Am 8. Mai 1666 wird Francois Robichon de la Gueriniere in Essay (Orne) geboren. Sein 1733 erschienenes Buch Ecole de Cavalerie hat noch heute absolute Gültigkeit. Anlässlich Guérinières 349. Geburtstag gibt es heute ein fiktives Interview mit dem Granden der klassischen Reitkunst.

Monsieur, wie ich Ihrem Lebenslauf entnehme ist Ihr Vater als Rechtsanwalt tätig gewesen. Wie passt da die Reitkunst zusammen?

Guérinière: Oh, in der Tat passt sie sehr gut zusammen – zumindest passt das Thema Gerechtigkeit sehr gut zu meiner ganz persönlichen Philosophie. Vor allem darf ein Pferd meiner Meinung nach niemals aus einer schlechten Laune heraus bestraft werden, aus Ärger oder weil man beleidigt ist, sondern immer nur mit vollkommener Leidenschaftslosigkeit. Dies ist ein Grundsatz, den ich heutzutage leider sehr vermisse.

Und der zweite Grundsatz?

Guérinière: Das Wissen um die wahre Natur der Pferde. Ich meine, dies war früher eine Selbstverständlichkeit. Ohne dieses Wissen wäre ein erfolgreiches Gefecht nicht möglich gewesen, ebenso wenig die Kunst, rein um der Kunst willens. Jeder Reiter sollte heute auch noch ein Hauptfach daraus machen.

Das Wichtigste was ich von meinem Trainer Bent Branderup gelernt habe, war der Satz: Reite den Inhalt und nicht die Lektion. Wie sehen Sie das?

Guérinière: Ja die Reitkunst scheint auch heute oft nur Übungen zu verlangen. Jedoch ist eben Übung ohne wahre Grundsätze nichts als eine Routine, deren Früchte Anstrengung, unsichere Ausführung und falsche Juwelen sein werden, mit denen man die Halbkenner beeindrucken kann. Und nun frage ich Sie, für wen reiten wir? Schon als ich mich von der Zweckreiterei entfernen musste, tat ich dies mit- wie sagen Sie heute – ordentlich Bauchweh und Bedenken. Ich konnte mich als einer der ersten ausschließlich der Kunst widmen, aber ich sehe meine Bedenken hatte ich nicht zu Unrecht. Eine Zweckentfremdung hat die Reitkunst mancherorts zur Künstelei werden lassen. Selbst wenn man sich – so wie ich – dann auch auf die Reitlehren der früheren Meister bezieht, so werden diese oft missverstanden und falsch oder sagen wir halb interpretiert.

Können Sie Ihre Ziele noch einmal zusammen fassen?

Guérinière: Oh ja. Sie sagen heute Biomechanik dazu – dies ist die eine Säule, die ich für die Reitkunst nenne, die zweite Säule ist der gewaltfreie und freundliche Umgang mit dem Pferd. Oberstes Gebot ist es, ein guter Pädagoge für das Pferd zu sein. Durch systematische Arbeit bilden wir ein Pferd in Ruhe aus, machen es gehorsam und wendig und erfreuen uns so an einem Pferd, das für uns angenehm zu reiten ist.

Warum glauben Sie hatte Ihr Werk Ecole de Cavalerie so einen großen Erfolg?

Guérinière: Warum haben Autoren generell Erfolg? Ich glaube in diesem Zusammenhang ist Logik und Einfachheit zu nennen. Ich habe kein Geheimnis aus meiner Erkenntnis gemacht. Mein Anliegen war es die Reitkunst zu lieben und zu lehren und Verständnis dafür zu fördern. Sie würden heute sagen: Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht? Ich habe mich auf das Wahre und Einfache beschränkt, um es der Leserschaft deutlich zu machen.

Sind die Pferde von heute gleich zu reiten wie die Pferde aus Ihrer Zeit?

Guérinière: Die Pferde sind es, aber die Menschen sind als Ausbilder völlig anders, als zu meiner Zeit. Ich sehe mitunter, dass der Individualität der Pferde in der Ausbildung nicht mehr genügend Folge geleistet wird. Wir Menschen haben den Anspruch für uns selbst erhoben auf unsere Individualität zu pochen. Da möchte jeder durch ein bestimmtes Merkmal herausstechen, jeder möchte sich positionieren – warum wird die Persönlichkeit des Pferdes nicht mehr ernst genommen. Bücher können etwas wunderbares lehren, aber sie dürfen nicht stur herangezogen werden, vor allem nicht um mechanisch einen Schritt nach dem anderen abzuwickeln.

Sie werden als Erfinder des Schulterherein gepriesen?

Guérinière: Ja, wie ich höre das Aspirin der Reitkunst. Zu meiner Zeit gab es auch einen regen Austausch. Ich habe dieses Schulterherein wie Sie es nennen auf einer geraden Linie formuliert. Der Herzog von Newcastle hat es vortrefflich auf der Volte dargestellt. Nach wie vor hat das Schulterherein für mich eine vortreffliche Wirkung, daher sehe ich sie heute noch als erste und letzte aller Lektionen an, in denen man sein Pferd unterrichten muss, um Geschmeidigkeit und Durchlässigkeit zu fördern. Das Schultereinwärts bereitet das Pferd vor, sich auf die Hanken zu setzen, denn bei jedem Schritt, den es in dieser Stellung tut, bringt es den inneren Hinterschenkel unter den Leib, und setzt ihn über den äußeren, welches es, ohne die Hanken zu setzen nicht verrichten kann.

Sie propagierten als einer der ersten vom Leichten zum Schweren.

Guérinière: Richtig und ich hoffe sehr, dass dieses Prinzip bei der Ausbildung von jungen Pferden noch heute oberstes Gebot bleibt!

 

Gehen wir also immer erst vom Leichten zum Schweren, dann reiten wir nach Guérinière einfach 🙂

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