„Immer langsam mit den jungen Pferden“. Dieser Spruch wird sogar häufig von Nicht-Reitern benutzt. Aber wie klappen denn nun die ersten Schritte mit den jungen Pferden korrekt?
Meine liebe Kollegin Bianca Grön hat einen Artikel für das Bookazin „Feine Hilfen“ Ausgabe Nr. 17/ 2016 verfasst.
Die These:
Kinder können selbst schwierige Inhalte leicht lernen, wenn die Beziehung zur Lehrperson stimmt. Dieser „Erfolgsgarant“ ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen.
Warum sollte es bei Pferden anders sein?
Bianca Grön über die Arbeit mit Jungpferden im Sinne der akademischen Reitkunst.
Das wichtigste in der Ausbildung ist die Beziehung zwischen Pferd und Lehrmeister. Reitkunst ist Horsemanship und wie das Wort schon sagt, geht es dabei vor allem um Horse – man – (partner)ship, die Partnerschaft zwischen Mensch und Pferd.
Tradition und Ethik
Die Jungpferdeausbildung und das Wissen um die Art und Weise, wie man ein Pferd schult, hat eine jahrhundertealte Tradition. Schon im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb der Kavallerieoffizier Simon von Athen:
„Was ein Pferd gezwungen tut, kann ebenso wenig gut oder schön ausfallen, als wenn man einen Menschen mit einem Stachel und mit Peitschenhieben zum Tanzen antreiben wollte … Das Pferd muss sich durch die Hilfen und Zeichen, die ihm der Reiter gibt, schon von selbst das edelste und prächtigste Ansehen geben.“
Ähnliche Zeilen lassen sich in den meisten Lehren der Reitmeister vergangener Zeiten finden.
Ohne Pferdeverstand und Anstand konnte man früher genauso wenig wie heute ein Pferd bis zur hohen Schule ausbilden. Ein Ritter (frz. chevalier, ital. cavaliere, engl. cavalier ) besaß Tugenden. Davon abgeleitet entstand der Begriff des Kavaliers, bis heute noch bekannt als der Beschützer der Damen – ein Mann mit Etikette.
Genau diese Ethik ist in der Ausbildung des Pferdes von großer Bedeutung. Wenn wir eine Beziehung zum Pferd aufbauen wollen, sind moralisches Handeln und die Fähigkeit zur Eigenreflexion genauso wichtig wie Empathie und Erfahrung. Durch unser Handeln prägen wir das Pferd, unser Verhalten spiegelt sich also auch in unserem vierbeinigen Schüler wider. Man kann nicht nicht kommunizieren, sagte schon Paul Watzlawick. Das heißt, wir werden das Pferd auf jeden Fall durch unseren Kontakt zu ihm prägen, im Idealfall im positiven Sinne. Aber es kann leider auch zu Missverständnissen und Überforderung kommen, die zu Konflikten und Frustration führen.
Eine sorgfältige Grundausbildung des Jungpferdes bereits vor dem eigentlichen Reiten mindert das Risiko von Krisen und somit auch die Gefahr von Unfällen im Zusammensein mit dem Pferd. Gerade unerfahrene Reiter unterschätzen oft Situationen, weshalb die Kombination von unerfahrenem Pferd und unerfahrenem Reiter problematisch sein kann. Wenn beide noch am Lernen sind, ist die Begleitung durch einen erfahrenen Trainer sehr empfehlenswert.
Erfahrungen muss zwar jeder selbst sammeln, aber hat man sich in eine Problematik verstrickt, kann ein Profi mit seinem Erfahrungsschatz auf dem Rückweg zur Harmonie helfen. Um ein guter Ausbildner zu sein, muss der Mensch die Welt seines Pferdes verstehen lernen. Dafür benötigt man Zeit, man muss sich schließlich auf eine gemeinsame Sprache einigen. Und das erreicht man nicht nur,wenn man das Pferd „arbeitet“: Das Zusammen-„Sein“ ist genauso wichtig wie zusammen etwas zu „tun“. Denn „wir müssen mit dem Pferd heutzutage nichts weiter, als Zeit schön mit ihm zu verbringen“, wie Bent Branderup es ausdrückt.
Kindergarten und Kontakt
Ein wichtiger Aspekt bei der Jungpferdeausbildung ist die Biografie des Pferdes. Wie ist es zum Beispiel groß geworden?
Es ist uns durchaus bewusst, dass die ersten Jahre der Kindheit die Menschen prägen und wie wichtig die Zeit im Kindergarten ist, bevor das Kind eingeschult wird. Kinder werden langsam ans Lernen herangeführt. Die Anforderungen in der Grundschule sind andere als die in den weiterführenden Schulen.
Bei unseren Pferden ist es genauso. Unsere Anforderungen an ein Jungpferd müssen dem Alter angemessen sein. Die meisten Jungpferde können sich nicht lange konzentrieren und müssen erst lernen zu lernen. Sie sollten erfahren, dass ein Lob etwas Positives und Erstrebenswertes ist und dass ein Nein auch Konsequenzen nach sich ziehen kann.
Der Beginn der Ausbildung unseres Pferdes ist mit dem Kindergarten zu vergleichen. Wir wenden uns dem Pferd zu und es muss lernen, sich getrennt von seiner eigentlichen Herde bei uns sicher und wohlzufühlen.
Damit das Pferd mit uns im Kontakt bleibt, ist eine bewusste Körpersprache genauso wichtig wie innere Gelassenheit und Zugewandtheit.
Fühlt es sich durch unser klares Verhalten in unserer Nähe sicher, dann haben wir schon viel erreicht. Im Idealfall nämlich, dass das Pferd uns nun als seinen Kumpel, einen Teil seiner Herde, ansieht. Klarheit, Konsequenz und Struktur sind gefragt, damit wir Vertrauen zum Pferd aufbauen und Grundregeln aufstellen können. Es geht hierbei immer wieder um die Frage der Führung. Wer führt wen? Wie bei einem Tanzpaar wird auch zwischen Mensch und Pferd einer der beiden die Führung übernehmen. Wenn wir nicht führen, dann führt das Pferd. Unter Führung verstehe ich natürliche Autorität. Mein Ziel ist es nicht, das Pferd zu dominieren. Forcierte Dominanz kann bewirken, dass wir ein gestresstes, abgewandtes Pferd haben, das in brenzligen Situationen eventuell gegen uns agiert. Wir können uns eher auf ein Pferd verlassen, das mit uns in einem guten Kontakt steht. Unser Ziel sollte ein Pferd sein, das gerne mit uns zusammen sein möchte.
Kurz: Bevor wir mit der dressurmäßigen Arbeit, der Gymnastizierung beginnen, haben also andere Themen Vorrang.
Wir erlernen eine gemeinsame Sprache, stellen uns aufeinander ein und erklären die Grundregeln. Das Pferd lernt sich führen zu lassen, anzuhalten und uns auf Spaziergängen zu begleiten. Zudem sollte es lernen, beim Putzen unangebunden stehen zu bleiben. Das schafft einen Komfort im Umgang mit dem Pferd und vereinfacht den Wechsel der Kopfstücke und das Satteln. Je besser die Vorarbeit ist, desto entspannter kann später mit der dressurmäßigen Ausbildung begonnen werden.
Freiarbeit
Die Freiarbeit ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Ausbildung. Wir bekommen Infos, wie es dem Pferd mit uns und im allgemeinen geht. Bleibt es bei uns oder sucht es schnellstmöglich das Weite? Zudem können wir unsere Körpersprache und die Kommunikation mit dem Pferd überprüfen. Da wir keine Longe oder Zügel haben, um das Pferd bei uns halten, wird es sehr deutlich, wenn wir gegensätzliche Signale geben, denn dann werden sich die meisten Pferde von uns abwenden. Spätestens dann sollte unsere Eigenreflexion beginnen, wie wir für das Pferd wieder interessant werden. Wir sind bei der Freiarbeit auf die Freiwilligkeit des Pferdes angewiesen, von daher wird hier die Notwendigkeit von spielerischer Herangehensweise am deutlichsten. Nur wenn wir Erwartungen loslassen, werden wir Spaß zusammen haben.
Arbeit am Kappzaum
Mit frühestens 3,5 Jahren beginnen wir mit der dressurmäßigen Arbeit in Form von Boden- und Longenarbeit am Kappzaum. Wir bereiten das Pferd darauf vor, ein Reitpferd zu werden. Aufgrund der natürlichen Schiefe eines jeden Pferdes ist es wichtig, das Pferd in Balance zu bringen. Wir möchten im weiteren Verlauf der Ausbildung nicht bloß Trageerschöpfungen vermeiden, sondern wir wollen unser Pferd auch noch geschmeidiger machen, als es von Natur aus schon ist. In der Bodenarbeit erklären wir die Hilfen, die wir später auch beim Reiten einsetzen wollen. Das sind vor allem der innere und äußere direkte und indirekte Zügel, sowie der innere und äußere Schenkel. In der Bodenarbeit wird die Gerte in Position des jeweiligen Schenkels eingesetzt, in der späteren Reitausbildung kann diese Hilfe vom Bein des Reiters übernommen werden. Auch bei der Longenarbeit geht es um die Erklärung der verschiedenen Hilfen, allerdings aus einer anderen Führposition. Beim Longieren am Kappzaum sehen wir das gesamte Pferd und können daher gut die verschiedenen Grundgangarten verfeinern. Im Allgemeinen ist die Arbeit auf dem Zirkel wertvoll, um Stellung und Biegung zu verfeinern und das Pferd in Balance zu bringen.
Wann ist das Pferd „reif“ zum Anreiten?
Ein erfahrener Trainer wird das Pferd etwa ein Jahr vom Boden aus vorbereiten, bevor mit dem Anreiten begonnen wird. Wir sprechen nicht nur den Geist des Pferdes an, sondern trainieren auch seine Muskeln, Sehnen und Bändern. Beides braucht seine Zeit.
Beim Anreiten sind wir im Idealfall zu zweit. Das „Einparken“ des Pferdes an der Aufsteigehilfe sollte bereits spielerisch erlernt sein. Auch für die Gewöhnung an den Sattel sollten wir uns so viel Zeit genommen haben, wie das Pferd brauchte, um sich mit einem angegurteten Sattel wohlzufühlen. Bei der Gewöhnung an den Reiter bleibt die Vertrauensperson zunächst beim Pferd an der Longe und ein Helfer lehnt sich über das Pferd, bis er sich irgendwann auf das Pferd setzen kann. Auch hier gilt: Wir geben dem Pferd die Zeit, die es braucht, um sich in der neuen Situation gut zu fühlen. Nachdem das Pferd gelernt hat, beim Aufsteigen sicher stehen zu bleiben, beginnen wir mit den ersten gemeinsamen Schritten.
Je mehr Zeit und Geduld wir in diese Grundausbildung investieren, desto mehr Freude werden wir in der weiteren dressurmäßigen Arbeit mit dem Pferd haben.
Kommunikation
Bei der Ausbildung des jungen Pferdes ist es wichtig, seine Motivation und Freude am Lernen zu erhalten. „So soll es ihm ein Spiel sein, durchflochten von Pausen und Belohnungen“, schrieb schon General der Kavallerie Faverot de Kerbrech im 19. Jahrhundert. Wir stellen Fragen und das Pferd antwortet, sodass es zu einem stetigen Dialog zwischen Pferd und Mensch kommt. Gibt das Pferd eine ungewünschte Antwort, ist es unsere Aufgabe, die Frage neu und besser zu formulieren, um die Kommunikation mit ihm aufrechtzuerhalten und Mißverständnissen vorzubeugen. Ein eigentlich schlichtes Kommunikationsproblem kann ansonsten zu Widersetzlichkeiten und beidseitiger Frustration führen.
„Schlechte Manieren verderben die besten Pferde. Die Art des Reiters spiegelt sich in des Pferdes Haltung, Gang und Benehmen. So wie das Pferd Dich errät, so verrät es Dich auch. Unstetigkeit, Unaufmerksamkeit, Affektiertheit, kleinliche Hast, Bequemlichkeit, Launigkeit, Mißtrauen, Bösartigkeit – wie unweigerlich spiegelt sie das Pferd zurück! (…), es schmeichelt Dir nie. Es spiegelt Dein Temperament. Es spiegelt auch Deine Schwankungen. Ärgere Dich nie über Dein Pferd; Du könntest Dich ebensowohl über Deinen Spiegel ärgern.“ (R.G. Binding, Reitvorschrift,1924)
Die wahren Herausforderungen in der Ausbildung sind also nicht die Lektionen, die wir unserem Pferd beibringen, sondern unser eigener Körper und Geist. Die Frage ist daher weniger: Wie gut kann unser Pferd lernen? Sondern vielmehr: Wie gut können wir lehren?
„Vergiß aber nie, dass die Erziehung ebenso allmählich vor sich gehen muss, wie das Aufsteigen des Mondes, wobei man auch nur das Ergebnis, aber nie die bewegende Ursache bemerkt.“ (G. J. White – Melville)
Vielen Dank an Bianca Grön für diesen wunderbaren Artikel. Mehr über Bianca, die künftig auch einmal im Monat in der Schweiz anzutreffen ist, findet ihr auf ihrer Website.
Super und differenziert dargestellt. In den ersten Monaten allerdings habe ich mich nur an das sogenannte Fohlen-ABC (Hufe geben, Halftern und sich anfassen lassen) gehalten und finde das schon ganz ordentlich, spazieren gehen ging nicht, da das Führen schwierig genug ist und immer noch geübt werden muss.