Positive oder negative Verstärkung war für François Robichon de la Guérinière (1688-1751) und Antoine de Pluvinel (1555-1620) kein Thema – und das obwohl ihr Konzept einer positiven Pädagogik für die zwei- und vierbeinigen Schüler nicht nur in Frankreich Schule machte!

Wie hätten sich die zwei großen Pädagogen wohl zum Thema Motivation in einem Interview ausgetauscht? Für Ausgabe Nr. 22 der Feinem Hilfen habe ich die Herren fiktiv befragt.

Feine Hilfen: Meine Herren, warum ist es so schwer, ein Pferd für die gemeinsame Arbeit zu motivieren?

Guérinière: Widersetzlichkeit und Ungelehrigkeit, die besonders bei jungen Pferden häufig zu beobachten ist, rührt noch von dem Gefühl der Freiheit her, mit dem sie auf der Weide  herumgelaufen und ihren Müttern zu folgen gewohnt waren. Ungern unterwerfen sie sich zu Beginn der Ausbildung dem Willen des Menschen, der die Herrschaft über sie zu haben glaubt und diese zu weit ausnützt und ausdehnt. Auch gibt es kein Tier, das sich so lebhaft an die erste zu Unrecht erhaltene Strafe erinnert wie das Pferd.

Pluvinel: Strafe mit Maß und Ziel; ich würde behaupten, dass man Pferde überhaupt nicht schlagen darf, weder zu Beginn noch während der Ausbildung, ja sogar bis zum Schluss, wenn es sich vermeiden lässt. Es ist vielmehr nötig, Pferde mit Güte auszubilden und nicht mit Gewalt, wenn es dazu einen Weg gibt. Denn ein Pferd, das seine Lektionen gern ausführt, strahlt viel größere Anmut aus, als eines, das mit Gewalt dazu gezwungen wird. Außerdem kommt es durch Anwendung von Gewalt sehr häufig zu Unfällen bei Mensch und Pferd.

Guérinière: Früher hatte man für den ersten Umgang mit Jungpferden,  spezielle Fachleute. Sie zeichneten sich durch besondere Geduld, Geschicklichkeit, Unerschrockenheit und Fleiß aus. Niemals wendeten sie dabei Strenge und Gewalt an, bevor sie nicht das letzte milde Mittel versucht hatten, das sie sich ausdenken konnten. Durch diese wohlüberlegte Geduld erreichten sie bei den jungen Pferden Vertrauen und Freundschaft zum Menschen, erhielten ihren Arbeitseifer und ihr Selbstvertrauen, machten sie gelassen und von Anfang an gehorsam.

Feine Hilfen: Was ist denn der erste Schritt, um ein Pferd zu motivieren?

Pluvinel: Der Reiter muss zuerst einmal wissen, wer da vor ihm steht. Manche Reiter nehmen keine Rücksicht darauf, wie die Pferde veranlagt sind, ob ihnen Stärke, Geschicklichkeit oder guter Charakter fehlen. Sie werden trotzdem zum Reiten ausgebildet.

Wenn sich ein Pferd weigert zu gehorchen, wird der kluge Ausbilder überlegen, was es davon abhält. Und das kann eben auch eine mangelnde Fähigkeit sein, die vielleicht niemals erkannt werden wird.

Guérinière: Die Ursache der Mehrzahl aller Widersetzlichkeiten bei Pferden ist aber nicht auf schlechte Veranlagung zurückzuführen. Weit häufiger verlangt man Dinge von ihnen, die sie noch nicht leisten können.

Feine Hilfen: Und wenn wir nun ein begabtes Pferd vor uns haben, das prinzipiell „kann“?

Pluvinel: Ich halte es für sehr gut, mit dem Pferd als Erstes Dinge zu üben, die ihm schwer fallen und so eine Vorgehensweise zu finden, bei der es mehr seinen Geist anstrengen muss als seinen Körper. Dabei muss man Acht geben, ihm nicht den Arbeitseifer zu nehmen und seine Gutwilligkeit zu ersticken, denn die Anmut eines jungen Pferdes ist wie der Duft einer Blüte, der – einmal verflogen – nie wiederkehrt. Verloren gegangene Gutwilligkeit kann bei Pferden mit leichtem Körperbau und viel Temperament nur mit großen Schwierigkeiten zurück gewonnen werden. Es ist die unausbleibliche Folge einer unüberlegten Vorgehensweise, dass das freundliche Wesen des Pferdes verloren geht oder es in unverbesserliche Untugenden verfällt.

Guérinière: Von den fünf Sinnen, mit denen alle Tiere genauso wie der Mensch von der Natur ausgestattet worden ist, gibt es drei, mit denen man bei der Ausbildung eines Pferdes arbeitet. Der Gesichtssinn, das Gehör und das Gefühl. Man motiviert und lobt das Pferd, wenn es in der Schulung des Gesichtssinns sich erschreckenden Gegenständen mutig nähert. Kein Tier ist so empfindlich, wie das Pferd. Fahren wir weiter behutsam mit viel Lob für jeden richtigen Schritt fort, können wir auch den Gehörsinn abrichten, indem man es an laute Geräusche gewöhnt. Aber auch auf den Zungenschlag lässt sich das Gehör und somit die Motivation hin richten. Den sanften Ton der Stimme, die ein Reiter zur Liebkosung anwendet, oder auf einen raueren Ton, dessen er sich als Strafe bedient – auch diese Geräusche lernt das Pferd als wichtige Hilfe kennen. Und natürlich spricht der Reiter somit auch das Gefühl des Pferdes an, bestätigt es durch Schmeicheln, korrigiert es durch Tadel. Wichtig ist jedoch, dem vierbeinigen Schüler stets ein gutes Gefühl im gemeinsamen Arbeiten zu geben.

Feine Hilfen: Und diese Hilfen werden durch viel Lob gelehrt?

Pluvinel: Richtig, man muss das Pferd jedes Mal loben, wenn es gehorcht, oder wenn der Ausbilder sieht, dass es ansatzweise eine Lektion oder Übung auszuführen versucht.

Die Pferde können uns nur dadurch verstehen und gehorchen lernen, dass wir sie sofort belohnen, wenn sie tun oder zu tun versuchen, was wir verlangen – durch Loben mit der Hand, der Stimme, oder indem wir ihnen Leckereien wie Gras, Brot, Zucker und dergleichen geben. Aber auch wenn sie etwas falsch machen, muss die Zurechtweisung sofort erfolgen, entweder mit der Stimme, der Gerte, den Sporen oder der Peitsche, mit einem oder höchstens zwei Schlägen – wenn möglich soll man geizig mit Strafen und verschwenderisch mit Lob sein, um zu erreichen, wie ich schon erwähnt habe und immer wieder betone, dass Pferde mehr aus Freude statt unter Zwang mitzuarbeiten lernen.

Gibt der Reiter Hilfen und ist die Reaktion des Pferdes zufriedenstellend, so sollte er es in den Stall zurück führen, um es besonders zu belohnen, auch wenn es nicht mehr als eine halbe Volte beispielsweise gemacht hat. Ich möchte unsere Leser darauf aufmerksam machen, dass es niemals die Quantität sein sollte, die einen wahren Reiter begeistert, sondern die freudige Mitarbeit des Pferdes. Die Anzahl und Dauer von Lektionen nämlich dient nur dazu, dem Pferd ein Ausdauertraining zu verschaffen und man darf sie nicht einsetzen, so lange das Pferd noch nicht willig gehorcht, aberauch nur dann allmählich und mit Vorsicht, um das Pferd nicht zu überfordern.