, sowie gerade Linien am längeren Zügel zwischen den Dualgassen, sowie die Schultern ein wenig weg von der Wand zu führen – das waren meine Themen.

Das Ergebnis: Linksgalopp: Leichte Übung!

Rechtsgalopp: Wir haben einige Wendungen zu Beginn nicht geschafft, aber am Ende hatten wir ein gleich schönes Ergebnis wie auf der linken Hand.

Fitzer wurde durch die Aufgabe zu einem super entspannten und zufriedenem Pferd, das in der Arbeit mitgedacht hat und selsbtständig nach den Ausgängen zwischen den Dualgassen gesucht hat. Zwischen den Pylonen hat er sich fast wie von selbst geradegerichtet und versammelt in den Wendungen. Ich war konzentriert und verspielt zugleich, ich habe meinen Körper und das Pferd einfach mal machen lassen.

Wo uns Gassen, Pylonen und andere Materialien helfen

Übungsmaterialien geben uns einen Fokus. Sowohl Reiter als auch Pferd können sehen, wo es jetzt hingeht. Das Material hilft uns, dem Pferd einen Rahmen zu geben, so dass der Reiter weniger mit seinen Hilfen „tun“ muss und mehr im Körper entspannen kann. Neue Übungen, die für Pferd und Reiter noch neu sind, möglicherweise auch physisch schwer fallen, können so eine Erleichterung erfahren. Anstelle mit Hand und Bein zu verkrampfen, helfen die Materialien das Pferd einzurahmen. Wenn die Übung verstanden ist und das Pferd nun weiß, worum es geht und was es mit seinem Körper zu tun hat, können wir das Material weg nehmen und dem Reiter nun die alleinige Führung überlassen.

Durch Materialien können wir unseren Fortschritt in der Arbeit auch messbarer machen. Entweder bleibt man „auf der Spur“ zwischen Pylonen und Gassen, oder man tritt eben daneben. Auch Pferde verstehen diese Ergebnisse und werden bei Fehlern oft motiviert, den richtigen Weg durch die Gassen zu finden. Fehler sollten bei dieser Arbeit auch nicht allzu ernst genommen werden. Ich selbst sage laut „uups“, sollte mal ein Schritt außerhalb des gekennzeichneten Weges passieren. Wir versuchen es dann noch einmal, das Pferd bekommt nun die Möglichkeit und Zeit etwas herauszufinden, was wir eben von ihm erwarten. Ist die Aufgabe im Trab zu schwer, dann gehe ich in den Schritt und umgekehrt. Und jeder Erfolg wird vom Reiter sogleich mit Freude quittiert – das spürt auch das Pferd, denn ein so überwundener Parcours zaubert uns ganz natürliche Freude ins Gesicht.

Wir alle lieben ja Spaß und Spiel – und können dadurch auch Dinge ausprobieren, die wir bei allem Ernst vielleicht gar nicht angedacht hätten. Schon in der Formulierung ist die Differenz der Aufgabe zu spüren: Ohne „Spielzeug“ sprechen wir von einer Viertel-Galopppirouette – mit Spielzeug von einer 90 Grad Wendung im Galopp. Beim Wort Pirouette blockiert mein Geist sofort, ich zweifle an der Versammlungsfähigkeit meines Pferdes und versteife selbst. Ich möchte natürlich alles perfekt machen. Wenn ich aber einfach eine Wendung reite und das Pferd nicht mit sämtlichen Hilfen „Überflute“, dann bekomme ich sogar das Gefühl einer schönen Viertelpirouette im Galopp. Dieses Gefühl nehme ich dann in die Übung ohne unterstützende Materialien mit.

Fazit

Unterrichtsmaterialien nehmen uns den Fokus von vielleicht hemmenden Details weg. Sie bringen Spaß in die Arbeit und lenken auf einen gemeinsamen Fokus, den wir in einem höheren Level auch beibehalten wollen, wenn wir nach mehr Energie und Versammlungsfähigkeit fragen. Egal woran wir gerade arbeiten – das Gefühl, das wir mit Hilfe von Pylonen und co erreicht haben, können wir auch in die Aufgaben ohne Materialien mitnehmen. Wir haben dann auch mehr Vertrauen in uns, da wir die gleichen Aufgaben ja schon gemeinsam bewältigt haben- Dieses Vertrauen ist für Reiter und Pferd wirklich fantastisch.

Viel Spaß beim Spielen.

Ylvies Fros

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