Neulich ein Bericht in einer Pferdefachzeitschrift, Thema: unterschiedliche Rassen und deren körperliche Voraussetzungen. Können etwa nur bestimmte Pferderassen Piaffe oder hohe Schule?
Sicherlich gibt es hier unterschiedliche Stärken und Schwächen. Das Schöne an der Akademischen Reitkunst ist jedoch, dass hier keine Unterschiede gemacht werden: JEDES Pferd hat seine Qualität! Was vielleicht später unter dem Sattel bewundert wird, ist von Natur aus bei JEDEM Pferd vorhanden. Das eine Pferd, nennen wir es den iberischen Typ hat vielleicht mehr Talent für Versammlung und Tragkraft. Der Warmblüter, wie man ihn vom Turnier heutzutage kennt, hat viel Schubkraft.
Die heutige Pferdezucht hat sich extrem gewandelt – das Spektakuläre steht immer mehr im Vordergrund, Pferde, die ein großes Bewegungspotenzial haben und ihre Beine „von sich werfen“ sind gefragter denn je. Das Problem dabei: Wir können die Pferde nicht mehr so leicht sitzen, die enorme Schubkraft kostet Tragkraft, das menschliche Becken macht so große Bewegungen auch oft gar nicht mit!
Ich denke jeder Reiter hat irgendwann den berühmten Leitsatz von Gustav Steinbrecht irgendwo gelesen oder gehört, der da lautet:
„Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“!
Heute geht es um dieses „Vorwärts“. Vielen Einsteigern oder Interessierten der Akademischen Reitkunst fehlen Anfangs die Bilder der flott vorwärts gehenden – oder ich würde sogar eher sagen – der fast schon rennenden Pferde.
Wie schnell definierte Steinbrecht „vorwärts“?
Was Steinbrecht unter Vorwärts verstand, darf man allerdings keinesfalls mit „Schnelligkeit“ verwechseln. Das Pferd besitzt von Natur aus die Schubkraft, nicht allerdings jene Tragkraft, die es braucht, einen Reiter gesund zu tragen (und dabei soll es noch am besten locker und entspannt aussehen). Stellen Sie sich eine Ziehharmonika vor, die sie schnell auseinander reißen – genau das passiert mit dem Pferd. Die Ziehharmonika hängt in der Mitte durch – beim Pferd ist es der Rücken, der durch das „Zuviel an Schnelligkeit“ auseinanderfällt. Die Tragkraft ist somit verloren gegangen. Aber wie schnell, sollte das Vorwärts nun sein? Bent Branderup bringt es auf den Punkt:
„Das Grundtempo sollte bei jedem Pferd individuell geritten werden!“
Kein Pferd wurde zum Reiten geboren, auch wenn wir Pferde vorwiegend zum Reiten züchten. Daher liegt es in unserer Verantwortung ein durchlässiges und losgelassenes Pferd auszubilden, erst dann stehen Tempo (wieder nicht mit hoher Geschwindigkeit zu verwechseln), Takt und Schwung auf der Ausbildungsskala. Ebenso der Schwung wird oftmals mit hohem Tempo oder Spannung verwechselt.
Was bedeutet eigentlich Schwung?
Schwung bedeutet, dass das Hinterbein des Pferdes nach vorne greift, anstatt nach hintenheraus zu schieben!
Wenn es heißt, das Pferd hat im Schritt keinen Schwung ist diese Annahme jedoch falsch – denn mit Schwung ist die dreidimensionale Schwingung durch die Wirbelsäule gemeint, die durch das Vorfußen der Hinterbeine zum Schwerpunkt entsteht. Somit hat also auch der Schritt Schwung.
Durchlässig ist ein Pferd ebenso nur dann, wenn die Hinterbeine nach vorne schwingen und nicht nach hinten, von der Reiterhand weg. Wieder ein bildliches Beispiel: Der Läufer, der Sprinter, der sich an der Startlinie aus der „Startbox“ nach vorne katapultiert überträgt den Schwung nach hinten. Anderes Bild: Das Kutschpferd stützt sich am Brustgeschirr ab und schiebt mit dem Hinterbein nach hinten. Und beim Reiten? Hier erkennt man bei zu viel Schub vielleicht folgendes Gefühl: Das Pferd stützt sich auf die Reiterhand, damit es hinten noch mehr schieben kann – man hat also viel in der Hand, zusätzlich ist das Pferd nicht leicht zu sitzen.
Von der Schub- zur Tragkraft…
Aber wie entwickelt man Tragkraft? Insgesamt betrachtet dient das gesamte Ausbildungssystem der Akademischen Reitkunst dazu, die Tragkraft des Pferdes zu verbessern. Das Pferd muss vor allem lernen, geradegerichtet zum Schwerpunkt zu fußen. Gerade heißt in diesem Fall nicht „gerade-gerade“, sondern mit einer Stellung und Biegung zur linken oder rechten Hand.
Jeder Reiter weiß, dass das Pferd eine gute und eine schlechte Seite hat: Aufgrund der natürlichen Schiefe des Pferdes wird das Pferd lieber mit einem Hinterfuß tragen, mit dem anderen lieber schieben. Als erstes sollte das Pferd im Stehen die richtige Formgebung und vor allem Balance lernen – das heißt Stellung und Biegung zur klinken und zur rechten Seite und das Gewicht gleichmäßig auf allen vier Füßen zu verteilen. Als nächste Übung wird das Untertreten des inneren Hinterbeins zum Schwerpunkt hin auf dem Zirkel empfohlen. In weiterer Folge dienen die Seitengänge, wie Schulterherein oder Kruppeherein dazu, die entsprechenden Hinterbeine des Pferdes vermehrt zum Schwerpunkt zu führen.
Geraderichten – mit Hilfe der Seitengänge
Was ich durch die Akademische Reitkunst vor allem gelernt habe ist das Wissen der alten Meister nicht nur zu lesen, sondern auch auf Verständnis bezüglich der Interpretation zu hinterfragen. Kommen wir zurück zu: „Reite dein Pferd vorwärts und richte es gerade“.
Vorwärts und Schnell zu verwechseln hat fatale Auswirkungen auf die Tragkraft, eine imposante Gangmechanik wirkt auf den ersten Blick vielleicht schick, wenn das Pferd jedoch seitlich am Schwerpunkt vorbeifußt wissen wir, warum es auch so unbequem zu sitzen ist. Und Spanntritte gegen die Hand verursachen außerdem eine Kompression der Wirbelsäule. Nicht gerade das Ziel von Leichtigkeit und Harmonie. Gerade gerichtet heißt nicht mit dem Kopf an der Bande einfach vorwärts rennen – schließlich ist das Pferd „hinten“ breiter als „vorne“ – daher erklärt sich, warum so viele Pferde den „Hintern „ herreinnehmen – die natürliche Schiefe wird dadurch also begünstigt.
Reiten wir also einfach, und nicht schief 😉
Das ist wirklich sehr gut erklärt! Das sollte wirklich JEDER verstanden haben! Eines möchte ich unbedingt noch zur Ergänzung hinzufügen: Das tonnenschwere auf die Hand legen wird immerwieder mit Anlehnung verwechselt bzw so tituliert! Anlehnung bedeutet aber „Reaktion auf Hilfengebung am Zügel“. Ist auch irgendwie vollkommen in Vergessenheit geraten, weiß Keiner und wurde inzwischen „zweckentfremdet“!
Hallo Frau Eichinger
Mit Ihrer Definition von Schwung bin ich nicht einverstanden. Das könnte auch ganz einfaches müdes Schleichen bedeuten.
Wikipedia schreibt dazu:“Unabdingbar für die Entwicklung des Schwungs ist die Hankenbeugung, also die Beugung von Hüft- und Kniegelenk: „Je länger diese Beugephase auf Kosten reiner Streckung dauert, desto wiegender und schwungvoller wird der Gang“, es kommt zum „elastischen Vorschwingen noch aus der Bewegung heraus“. Das ist ziemlich treffend.
Auch in einem von Nuno Oliveiras Werken ist Schwung und dazu noch Kadenz sehr gut erklärt. Müsste es aber erst raus suchen, um hier nicht das Falsche wiederzugeben.
Mit besten Grüßen
Alfons Schmidt
Hallo Alfons Schmidt? Auch wenn Sie anderer Ansicht sind, meinen wir doch ganz ähnliche Dinge. In der Akademischen Reitkunst definieren wir Schwung nun mal als die dreidimensionale Schwingung der Wirbelsäule, die aus der Kratftübertragung aus der Hinterhand entsteht. Das heißt -je nachdem wie der Pferdefuß der Hinterhand auffußt – je nachdem überträgt er Kraft über das Becken auf die Wirbelsäule. Die Qualität des Fußens – und damit auch des Beugens in der Standbeinphase lässt sich aus der Bewegung der Wirbelsäule, aus dem Schwung über den Rücken bis ins Genick ablesen. So kann ich herausfinden, ob das Pferd über den Rücken geht, oder ein Schenkelgänger ist, beispielsweise. Ihr Wikipedia Zitat beschreibt auch sehr treffend, das Ziel, das ich in diesem Artikel formulierte: Entwicklung von Tragkraft. Schwung wird heute auch oft gleich gesetzt mit Energie – daher stoße ich auch so oft auf die Aussage: Schritt hätte keinen Schwung. Wenn aber unter Schwung eine unbedingte Schwebephase des Pferdes verstanden wird, dann ist das natürlich zutreffend. Wird unter Schwung aber die Dreidimensionalität der Pferdewirbelsäule betrachtet, dann hat der Schritt sehr wohl Schwung. Liebe Grüße, Anna Eichinger