Eigentlich wollte ich ja in Gotland ein wenig “relaxen”. Wir hatten durchaus eine beschauliche Zeit auf Ekeskogs bei Hanna Engström.

Aber in Punkto Sitz haben wir uns die Weihnachtspause redlich verdient. Gerade Hannas Youngster “Flamenco” hat mir viele Dinge gezeigt, die ich so auf meinen Damen noch nicht erlebt habe (Sorry, Ladies, aber der kleine Portugiese hat eben ein ganz anderes Bewegungskonzept als meine beiden Warmblutstuten).

Er hat mir durch seine extreme Beweglichkeit gezeigt, was es wirklich heißen kann, den Sitz im Sattel auszukleiden (Hanna sprach von Klebstoff, ich hab mich passend zu Weihnachten als Keksteig auf dem Sattel ausgebreitet) und das Pferd darum zu bitten, niemals den Schwerpunkt unter dem Reiter zu verlieren. Dies war schon eine schwierige Aufgabe im Schritt auf dem Zirkel, denn Hannas Anweisungen kamen quasi im Stakkato.
Ruhe und Beschauligkeit, von wegen? Es wurde rasant zwischen Richtungswechseln, Seitengängen, Zirkel verkleinern und vergrößern, Haltparade, Bewegung auf der Stelle und zack in den Galopp.

Flamenco machte mir diese Aufgabe sehr einfach, PRE Hengst Indio war hier das krasse Gegenteil. Hier hat mir Hanna in dieser Woche zwei ganz unterschiedliche Lehrmeister zur Verfügung gestellt, die nicht nur den physischen Aspekt des Reitens spannend machten, sondern auch die Pädagogik in den Vordergrund stellten.
Jedes Pferd ist individuell: Auch die Art und Weise, wie man ein Pferd um eine Aufgabe bittet, unterscheidet sich doch ganz wesentlich.

Santa Lucia

Am Mittwoch lud uns Hanna zu einem leckeren Frühstück ein. In Schweden findet am 13. Dezember “Santa Lucia” statt. Dabei handelt es sich um ein einen Brauch, der vor allem in Schweden, sowie in Dänemark, Norwegen und Teilen Finnlands verbreitet ist. Das Fest fällt auf den Gedenktag der heiligen Lucia, die das Licht in die dunkle Jahreszeit bringen soll. Hanna hat uns auch ein traditionelles Safrangebäck (lussekatter) gebacken.

Neben selbstgemachtem Gebäck gab es also ordentlich Kerzenschein, um die Dunkelheit zu vertreiben. An diesem Tag hat es geholfen, denn es war leider unser einziger sonniger Tag auf Gotland in dieser Dezemberwoche.

Sonnig waren auch die Gemüter beim Singen. Schließlich gibt es genügend bekannte Weihnachtslieder, die man gemeinsam auf deutsch, englisch, finnisch und schwedisch singen kann. 🙂

Danach ließ Hanna in einer ausführlichen Theorieeinheit den Schwerpunkt aus dem Reiterbauch heraus eher in die Reiterhüfte wandern. Der Schwerpunkt sinkt also noch tiefer in das Pferd, der Oberkörper bleibt stabil und zwischen den Oberschenkeln wird das Pferd bewegt. Sehr anschaulich konnten wir selbst bei Drehungen aus dem Oberkörper spüren, was mit unserem Steißbein passiert, wo sich quasi der “Schweif” im Reiter hinwendet, wenn wir uns aus dem Oberkörper, oder aus der Hüfte heraus in eine Richtung drehen, dann die Bewegung in ein Kruppeherein oder in ein Schulterherein steigern oder geraderichten. Diese Übungen machten sehr deutlich, warum der Reiter in der Versammlung im Kruppeherein mehr in Richtung innerer Hüfte des Pferdes sitzen sollte und im Schulterherein den Schwerpunkt in Richtung Schweif mitnimmt.

In der Praxis wurden wir ebenso kreativ. Auf Mona, Indio und Flamenco ritt ich dann im Schritt nicht nur Schritt, sondern auch Trab und Galopp. Richtig gehört, man kann im Schritt über alle Gangarten nachdenken und diese auch reiten, ohne dass das Pferd schneller oder im Takt unsauber wird. Im Gegenteil.

Ohne uns abzusprechen, “ritt” ich also alle Gangarten auf dem Zirkel im Schritt – Hanna lag jedesmal richtig und erkannte die jeweilige Gangart.

Letztendlich haben wir auch an der Achtsamkeit für Handwechsel im Schritt gefeilt, um mein Timing für die fliegenden Wechsel zu verbessern. Mona war mit mir offenkundig sehr zufrieden. Die gemeinsame Arbeit wurde stets mit einem ordentlichen “Brummelwiehern” belohnt.

Die Sache mit dem Wurm

Donnerstag Morgen ging es auf den Boden der Tatsachen. Wir verwandelten uns in Würmer und versuchten uns am Boden zu bewegen. Diese Übung kannte ich bereits aus dem Vorjahr. Es war aber auch heuer wieder wunderbar einfach schwer und unbeweglich sein zu dürfen. Zu akzeptieren, dass es mal einfach nicht hektisch und geschäftig sein muss. Ich habe hier einmal mehr wahrgenommen, dass ich ebenso zwischen Kursen, Unterrichtstouren, Buchprojekten und “daily business” ein “Wurmdasein” gut gebrauchen kann, um mich zu erden und einfach mal “liegen zu bleiben”.

Wie man seinen Hintern aber wieder in die Gänge bekommt – das zeigten mir Hanna und Indio, der an diesem verregneten, kalten Tag wohl auch lieber einen faulen Lenz vorgezogen hätte. Wir beide waren sehr “würmelig” unterwegs, Hanna heizte uns jedoch mit Galopp-Halt-Galopp Übergängen ordentlich ein.

Donnerstag Abend haben wir gemeinsam mit Hanna in Visby bei einem wunderbaren Dinner verbracht und auf unsere “Erfolge” angestoßen. Ich denke, all unsere Wünsche wurden mehr als erfüllt. Ich konnte feststellen, dass ich einige Schmerzen in meiner Wirbelsäule als unnötigen Ballast bereits vor einem Jahr in Visby gelassen hatte. Klar, immer wieder gibt es mal wo Verspannungen, die Rückenschmerzen vom Vorjahr waren jedenfalls kein Thema mehr, umso eifriger konnten wir uns in eine Vielzahl von Themen vertiefen. Ich freue mich auch riesig für Andrea, Najat und Viktoria, die in dieser Woche unheimlich viel mitnehmen konnten.

Ein riesiges Dankeschön an Hanna Engström und ihr Team von Ekeskogs! Ich freue mich vor allem sehr, dass wir gemeinsam Santa Lucia und die Buchpremiere der “Akademischen Reitkunst – Horsemanship/ Beziehungspflege” feiern konnten.

signature2

PS: Nächstes Jahr geht es sicher wieder nach Gotland – wer meine Reiseberichte von 2016 noch nachlesen möchte:

Teil 1: Eat-pray-ride

Teil 2: Magic Movements

Hanna gibt es auch zum Nachhören im Podcast