Seit drei Jahren verbringe ich nun die letzte Woche vor Weihnachten bei meiner geschätzten Kollegin Hanna Engström auf Gotland zur Fortbildung. Die mentale „Auszeit“ und Ruhe vor Weihnachten wurde durch eine gelinde gesagt beschwerliche Anreise zwar erschwert, letztlich sind meine liebe Kollegin und Freundin Viktoria Portugal und ich aber auf Gotland angekommen.
Nach einem stärkenden Café trafen wir unsere Pferde. Für meinen ersten Ritt sattelte ich Flamenco, Viktoria startete mit Chaval.
Flamenco kannte ich bereits aus dem Vorjahr, damals haben wir viel mit seiner Mobilität gespielt. Für die erste Einheit war es allerdings mein Wunsch – trotz mangelnder Mobilität seitens diverser Airlines – erstmal wieder auf den Boden der Tatsachen zu kommen.
Ich war eigentlich recht überrascht beim ersten Check durch Hanna wenige Verspannungen in meinem Körper zu finden. Zunächst ging es natürlich darum ein Gefühl für Flamencos und meinen Körper herzustellen, um dann anschließend meine Wirbelsäule, Stück für Stück zu bearbeiten.
Ich fühlte mich überraschend wohl und stabil. Hanna hat sowohl Viktoria, als auch mich darin angeleitet, mehr in unsere Mitte auf dem Pferd zu kommen. Mal haben wir mehr Gewicht auf die Vorderseite des Oberschenkels genommen, mal mehr Gewicht aufs Schambein gelegt, um dann nach und nach in unserer Vorstellung “Eier” in den Sattel zu legen.
Ziel der ersten Einheit war es, mehr Bewusstsein für die drei Punkte – also das magische Dreieck zwischen den zwei Sitzbeinknochen und dem Schambein zu entwickeln. Obwohl wir quasi “gefühlsmässig” mehr mit Hüften, Sitzknochen und Schambein beschäftigt waren, gewann ich durch diese Arbeit – man könnte sagen – pro gelegtem Ei – mehr Stabilität in meiner Brustwirbelsäule. Eine einfache Übung (Ausdrehen und Eindrehen meiner Handgelenke) brachte mir mehr Verbindung zwischen meinen Ellenbogen und dem Rippenbogen und somit konnte ich mich auch im Brustbein/ Schultergürtel und Schlüsselbein deutlich mehr öffnen.
Viktorias erste Aufgabe – nur mal am Schambein Platz zu nehmen und danach langsam die Sitzknochen vom Gefühl her hinzuzufügen. Für uns beide galt es gleichmässig auf den Sitzbeinknochen Platz zu nehmen und nicht das Gewicht mehr nach innen oder nach außen zu nehmen. Auch Viktoria suchte die “Mitte” zwischen Schambein und Steißbein. Bauch vor-für etwas mehr Vorwärts und Bauch zurück für etwas mehr Versammlung war die nächste Aufgabe. Dabei sollte Chaval gleichmässig bei seiner Reiterin bleiben. Sich selbst in der Mitte und dabei den Fokus nicht zu verlieren war dann ein schönes erstes Ergebnis der ersten Einheit.
Nach einer kurzen Pause ging es dann am Nachmittag weiter. Unsere Wegbegleiter und vierbeinigen Coaches waren diesmal De Vito und Indio.
Indios Botschaft an mich an diesem Tag: Man muss nicht immer alles managen, ich habe mir nach dieser Einheit sehr viele Gedanken gemacht über die Quantität und Qualität der Sekundären Hilfengebung allgemein und meinerseits. Soweit die Denkaufgabe, die mir Indio an diesem Tag aufgegeben hatte. Gerade nach unserer strapaziösen Anreise tat ich mir schwer, keine Erwartungen zu hegen, einfach mal zu sein und einfach mal gewisse Dinge in meinem Sitz auszuprobieren, ohne mir Sorgen über die perfekte Formgebung des Pferdes zu machen. Hanna gibt mir in dieser zweiten Einheit eine Menge zu fühlen. Wieder spielen wir uns mit der Balance und wechseln zwischen Entlastung und einer langsamen Steigerung von Belastung sowie der damit verbundenen Ansprache der Hinterbeine.
Von den Hinterbeinen zu den Schultern – einerseits waren meine Schultern in der zweiten Einheit bereits sehr locker – andererseits haben wir durch Unterstützung meines Sitzes an Indios Schulterfreiheit gearbeitet. Und wieder einmal zeigt sich – je besser die Balance zwischen den Schultern, umso schöner wird die Formgebung von Indio unter mir.
Verstehen lernen
Die Tage bei Hanna Engström waren wieder gefüllt mit viel Inspiration und Austausch. Wie immer habe ich viel zu viel Lesestoff eingepackt. Beim Überfliegen einiger Zeilen aus „Vollendete Reitkunst“ von Udo Bürger wurde mir wieder bewusst, wie wichtig der offene Austausch und Umgang unter Pferdemenschen ist. Dort liest sich eine Zeile erst nach einer praktischen Einheit auf dem Pferd, angeleitet durch Hanna ganz anders. Viele Begriffe aus der Reitkunst werden oft ganz unterschiedlich interpretiert. Jeder Reiter hat seine eigene Wahrnehmung, was er als aufrecht oder losgelassen oder entspannt erlebt.
Die Zeit vor Weihnachten bzw. rund um den Jahreswechsel lässt uns noch einmal innehalten und dankbar sein. Ich bin sehr dankbar, dass ich in der Akademischen Reitkunst eine Welt mit vielen Reiterinnen und Reitern gefunden habe, die gefüllt ist mit unterschiedlichen Interpretationen und Sichtweisen. Eine Zeile aus diverser alter Reitliteratur mag sich trocken und nüchtern lesen – mit den unterschiedlichsten Erfahrungen gefüllt – seien es die meiner Kollegen oder meine eigenen, fühlt sich das zuerst Gelesene ganz anderes an.
Vieles aus der Theorie habe ich erst dann verstanden, wenn ich es mit den Erklärungen und dem Gespürten aus der Praxis verbinden konnte.
Daher wünsche ich allen Leserinnen und Lesern zum Jahresbeginn eines: Viel Lesestoff, viel Praxis rund ums Pferd und eine offene und tolerante Gruppe Gleichgesinnter, mit der sich der Austausch für alle Beteiligten lohnt.
Stichwort Austausch – nächste Woche gibt´s mehr von der Fortbildung bei Hanna zu lesen. Wir haben uns dort auch dem Pole Dance gewidmet. Bleibt gespannt 😉
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