Geraderichten ist das Nonplusultra. Eigene Unterrichtskonzepte greifen die Thematik eigens auf und widmen sich ausschließlich der natürlichen Schiefe des Pferdes. Ein Thema, das aber nicht nur unsere Pferde etwas angeht.

Wer A sagt…

..muss auch B sagen – oder anders formuliert: Wer sich mit der Schiefe des Pferdes beschäftigt, kommt nicht umhin, sich auch mit dem eigenen Körper zu befassen.

Hier geht es in allererster Linie auch darum, herauszufinden, wo die eigenen Schiefen und Schwächen liegen. Es ist unheimlich spannend, sich auf Entdeckungsreise der eigenen Schiefe zu begeben.

Wer Rechtshänder ist, wird klarerweise leicht mit rechts schreiben. Als ich noch ziemlich viel Geige gespielt habe, war Schreiben mit der linken Hand auch überhaupt kein Problem. Zum Geigespielen komme ich kaum noch, somit haben sich auch meine motorischen Fähigkeiten mit der linken Hand wieder etwas verschlechtert.

Was können wir noch so analysieren? Eigentlich alles. Mit welchem Fuß steigen wir aus dem Bett, welches Bein entlasten wir beim Zähneputzen – und putzen wir immer mit der rechten oder linken Hand.
Was verändert sich im gesamten Körper wenn man mal ausnahmsweise mit der linken Hand die Zähne putzt?
Am Frühstückstisch oder im Auto – welchen Sitzknochen belasten wir vermehrt. Hier kann man selbst fühlen, wie deutlich die Sitzknochen spürbar werden, wenn man linke und rechte Hand direkt unter die Sitzknochen legt (diese Übung ist allerdings nicht im Autositz zu empfehlen).  Verteilt sich der Druck gleichmäßig? Und wenn wir nun abwechselnd den linken und dann den rechten Sitzknochen belasten, wie verändert sich unsere Haltung, ziehen wir eine Schulter hoch? Senken wir eine Schulter?
Sind wir entspannt oder angespannt im Schultergürtel? Kann der Atem gleichmässig der Wirbelsäule entlang nach unten fließen? Wie fühlt es sich an (wir sitzen quasi noch immer auf unseren Händen) wenn wir den Schwerpunkt mal ein wenig nach vorne und mal ein wenig nach hinten nehmen.

Wer diese Übungen zum ersten Mal macht, ist überrascht, wie deutlich er die Sitzknochen fühlt und wie wenig Einwirkung eigentlich ausreichen müsste.

Seitengänge ohne Pferd

Die eigene Körperwahrnehmung kann auch in den Seitengängen geschult werden. Und zwar ohne Pferd. Wir fangen hier wie mit unserem Vierbeiner auf dem Zirkel an. Wie fühlt es sich an einen Zirkel vorwärts zu laufen? Bleibt die Kreisform gleichmäßig oder tendieren wir ebenso dazu, auf der einen Seite den Zirkel zu verkleinern und auf der anderen Hand zu vergrößern? Wird diese Schiefe noch deutlicher sein, wenn wir rückwärts laufen, oder macht es keinen Unterschied?
Die Konzentration sollte aber nicht nur auf die Kreisform gerichtet sein, ohne Pferd können wir uns erlauben mal ganz tief in den eigenen Körper zu spüren. Wir analysieren sehr gerne, wie das Pferd die Fußspitzen aufsetzt, rammt es die Zehe in den Boden? Spritzt Sand auf? Schleift die Zehe gar am Boden? Aber wie ist es mit uns selbst. Laufen wir löcker aus der Hüfte, oder bewegen wir uns selbst etwas „klemmig“. Fällt uns die Bewegung leicht oder Schwer? Schwingen unsere Arme quasi immer diagonal zum vorschreitenden Bein, oder haben wir uns zum Passgänger entwickelt? Spüren wir eine Erschütterung in unseren Gelenken? Und im Rückwärts? Sind wir hier flüssig unterwegs? „Setzen“ wir uns mehr? Neigen wir vielleicht zu O-, oder X-Beinen?

Wer sich hier erlaubt zu spüren, wird auch diese Erlaubnis leichter in den Sattel mitnehmen können. Viel zu oft, wollen wir – kaum sitzen wir im Sattel – etwas produzieren. Wir erlauben uns auch hier viel zu selten einfach mal zu sein, einfach mal hinzuspüren, hinzuhorchen. Dass unser Pferd physisch wie psychisch nicht gleich tickt, nehmen wir nicht mal war, weil wir eben viel zu wenig hinhorchen. Für Antworten lassen wir uns auch viel zu wenig Zeit. Wer kennt sie nicht, die Situation, wenn man mal mit einem guten Freund telefoniert. Man erkundigt sich nach dem Befinden und nimmt ein Zögern des Gegenübers wahr. Man sieht den Freund nicht, man nimmt aber wahr, dass auf der anderen Seite der Leitung noch über die Antwort nachgedacht wird. Und manchen Menschen gelingt es, obwohl wir keine visuelle Information über den Gemütszustand wahrnehmen können, bei der Einschätzung – dem Gegenüber geht’s schlecht – voll ins Schwarze zu treffen.

Brüllen wir hier in den Hörer? Nein. Wir warten auf die Antwort. Leider sind wir im Warten auf die Antwort unserer Pferde noch nicht sehr weit. Wir geben ein Kommando, stellen eine Frage und wollen prompt und blitzschnell eine Antwort. Dabei würden wir auch hier viel erfahren und von unseren Pferden lernen!

Zurück also auf den Fuß- oder Hallenboden. Ohne Pferd einmal Seitengänge zu laufen? Das kann doch nicht so schwer sein?
Wir versuchen zunächst ein Schulterherein auf dem Zirkel. Auch für den Menschen gilt: Weniger ist mehr. Wer hier den Seitengang zu deutlich in seinen Körper mitnehmen möchte, wird rasch spüren, was ein äußeres ausfallendes Bein bedeutet. Der Zirkel wird nun immer größer. Und im Kruppeherein? Vielen Reitern fällt es schon ohne Pferd schwer, sich an den Grundsatz: Schultern parallel zu Schultern, Hüfte parallel zu Hüfte zu halten schwer. Sobald wir an Kruppeherein denken, driftet unsere äußere Schulter nach hinten, die innere Schulter wird vorgelagert. Und wir reagieren auf beiden Händen gänzlich unterschiedlich.

Wer mehr über Seitengänge ohne Pferd erfahren möchte, lege ich den Podcast mit Maja Caspersen ans Herz.

Fühlen wie ein Pferd?

Gefühle sind eine zutiefst subjektive Angelegenheit. Für den einen ist Harmonie ein warmes Gefühl, die anderen beschreiben sie als Absenz jeglichen Widerstands, ja sogar als Nichts. Wenn nichts mehr wahrgenommen wird, dann wird es erst richtig gut?

Wir können unsere Pferde nun leider nicht nach ihrer Wahrnehmung bezüglich unsere Einwirkung direkt befragen. (wobei den Pfridolin, den kann man fragen ☺)

Es gibt einige spannende Studien und Publikationen. Wer es aber rascher mag schnappt sich einfach den Reitkollegen und führt diesen (genau wie unser Pferd) zwischen den Schultern. Ist es möglich vorwärts zu kommen? Üben wir viel Druck aus? Bei dieser Übung laufen wir auch anfangs gemeinsam auf dem Zirkel. Der Führende sollte dem Geführten aber nicht voraus einsagen, wo die Reise hingeht. Wer vorsichtig seine Hände auf die Schultern des Vorderen legt, wird feststellen was viel Druck und was wenig Einwirkung bedeuten.

Hören wir also öfter auf unseren eigenen Körper, schulen wir unsere Wahrnehmung und lassen wir uns mit Antworten Zeit, dann reiten wir Einfach 😉

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