Wie heißt es so schön? Der Mensch ist ein Raubtier. Das heißt er möchte alles anfassen und primär alles mit den Händen erkunden. Blöd nur, dass in der Akademischen Reitkunst der Sitz die primäre Hilfe ist. Die Hand gehört zu den sekundären Hilfen. Ihre Hauptaufgabe: Informationen an das Pferd geben, umgekehrt aber auch Informationen aufnehmen.

Das klappt doch ganz sicher mit Links…

Wenn wir beim Reiten von der Reiterhand im Singular sprechen, dann meinten vor allem die alten Meister die linke Hand. Sie ritten ihre Pferde auf Kandare gezäumt nicht nur bildlich gesprochen mit Links. Wie Bent Branderup in seinem letzten Kurs in Graz erzählte, liegt hier auch der Grund, warum man Kindern beibringt, die Fäuste mit den Zügeln über dem Widerrist aufzustellen.
Auf vielen Alten Stichen sieht man die unterschiedlichsten Kandarenzäumungen. Ein Schelm wer sich dabei denkt, die alten Meister verließen sich in ihrer Kunst lediglich auf die Qualität der Gebisse. Bereits Guérinière warnt hier in Anlehnung an den italienischen Reitmeister Pignatelli, der im 16. Jahrhundert in Neapel tätig war vor diesem Trugschluss:

„Eigene Erfahrungen hatten ihn überzeugt, dass die Zähmung mehr den Zweck haben muss, dem Pferd den Willen des Reiters bekannt zu machen, als es zu zwingen. Er sagte, dass wenn die Stange selbst die wundertätige Eigenschaft hätte, ein Pferd gehorsam und gut im Maul zu machen, dann kämen aus der Werkstätte des Kandarenbauers nur gute Reiter und Pferde heraus“.

Bent Branderup betont daher die Bedeutung der Pädagogik. „Das Pferd muss die Hilfen bzw. die Handeinwirkung verstehen“. Seiner Meinung nach ist es Pflicht des Reiters ein guter Pädagoge für sein Pferd zu sein:

„Denn was man selbst nicht verstanden hat, kann man wohl kaum seinem Pferd erklären“.

Daher ist es zuerst für den Reiter notwendig ein „gutes Händchen“  und damit auch viel Gefühl zu entwickeln. Dass es keine gute Reiterhand ohne guten Reitersitz geben kann, betonte auch schon Steinbrecht:

„Wir hören im gemeinen Leben oft behaupten, dass jemand nicht besonders gut reite, aber eine sehr gute Hand habe, oder umgekehrt, dass er ein sehr guter Reiter sei, aber einen Fehler besitze, nämlich eine zu harte Hand. Dies ist ein offenbarer Widerspruch, denn wer als Reiter eine wirklich gute Hand besitzt, ist ein Meister der Reitkunst, wenn er auch durch seine Haltung und sein Benehmen zu Pferde dem Laien noch so sehr als mangelhafter Reiter erscheinen mag, wohingegen ein Reiter mit einer wirklich schlechten Hand niemals im wahren Sinne des Wortes ein Reiter sein kann, mag er auch durch Festigkeit des Sitzes, Schneid und Eleganz der Erscheinung noch so sehr bestechen, weil sein Fehler nur aus Mangel an Gefühl und Verständnis für das Pferd hervorgehen kann“.

Steinbrecht betont daher, dass eine gute Hand nur das Ergebnis „vollkommenen Sitzes und feinen Reitergefühls“ sein kann.

Nehmen Sie Platz und lernen Sie zu sitzen…

Da wir heute nicht mehr auf den Luxus früherer Reitakademien zurückgreifen können, wobei der Reitschüler den Sitz zwischen den Pilaren auf einem geschulten Pferd in allen Gangarten schulen und fühlen durfte, müssen wir uns anderer Methoden bedienen.
Wer sich und sein Pferd bezüglich der Handeinwirkung vom Boden aus schult, hat hier nicht nur sprichwörtlich die Nase vorne. Der Vorteil: Das Info-Aufnahmezentrum der Hand kann mit Hilfe der Bodenarbeit und dem Kappzaum exakt geschult werden. Fragt man das Pferd, ob es sich vorwärts-abwärts im Stehen dehnen würde, schult man vor allem das eigene Gefühl.
Wo stecken Hindernisse? Hält das Pferd im Genick fest, ist vielleicht der Unterkiefer angespannt? Liegt die Spannung in der Halswirbelsäule? Wenn ja wo? Hilft es, das Pferd zwischen den Schultern zu bewegen? Und in weiterer Folge wird auch das Info-Abgabezentrum geschult. Wie kann ich ein guter Pädagoge sein, wie kann meine Hand dem Pferd erklären, sich abwärts zu strecken?

Der Kopf hat keine Beine..

Stellen wir uns vor wir haben das Pferd in einer Links-Stellung und Biegung unter uns. Der linke Zügel als der innere Zügel führt die Schultern nach außen. Dabei wirkt der Zügel nicht am Maul, sondern mit leichtem Druck am Hals. Der rechte, also der äußere Zügel muss in seiner Einwirkung aufpassen, dass Stellung und Biegung nicht verloren gehen, am Hals eingesetzt bewirkt er, die Führung der Schulter nach innen. Niemals darf das Pferd mit den Zügeln direkt am Maul gewendet werden. Bent Branderup trifft die Sache wieder mal auf den Punkt: „Denn der Kopf hat ja schließlich keine Beine“. Inneren und äußeren Zügel kann man dem Pferd somit in aller Ruhe ohne Sitz auch vom Boden aus erklären. Die Gerte kann durch Berührungen die Hilfen verstärken, wenn das Pferd die Zügeleinwirkungen nicht gleich verstehen sollte.

Aufgesessen…

In der Bewegung heißt es dann volle Konzentration auf die Hinterhand. Denn was sich hinten im „Motor“ des Pferdes abspielt, zeigt sich genau „vorne“ in aller Deutlichkeit. Was die Hinterbeine tun, pflanzt sich über die Wirbelsäule bis zum Genick des Pferdes fort. Schiebt das Pferd beispielsweise mit einem Hinterbein zu viel, dann spürt man den Druck auch durch deutliche Gewichtszunahme in der Hand. Hier mahnt Steinbrecht aber auch vor der Einwirkung einer zu harten Hand:

„…so wird ein zu starker Druck des Gebisses dazu führen, dass ein Pferd entweder sich dem dadurch erzeugten Schmerz entzieht oder das Gefühl für die Gebisseinwirkung verliert, indem die Nerven der gedrückten Teile unempfindlich werden. Entweder kommt das Pferd „hinter den Zügel“, indem es sich der Anlehnung und somit der Zugeinwirkung durch falsche Stellungen oder willkürliche Bewegung von Hals und Kopf entzieht, oder es hat das „Maul verloren“, also ein „totes Maul“. Es benutzt dann die Hand des Reiters als Stützpunkt für das Gewicht seiner Vorhand, gleichsam als fünften Fuß“.

Wie schwierig es ist den richtigen Zeitpunkt des „Gebens“ zu erfühlen, beschrieb bereits schon Guérinière. Auch das Suchen nach Vorwärts-abwärts ist durchaus schwer zu vermitteln. So schreibt Bent Branderup in der aktuellen Auflage der „Akademischen Reitkunst“:

“ Die Hilfe, die zu diesem Suchen führen kann, wird mit dem inneren Sitz und Schenkel gegeben, welche die innere Hüfte und den inneren Hinterfuß nach vorne holen. Reagiert das Pferd richtig auf diese Hilfen wird die Wirbelsäule auf ihrer ganzen Länge rotieren und die äußere Oberlinienmuskulatur wird gedehnt. So kann das Pferd in Stellung und Biegung vorwärts-abwärts die nachgiebige Hand suchen“.

Steinbrecht kennzeichnet die gute Reiterhand durch Leichtigkeit und Stetigkeit. Nur wenn der Körper des Reiters der Bewegung des Pferdes folgen kann, kann es auch die Hand. Diese ist dann in der Lage durch ein leichtes Heben sämtliche Paraden auszuführen, zu geben, indem die Hand gesenkt wird und das Pferd zwischen den Schultern zu bewegen.

„Die leichte und stete Hand hängt daher von der leichten und steten Haltung des Oberkörpers ab, und diese wiederum teilweise von der richtigen Haltung und den daraus entspringenden richtigen Gangarten des Pferdes“.

Schulen wir also unser Gefühl und verbessern wir Tag für Tag unseren Sitz, dann haben wir bald ein „gutes Händchen“ für unser Pferd und Reiten Einfach. 🙂

 

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