„Das könnte jetzt eine ganz blöde Frage sein – aber ich trau mich mal“….beim Kurs mit Annika Keller vor zwei Wochen gab es viele Fragen rund ums Biegen, Gymnastizieren, Geraderichten und vorwärts Reiten. Im Dialog mit Annika fanden wir schnell heraus: es gibt keine blöden Fragen.
Manchmal scheint es mir, als ob sich Reiter oder Pferdebesitzer schon gar nicht mehr trauen, Fragen zu formulieren. Schließlich reitet man x Jahre und sollte es ja wissen. Auf der anderen Seite heißt es so schön: Reiten und der Umgang mit Pferden bringt uns auch menschlich weiter. Dafür müssen wir aber auch immer Lernende sein dürfen. In einer herzlichen Atmosphäre wurde daher jede Frage von Annika ausführlich beantwortet – und wie heißt es so schön – ein Leben reicht nicht aus um Reiten zu lernen – aber vielleicht kommen wir ganz gut hin, wenn wir uns trauen viele Fragen zu stellen, in einer wertfreien und wertschätzenden Atmosphäre.
Die wichtigsten Fragen an Annika habe ich heute – tatkräftig unterstützt von Simone Garnreiter noch mal für alle in diesem Blogeintrag zusammengefasst:
Vorwärts ja, aber wenn man nicht zum Treiben kommt?
Annika referierte beispielsweise über „vorwärts Reiten“. Dabei kam die Frage auf: Was tun, mit Pferden, die immer zu schnell unterwegs sind und der Reiter dadurch gar nicht zum Treiben kommt?
Pferde, die immer zu schnell sind und vor den treibenden Hilfen förmlich weglaufen sind laut Annika am Schwierigsten auszubilden. Das Problem kann man sich quasi in Zeitlupe genau ansehen – die Pferde machen hektische kurze Tritte, der Reiter hätte aber eigentlich ja lieber große Schritte. Das ist die Ursache für das „nicht zum Treiben kommen“, da das Pferd auf treibende Hilfen mit „Gas geben“ anstelle einer ruhigen Dehnung der Oberlinie reagiert. Auf diese Weise würde auch die Gesamtbewegungsamplitude aus der faszialen Sicht nicht ausgenutzt.
Faszien sind eine bindegewebsartige Struktur, die den ganzen Körper umfassen und somit jeden Muskel, jedes Organ, Sehnen und Bänder an „ihrem Platz“ halten aber auch für die Gleitfähigkeit untereinander sorgen.
Annika riet dazu bei „hektischen Pferden“ das Tempo zu reduzieren, um dann viel großen Schritt zu reiten oder in der Bodenarbeit zu erarbeiten. Zunächst wird die Qualität des Vorgriffs nicht unmittelbar verbessert werden – was bei den kurzen, hektischen Tritten aber auch nicht der Fall ist. Unter dem Reiter oder in der Bodenarbeit streben wir also zunächst ein mittleres Tempo an, wobei das Pferd nun zunehmend zur Dehnungshaltung eingeladen wird, ohne erneut schneller zu werden.
Das Lernziel für das Pferd ist wie folgt formuliert: Es soll lernen, sich selbst mit einem vorgreifenden Hinterbein aufzufangen, um längere Schritte zu machen, ohne vorwärts zu fallen. Das Ziel ist die Erarbeitung einer Dehnungsbereitschaft.
In der Akademischen Reitkunst gibt es einen großen Werkzeugkoffer, der dem Pferd hilft das Gleichgewicht zu finden, allerdings darf uns bei dieser Arbeit die „Eigenverantwortung des Pferdes“ nicht verloren gehen. Ein Pferd, das also quasi permanent nur durch Einrahmung durch Hilfen in Balance bleibt, ist nicht reell in Balance. Unser „Trippelpferd“ wird in vielen Etappen und einer längeren Ausbildungsperiode das Vorgreifen der Hinterbeine erlernen, um in einen guten Zustand von Balance zu kommen.
Gemütlich und faul?
Analog dazu gibt es natürlich auch die Problemzone der gemütlicheren, oder „faulen“ Pferde?
Auch bei diesen Pferden legte Annika für die Ausbildung die Schulung des Gleichgewichts ans Herz. Natürlich muss auch das gemütlichere Pferd ein fleißiges Grundtempo erarbeiten. Es gibt dabei aber immer ein momentanes ideales Tempo – das mittlere Tempo, in dem der Vorgriff der Gliedmaßen nicht kürzer ist als der Rückschub. Das Tempo wird sich allerdings mit zunehmender Balance und Geschmeidigkeit auch ändern können. Genau wie das eilige Pferd sollte das zu erarbeitende Ziel mit einer Dehnungshaltung, in der ein korrektes Durchschwingen der Hinterbeine möglich ist formuliert werden.
Die Sache mit dem Sitz
Es gib Grundregeln wie: Kopf parallel zu Kopf, Schultern parallel zu Schultern, Hüfte parallel zu Hüfte…aber lernen wir durch diese Regeln tatsächlich korrekt zu sitzen?
Zunächst ging Annika auf die Wünsche der Reiter ein: Salopp gesagt heißt das: Wer das Sitzgefühl eines Spaniers möchte, darf sich nicht wundern, wenn es sich am Warmblüter anders anfühlt.
Wir können durch einen funktionalen Sitz natürlich das Pferd unterstützen – oder andernfalls behindern. In jedem Fall werden wir Menschen vom Pferd bewegt. Im Idealfall – und da waren wir schon wieder bei Steinbrecht sollte der Mensch den Sitz auf einem ausgebildeten Pferd spüren lernen.
Dabei gilt es aber auch pferdegerechte Grundsätze zu beachten: Das Pferd ist kein Gymnastikball und sollte auch nicht in diesem Sinne „benutzt“ werden. Da schon Steinbrecht den Mangel an gut geschulten Schulpferden zur Ausbildung der Reiter kritisierte bleibt uns auch heute die Möglichkeit Bewegungskompetenz erstmal ohne das Pferd zu erarbeiten. Das heißt: Der Reiter kann seine Geschmeidigkeit und Balance außerhalb des Sattels schulen. Da gibt es viele Möglichkeiten wie Feldenkrais, Yoga, Pilates, auch Joggen oder gezieltes Beckenbodentraining, um den Sitz für das Reiten zu schulen.
Unser Hauptmanko bleibt heute aber: Wir müssen durch den (meist ungeschulten) Reiter das Pferd ausbilden und durch das (ungeschulte) Pferd den Reiter. Lektionen lernen ist eine schwierige Sache, wenn der Reiter eigentlich noch nicht weiß, wie wie sich der Sitz korrekt beispielsweise im Schulterherein anfühlen soll.
Das geht am besten mit einem guten Trainer, der im richtigen Moment vermitteln muss. Beim Erarbeiten des Schulterhereins lernen wir also nur in Sekundenbruchteilen, wenn Reiter und Pferd sich dem korrekten Ergebnis nähern. Es heißt also nicht umsonst: Wir müssen fühlen lernen!
Trageerschöpfung
Von Fragen rund um den korrekten Sitz ging es gleich weiter zur Trageerschöpfung:
Das Wort Trageerschöpfung ist ein Begriff der Moderne, die Symptomatik des trageerschöpften Pferdes gibt es aber schon immer – so Annika Keller.
Die Trageerschöpfung ist eine Art Kettenreaktion, d.h. man kann nicht sagen welcher der betroffenen Bereiche im Pferdekörper die Ursache gewesen ist.
Die sichtbar betroffenen Körperteile der Trageerschöpfung sind der Hals-, Schulter-Brustbereich, das Genick und der lumbosakrale Übergang bzw. der Übergang vom letzten Lendenwirbel zum Sakrum.
Wie die Trageerschöpfung entsteht hat mehrere Faktoren:
Das Pferd ist nicht in Balance und trägt sich nicht selbst. Wie soll es dann den Reiter korrekt tragen, der nahe der Vorhand sitzt und den Brustkorb zwischen den Schultern nun noch vermehrt nach unten drückt. Möglicherweise ist in dieser Variante auch noch ein unpassender Sattel beteiligt, der den Reiter stark nach vorne setzt. Die Schwerkraft sorgt dafür, dass der Brustkorb runterfedert und der Schulterbereich der nur muskulär aufgehängt ist nun als Stoßdämpfer wirken muss. Dieser wird aber bei jedem Schritt noch mehr gestaucht, wenn die Hinterhand „ihren Job“, als das Tragen nicht übernimmt.
Druck auf den Brustkorb bedeutet unweigerlich auch Druck auf das Brustbein und weiter in der Kette auf das Zungenbein. Dieses ist mit dem Unterkiefer verbunden. Man kann ein Pferd nicht in Einzelscheiben betrachten, denn ist ein Bereich betroffen, dann leidet ein verbundener Bereich natürlich mit. Blockaden können sich also quasi wie eine Kettenreaktion auf mehrere Bereiche im Pferdekörper auswirken.
Wege aus der Trageerschöpfung führen immer über das vermehrte Vorschwingen der Hinterbeine. Wenn das Hinterbein weit nach vorne schwingt, stützt es den Rumpf oder die Hängebrückenkonstruktion auf positive Art und Weise.
So kann das Pferd lernen mit der Arbeit der Hinterhand den Brustkorb anzuheben und korrekt über den Rücken zu gehen.
Koppen kann die oben genannten Problemzonen ebenso in Mitleidenschaft ziehen. Dabei unterscheidet man zwischen Luft- oder Aufsetzkoppern. Das Koppen verspannt den Genick-Hals-Brust-Widerrist-Bereich und somit natürlich auch den Rücken.
Es ist unbedingt Physiotherapeutische Unterstützung nötig, um die Verspannungen einigermaßen im Griff zu bekommen. Für den Reiter ist es immer wichtig zu wissen: Eine negativ genutzte Muskulatur ist nur sehr schwer zu trainieren – hier braucht es eben auch professionelle Unterstützung, um vor dem Training Verspannungen zu lösen. Eine Verbesserung der Bewegungsqualität wieder zur korrekten Tätigkeit der Muskulatur gebracht werden können.
Es gab noch viele weitere Fragen an Annika…aber zum Glück wird es auch eine Fortsetzung geben. Und da werden wir auch garantiert wieder nachfragen! Denn durchs Fragen, reiten wir Einfach 🙂
PS: Wer den Kursbericht von Annika verpasst hat findet die Zusammenfassung hier.
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