Hankenbiegung oder Hankenbeugung ist die Grundlage der Versammlung. Rein physikalisch gesehen verändert sich der Winkel zwischen den großen Gelenken der Hinterhand in der Stützbeinphase. Klingt jetzt nicht so kompliziert, ist das schon alles?
Es war einmal die Hinterhand….
Unternehmen wir also eine Reise ins Pferdeskelett. Bei genauer Betrachtung stellt sich die Frage: Ist unser Pferd tatsächlich zum Reittier geschaffen? Auf der Vorhand lastet ein Großteil des Gewichts, die Hinterhand ist durch das Hüftgelenk mit dem Becken gelenkig verbunden. Wenn wir also von Hankenbiegung oder Hankenbeugung sprechen, dann sind alle großen Gelenke der Hinterhand daran beteiligt, also Hüft-, Knie- und Sprunggelenk. Diese drei Gelenke stehen in einer leichten Beugestellung zueinander. Hüfthöcker, Sitzbeinhöcker und Knie sind bei den meisten Pferden gut zu ertasten.
Betrachten wir diese Winkel der Hinterhand ganz isoliert vom übrigen Körper könnte man annehmen, dass die Gelenke alleine bei einer Belastung im Stehen wie ein Kartenhaus unter Belastung in sich zusammenfallen müssten.
Warum das nicht passiert?
Zwei sehnige Spannbänder verbinden Knie- und Sprunggelenk miteinander. Das bedeutet, bei Beugung oder Streckung des Kniegelenks finden die gleichen Bewegungen, also Streckung oder Beugung auch im Sprunggelenk statt. Beide Gelenke können immer nur gleichzeitig arbeiten. Die Tätigkeit von Kniegelenk oder Sprunggelenk zieht also vice versa die gleiche Streckung oder Beugung nach sich. In der Streckstellung wird dann das Kniegelenk festgestellt, wenn Kniescheibe und Oberschenkelbein aufeinander treffen. Davon ist aber nicht nur das Kniegelenk betroffen, sondern auch das Sprunggelenk, das in Streckstellung fixiert wird.
Diese Verbindung wird als Verspannung bezeichnet, sie gilt aber nur für Sprung- und Kniegelenk, nicht aber für das Hüftgelenk.
Je tiefer das Pferd die Gelenke der Hinterhand beugt, umso stärker wird die Beanspruchung der Muskeln der Hinterhand. Wer einmal sehr tiefe Kniebeugen langsam ausgeführt hat, kann das nur bestätigen.
Für das Pferd ist Hankenbeugung sehr kräftezehrend, da die Winkelung der Hinterhandgelenke von stark fleischigen, aber wenig sehnig durchsetzten Muskeln gehalten werden muss. Für die Arbeit mit dem Pferd bedeutet das: Hankenbiegung setzt jahrelange Arbeit in punkto Muskelaufbau voraus. Korrekte Versammlung und Hankenbeugung auf Knopfdruck kann es also nicht geben.
Muskelkraft
Muskelkraft wird von Kruppenmuskeln, inneren Lendenmuskeln, den langen Sitzbeinmuskeln, Kniescheibenhaltern oder Kniegelenksstreckern abverlangt.
Die Form folgt der Funktion – dementsprechend richtet sich die Funktion nach der entsprechenden Bewegungsphase und kann bei gleichen Muskeln ganz unterschiedlich angesprochen werden.
Versammlung
In der Versammlung werden also Hüft-, Knie- und Sprunggelenk zunehmend in der Stützbeinphase (wir sprechen also vom am Boden stehenden Bein, nicht vom Bein das gerade in der Bewegungsphase ist) stärker gebeugt. Die Qualität der Hankenbeugung ist allerdings abhängig von der Dehnungsbereitschaft der Rückenmuskulatur und den großen Muskelgruppen der Hinterhand.
Hüfte, Knie und Sprunggelenk werden also in der Versammlung gebeugt, das Becken kippt ab, der Widerrist wird angehoben.
Versammlung lässt sich durch einen Ziehharmonika-Effekt beschreiben. Je mehr das Pferd versammelt wird, umso eher schiebt sich sein Körper unter dem Reiter zusammen, man kann „mehr Pferd“ unter sich wahrnehmen. Es kommt zu einer Aufrichtung der gesamten Oberlinie. Je höher der Grad der Versammlung, umso deutlicher verändert sich der Winkel des Beckens zur Wirbelsäule. Große Bedeutung kommt hierbei dem Lumbo-Sakralgelenk zu, der Gelenksverbindung zwischen Kreuzbein und Lendenwirbelsäule. Die Veränderung des Winkels aus dem Becken wird schließlich wesentlich durch das Lumbo-Sakralgelenks beeinflusst. Senkt sich die Kruppe in der Versammlung ab, wird der hintere Teil des Rückens aufgewölbt.
Das Pferd wirkt wie die Ziehharmonika, die zusammengeschoben wird, immer kürzer, die Vorhand des Pferdes wird entlastet.
Let`s move…
Versammlung heißt Bewegung. Die Hinterbeine schwingen also nach vorne, fußen auf, es kommt zur Stützbeinphase und wieder zum Abschwingen. Umso kürzer das Pferdebein am Boden stehen bleibt, umso kürzer also die Stützbeinphase wird, umso weniger schiebt das Pferd beim Abfußen nach vorne. Wenn der Reiter also bereits über die Seitengänge Schulterherein und Kruppeherein gelernt hat, das jeweilige innere und äußere Hinterbein anzusprechen, kann der Abfußmoment vom Pferd etwas früher verlangt werden, um die Stützbeinphase zu verkürzen.
Versammlung heißt: Die Hinterbeine nach vorne reiten. Wenn allerdings die gesamte Last des Pferdes in der Stützbeinphase nach vorne geschoben wird, fällt das Pferd auf die Vorhand, das Hinterbein muss dann seitlich neben den Vorderbeinen vorbei treten, oder das Pferd tritt sich selbst auf den Ballen.
Anatomie-Experte?
Man muss kein Anatomie-Experte sein, Anatomie-Verständnis unterstützt aber für gutes Reiten. Wer sich mit Versammlung und Hankenbeugung beschäftigt kommt nicht umhin sich mit der Anatomie und Biomechanik des Pferdes zu beschäftigen. Biomechanik ist fast schon ein Modewort. „Bios“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Leben“, Biomechanik bedeutet also Mechanik des Lebens. Dabei geht es um das Verhalten und das Verhältnis von Gelenken in Bewegung.
Wer die Biomechanik versteht kommt auch mentalen Grenzen seines Pferdes leichter auf die Schliche. Was geht und warum geht’s nicht? Diese Fragen können wir hier miteinander verknüpfen.
Wer sich in den Pferdekörper denkt, Reitet also Einfach 😉
Liebe Anna, ein wunderbarer Artikel??. Über den Schluss bin ich allerdings gestolpert, da wo Du schreibst, dass die Stützbeinphase kürzer wird und die Hinterbeine weiter vortreten in der Versammlung. Ich hätte gesagt, die Stützbeinphase der Hinterbeine wird betont, die Feder quasi mehr gespannt und dadurch ergibt sich ein kraftvolles Abfussen. Und die Hinterbeine treten nicht weiter vor als beispielsweise in einem Arbeitstrab, aber schieben viel weniger bis gar nicht nach hinten raus. Oder meinen wir dasselbe? Herzliche Grüsse Antoinette
Wahrscheinlich ist es dasselbe *spekulier*.
Ich habe das jetzt mit der Stützbeinphase so verstanden, dass es auf die Dauer der „Bodenberührung“ ankommt. Ich kann das leider nicht so schön ausdrücken, ich habe aber einen „chronischen Extremschieber“ zuhause, der sich erst in den letzten Jahren zu einem „Träger“ entwickelt – auch auf der Weide. Da sehe ich den Unterschied sehr gravierend.
Ein überragender Artikel! Schade, dass er schon zu Ende ist, ich könnte noch ewig weiter lesen! Genau das ist es, was oft vernachlässigt wird im Unterricht, das Wissen über die Funktionalität der Biomechanik und der Bewegungsabläufe!
Einfach toll, ich bin restlos begeistert, Deine Artikel werden immer besser!
Ich würde sofort Dein Buch kaufen, wenn Du ein Solches herausbringen würdest!
Dieses Hintergrundwissen über die einzelnen „Lektionen“ und deren Zusammenhänge, Warum, Wieso, Weshalb und Wie ist einfach so unendlich wichtig und auch soooo interessant!
Bitte mehr davon 🙂 😀
Herzliche Grüße,
Vanessa
Ich habe in den „besonderen Phasen“ bei Hale-Bopp ein Problem gehabt, was ich als „Höllentrab“ bezeichnet habe (es existiert ein einziger Schnappschuss davon).
Dazu griff er mit der Hinterhand ZWISCHEN die Vorhand (nicht außen nebenher) auf Gurthöhe und schob wie ein Irrer nach hinten raus. Bei einem Pferd in Überlänge, kamen entsprechende Schritte dabei herum.
Das Problem ist komplett eliminiert. Der „Höllentrab“ ist gestorben, ich habe ihn seit ein paar Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen – eigentlich, seitdem er galoppieren kann.