Formgebung oder anders gesagt, Stellung und Biegung sind eine Notwendigkeit, wenn wir das Pferd auf einer für ihn unnatürlichen Linie wie einen Zirkel führen wollen. Bent Branderup sprach in einem seiner letzten Seminare in Deutschland über die Schulung von Bewegungskonzepten, Stellung, Biegung und die besagte Formgebung. 

Formgebung auf dem Zirkel 

Sobald wir das Pferd für das Reiten schulen, kommen wir als Ausbilder unweigerlich mit dem Zirkel in Berührung. Das Wenden, der Zirkel ist für das Pferd eine große Schwierigkeit. Wer glaubt auf der ganzen Bahn dem Zirkel zu entkommen, der irrt – denn jede Ecke der ganzen Bahn hat einen viertel Zirkel. 

„Manchmal wollen die Leute die Ecken stärker ausreiten, als man einen Zirkel reiten kann. Wenn man eine Ecke falsch durchreitet, dann fällt das Pferd auf die Schulter, deswegen geht der Zirkel die Fähigkeit geradeaus zu reiten voraus. Für das Pferd hat der Zirkel den Vorteil, dass die Biegung und Stellung dem Pferd leichter fällt. Für den Reiter, der das Pferd nicht auf dem Zirkel geschult hat, wird jede Ecke ein Problem. Das Pferd gerade zu reiten, vor allem an der Wand entlang ist schon ein Widerspruch, da das Pferd dahin gehen will, wo es hinschaut“

Bent Branderup
Sabine und ihre schwedische Kaltblut-Trabertute Embla bei der Formgebung auf dem Zirkel. Die Aufnahme stammt von einem Seminar mit Bent Branderup in Wien 2019; Fotocredit: Katharina Gerletz Fotografie

Formgebung überall auf der Welt 

Bent Branderup führt in seinem Vortrag genau aus, warum es keinen geraden Galopp gibt – es gibt immer einen Links- oder Rechtsgalopp. Wenn das Pferd geradeaus läuft, wird es eher den Schritt oder den Trab wählen, in der Natur wird die Galoppade eher für ein schnelles Wenden verwendet. Und dabei entführt Bent Branderup sein Auditorium auch immer wieder in exotische Gebiete, die uns die Reitkunst näher bringen: 

„Wir dürfen nicht vergessen, die Mustangs in der Nevada gehen jeden Tag fast 40 Kilometer. Kamele tragen in der Wüste das Futter mit, daher ist es dort in der Wüste kostbar überhaupt ein Pferd zu haben. Pferde, die im Zelt aufgewachsen sind haben gegenüber einem echten Mustang keine Chance.“ 

Bent Branderup

Nun sind wir aufgefordert mitzudenken. Wenn das Pferd im Linksgalopp ist, dann haben wir ein schiebendes äußeres Hinterbein und ein vorgreifendes inneres Hinterbein. Die Rotationsrichtung im Becken muss dann die rechte Schulter haben, dann würden wir einen sauberen Galopp sehen. Die rechte Schulter muss als Diagonale sauber durchschwingen. Das innere Vorderbein muss nicht im Galopp führen – das würde nämlich den Brustkorb außen runter drehen, das äußere Vorderbein fällt dann zurück im Takt des äußeren Hinterbeins. 

„Wir sehen viele fliegende Wechsel, wo die Leute glauben, dass es fliegende Galoppwechsel sind, da wechseln die Pferde mit dem gleichseitigen Hinterbein gleichzeitig – das hat aber nichts mit Galopp zu tun“. Bent Branderup

Bent Branderup
Ein Seminar mit Bent Branderup bedeutet garantiert eine Reise in die Welt der Reitkunst. Fotocredit: Katharina Gerletz Fotografie

Formgebung und Rumpfträger 

Wenn das Pferd links gestellt ist, dann verkürzt das Pferd die linke, innere Seite, die Rumpfträger der Innenseite erzeugen eine Spannung in der rechten Oberlinie. Diese Zusammenarbeit zwischen den Rumpfträgern muss auch immer erst erarbeitet werden und zwar still und ruhig zuerst im Schritt. Das Pferd bekommt keine anderen Muskeln von einer anderen Gangart. 

„Es ist ein Irrtum, dass das Pferd schlechte oder bessere Gangarten haben kann – entweder können die Muskeln, Sehnen und Faszien den Bewegungsapparat gut unterstützen oder sie können es nicht. Wenn man ein aberwitziges Strampeln als Gut ansieht, dann ist dies ein Irrglauben. Eine falsche Art des Tragens beeinflusst den Körper des Pferdes. Es zerstört den Schritt und den Galopp. So manch schönes Pferd hat auf dem Turnier für Beifall gesorgt, drei Jahre später ist es im Schritt im Pass unterwegs. Die Passbewegung im Trab sieht das Auge allerdings nicht so gut. Der Hinterfuß ist dann nicht mehr diagonal mit dem Vorderfuß unterwegs. Wir sehen dann den Vorderfuß, der diagonale Hinterfuß hat aber schon abgefusst, das ist dann eine so genannte Lateralisierung. Wir streben jedoch beim Reiten eine Diagonlalisierung an. So müsse die innere Hüfte und die äußere Schulter im Galopp zusammen arbeiten. Diese Diagonalisierung sehen wir auch im Schritt – das ist das gleiche Phänomen bei allen Wirbeltieren, auch bei den Fischen und das ist das Phänomen eines echten Rückengängers. Der Faktor Schwung ist die Grundlage für die Verständigung des Taktes. Ein Schenkelgänger hat irgend einen Takt, der Takt kann dann sogar rein sein. Der echte Rückengänger ist von der Evolution ausgegangen, der Takt geht vom Rücken aus und nicht von den Füßen.“

Bent Branderup

Die Formgebung unter dem Reiter

Bent Branderup führt nun wieder aus, was passiert, wenn wir als Reiter auf dem Pferd sitzen wollen. Alleine durch unsere Anwesenheit werden wir den Brustkorb nieder drücken. Daher ist es doppelt wichtig, das das Pferd über trainierte Rumpfträger verfügt, damit es trotz des Reitergewichts einen Aufwärtsschwung übersetzen kann. Wir wollen eine bestimmte Rotationsrichtung daher dominanter machen – und das nennen wir dann Biegung und Stellung. 

Der Hinterfuß, der nach vorne greift, macht mit dem Rücken einen Aufwärtsschwung. Ein Hinterfuß, der nach hinten greift, macht einen Abwärtssschwung. Und hier ist nun für den Reiter die Frage – welcher dieser beiden Hinterfüße ist der dominantere? 

„Wir haben eine dreidimensionale Tätigkeit, der Aufwärtssschwung muss gegenüber dem Abwärtssschwung dominieren. So viel wie ein Hinterfuß nach vorne greift, so weit darf der andere Hinterfuß nach hinten schieben, um einen neutralen Schwung zwischen auf- und abwärts zu haben. Dominiert der Rückschub ist der Abwärtsschwung dominant. Daher ist der Unterschied so wichtig, zwischen Vorwärts und Schnell. Schnell kann ein Pferd sein über die große Muskulatur, die den Rückschub möglich macht und das Gelenk eher öffnet, als schließt zur Beugung. Wir blicken aber zurück auf eine Zuchtgeschickte, wo wir große Gelenksöffner gezüchtet haben. Ein geborenes Reitpferd hat aber von Natur aus einen sauberen Vorgriff. Wie können wir also saubere Grundgangarten ausmachen? Dies erkennen wir auch daran, wie das Pferd bergab geht, ob es hier saubere Grundgangarten zeigt oder eher im Pass unterwegs ist. Es gibt genügend Pferderassen, die im Flachland leben, dort gibt es auch Terrainunterschiede – daher ist es wichtig, dass eine gewisse Hinterhandtätigkeit vorhanden ist“. 

Bent Branderup

Die Grundvoraussetzung für Balance und Harmonie ist daher für den Reiter die Auseinandersetzung mit dem Schwerpunkt. Das Pferd kann seinen Schwerpunkt verschieben. Das Problem ist allerdings, wenn der Hinterfuß die Dezeleration , also die Entschleunigung nicht sauber auffängt und mit macht, dann wird das Pferd alleine auf der Schulter abbremsen. 

Wenn wir uns die Bauart von Hinterhand und Vorhand genau anschauen, dann ist es logisch, dass diese Abfangen der Geschwindigkeit auf der Vorhand nicht nur für den Reiter unbequem ist sonder in erster Linie für das Pferd. 

„Ein weiterer Irrtum der Geschichte ist die Mär der Entlastung durch das Leichttraben. Die Kavallerie war in erster Linie dafür da, den Reiter gut zu transportieren. Im zweiten Weltkrieg war sehr viel Kavallerie in erster Linie transportierte Infanterie. Es gab die Pferde zum Transport – man hatte zwar auch Fahrräder, aber mit der Zeit gab es keinen Gummi mehr, somit hat man umgestellt auf das Pferd. Es gab zwar Offiziere, die sich sehr um die Ausbildung bemüht haben, aber die meisten Infanteristen konnten nicht besonders gut reiten. Der gewöhnliche Soldat konnte nicht besonders gut reiten, daher ist man auf das Leichttraben ausgewichen.“ Bent Branderup

Bent Branderup

Wie immer pendeln wir zwischen historische Reiterei und der Praxis. Nun referiert Bent Branderup über den Sitz, wie er sein sollte. Wir teilen den Einsatz des Sitzes also in verschiedene Bereiche. 

Gustav Steinbrecht sprach vom physischen Sitz, dabei muss das Pferd hohl werden um den inneren Gesäßknochen, so dass die innere Hüfte nach innen-runter kommt. 

„Der Reiter sollte den äußeren Sitzknochen anheben, anstelle mit dem inneren Sitz einen Druck auszuüben. Denn das führt wiederum zu Spannung. Wenn man mit dem äußeren Sitzknochen gut hoch kommen kann, dann brauchen wir kaum Einwirkung und Unterstützung durch die Sekundärhilfe Hand. 

So würde man das Pferd über den Sitz an die Hand heran formen. Stellung und Biegung gehen im Idealfall vom Sitz aus. Wir haben aber heute das Problem, dass früher ein Reitschüler auf ein besonders geschultes Pferd gesetzt wurde – so bekam er Erfahrung in seinem Sitz und man konnte sich begnügen die Sekundärhilfe später beizubringen. 

So gibt es im königlichen Stall in Kopenhagen den Kindersattel, der hatte Strippen nach vorne und hinten damit das Kind, das bei einem längeren Ritt eingeschlafen ist, nicht vom Pferd fällt. Das Wegenetz war damals nicht so toll ausgebaut, daher wurde man auf Pferden transportiert, da hat man schon das Schwungbild, ich würde schon sagen intravenös mitbekommen.“

Das Schwungbild wurde somit vom menschlichen Rücken adaptiert. Nur die Sekundärhilfen musste man dem Reiter später beibringen.  Heute ist es bei uns umgekehrt, wir lernen zuerst gewisse Sekundärhilfen und lernen diese später vom Sitz abzulösen. Wir versuchen also zu verstehen, was die Sekundärhilfe dem Pferd mitteilt, dann suchen wir im eigenen Körper, wo wir diese Mitteilung durch den Sitz geben könnten.“

Bent Branderup

Formgebung – oder ist die Reitkunst auf den Kopf gestellt? 

Ist somit der weg heute verkehrt? Ist die Reitkunst auf den Kopf gestellt? Weil wir keine richtigen Schulpferde mehr haben, ist das der Weg, den wir heute einfach gehen müssen, um Bewegung zu lernen. Nun macht Bent Branderup einen Ausflug in die menschliche Anatomie. Wir haben ja zwei Sitzknochen, das Becken hat vorne zwei Kurven, die sich treffen – das ist das Schambein. WIr haben also einen aus einem Dreieck bestehenden Sitz. Beim weiblichen Becken finden wir aber eher ein U, beim männlichen sieht die Sache eher wie ein V aus. 

Im Unterricht mit den Reitern hat Bent Branderup häufig die Anweisung gegeben, den inneren Sitzknochen etwas enger an die Wirbelreihe zu. nehmen. Der innere Hinterfuß sollte bei dieser Bewegung auch mitkommen – daher reiten wir ein Schulterherein um eine Übereinstimmung zwischen dem inneren Hinterfuß und dem Sitzknochen des Reiters zu bekommen. Dann sollten sich im Idealfall Sitzposition und Auffußpunkt überlappen. 

Sabine und ihre schwedische Kaltblut-Traber-Stute Embla üben sich in der Formgebung im fortgeschrittenen Longieren. Aufnahme von Katharina Gerletz beim Kurs mit Bent Branderup in Wien 2019

Als homo sapiens, führt Branderup aus, sind wir noch nicht lange auf diesem Planet. Die Konstruktion zwischen Becken und Oberschenkel verrät eigentlich, dass wir eher gebückt laufen müssten – laufen wir also auf einer unfertigen Konstruktion? Pferde in der heutigen Form gibt es schon viel länger als uns Menschen, hat die Evolution bei uns Menschen in etwa nicht zu Ende gedacht? Wir müssen uns also immer wieder fragen – wie ist das Hüftgelenk bei dem jeweiligen Reiter? In welcher Winkelzug geht der Oberschenkelhals aus der Hüfte? Geht er mehr nach oben oder nach außen? Ist der Oberschenkelhals nicht so lange, dann wird der Reiter auf dem Pferd die Knie etwas mehr nach außen spreizen und je nachdem wie breit der Brustkorb des Pferdes ist, lässt sich auch die Frage beantworten, wie lange der Mensch bequem auf dem Pferd sitzen kann. Ist das Knie also eher nach außen gedreht oder kommen die Zehen des Reiters mehr nach innen? 

Der hintere Oberschenkel soll flach und entspannt am Brustkorb des Pferdes anliegen. 

Diese „Defizite“ im Sitz versuchen wir durch einen Sattel auszugleichen. 

Formgebung und Sattel 

Der Sattel muss freilich dem Pferd passen, das wäre aber nur die Hälfte der Geschichte, denn der Sattel muss auch dem Menschen passen. Die meisten Sättel kommen fertig aus der Fabrikation. Pferde und Menschen jedoch nicht. Viele Reiter haben heute den Wunsch ein großes Pferd zu reiten. Dies kann aber zu einer Inkompatibilität hinsichtlich des Sitzes führen. Ein Richtwert ist daher, ein Pferd zu wählen, das 20 cm im Stockmaß kleiner ist, als man selbst. Wenn das Pferd einen großen Brustkorb hat, dann kann es sogar noch kleiner ist. Wenn das Pferd im Brustkorb schmal und elegant ist, dann kann es sogar noch größer sein. Das ist aber nur eine goldene Regel, laut Branderup. Man vergesse nie, die individuellen Begebenheiten zu berücksichtigen. 

Der Reiter muss sich also fragen: „Welcher Brustkorb passt tatsächlich gut zu meinem hintern“. 

„Ich will meine Schüler zwingen, sich selbst Gedanken zu machen, wie der eigene Hintern aussieht. Wie sitze ich also gut auf dem Pferd. Schließlich müssen wir ein weiteres Problem bedenken – nicht nur der Abstand der Gesäßknochen ist für den Reiter interessant sondern auch das Verhältnis zwischen Schambein und Körper. Das Schambein kann eine Richtung vorgeben, so dass der Brustkorb des Pferdes dieser Richtung folgt. Wir müssen dabei aber aufpassen, nicht zu viel Druck vom Oberschenkel ausgehend zu machen – dann würden wir mit dem Druck des Oberschenkels den gesamten Sitz wieder in eine andere Richtung verschieben. Dann haben wir ein Steißbein, das haben wir leicht innerhalb der Wirbelreihe des Pferdes“. 

Bent Branderup

Stellen wir uns also vor, wir hätten kein Steißbein sondern einen Schweif – im Englischen ist der Begriff „Tailbone“ ungemein passender für den Reiter und das innere Bild gewählt – dann stellen wir uns also vor, dass unser Schweif auf der inneren Seite der Wirbelsäule des Pferdes herunter hängt, wenn wir auf dem Pferd sitzen. 

Rutschen wir mit dem Steißbein näher an das Pferd, dann zeigt das Schambein nach außen – all diese Kleinigkeiten beeinflussen die Formgebung des Pferdes enorm. 

Formgebung und Sitz

Bent Branderup gibt uns den Tipp aufzupassen, dass wir mit dem äußeren Oberschenkel dem inneren Unterschenkel beim Reiten quasi nicht Hilfengebung konterkarieren. Im Kruppeherein können wir daher den inneren Absatz vom Pferd weg drehen – das reicht meistens sogar, um die Hinterhand des Pferdes in die Travers-Schwungrichtung zu führen. Eine schwierige Aufgabe hat der äußere Oberschenkel. Wenn man eine Rotation nach außen hin eindämmen möchte, dann kann es leicht passieren, dass man den Brustkorb außen durch den Oberschenkel nieder drückt. 

Auch in den Praxiseinheiten hält Branderup die Reiter an, so vorwärts zu reiten, dass man daraus leicht versammeln kann und umgekehrt so zu versammeln, dass man daraus vorwärts reiten kann. Wer so vorwärts reitet, dass er daraus nicht mehr versammeln kann – der hat ein Problem. 

Theorie und Praxis divergieren in der Realität nicht immer. Der Weg ist also das Ziel und darf uns auch Freude bereiten – auch wenn noch nicht alles perfekt klappt. 

Das macht Mut, denn es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen. 

Ja, immer dann, wenn man bereits dachte, Reitkunst halbwegs verstanden zu haben, kommen neue Definitionen, intensivere Bilder und wir erweitern unsere Reise zur Reitkunst um kleine Details. Der Weg ist wie gesagt das Ziel. Wir freuen uns auch im kommenden Jahr auf weitere Details, die wir bei den Seminaren mit Bent Branderup entdecken. 

Wir hoffen natürlich, dass die nächsten Seminare mit Bent in Österreich 2021 stattfinden können. Am 17. und 18. April  2021 wird Bent Branderup im „Equimotion“ bei Sandberg über Grundgangarten referieren, am 3. und 4. Juli 2021 stehen dann die Schulgangarten am „Horse Resort am Sonnenhof“ in Hart bei Graz am Programm.

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