Sehen, analysieren, fühlen, korrigieren. Der denkende Reiter braucht einen Haufen theoretisches Fachwissen, aber er muss es auch in die Praxis umsetzen können. Hand an Großhirn: Ich fühle einen Widerstand! Großhirn an Hand, ja dann musst du…..Wie wir die Kommunikation zwischen Hirn und Körper verbessern und Signale vom Pferd richtig deuten.

Die Sache mit der Wurst

Wie sagt Bent Branderup so schön in seinen Theorievorträgen?

„Es nutzt nichts, das Pferd in einzelne Scheiben wie bei der Wurst zu filettieren, wir müssen uns eine holistische Denkweise heranzüchten.“

Ja klar. Die ganzheitliche Betrachtungsweise. Ein Punkt, auf dem Weg zur Reitkunst, der den meisten Menschen sehr schwer fällt.

Auf der einen Seite die Frage nach der bestmöglichen Schulung der eigenen Wahrnehmung und des guten Gefühls, auf der anderen Seite die Erkenntnis, dass wir hier wohl wirklich ein Defizit haben.
Aber keine Sorge – das geht nicht nur uns so. Wir sind nicht alleine.
Auch Reitmeister Gustav Steinbrecht betonte die Entwicklung des notwendigen Reitertakts:

„Gerade aber die richtige und schnelle Wahrnehmung der Wirkungen, die die Bewegungen des Pferdes auf uns ausüben, ist die so überaus wichtige Eigenschaft, die wir mit dem Worte „Reitertakt“ oder feines Gefühl zu Pferde bezeichnen. Der Reiter kann die Fußbewegung seines Pferdes mit dem Auge nicht beobachten, wenigstens nicht ohne seine ganze Haltung aufzugeben. Er ist gewssermaßen im Fall des Blinden, der durch hohe Ausbildung des Gefühlssinn das fehlende Augenlicht, so gut es geht ersetzen muss.“

Zwischen SOLL und Haben.

„Nur einen denkenden Reiter kann man einen fühlenden Sitz lehren, denn der Reiter muss verstehen, was er fühlt“. (Bent Branderup)

Was der fühlenden Hand und dem fühlenden Hintern in erster Linie hilft: das Auge. Auch wenn wir am Hintern keine Augen haben. Das erklärt auch warum die Bodenarbeit nicht nur unser Pferd schult und auf das Reiten vorbereitet sondern auch für uns Reiter eine unerlässliche Blickschulung darstellt.

Am Anfang im Stehen

Wie soll eine korrekte Stellung aussehen – erreicht man bei der Arbeit im Stehen Biegung und wie erkenne ich Fehler?
Bei der Arbeit im Stehen stellen wir dem Pferd die erste Frage. Ist ein Kopfsenken möglich? Hier sollte nicht gegen einen Widerstand gearbeitet werden.

Lass dir Zeit

„Irgendwie finde ich nie die Zeit“ – wer kennt den Satz nicht, oder den Gedanken, dass Zeit wertvoller ist als Gold? Wir leben in einer Zeit, in der wir nicht reiten müssen, sondern dürfen. Es ist unser Hobby, unsere Leidenschaft. „Ich nehme mir Zeit“ – das bedeutet heute Luxus. Nehmen wir uns diesen Luxus doch gerade für das, was unsere Leidenschaft ist heraus!

Lernen bedeutet Zeit. Wenn wir uns ein wenig mit der Talenteforschung beschäftigen, kommen wir auf den Zauber von Myelin. Myelin kann man als Isolierung oder Kabel unserer Nerven bezeichnen. Je mehr Myelin, umso mehr Stoff für Schlaumeier ist quasi vorhanden. Wer gezielt übt und fokussiert die richtigen Wiederholungen einbaut, stärkt auch die Nervenzellen. Talent ist also nicht immer eine Sache, die in die Wiege gelegt ist – aber wie heißt es so schön: Gut Ding braucht auch Weile.

Wenn ich auf Kursen unterwegs bin, höre ich oft von Schülern, die ganz am Anfang stehen die verzweifelte Aussage: Aber ich seh es nicht. Und ich spüre es nicht.

Gutes Reiten kann man sich nicht ad hoc kaufen. Gutes Reiten muss man Lernen und wer konnte schon am ersten Tag in der Grundschule das gesamte Alphabet?

Die kleine, innere Checkliste für die ersten Einheiten am Boden.

Wenn wir für unsere ersten Fragen stellend (Kopfsenken, erstes Entspannen zur Reiterhand, Stellung und Biegung) vor dem Pferd stehen, können wir uns von Kopf bis Fuß observieren.

  • Wie stehe ich vor dem Pferd.
  • Stehe ich breitbeinig, seitlich?
  • Wende ich dem Pferd eine Hüfte oder Schulter zu, oder stehe ich gerade. Wenn wir beispielsweise eine Stellung nach rechts abfragen, kann die Drehung der linken Körperhälfte den Effekt des inneren Schenkels vom Boden aus verstärken.
  • Weiter gilt es zu überprüfen, ob beide Füße gleichmäßig belastet werden, knickt man selbst in der Hüfte ein, beugt man ein Knie?
  • Wer sich selbst in Balance bringt, wird es auch einfacher haben sein Pferd in Balance zu bringen.

Wer hier an seiner Beweglichkeit arbeiten möchte, der kann auch mit „nicht alltäglicher“ Bewegung punkten. Einfach mal wieder einen Purzelbaum schlagen, oder die Stiegen rückwärts hinauf laufen. Zum Nachhören in meinem Podcast im Interview mit Annika Keller.

Rückwärts lernen…

In der Bodenarbeit laufen wir in der akademischen Reitkunst auch viel rückwärts, dies lässt sich auch wunderbar ohne Pferd ausprobieren. Dabei spielt auch die menschliche „Händigkeit“ eine große Rolle. Bemerkbar wird das durch die Inkonstanz einen Zirkel zu halten.

  • Sehr gerne neigen wir dazu auf der rechten Hand über unser linkes inneres Bein den Zirkel zu verkleinern.
  • Manchmal schummeln wir uns auch über die äußere Hüfte vor unser Pferd.
  • Geradeaus bzw. Zirkellinien rückwärts zu laufen bedarf schon einiger Übung.
  • Wenn wir vom Pferd verlangen unserem Körper zu folgen, sollte auch unser Körper eine ausbalancierte gleichmäßige Linie vorgeben können.
  • Haben wir die erste Hürde der Linienführung genommen ist es an der Zeit unser eigenes Tempo zu kontrollieren.
  • Laufen wir den Oberkörper nach hinten gelehnt sehr flott und riskieren dabei zu stolpern?
  • Krümmen wir die Schultern nach vorne und gehen eher gebremst?
  • Der eine orientiert sich lieber an einem vorgegebenen Takt, der andere hört gerne auf das innere Gefühl und kommt so zu einem gleichmäßigen Fluss beim Rückwärtsgehen.

Erst wenn wir die „Automatik“ in unserem Körper installiert haben, uns über das Rückwärtslaufen und die Positionierung vor dem Pferd keine Gedanken mehr machen müssen ist es an der Zeit Botschaften zwischen Pferd und Hand aufzunehmen und zu analysieren.

Ohne Lernen X Zeit geht’s nicht

Mit sechs Jahren habe ich begonnen Geige zu spielen. Ich muss gestehen, ich habe mich dabei sehr auf mein Gefühl verlassen. Freilich hatte ich auch viele Stunden an Technik absolviert, damit mein Hirn meinen Fingern mitteilen konnte, was in welchem Moment geschehen sollte. Ich gebe aber zu – mit dem Notenlesen hatte ich es nicht. Ich konnte mir Melodien unglaublich gut merken und interpretieren – solo kein Problem, aber mit dem Orchester war es unglaublich anstrengend sich nur auf sein Gefühl zu verlassen. (Wahrscheinlich war es für die Anderen noch anstrengender, als für mich). Dem Gefühl geht also ein tiefgreifendes Verständnis voraus.

Daher müssen wir verstehen, wie Stellung und Biegung aussehen sollen, wir müssen verstehen, was wir mit welchem Inhalt erzeugen möchten und dadurch kommen wir auch zur Möglichkeit Fragen für unser Pferd richtig zu formulieren.

Geben wir uns Zeit – schulen wir unser Wissen in der Theorie und vereinen wir unser Wissen mit der Praxis, dann entwickeln wir ein gutes Gefühl, um Einfach zu Reiten. 🙂

Zum Weiterlernen…

 

 

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