Mentale Profiler würde man vielleicht heute sagen. Die Alten Meister haben diesbezüglich von „Reitertakt“ gesprochen. Die Rede ist von Reitern, die das Zeug dazu haben, ihre Pferde einer mentalen Stärken-Schwächen Analyse zu unterziehen.

In der Akademischen Reitkunst heißt es oft: Wir müssen nicht reiten, wir dürfen. Und in erster Linie geht es darum, mit seinem Pferd eine gute Zeit zu verbringen. Was, aber wenn das Pferd nicht dieser Ansicht ist?

Wer als Reiter sein Pferd „auf die Couch legt“, hat folgenden Vorteil: der „Reitertakt“ legt offen, ob sich unser Pferd bei uns wohl fühlt, mit den gestellten Anforderungen zurecht kommt, oder überfordert ist. Und die wichtigste Frage: Hat mein Pferd überhaupt Spaß an der Sache?

Pferdepersönlichkeiten

Wie kann ich nun die Persönlichkeit meines Pferdes entdecken? Christofer Dahlgren, Meister der akademischen Reitkunst aus Schweden etwa teilt Pferde grob in vier Persönlichkeiten ein: Persönlichkeit „Glücklich“, Persönlichkeit „Schnell“, Persönlichkeit „Sicher“ und Persönlichkeit „Liebenswürdig“.
Jossy Reynvoet nimmt die Elemente Wasser, Luft, Feuer, Erde, Metall und Holz zur Hilfe, um die Persönlichkeit des Pferdes einzuschätzen.
Muss man nun ein hippologischer Sigmund Freud sein, um die Persönlichkeit des Pferdes richtig einzuschätzen?

Nein, denn oft reicht auch das Bauchgefühl. Aber der Vergleich mit Comicfiguren oder Elementen kann helfen, weiter in die Persönlichkeit zu blicken.

„Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“,

heißt es im Kleinen Prinzen.
und gleich zu Beginn des Buches, da stellt sich die Problematik mit einer Kinderzeichnung.

Der Erzähler der Geschichte ist fasziniert von den Tieren des Dschungels. Besonders angetan hat es ihm eine Riesenschlange, die einen Elefanten verspeist. Für die „großen Leute“ ist die Zeichnung jedoch eindeutig:

„Das ist ein Hut“.

Wir sehen manchmal genau das, was wir sehen wollen. Also sehen wir nur das widerspenstige Pferd, das nicht durch die Wasserpfütze laufen mag, oder im Genick nicht nachgeben möchte, oder, oder, oder….

Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar – ja vielleicht – aber für das Herz nicht. Sehen wir also öfter mit dem Herzen hin. Warum möchte das Pferd nicht so, wie wir wollen. Läuft es aus Angst davon, oder fühlt es sich von uns bedrängt, wenn wir etwas einfordern?

Der introvertierte Typ

Vor einiger Zeit gab es wieder einen Blog-Leserwunsch. Die Frage war: Wie würde ich introvertierte Pferde trainieren.

Wenn ich nach der Definition von Christofer Dahlgren gehe, dann darf ich einen introvertierten Typ zu meinen allerbesten Teamplayern zählen – meine Stute Pina.

Profiling Pina

Pina und introvertiert? Auf den ersten Blick wirkt Pina sehr ruhig, ein wenig in sich gekehrt, nachdenklich. Wenn ich zu ihr auf die Weide gehe, bleibt sie stehen und sieht mich freundlich an. Sie wartet ab, was nun passiert.
Zum Stall geht sie sehr brav, aber langsam mit. In der Box ist sie nicht gerne eingesperrt. Vor unserem Umzug zum Horse Resort „am Sonnenhof“ hat Pina wirklich viel gekoppt. Auf dem Paddock Trail denkt sie nicht mal dran, in der Box kann es schon nochmal „passieren“, wurde aber viel seltener.
Introvertierte Pferde neigen laut Christofer zum Koppen oder Weben, sie wirken ruhig, innerlich haben sie aber dann doch Stress. Daher sind auch häufig solche Pferde anfällig für Magen- oder Verdauungsprobleme, was auch eine Erklärung für Empfindlichkeit in der Gurtlage und Sattelzwang sein kann.

Dies kann ich für Pina auch bestätigen, allerdings veränderte sich die Anfälligkeit für Koliken ebenso rapide nach unserem Umzug 2015. Seit Veränderung des „Hauptwohnsitzes“ hatten wir keine Kolik mehr.

Beim Reiten ist Pina grundsätzlich sehr brav. Sie ist sehr intelligent und versteht sofort. Viele Wiederholungen sind für diesen Typ nicht notwendig. Einmal erklärt und es sitzt. Viele Wiederholungen führen daher nur zu mehr Frustration. Ich habe mit der Zeit festgestellt, dass Pina immer unsicherer wurde, je mehr ich „zur Sicherheit“ wiederholt habe. Mittlerweile gebe ich mich bei neuen Herausforderungen mit einem vermeintlichen Zufallstreffer zufrieden – wohl wissend, dass mein kluges Pferd die Aufgabe auch am nächsten Tag oder zwei Wochen später meistern wird. Hier hat sich für mich gezeigt: Ich gebe umso mehr Sicherheit, je weniger ich gerade bei neuen Themen „drauf rum reite“.

Ist es echt?

Wie oft geht es uns im Alltag so?
Man trifft einen Bekannten und fragt nach dem Befinden. „Gut“, lautet die Antwort. Aber der Inhalt es Gesagten und die Mimik passen einfach nicht zueinander.
Die Pferde wissen es besser – introvertierte Pferde meiner Meinung nach ganz besonders. Wenn mein Lob nicht wirklich ehrlich war, dann kam es auch nicht rüber.
Pina bemüht sich sehr, ist gleichzeitig aber hypermobil. Mit ihr lerne ich daher zum aufrichtigen und ehrlichen Pädagogen zu werden.

Wiederholung?

Wie trainiert man nun introvertierte Pferde. Für Pina ist es wie gesagt die eine Wiederholung, bzw. der „Zufallstreffer“, der langsam ausbaufähig wird – für ein anderes – aber ebenso introvertiertes Pferd mag die Sicherheit in einer gewohnten Reihenfolge und Gliederung liegen (auch das mag Pina recht gerne). Aber auch eine ganz feste Reihenfolge kann ihre Tücken haben: Eine Zeit lang habe ich nach dem Reiten noch vom Boden aus in die Arbeit mit der Schulparade geschaut: Pina konnte meine Hilfengebung nicht abwarten und hat einfach mal „von selbst“ gemacht. Das sieht zwar von außen lustig aus, aber es geht mir ja doch um die Schulung der Hilfen. Was nun? Lob oder Tadel? Für Pina wäre es frustrierend gewesen, wenn sie von sich aus brav etwas anbietet, ich es aber nie lobe, daher habe ich diese fixe Struktur dann doch wieder rausgenommen.

Gerade da introvertierte Pferde ihren Stress nicht so sichtbar nach außen zeigen ist die Gefahr groß, Warnsignale zu übersehen. Es gibt Situationen, wo ich bereits gelobt habe und abgestiegen bin und gefragt wurde: „Warum hast du aufgehört, jetzt wurde es doch erst so richtig gut?“

Ja mag sein, dass es gut ausgesehen hat, aber Pina war definitiv nicht entspannt. Ein kleiner „Wischer“ mit dem Schweif. Eine Verspanntheit rund ums Maul. Auch wenn Pina brav ihre Übungen absolviert – ich bin mir dann nicht mehr sicher, mit wie viel Freude.

Partnerschaft

Ich könnte nun wirklich kein Generalrezept für diese und jene Persönlichkeit ausstellen. Wie sagt Bent Branderup so schön in seinen Theorievorträgen:

„Das einzige Pferd, das sich nach dem Lehrbuch verhält, das steht im Lehrbuch drin“.

Da jedes Pferd einzigartig ist – und ebenso auch jeder Mensch – können wir keine Patentrezepte ausstellen.

Bei Pina etwa hat es schon für mich ein Weilchen gedauert, bis ich herausgefunden habe, was ihr wirklich gefällt und wo sie auch eine gute Zeit verbringt. Ab und zu sehr gerne mit meinem Vater im Wald. Beim Ausreiten müssen aber glitzernde und silbrige Gegenstände gerne aus Distanz unter die Lupe genommen werden. Dies kommt sehr selten vor, aber wehe man drängt Pina dann zur Eile. Dann kann es auch Rückwärts-Galopp geben. Wartet man auf ein zufriedenes Seufzen, dann ist alles wieder gut.
Ich denke gerade bei diesen Pferden kann das Seufzen und Ausatmen ein ganz eindeutiges Zeichen auch für die korrekte Dauer von Pausen sein. Manchmal „werfen“ wir ein Keks ins Pferd und reiten sofort weiter. Hier kann ich nur empfehlen genau auf das Timing des Individuums zu warten. Kann mein Pferd still stehen, dabei kauen und entspannen und richtig durchatmen, bevor es weiter geht?

Nur im Wald bummeln? Das ist Pina aber auch zu wenig. Sie wächst mit steigenden Aufgaben wirklich über sich hinaus – hier ist es aber ein schmaler Grat zwischen einem glücklichen und einem überforderten Pferd.

Ich habe mich über einen kreativen Einfall von Pina mal wirklich laut lachend gefreut. Die Antwort kam promt mit einem zufriedenen Brummeln meiner Stute. Mit steigenden Aufgaben wurde Pina auch zunehmend selbstsicher. Mittlerweile braucht sie keine Beschützerin mehr. Sie meistert auch Rangeleien oder Streitereien rund um eine Heuraufe am Paddock-Trail ohne ihre Freundin Tabby.

Nur Tabby ist mit dieser Situation nicht ganz zufrieden. Vielleicht weil sie extrovertierter ist als Pina. Das ist aber eine andere Geschichte.

Lernen wir also die Persönlichkeit unseres Pferdes kennen und lassen wir uns von dessen Entwicklung überraschen!

Am 25. und 26. März 2017 kommt übrigens Christofer Dahlgren zu uns nach Graz. Dann steht auch als Thema das individuelle und maßgeschneiderte Trainingsprogramm für glückliche Pferde im Fokus. Mehr Infos zu diesem Themenseminar gibt es hier.