Wer hat nicht schon mal den Satz gehört:
„Wirkt Reiten schwierig ist es Sport, sieht es leicht aus, ist es Kunst“.
Mein primärer Gedanke dazu – zustimmend nicken. Bei näherer Betrachtung und vielen Fragen aus er Praxis, sieht die Sache jedoch ein wenig anders aus.
Kunst oder Sport?
Der begeisterte Reiter und Tierarzt Udo Bürger befasst sich in seinem Werk „Vollendete Reitkunst“ (1959) eingehend mit der Frage, ob Reiten denn nun Sport oder Kunst sei. Kurz gesagt: Udo Bürger findet für beide Seiten der Medaille eine Daseinsberechtigung.
Er sieht Reitkunst als etwas Besonderes:
Vollendete Reitkunst, Udo Bürger
„….und zwar hat sie von den bildenden Künsten das Formen, das Modellieren des anderen lebenden Wesens, des Pferdekörpers, über Jahr und Tag – von den musischen Künsten und dem Rhythmus, den Tanz“.
Reitkunst lebt eben durch das formende Element der Ästhetik. Daher sieht Bürger Ästhetik und Kunst untrennbar miteinander verbunden. Für den Sport hat er eine andere sehr schöne Definition:
„Die Routine ohne Gesetze gehört in den Sport“.
Das klingt jetzt beinahe schroff. Ich begegne vielen Reitern auf meinen Kursen und im Unterricht, die sich lieber der Kunst als dem Sport zuwenden wollen. Nicht zuletzt, weil sie keine Wettkämpfe bestreiten wollen und oftmals aus der Sportreiterei kommend, enttäuscht sind von der „Kraftreiterei“ die ihnen dort begegnete.
Sind wir akademisch aber unsportlich?
Udo Bürger fasst einige wichtige Merkmale des Sports zusammen:
Ehrenhaftigkeit, Fairness und Kameradschaftlichkeit, die Anerkennung gleicher Chancen und die Verachtung von Neid und Missgunst. Das wären die Eckpfeiler von Sportsgeist, so wie ihn auch der olympische Gedanke zusammen fasst: Fairness steht an oberster Stelle, Pierre de Coubertin, der Gründer der Spiele formulierte es so:
„Das Wichtigste im Leben ist nicht der Sieg, sondern das Streben nach einem Ziel. Das Wichtigste ist nicht erobert zu haben, sondern gut gekämpft zu haben“.
Pierre de Coubertin
Das erklärt auch das Motto: Dabei sein ist alles.
Auch bei Udo Bürger finden wir hier eine schöne Passage:
„Das Glück des gesunden, starken Menschen liegt immer in einem Tun, in einer Energie, in der Anstrengung und in einer Mutprobe. Die glückhaften Betätigungen sind also nicht nur Vergnügen, es sind die Anstrengungen und Anstrengung ist der wahre Sport. Reizvoll ist aber die Tätigkeit selbst“.
Vollendete Reitkunst, Udo Bürger
Wie wir zum Reiten kamen?
Warum reiten wir überhaupt? Denken wir an Udo Bürgers Worte. Reizvoll ist die Tätigkeit selbst. Jeder kann die Frage wohl nur für sich selbst beantworten. Ich bin zum Reiten gekommen, da mich Pferde fasziniert haben. Ich war von Pferden als Kind magisch angezogen. In jeder Zeichnung gab es ein Pferd, auf dem Weihnachtswunschzettel stand natürlich „Pferd“ und natürlich drehte sich jedes Spiel nur um Pferde. Ich hatte das Glück neben einem Trakehnergestüt groß zu werden, also verbrachte ich rasch meine gesamte Freizeit in Kindheit und Jugend im Stall. Es war nicht nur das Reiten, das ich beseelte, sondern das Zusammensein mit Pferden und auch die Stallarbeit.
Später habe ich dann – so wie die meisten Reiter auch – erfahren, was ich wollte – und vor allem – was ich in der Reiterei nicht wollte. Das Streben nach Harmonie, nach einem wunderbaren Zusammensein mit dem Pferd, das war mein Ziel.
Aber geht das gänzlich ohne Anstrengung? Im Rahmen meiner Unterrichtstätigkeit erlebe ich oft, dass meine Schüler ins Schnaufen kommen. Das fängt schon bei der Bodenarbeit an, wenn wir rückwärts vor dem Pferd her laufen und die Übersicht behalten müssen (und oftmals auch überhaupt unseren Blick schulen). Weiter geht es im Sattel, wenn sämtliche Körperteile zu Beginn noch nicht so wollen, wie der Kopf es ihnen mitteilt. Körperbeherrschung will gelernt sein.
In der Theorie lernen wir, dass ein Pferd mit dem Hinterbein in Richtung Schwerpunkt treten muss, denn nur wenn das Pferd dort aufaßt, wird die Kraft – vorausgesetzt, das Pferd fußt gerade, ohne ein Drehen in den Gelenken – korrekt in das Becken und von dort über die Wirbelsäule in Richtung Vorhand übertragen. Beobachten wir, ob Kopf und Ohren eher nach vorne unten federn oder nach hinten oben wippen – werden wir der Qualität der Bewegung gewahr und können unterscheiden, ob das Pferd ein Rückengänger oder Schenkelgänger ist.
Auch in der Reitkunst lernen wir nie aus und je besser wir unser Handwerk verstehen, umso eher wachsen vielleicht auch die Ambitionen. Nicht selten kam die Frage: „Wie lange dauert das denn nun, mit dem Schulhalt?“ Kunst folgt also auch Gesetzen – nämlich jenen der Biomechanik, wenn es um das Formen des Pferdekörpers geht. Je besser die Tiefenmuskulatur ausgebildet ist, die mit zahlreichen sensorischen und propriozeptiven Nervenzellen ausgestattet ist, umso besser haben wir die Pferde am Sitz, umso eher verstehen sie eine minimale Gewichtsverlagerung. Je besser die Tiefenmuskulatur ausgebildet ist, die besondere Eigenschaften in Punkto Statik hat, umso besser wird auch die Tragkraft, wobei das Beugen der Gelenke natürlich auch abhängig ist von der Bewegungsqualität. Jede Bewegung eines Gelenks ist eingerahmt und gestützt durch Muskulatur. Je nach Art und Beschaffenheit des Gelenks findet Bewegung statt, deren Rahmen vorgegeben ist durch die Zugrichtung der jeweiligen Muskulatur und die Straffheit der umgebenden Bandsysteme.
Klingt sportlich, oder ? Wollen wir also Tragkraft, einen Schulhalt – was auch immer – dann bedeutet das Training.
Nur schön sitzen reicht nicht
Erst jüngst formulierte es eine Schülerin ganz treffend: Einfach nur da sitzen und nichts tun und darauf zu warten, dass die Kunst passiert – das ist nicht.
Meine Stute Tarabaya, von Natur aus in den Vorderbeinen zeheneng und schwankend in der Hüfte, dadurch auch breitbeinig am Schwerpunkt vorbei fußend musste einiges an Mühen auf sich nehmen, um ein Bewegungskonzept zu erlernen, dass die Gelenke schont und der Gesundhaltung dient.
Für Tabby war das Krafttraining sicherlich auch einigermaßen „sportlich“ zu bewerten.
Wir lernen auf den Kursen mit Bent Branderup den grünen Bereich unserer Pferde einschätzen zu können, im gelben an der Umfärbung zu grün zu arbeiten und rot zu vermeiden.
Auch hier gilt es unser Köpfchen zu bemühen, das richtige Konzept für unser Pferd zu finden und nicht nur den Körper in den Vordergrund zu stellen, sondern auch mal den Geist.
Ja, Schubkraft, damit ist meine Fuchsstute wahrlich ausgestattet. Natürlich war die Verbesserung der Tragkraft unser Thema. Anders gesagt: Ich habe Tabby dadurch viel zeigen müssen, was noch nicht geht, woran sie nicht glaubt und was eben noch besser werden kann. Hier liegt natürlich die Gefahr für Mensch und Pferd, die Motivation zu verlieren. Also haben wir auch, um die mentale Stärke des Pferdes nicht zu vernachlässigen – an Dingen gearbeitet, die Tabbys körperlichen Stärken entgegen kamen. Tabby sollte sich stets großartig fühlen. Und das tut sie – wenn sie mal ein bisschen zulegen darf. Wenn sie nicht gegen Freundin Pina bei einem zünftigen Galopp auf der großen Wiese Zweite ist (Pina mit dem großen Vollblutanteil „lässt“ Tabby dann schon mal gewinnnen).
In der Reitkunst bekommen wir einen riesigen Werkzeugkoffer geschenkt. Jedes Werkzeug lernen wir kennen und erarbeiten es gemeinsam mit unserem Pferd um später ein wahres Konzert der Hilfen zur Verfügung zu haben. Nicht immer gelingt das ohne einen Tropfen Schweiß (sowohl beim Menschen, wie auch beim Pferd).
Darf man bei Kunst mal schwitzen und sich anstrengen? Ich finde, man darf. Tabby und Lipizzaner Conversano Aquileja aka „Konrad“ sind auch eher die Sorte „Barocker Typ“. Auf unseren Weiden brauchen sie das Gras quasi nur anzusehen und legen zu. Von daher gibt es natürlich Tage, wo ich beispielsweise an der Kräftigung der oben angesprochenen Tiefenmuskulatur arbeite, es gibt auch Tage, wo wir im Gelände unterwegs sind – und es gibt Tage, wo wir explizites Konditionstraining machen.
Ja, manchmal gibt es Diskussionen über „zu wohl genährte, akademische Rösser“. Und sehr oft haben die Kritiker recht. Einige Schülerpferde sowie meine Fuchsstute Tabby bekamen daraufhin einen neuen Trainings- und Diätplan, schließlich bedeutet körperliche Fitness auch Wohlbefinden. Ich denke, deswegen üben wir Menschen auch gerne Sport aus. Bewegung macht einfach glücklich.
Bewegung darf also auch mal ruhig anstrengend sein und an die Grenzen des grün-gelben Bereichs gehen. Der Sportgedanke ist allerdings vom Wettkampfgedanken heutzutage kaum zu trennen:
„Das bloße Vorführen einer Kunst ist kein Sport. Das war schon bei den Ritterturnieren im Kampf so. Damals entschied die Gewandtheit des Pferdes oft über die Kraft des Mannes im Wettkampf. Heute fehlt diesem Kampf Mann gegen Mann der praktische Hintergrund. In unserem Sport entscheidet letzten Endes das Pferd.“
Udo Bürger, Vollendete Reitkunst
Den Gedanken um die viel zitierte Materialschlacht möchte ich jetzt nicht weiter spinnen.
Im Sport entscheidet also die Qualität des Pferdes. Auch für die Reitkunst gab es Auswahlkriterien für Pferde. So empfahlen sich bei Antoine de Pluvinel etwa jene Jungtiere, die im ausgelassenen Spiel auf der Hinterhand bremsten und wendeten für die Reitkunst.
Fakt ist, wir müssen heute keine Turniere gewinnen, aber einen gewisser Grad an Fitness benötigt auch die Kunst. Und fit zu werden ist manchmal anstrengend, fit zu bleiben ist dann die Kunst.
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