Muss es immer Arbeit sein? Wissen wir eigentlich wo wir sind? Und was unser Körper sagt? Sind wir anwesend? Jossy Reynvoet brachte uns aus Belgien eine Menge „Awareness“ mit. Ein Kurswochenende, das wohl vielen eine Auszeit von der eigenen Kopflastigkeit brachte und das Zusammensein mit unseren Pferden nachhaltig verbesserte.
Was heißt denn eigentlich Freiheit oder Liberty?
Ich hocke im Sand im Roundpen. Meine Fuchsstute Tabby steht vor dem Ausgang und weiß nichts mit mir anzufangen. Ich gehe nicht drauf ein. Es ist absolut ok.
Sie ist. Ich bin. Wir sind.
Aber in diesem Moment noch nicht gemeinsam.
Dann plötzlich bewegt sie sich auf mich zu. Ich strahle über das ganze Gesicht. Tabby beschnuppert mich sanft. Ich betrachte den Wirbel auf ihrer roten Stirn. Das Abzeichen. Ihre neugierigen Augen. Mir wird bewusst, wie sehr ich diese aufgeweckten, immer neugierigen und auf ihre Art amüsierten Augen liebe.
Ich kann es nicht lassen. Vor lauter Freude strecke ich den linken Zeigefinger nach ihrer Nase aus. Und da ist es schon vorbei. Unser Zusammensein wird von mir kaputt getreten.
Tabby schreckt zurück. Nicht vor Angst. Ich weiß es ja eigentlich ganz genau.
„Berühre mich nicht im Gesicht“. Sie mag es nicht – und ich mag es eigentlich auch nicht. Ich bin kein Mensch, der sich plötzlich und überfallsartig gerne von anderen umarmen lässt. Tabby tickt da eigentlich ganz gleich. Und obwohl wir uns da so ähnlich sind vergesse ich vor lauter Freude ihre Intimzone zu respektieren.
Tabby entfernt sich. Jossy steht am Zaun und schickt mich durch das Roundpen. Ich soll meine Positionen wechseln. Tabby kann und soll selbst entscheiden was sie machen möchte – und ob sie überhaupt Lust hat etwas mit mir zu unternehmen.
Sie hat. Ich sitze auf der Brüstung des Roundpen und es dauert nur ein paar Sekunden, da steht mein schlaues Füchslein wieder neben mir und beschnuppert mich. Diesmal soll ich fragen, ob ich mich auf Tabbys Rücken schwingen darf. Das mit dem Einparken klappt nicht auf Anhieb. Die Gerte als mein verlängerter Arm soll helfen. Tabby kennt diese Hilfe – aber heute – wo wir nicht an Arbeit denken, wo sie tun und lassen kann, was sie möchte zeigt sie mir deutlich, was sie von meiner Frage hält. Und Tschüss; ist die Antwort. Tabby entfernt sich wieder von mir.
Es waren spannende Momente mit Tabby im Roundpen. In den letzten Monaten haben wir viel an der Bewegungsqualität getüftelt.
Und manchmal, ja manchmal kam dann doch vor lauter Kopfarbeit die Beziehungsarbeit – das einfach Sein zu Zweit zu kurz.
Liberty heißt für Jossy Reynvoet also, dass das Pferd die Freiheit hat zu entscheiden.
Für den Menschen heißt das: Keine Erwartungshaltung. Meetings nennt der sympatische Belgier diese Treffen mit dem Pferd.
Wie viel Freude ein solches Meeting machen kann, zeigen Jossy und Pasjo in folgendem Film.
Ein Kurs oder ein Meeting
Schnell wurde den Teilnehmern am Samstag und Sonntag klar, nachdem sie die einfühlsame Theorie rund um Körpersprache und Achtsamkeit von Jossy gehört hatten –wir wünschen uns alle ein Meeting mit dem Pferd.
Anton der Bewegungskünstler
Jeder kennt sie – die bekannten Vorher–Nachher Bildvergleiche. Egal ob es um Diäten oder Trainingserfolge geht. Spannend sind aber auch die Vorher – Nachher Beschreibungen. „Sparsam mit Energie“ – so hatte Eva ihren Warmblut-Wallach Anton vor dem Kurs beschrieben. Sparsam? In der Freiarbeit mit Jossy geizte Anton nicht mit Energie. Jossy und Eva forderten Anton einfach zum Herumtollen auf. Immer wieder folgte der dunkelbraune Wallach der Einladung bis Eva schließlich Seite an Seite schwungvollen, energetischen Trab und gesetzte, aufwärts getragene Galoppsprünge von Anton abfragen konnte. Ohne Kappzaum, ohne Longe. Nur gespiegelt. Und Anton zeigte, dass er wirklich Spaß an Bewegung hatte.
Binnen wenigen Minuten gab es so große Veränderungen in Mensch und Pferd – Gänsehautfeeling pur.
Aber nicht nur für dieses Paar.
Mikado, der Hengst und die Stute
Anja brachte überraschend und Last Minute ihren Youngster Mikado mit zum Kurs. Mikado ist ein dreijähriger Welsh Cob. Bislang hat er Anja und ihren Oldie Maybe im Gelände als Handpferd begleitet, hat uns am Reitplatz bei der Arbeit mit Maybe zugesehen oder war mit seiner Anja einfach mal im Gelände am Strick spazieren. „Eingeschult“ ist Mikado also noch nicht. Durch Maybes Verletzung war es für ihn also nicht nur Kurspremiere. Überhaupt: Sein erstes Mal in einer Halle – und dann schon ein paar Führübungen. Jossy unterstützte die beiden mit vielen spielerischen Elementen. Dabei simulierten Jossy und Anja gemeinsam Bewegung in der Herde. Das Ziel: Spaß an der Bewegung mit dem Menschen, Spaß am Zusammensein und am Lernen. Am Ende der Einheit wälzte sich Mikado zufrieden neben seiner Anja im Sand. Nähe und Verbindung waren deutlich spürbar. Mikado meisterte seine erste Aufgabe also ganz toll und wurde durch sein charmantes Auftreten zum Herzensbrecher des Kurses.
Zita, die magische Weise und Picasso der Malerische
Andrea und Lipizzanerstute Zita sind erst seit wenigen Monaten „zusammen“. Dass die beiden sich erst seit Jänner kennen, war für das Publikum bei Weitem nicht zu sehen. Besonders schön zu sehen: Andrea konnte sich mit Zita über Kleinigkeiten freuen und so wuchs Zita auf ihrem ersten Kurs „in der Fremde“ auch über sich hinaus. Aufmerksam lauschte sie Jossy und Andrea, als diese mit Hilfe von Körpersprache an „Intention Line“ und „Parallel Line“ arbeiteten. Das Ziel dabei: Verbesserung der Konzentration, der gemeinsamen Bewegung, der Achtsamkeit und des Bewusstseins. Dass die Zwei sich einfach gut verstehen und harmonisch miteinander Freude am Zusammensein und der Bewegung haben wurde in der letzten Einheit mit „Liberty“ deutlich.
Diese Harmonie zeigten auch Jana und Picasso im freien Spiel. Auch hier war dann das Thema – können wir auch frei reiten? Picasso und Jana haben einen so guten Draht zueinander – man konnte spüren, dass Picasso dieses Zusammensein nicht als „Arbeit“ empfand. An der Empfindung und am Gefühl tüftelte Jana dann auch mit Picasso an der Longe. Bilder im Kopf – die gab es nicht. Jossy verband Jana die Augen und so ging es um das Spüren – wann vergrößert Jana den Zirkel und schickt Picasso über die äußere Schulter? Wann klappt es mit der parallelen Linie zwischen den Beiden und kann man Paraden wirklich nur durch das Gefühl geben? Ja. Man kann. Und sah aus wie gemalt. Ein echter Picasso eben 😉
Kannst du mich spüren?
Unter diesem Motto wurde dann im Sattel gearbeitet. Jossy ging es um keine Lektionen, sondern um das Gefühl. Wie fühlen sich Haltparaden an. Wie können wir diese verfeinern? Was passiert, wenn man sich vom Pferd in der Bewegung einfach mal mitnehmen lässt? Und schaffen wir eine Parade aus dem Galopp zum Schritt nur über den Sitz. Ich war hier vor allem sehr fasziniert von unseren easy – Isi-Teilnehmern, die mit feinen Hilfen durch die Halle getanzt haben.
Und von den Ideen, die Jossy aus der Körpersprache heraus in den Sattel transportierte.
Einen Fotorückblick aus diesen Einheiten hat Pascale Reynvoet zusammengestellt – vielen Dank dafür.
Gemeinsam auf der Insel
Der Kurs ist vorbei. Die Begeisterung aber noch lange nicht. Nach der langen Fahrt zurück vom Flughafen möchte ich einfach Zeit mit Tabby verbringen. An diesem Sonntag möchte sie das auch mit mir. Gemeinsam sind wir im Roundpen. (Das Roundpen befindet sich übrigens im Pferdeschwimmteich auf einer Insel – wir haben also Inselzeit).
Ich spaziere herum. Es ist kalt geworden, die Herbstabendsonne wärmt nicht mehr. Ich ziehe meine Kreise durch den Sand. Und plötzlich ist Tabby hinter mir. Ich trabe an, laufe immer schneller und lache laut vor Freude. Hinter mir ein Quietschen und dann galoppieren wir beide nebeneinander. Ich bleibe stehen und lächle. Tabby steht neben mir. Ich berühre sie nicht. Sie legt die Nase auf meine rechte Schulter.
Ja. So schön ist Liberty.
Ich bedanke mich bei Jossy und Pascale Reynvoet für ein wunderbares Wochenende mit so viel Input, Herzlichkeit, Motivation und Freude.
Wir freuen uns auf die Fortsetzung 2017.
Treffen wir uns doch öfter mit unseren Pferden, dann reiten wir später Einfach
Danke Anna für eine wunderbare Zusammenfassung dieses außergewöhnlichen Kurses. Ich hoffe alle Teilnehmer und Zuschauer haben es so genossen wie ich und nehmen ein bißchen Liberty und Leichtigkeit mit nach Hause zu ihren Pferden.
Ich möchte auch DANKE sagen für einen tollen Kurs!! Es war ein supertolles Wochenende und wir üben uns an Liberty 🙂 Bis zum nächsten Kurs, ich freue mich schon.
Ein sehr schöner Einblick und für mich ein neuer Mensch, dessen Arbeit ich gern kennen lernen möchte. Wo hat denn der Kurs stattgefunden, bzw wo ist der nächste von euch geplant?
Hallo Sandra! Jossys Arbeit kennenzulernen lohnt sich 🙂 Bei uns in Graz wird er wieder nächstes Jahr Ende Oktober zu Gast sein. Heuer gibt es noch die Chance bei Simone Garnreiter Jossy live zu sehen. Hier der Kontakt: http://www.reitanlage-thal.de/index.php/aktuelles/72-jossy
GLG Anna