„Wenn du DEN reiten kannst, kannst du alle reiten!“

Im Gespräch mit einem Meister der Akademischen Reitkunst.

Vor 14 Jahren entdeckte Sabine Oettel die Akademische Reitkunst nach Bent Branderup. In kürzester Zeit ritt die Oberösterreicherin erfolgreich von Prüfung zu Prüfung. So wurde Sabine erster Meister der Akademischen Reitkunst und erfolgreiche Ausbilderin. Wer Sabine mit ihrem Frederiksborger Jarl in den Schulsprüngen gesehen hat, fragt sich zu Recht: „Wie klappt sowas so einfach?

Auch ich wollte es genauer wissen und habe nachgefragt:

Du bist die erste Meisterin der Akademischen Reitkunst – wie wird man eigentlich zum Meister der Akademischen Reitkunst?

Sabine: Man unterliegt einem sehr langwierigen Prüfungsprozedere. Um mich zur Meisterprüfung anmelden zu dürfen, musste ich zuerst folgende Prüfungen erfolgreich absolvieren:

Longierprüfung, Ritterprüfung, Piaffeprüfung, Galopp-Prüfung, Passageprüfung. Alsdann war ich berechtigt mich zur Meisterprüfung anzumelden. Diese bestand aus drei Teilen:

  1. Die Kür. Diese muss zu Musik abgestimmt sein, und ALLE Lektionen ALLER vorangegangener Prüfungen (außer Longe) beinhalten und selbstverständlich einhändig mit blanker Kandare geritten werden. Prüfungsinhalte der gerittenen Kür sind unter anderem: alle Seitengänge in Schritt, Trab und Galopp. Fliegende Galoppwechsel, 2er-Galoppwechsel, ganze Galopp-Pirouetten, Passage geradeaus, Passage-Traversalen,  Passage-Volten, Übergänge von Piaffe zu Passage (Passage geradegerichtet auf der Mittellinie, Gerade-Piaffe bei X, daraus Rechtspiaffe und Übergang Rechtspassagevolte, wieder Übergang zu Piaffe bei X, umstellen zu Linkspiaffe und Übergang Linkspassagevolte). Diese Kür hat ca. 13 Minuten gedauert.
  2. Man muss mindestens 2 seiner Schüler schon bis Ritterprüfung gefördert haben.
  3. Man hält einen Vortrag vor der versammelten Ritterschaft in Dänemark, über ein selbstgewähltes Thema.

Puh, man sieht die Anforderungen zur Meisterprüfung haben es wirklich in sich. Aber fangen wir ganz von vorne an. Wie kamst du eigentlich zur Akademischen Reitkunst und warum hast du dich für diesen Weg entschieden? 

TheodorSabine: Ich muss gestehen, es war Zufall, dass ich auf die Akademische Reitkunst gestoßen bin. In einem Reitsportgeschäft bin ich 1999 über einen Katalog mit Buchneuerscheinungen gestolpert, darin wurde auch der Klassiker, „Akademische Reitkunst“ von Bent Branderup vorgestellt (damals in 2. od. 3. Auflage). Die Buchbeschreibung machte mich neugierig. Ich kaufte das Buch und im Anschluss die ersten Lehrvideos von Bent Branderup. Das Buch war leicht verständlich, und hat mir sehr geholfen meine Hilfengebung grundlegend zu verändern und zu verbessern, was eine klare und harmonische Kommunikation mit meinem Pferd ermöglichte. Ich hatte Glück und konnte schon im darauffolgenden Jahr einen Reiterplatz an einem Branderup-Kurs ergattern. Es ließ sich praktisch nicht vermeiden, dass ich ab diesem Zeitpunkt keinen anderen reiterlichen Weg mehr gehen wollte!!

Die Akademische Reitkunst wird oft als Gymnastik für Pferde mit gesundheitlichen Problemen beschrieben. Wird sie deiner Meinung nach diesem Ruf gerecht? 

Sabine: Das ist eine heikle Frage. Ich denke, man kann Pferde nicht wirklich „gesundreiten“. Wenn ein Pferd eine ernstzunehmende Erkrankung des Bewegungsapparates hat, dann wird der Besitzer (sofern eine Heilung in Aussicht steht) um therapeutische Maßnahmen nicht drum herumkommen. Gute Gymnastik des Pferdes kann dann als „Begleittherapie“ von Nutzen sein. Akademische Reitkunst kann auch helfen, Pferde nach Erkrankungen wieder aufzubauen, speziell die Bodenarbeit kann hier gute Dienste leisten! Des Weiteren kenne ich einige Pferde in unseren Kreisen, die für den Sport nicht mehr nutzbar wären, in der Akademischen Reitkunst aber noch eine schöne sinnvolle Aufgabe erhalten, und TROTZ Handicap noch reitbar sind bzw. noch gymnastiziert werden können, viele bis ins hohe Alter. Schlechtes Reiten/Training wird dem Pferd aber in jedem Fall immer schaden! Wobei man hier die Frage stellen sollte „wer reitet/trainiert sein Pferd ABSICHTLICH schlecht???“ doch sicher niemand…. Es ist also noch sehr viel Aufklärungsarbeit und Lernbereitschaft von Nöten!

Du hast ein Österreichisches Warmblut, einen Frederiksborger und einen Knabstrupper, außerdem viele Berittpferde unterschiedlicher Rassen. Was meinst du? Kann wirklich jedes Pferd akademisch geritten werden und alles lernen?

Sabine: Primär: JA! Ich denke, das wichtigste Kriterium ist, dass ein Pferd mit seinem Menschen kommunizieren wollen sollte und mitarbeiten mag. Es gibt die spektakulärsten Pferde, an denen man trotzdem wenig Freude hat, weil sie nicht mitmachen wollen und auch nicht motivierbar sind. Dann gibt es auch Pferde, denen man nicht viel zutraut, die aber so freudig bei der Sache sind, dass sie enorme Fortschritte machen können.

Stichwort „Besondere Pferde“. Gibt es ein Pferd, das dir als Ausbilderin besonders in Erinnerung geblieben ist und warum?

wembley_kleinSabine: Für mich das außergewöhnlichste Pferd ist und war mein alter Warmblutwallach Wembley. Er war ein sehr rebellisches Pferd, das auch im hohen Alter seine Widerborstigkeit, Frechheit und Schreckhaftigkeit nicht abgelegt hat. Er ist durch die Akademische Reitkunst zu einem wunderbar reitbaren Verlasspferd geworden. Ich bin unendlich dankbar für die vielen guten Jahre, die ich mit ihm verbringen durfte und darf. Obwohl wir es nicht leicht miteinander hatten, wurde mit den Jahren unsere Beziehung immer besser und das Training immer harmonischer. Wembley ist eines der wenigen Pferde, die unglaublich vielseitig ausgebildet wurden. Nahezu alle Prüfungen innerhalb der Ritterschaft habe ich mit Wembley abgelegt. Seine Vielseitigkeit, Klugheit, sein Eigensinn und zum Teil Verrücktheit, seine Schönheit und Ausstrahlung machen ihn zu einem unvergesslichen Pferd.

Einer meiner Reitlehrer sagte einmal zu mir „Wenn du DEN reiten kannst, dann kannst du alle reiten“.

Auch wenn meine jüngeren Pferde durchaus liebenswerter, weil gefallsüchtiger, schmusiger, leistungsbereiter, etc. sind,  und ich sagen kann, dass meine Beziehung zu ihnen um ein vielfaches harmonischer ist, als es die zu Wembley für lange Zeit war, so bin ich meinem Wembley unendlich dankbar, da ich so viel von ihm lernen durfte. Er war der Wegbereiter für meine beiden jüngeren Pferde, und alle Beritt- und Ausbildungspferde, sowie meine Schüler, die heute alle davon profitieren, dass Wembley so stark Einfluss auf meine reiterliche und persönliche Entwicklung genommen hat.  

Immer wieder höre ich in Gesprächen mit Menschen, die die Akademische Reitkunst noch nicht kennen, Sätze wie: Ihr reitet aber unter Tempo und nur mit scharfer Zäumung. Mit welchen Argumenten kann man hier aufklären?

Sabine: Nun, die Frage der Zäumung lässt sich ganz leicht anhand der verschiedenen Wirkungsweisen der verschiedenen Gebisse erklären. Darüber gibt es genug Lesestoff. Daran gibt es nichts zu rütteln oder zu diskutieren. Es ist jedoch nicht von der Hand zu weisen, dass jedes Gebiss so scharf/hart ist, wie die Hand, die es führt. Die Zäumung auf Kandare soll nicht als Trensenverstärker verstanden und missbraucht werden. Das Reiten auf blanker Kandare ist vielmehr so zu verstehen, dass dadurch überprüft wird, ob die vorangegangene Ausbildung erfolgreich war. Ohne sorgfältige Ausbildung auf Grundlage der Biomechanik des Pferdes würde es niemals funktionieren, ein Pferd bis in höchste Lektionen, einhändig blank, zwischen den Zügeln zu führen, durch den Sitz zu stellen und zu biegen, eine korrekte Aufrichtung zu erreichen.

Das Tempo mag konventionellen Reitern sicher untertourig erscheinen. Das rührt meiner Meinung nach daher, dass unsere Interpretation von Schwung und Vorwärts eine andere ist als im Konventionellen Reiten. Im Konventionellen Reiten ist die Ausbildung darauf ausgelegt, möglichst viel Schubkraft zu entwickeln, wohingegen die Ausbildung der Akademischen Reitkunst darauf abzielt, möglichst früh an der Tragkraft sprich Versammlung zu arbeiten.

Unter Vorwärts verstehen wir die Länge eines Trittes/Schrittes, den es nach dem Abfußen in Richtung Schwerpunkt zurücklegt, unter Schwung verstehen wir den schwingenden Pferderücken. Beide Begriffe haben für uns nichts mit Geschwindigkeit zu tun. Trotzdem sollten sich auch die Reiter der Akademischen Reitkunst in Acht nehmen, Versammlung nicht mit langsam zu verwechseln.

Primär hat jedes Pferd ein Tempo, in dem es sich am leichtesten tut loszulassen, zu schwingen, an die Hand heranzudehnen. Ausgehend von diesem Tempo kann die Arbeit beginnen und aufbauen.

Du beschäftigst dich ja auch mit den Schulen über der Erde – wozu braucht man die überhaupt?

jarlSabine: Wozu braucht man 50 Paar Schuhe?  … oder 30 Schabracken ? 😉 Natürlich braucht man die Schulen über der Erde in der heutigen Zeit nicht, genauso wenig wie man ein Pferd reiten MUSS … Die Schulen über der Erde sind meine spezielle Leidenschaft, auf diesem Gebiet möchte ich gerne noch Experimentieren und Erfahrungen sammeln. Ich finde es faszinierend, welche Kraft und Schnelligkeit freigesetzt wird. Wie ein Pferd in der einen Sekunde hochkonzentriert, enorme Energie freisetzt. Wenn in Vorbereitung auf einen Sprung, Kräfte gebündelt werden um schließlich explosionsartig freigesetzt werden. Hinterher das Pferd wieder völlig entspannt und vertrauensvoll steht um sein Leckerli und Lob zu erhalten, bereit, weitere Hilfen, Körpersprache anzunehmen und sich ohne Stress vom Menschen weiter führen/reiten lässt.

Was würdest du jemandem raten, der mit der Akademischen Reitkunst beginnen möchte? Wie geht man das am besten an? 

Sabine: Wenn sich jemand, der bereits Bücher zur Akademischen Reitkunst gelesen hat, Lehrvideos gesehen hat, oder Bent Branderup-Kurse als Zuschauer miterlebt hat sicher ist, dass er fortan mit seinem Pferd nach den Prinzipien der Akademischen Reitkunst arbeiten möchte, dann sollte er/sie auf den Homepages von Bent Branderup und der Ritterschaft nachsehen, ob es Ritter, Wappenträger oder lizenzierte Trainer in der Nähe gibt. Falls nicht, kann man liz. Trainer und Mitglieder der Ritterschaft kontaktieren, ob sie jemanden in erreichbarer Nähe kennen, der regelmäßig unterrichten könnte, man kann über Facebook auch noch Trainerlisten finden und es gibt mittlerweile sehr viele Lehrgänge von bekannten Trainern, an denen man mit oder ohne Pferd teilnehmen kann. Wo ein Wille, da ein Weg …. und es lohnt sich!

 

An dieser Stelle ein herzlicher Dank an Sabine für die Beantwortung all meiner Fragen!

Mehr über Sabine und ihre Arbeit gibt’s auf ihrer Homepage, sowie auf Facebook.

Egal ob Bücher, Interviews, Videolektionen oder direkter Unterricht – nur wer das Gelernte in die Tat umsetzt, Reitet irgendwann Einfach 😉