Graderichten, Schiefentherapie oder Gymnastizierung – keine neumodische Erscheinung, sondern das Wissen der Alten Meister, verpackt in ein neues „Wording“. Aber warum richten wir eigentlich gerade und was läuft bei unseren Reitpferden schief?
Das Pferd ist von Natur aus „schief“, vergleichbar mit der unterschiedlichen Händigkeit des Menschen. Woher diese Schiefe kommt, konnte bislang noch nicht wissenschaftlich nachgewiesen werden. Eine Theorie fußt auf der Lage des Fohlens im Mutterleib. Aber egal woher die Schiefe kommt – Geraderichten bedeutet, das Pferd dahingehend auszubilden, damit es den Reiter ohne Schaden für sich selbst tragen kann. Heißt konkret: Mit einem Hinterbein trägt das schiefe Pferd lieber, mit einem Hinterbein schiebt es lieber vom Schwerpunkt weg. Geraderichten ist daher besonders für das gleichmäßige Training aller Muskeln von Bedeutung. Fürs Reiten bedeutet das: Das eine Pferd lässt sich lieber bzw. besser auf der rechten Hand reiten, das andere lieber auf der linken Hand.
Und so fühlt sich die Schiefe dann beim Reiten an:
Ein Pferd, das nicht in Balance ist, fällt auf dem Zirkel entweder auf die innere Schulter, oder es fällt über die äußere Schulter. Die Reiterhand fühlt ein ungleiches Gewicht auf den Zügeln; werden die Zügel dann hingegeben tritt das Pferd nicht an die gebende Reiterhand heran, sondern verkriecht sich gerne hinter dem Zügel oder fällt deutlich auf die Vorhand.
Vielen Reitern ist vor allem das Gefühl sehr viel in der Hand zu haben unangenehm. Das Pferd, das vor allem schiebt, braucht die Reiterhand quasi als fünftes Bein, um sich nach vorne hin abstützen zu können. Es nimmt so in der Hinterhand kaum Last auf, der Schwerpunkt wird nach vorne auf die Vorderbeine verschoben. Viele Pferde verwerfen sich außerdem im Genick, oder neigen dazu in der Hand sehr unruhig zu werden. In der Haltparade ist das Gewicht nicht auf alle vier Pferdefüße verteilt, sondern deutlich zum Nachteil auf die Vorhand verteilt. Viele Lektionen lassen sich vielleicht spielerisch auf der einen Seite abrufen, auf der schlechteren Hand aber gar nicht. Takt und Tempo sind nicht in einem einheitlichen Rhythmus zu bewältigen. Viele Pferde rennen, oder verhalten sich, im Trab sind die Pferde außerdem sehr schwer zu sitzen. Der Reiter muss sich über die Zügelführung in den Sattel „saugen“ und nach hinten lehnen, um überhaupt einsitzen zu können. Zügellahmheit und taktunreine Gänge sind ebenso das Resultat der Schiefe.
Wer all diese Symptome schon einmal selbst gespürt hat, wird nicht mehr an Sinn und Zweck der Geraderichtung zweifeln.
An allererster Stelle steht die Erarbeitung der Balance im Stehen. Das Pferd kann so lernen, sein Gewicht gezielt auf einzelne Beine zu verlagern. Es folgt die Erarbeitung einer korrekten Längsbiegung, zuerst ebenso im Stehen, danach im Schritt an der Hand und schließlich beim Reiten, um das Pferd auf beiden Seiten durchlässig und biegsam zu arbeiten. Ist das Pferd in Balance tritt es automatisch zum Schwerpunkt.
Eine schlechte Haltung kann beim Menschen Kopfschmerzen verursachen.
Wir Menschen nehmen dann aber auch oftmals lieber ein Aspirin, denn das geht schneller, als sich mit Haltungsturnen oder Physiotherapie auseinander zu setzen.
Der schnelle Weg ist aber – und das wissen wir oft nicht der Beste. So auch beim Reiten: Als Physiotherapie der Geraderichtung könnte man die Seitengänge – vor allem die Lektion des Schulterherein verstehen.
Es geht hier aber viel weniger um die Lektion, sondern um den Inhalt:
Das Schulterherein aktiviert das innere Hinterbein, mehr zum Schwerpunkt zu treten und damit auch vermehrt zu tragen, sprich Last aufzunehmen. Das Ziel des Kruppeherein ist, das äußere Hinterbein vermehrt zum Schwerpunkt treten zu lassen. Für beide Lektionen ist aber die korrekte Biegung unumstößlich. Beispiel Kruppeherein: Wird in dieser Lektion – als „Aufdecker“ dient hier der Zirkel am besten – auf die äußere Schulter vergessen, fällt das Pferd erst recht wieder über die äußere Schulter nach außen. Ein Seitengang ist dann natürlich noch immer freilich erreicht – allerdings kein Seitengang, der Pferd und Reiter nützt (und auch wenig ansehnlich ist!).
Reiten wir also seitwärts, damit`s nicht schief geht! 😉
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