Grundgangarten – oder die „Natürlichen Gänge“ – das ist Grundlagenarbeit, Basiswissen. 

Meine Kollegin Viktoria Portugal hat kürzlich einen Kurs mit Bent Branderup organisiert. Coronabedingt wurde der Abstand freilich eingehalten – in Theorie und Praxis wurde über die Grundgangarten gesprochen – und es war spannend. 

Grundgangarten oder Natürliche Gänge

„Ein Großteil der Reiter hat nur eine unklare Vorstellung von den Bewegungen der Pferdebeine in den verschiedenen Gangarten. Jedoch ist es ohne diese für einen Reiter so wichtigen Kenntnisse unmöglich, Schnellkräfte anzutreiben, deren Zusammenhang er nicht kennt. Die Pferde haben zweierlei Arten Gänge, nämlich natürliche und künstliche. Bei den natürlichen Gängen muss man die korrekten, wie Schritt, Trab und Galopp von den fehlerhaften Gängen, wie dem Pass, dem halben Pass und dem „Tralopp“ unterscheiden. Die natürlichen und korrekten Gänge sind ein reines Werk der Natur, das durch die Reitkunst nicht verbessert wird. Die natürlichen und fehlerhaften Gänge entstehen aus Schwäche oder wenn das Pferd verdorben wird. Künstliche Gänge sind solche, die ein geschickter Ausbilder den Pferden, die er zureitet, beizubringen versteht, um sie in den verschiedenen Lektionen, zu denen sie das Vermögen und Geschick haben, auszubilden. In guten Ausbildungsstätten werden diese ausgeübt“. 

François Robichon de la Guérinière ,1733, École de Cavalerie

Grundgangarten – mit der Wirbelsäule fängt es an

Der große Guérinière schreibt also, die Gänge können durch die Reitkunst nicht verbessert werden. Aber der Reiter kann die Grundgangarten des Pferdes auch verschlechtern – so steigt Bent Branderup auch in seinen Theorievortrag ein und schildert den Unterschied zwischen einem Schenkelgänger und einem Rückengänger. Die neue Wissenschaft könne plausibler erklären, worin der Unterschied liegt. 

„Ein Schenkelgänger hält den Rücken fest und gebraucht ihn falsch. Der Schenkelgänger bewegt die Beine, um sich fortzubewegen. Der Rückengänger hat als Grundlage der Bewegung die Wirbelsäule. In der Reiterwelt sprechen wir von Schwung – einem Konzept der Wirbelsäule und ebendiese ist 530 Millionen Jahre alt.“

Bent Branderup 

Bent Branderup erklärt anschaulich in der Theorie wie sich die Pferde bewegen – dabei spielt die Ausrichtung der Augen respektive des Blickes eine große Rolle. Das Pferd bewegt sich entweder auf einen Gegenstand (vornehmlich Futter) zu oder von einer Gefahr (Räuber) weg. 

Das Großhirn trifft die Entscheidung, die dann – völlig unbewusst vom Kleinhirn umgesetzt wird. Wir kennen das ja auch vom Autofahren – das Großhirn möchte Autofahren und irgendwann kann das Kleinhirn den Ablauf zwischen Kupplung und Schaltknüppel völlig automatisch umsetzen. 

Schwingt die Wirbelsäule des Pferdes dreidimensional, dann überträgt sich diese Bewegung auch nachhaltig auf unsere Füße. Dem Schenkelgänger wurden aber diese Grundprinzipien genommen, das Pferd geht nicht mehr übe den Rücken. Wenn das Pferd die Nase vorne haben soll, dann ist das nicht nur Motto, sondern auch Tatsache, denn da wo die Nase hinzeigt, da kann das Vorderbein aufußen. Ein eingerolltes Pferd plus Vorderbein – das gibt eine gar „spannende“ Kombi. 

Bent erklärt nun den Unterschied zwischen vorwärts abwärts und rückwärts abwärts. Dabei zitiert er wie so oft Gustav Steinbrecht. Vorwärts reiten, aber nicht schnell. IN der täglichen Praxis sehen wir allerdings häufig viel zu tief getragene Köpfe – dann kann das Pferdebein nicht mehr nach vorne schwingen, das stehende Vorderbein schwingt weit rückwärts unter den Bauch. Das Pferd kommt auf die Vorhand. Alles Aufrichten, oder was? 

„Es gibt viele Menschen, die sich heutzutage gegen das vorwärts-abwärts aussprechen – weil sie den Unterschied nicht mehr kennen. Wir haben vielleicht ein Pferd, das sich erst entspannen muss, zuerst müssen wir die Oberlinie arbeiten und können dann mit den Grundgangarten arbeiten.“

Bent Branderup 

Von der Praxis in den Reithallen kommt Bent nun zur Hundezucht


Hundezucht und Grundgangarten? 

Was hat denn nun bitte die Hundezucht mit den Grundgangarten zu tun oder ein Pekinese mit dem Wolf? Spontane Antwort? Nicht viel – länger nachgedacht – der Mensch hat den Pekinesen aus dem Wolf geschaffen, und so treiben wir es auch mit der Pferdezucht bunt. 

„Wir haben Pferde gezüchtet mit einem unpassenden Verhältnis zwicken Auge, Pupille und Auffusspunkt. Da stimmt das Verhältnis nicht mehr und somit auch nicht die korrekte Grundgangart. Bei. Manchen Pferden werden wir mehr die Form der Wirbelsäule selektieren müssen und manchmal mehr auf die Fähigkeit zu tragen und manchmal eben mehr die Grundgangart. Wir haben durch Selektion schon viel bewirkt, aber leider nicht immer sinnvoll.“

Bent Branderup 

Die Hundezucht führt uns also manchmal vor Augen, wie weit manche Hunderassen von ihrem Ursprung entfernt sind. Aber wir sind ja schließlich nicht auf einer Hundeschau sondern mitten in Bent Theorievortrag. 

Nun erklärt Bent, worauf es bei den Schulterblättern zu achten gilt. 

„Ist das Schulterblatt sehr klein, dann haben wir weniger Gewebe. Einem Pferd mit kleinem Schulterblatt könne wir nicht viel Last auf die Schultern legen, ohne dass der Brustkorb zwischen den Schulterblättern absackt – in dem Moment, wo die Muskulatur trägt, zieht sie sich zusammen und dann wird der Ellenbogen an den Pferdekörper ran gezogen und später sehen wir typische Verschleißmuster an den Ellenbogen. Wir müssen uns also ständig fragen: Was hat das Pferd für Folgeschäden vom Gerittenwerden?“ 

Bent Branderup 

Ein größeres Schulterblatt als Freibrief fürs Reiten? Mitnichten, denn auch hier kann das Pferd stark auf die Vorhand geraten. Und es gibt ja noch so viel mehr Faktoren, die letztlich auch Einfluss auf die Qualität der Grundgangarten nehmen. Pferde mit einer riesigen Schultermuskulatur und Schulterblättern – wie ist da das Verhältnis zum Karpalgelenk. Was passiert bei winzigen Hufen und einer starken Belastung der Hufrolle? Mehr oder weniger Muskulatur an den Schulterblättern und können wir eine Trageerschöpfung an Sehnen, Bändern und Faszien sehen? 

Was meint ihr? 

Grundgangarten und echte Rückengänger

Bent legt die Fakten auf den Tisch: 

Echte Rückengänger haben immer eine saubere Diagonale – damit ist gemeint, dass beispielsweise die Diagonale links vorne und rechts hinten sauber durchschwingt – und – das Pferd eher zur Diagonale als zur Laterale neigt. 

Aber Schluss mit den Fremdwörtern – auch Bent erklärt es so, dass alle mitkommen: 

„Pferde, die keine echten Rückengänger sind, neigen sehr leicht zum Pass. Pass ist ein Schwungverlust, der Gangverlust kommt vom Schwungverlust und da haben wir das Problem, dass viele Ausbilder einfach auf die Füße schauen, aber nicht auf die Wirbelsäule. Ich meine, man muss schon froh sein, wenn die Leute überhaupt eine Passverschiebung an den Beinen erkennen. Das was die Füße jedenfalls tun, das ist ein Resultat aus der Bewegung der Wirbelsäule.“  

Bent Branderup

Grundgangarten und Beinsalat

Was wir noch erfahren? Wir machen uns Gedanken über Beschleunigung und Entschleunigung, über Probleme und en Gelenken, wie Sprunggelenksprobleme, die sich auf weitere Gelenke übertragen können. Wo müssen wir vorsichtig sein mit Diagnosen und wo ist das physische Problem offensichtlich. Spätestens jetzt wünscht man sich als interessierter Hörer einen kleinen Tierarzt immer parat zu haben, um ihn mit biomechanischen Fragen quälen zu dürfen….aber es gibt ja Bent, der rollt in seinem kurzweiligen Vortrag eine Sache nach der anderen auf. 

Auch wer in Geografie geschlafen hat, wird jetzt auf den Boden der Tatsachen zurück geholt. Wem Berge oder Täler in der Schule egal waren, der wird sich als Reiter spätestens jetzt Gedanken machen. Wann beschleunigt das Pferd und wann braucht es eine Entschleungiung. Wann bedeutet das Schub- und wann bedeutet es Tragkraft? Und wie entlarven wir auch hier die Qualität der Grundgangarten? 

Grundgangarten und Elemente

Bevor wir also über Balance, Losgelassenheit, Tempo, Takt und Schwung schwurbeln dürfen, geht es mal an das Einmaleins der Hilfengebung. Denn dann haben wir eine Sprache und die Sprache gibt dem Pferd letztlich eine spezielle Form und über die Form – richtig – folgt die Grundbalance. 

Die Form folgt ja immer der Aufgabe. Und so kann die Aufgabe eine traversale Balancerichtung sein, eine Versale Balancerichtung oder eine Renversale Balancerichtung. 

Wieder ruft uns Bent Branderup die Bedeutung zwischen Reitkunst und Gesundheit des Pferdes in Erinnerung. Wie meinte noch Guérinière? Kann man nun eingreifen, oder nicht? 

Nach dem Motto – erst denken, dann handeln haben wir es freilich in der Hand. So können falsche Belastungen zu Arthrose führen, denn die Knochenmasse bildet sich falsch zu. 

„Wir müssen die Form von einem Karpalgelenk verstehen, damit wir das Pferd nicht falsch über ein Karpalgelenk bewegen“.

Bent Branderup

Jede Menge Hinweise folgen, die unseren Blick schulen. 

Grundgangarten getrennt oder zusammen? 

Wir sehen Schritt, Trab und Galopp oft als getrennte Gangarten, was laut Bent nicht stimmt. 


„Deswegen habe ich versucht zu erklären, wann der Schritt mit dem Trab zusammen schmilzt und wann der Trab zum Galopp zusammen schmilzt“. 

Bent Branderup

Fakt ist – wenn man ein Pferd in Watte packen muss, um es auf die Koppel zu stellen, dann wurde es ziemlich sicher seiner natürlichen Grundgangarten beraubt. Bewegung ist Körpersprache und Körpersprache zeigt freilich auch nach außen, wie gut oder schlecht sich der Körper bewegt und wie gut oder schlecht sich der Geist in dem Körper fühlt. 

Grundgangarten und Neugierde

Wer die Erwartungshaltung hat, im Seminar mit Bent kommt die Wiederholung (Der Schritt ist ein Viertakt, der Trab ein Zweitakt und der Galopp ein Dreitakt) aus der Reitschule, der täuscht. Ein Seminar über Grundgangarten ist so viel mehr und hinterher weiß man vermutlich so viel mehr. 

Wenn ich eure Neugierde geweckt habe, dann unbedingt bei Viktoria Portugal melden – das Seminar mit Bent gibt es in Kürze online zur Nachschau, schön in Ton und Bild. Da Grundgangarten schon immer unsere Neugierde geweckt haben 😉 

Grundgangarten zum Weiterlesen und zum Nachschauen

Den Kurs mit Bent Branderup nachschauen kannst du auch hier!