Freiheit auf Ehrenwort. Wie oft geben wir denn unseren Pferden tatsächlich ein Ehrenwort und wie oft erlauben wir uns selbst frei zu sein?
Worin sind sich die Alten Meister vergangener Tage einig: Das Aussetzen der Hilfen überprüft, ob das Pferd tatsächlich mit dem Reiter verbunden bleibt, ob es „am Sitz“ bleibt und in einer selbstständigen Form weiter arbeitet.
Soweit so gut.
Freiheit auf Ehrenwort – schaffe ich das überhaupt mental?
Eine „Berufskrankheit“ vieler Reiter, die sich feinfühlig mit Reitweisen beschäftigen, die sehr viele Details inkludieren ist häufig, eben all diese Details permanent zu scannen und niemals los zu lassen.
Als ich zu die Akademische Reitkunst entdeckte war ich erst mal geplättet von so vielen Details und Feinheiten. Und die meisten Feinheiten habe ich noch nicht mal gesehen.
Das änderte sich auch nicht nach einigen Jahren. 😉
Einerseits ist es ja so – je mehr man weiß, umso eher weiß man, dass man nichts weiß.
Und andererseits kann viel Fachgesimple auch den Druck auf die Lernenden erhöhen – dabei hört das Lernen freilich niemals auf – es sei denn man lässt sich entmutigen:
Bei einem Praxisvortrag echauffierte sich mein Sitznachbar über den Redner. Ich fand den Vortrag eigentlich sehr gut und spannend, freilich konnten nicht alle Aspekte beleuchtet werden. Mein Nachbar zählte jedenfalls auf, was nicht alles übersehen wurde. Ich ging sowohl was mein eigenes Können und Wissen betrifft missmutig aus dem Vortrag; auch die Kompetenz des Redners wurde stark in Frage gestellt.
Wahre Geschichte
Worauf ziele ich mit dieser Geschichte ab? Wenn wir bei unserem Pferd die Hilfen aussetzen wollen, dann lautet die Frage freilich – ob wir das überhaupt für uns selbst schaffen?
Können wir uns beim Lernen und Beobachten von Vorurteilen, Meinungen und Erfahrungen befreien und auch hier einfach mal offen auf Neues zugehen?
Freiheit auf Ehrenwort – Ist das Glas halb leer oder halb voll?
Können wir überhaupt die Kontrolle abgeben? Wenn wir mit Pferden zu tun haben, wenn wir sie trainieren und ausbilden, dann sehen wir in der Regel eher die Defizite, als die guten Dinge.
Wir könnten das perfekte Pferd bei uns haben, aber wir finden zahlreiche Gründe, warum wir an der Perfektion zweifeln. Da ist die Schiefe, die das Pferd plagt, dann ist das Pferd wiederum überbeweglich und dann ist es schwierig und verschlossen.
Das mag auch alles stimmen. Allerdings hilft uns der permanente Blick auf das Defizit nicht weiter. Wenn wir die Stärken deutlicher in den Vordergrund rücken, als die Schwächen, dann wissen wir auch, wie wir unseren roten Faden in der Ausbildung gestalten könnten.
Freiheit auf Ehrenwort – Die Kontrolle aufgeben?
Wenn wir auf dem Pferd sitzen oder es am Boden beobachten, dann scannen wir freilich den gesamten Körper und wir beobachten auch freilich, wie sich das Pferd fühlt, wie es uns emotional erscheint. Und dann beginnen wir sofort zu bewerten und meistens auch schon zu korrigieren – auch wenn das manchmal gar nicht notwendig wäre.
Pferde sind einfach Pferde. Der Mensch wird zum Reiter. Der Reiter, der in den Stall kommt, bringt aber auch den Menschen mit, der sich von der Arbeit in den Stall hetzte, der vielleicht einen Bratpfannen Tag hat (So nenne ich die Tage, wo ich aufwache und das Gefühl habe, hinter mir steht ein schelmischer Geist, der mir gleich mal mit der Bratpfanne eins überzieht. Der gesamte Tag ist dann nicht sonderlich produktiv). Abgesehen von körperlichen Verspannungen, einer innerlichen Unruhe, da wir den Termindruck von der Arbeit häufig nicht an der Bürotüre zurück lassen, nehmen wir ja auch noch unsere eigenen Erwartungen an das Pferd in den Stall mit.
Pferde sind. Deswegen mögen wir auch so gerne mit ihnen zusammen sein. Wir können uns von ihnen ins hier und jetzt holen. Pferde bewerten auch nicht. Sie können wohl beschließen, an diesem einen Tag nicht mit uns zusammen sein zu wollen, weil wir eine innere Hektik ausstrahlen.
In unserem Alltag und unserer Kindheit gibt es so viele Bewertungen. Sind wir nicht brav, dann kann das schon mal Entzug an Zuneigung bedeuten. Deswegen können wir auch so schlecht damit umgehen, wenn sich unser Pferd von uns entzieht.
Eine bessere Beziehung – entsteht die durch Kontrolle? Vermutlich nicht.
Natürlich gibt es Regeln im Stall und auch für das Pferd. Diese sollen jedoch nicht in diesem Artikel behandelt werden.
Wenn wir also mit dem Pferd etwas unternehmen, wenn wir reiten, dann könnten wir doch immer häufiger den Versuch machen, unsere innere Kommandozentrale abzugeben. Wir spüren zunächst mal in unseren Körper nehmen eigene Verspannungen und Schiefen war. Bevor wir gymnastisch auf dem Pferd eingreifen gibt es ja noch andere Möglichkeiten:
- eigene Verspannungen weg atmen
- Sich mal einfach bewegen zu lassen und zuzusehen, was sich ändert?
- Observieren, wohin man eigentlich atmet und testen, ob das Pferd unsere Atmung spiegelt?
- Sich Zeit lassen. Müssen wir schon in drei Runden wissen, was heute Sache ist?
- Keine Hilfen verwenden
Wie? Keine Hilfen verwenden? Aber das Pferd ist ja noch nicht an den Hilfen! Um Himmels willen, wie sollen wir jetzt reiten.
Keine Sorge, wir haben ja fleissig gebüffelt und haben einen gut gefüllten Werkzeugkoffer bei uns. Wir haben indirekte und direkte Zügelhilfen, da wären sechs verschiedene Schenkelhilfen und Hurra, es gibt natürlich auch noch den Sitz, dem Stimme oder Gerte ebenso sekundieren können.
Von einer neutralen Position können wir nun wirklich mit Bedacht überlegen, welche Hilfe wir benötigen und welche wir hinzufügen.
Nein, die Welt wird nicht untergehen, wenn wir uns dafür wirklich Zeit nehmen und mit uns selbst ein kleines Spiel spielen. Der Schabernack, der da lautet: Verwende lediglich eine Sekundarhilfe – bei zweien bist du raus.
Freiheit auf Ehrenwort – aber die Hinterbeine
Wir wissen über so viele Dinge Bescheid. Wie die Pferdefüße in den Boden fußen. Wie die Wirbelsäule sich bewegen soll. Wie der Widerrist angehoben werden soll. Wie sich die Halswirbelsäule formen soll. Wie die Vorderbeine aus dem Brustkorb schwingen dürfen. Ach ja, Stichwort Schwung: Wir wissen auch dass wir wirklichen Schwung und keine Schwebe haben wollen. Wir hätten den Schwung bitte gern dreidimensional und der Brustkorb, der darf freilich auch nicht absacken. Die Gelenke der Hinterhand dürfen nicht drehen, die Zehenspitzen sollen nicht in den Hallenboden gerammt werden. Wehe, wenn Sand spritzt.
Vielleicht verursacht das Lesen dieser Zeilen Schnappatmung und Schweißausbrüche.
Ich freue mich so, dass wir so viele Möglichkeiten entwickelt haben, wie wir Pferde gesund bewegen. Es ist wunderschön, wenn wir Mensch und Tier als Einheit wahrnehmen können und beide gleichermaßen Freude am gemeinsamen Tun haben.
Aber es macht doch keinen Spaß, wenn der Reiter – im besten Gewissen Magengeschwüre bekommt, weil er jeden Schritt des Pferdes kontrollieren muss. Weil der Reiter Angst hat, eine falsche Bewegung würde das Pferd nachhaltig schädigen.
Ich will damit bei Weitem nicht sagen, dass es beim Reiten um den Spaß alleine geht, dass der Mensch auf seine Kosten kommen soll. Ich möchte nur gerne darauf aufmerksam machen, dass wir in Gefahr laufen uns manchmal zu echten Glucken zu entwickeln.
Wenn wir jeden Schritt überwachen, wenn wir alles genau analysieren wollen, wenn wir unser Hirn niemals abschalten und das Gefühl in die Ecke stellen.
Wenn zwei miteinander sind und einer überwacht ständig den Körper und die Bewegungen des anderen?
Wie mag sich das wohl für den Kontrollierten anfühlen?
Freiheit auf Ehrenwort – wie oft gibst du die Kontrolle ab?
Hand aufs Herz? Wie oft gibt man die Kontrolle beim Reiten ab? Wie oft sind die Zügel wirklich lang, kein Hinterbein wird observiert, man lässt sich miteinander treiben. Wie oft wird das Pferd tatsächlich auch in die Selbstständigkeit entlassen. Wie oft werden Vorschläge vom Pferd angenommen und wie oft prüfen wir durch Aussetzen der Hilfen oder bewusstes Verwenden von sehr wenigen Hilfen, wie gut wir hier im Einklang unterwegs sind?
Wie oft machen wir mal nix?
Wenn wir unsere Hilfen aussetzen, dann ist dies nicht nur eine technische Überprüfung, ob das Pferd „an den Hilfen“ bleibt und selbstständig weiter macht. Wenn wir diese Situation auf die Arbeitswelt übertragen und uns zwei Chefs vorstellen – einer der immer Drama macht, jede Regung von uns kritisiert und rum motzt und niemals die Zügel locker lässt – und der andere, der uns viel Platz gibt, Vorschläge in aller Ruhe annimmt, keinen laissez faire Führungsstil hat, jedoch sehr viel Selbstständigkeit gibt. Wo würden wir wohl lieber „arbeiten“.
Wir sagen auch so oft, dass wir mit unseren Pferden „arbeiten“. Wie oft machen wir mal nix. Wie oft schauen wir ihnen nur zu.
Heute, wo ich diesen Blogartikel schreibe, habe ich wieder mal nix gemacht. Ich habe die Pferde auf die Weide gelassen und ihnen beim Wettrennen zugesehen. Ich habe sie beobachtet, wie sie miteinander interagieren.
Und morgen, morgen teste ich, wie viele Hilfen ich brauche und wie oft ich sie aussetze. Ganz bewusst und so oft wie möglich 😉
Freiheit auf Ehrenwort zum Weiterlesen
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- Wie oft und wie lange sollten wir trainieren?
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