Herbstliches Wetter, motivierte Reiter und wissbegierige Zuschauer. Sabine Oettel lud vergangenes Wochenende Bent Branderup zu einem Kurs in die „Akademie für barocke Reitkunst“ ins bayrische Wendlmuth. Was Reiten mit Paartanz gemeinsam hat und wie man ein besser Analytiker für sein Pferd wird – diese Fragen klärte Bent Branderup in Praxis und Theorie

Das Auge schulen – und das Pferd dabei nicht in „Salamischeiben“ zerlegen

Wer ein Pferd schulen möchte, muss vor allem sich selbst (und sein Auge) schulen. So das Credo des dänischen Reitmeisters. In seinem ersten Theorievortrag betonte Branderup, das Pferd immer als Ganzes zu betrachten und sich nicht allzu sehr auf ein einzelnes Problem oder eine bestimmte Körperregion zu versteifen. Mit einem Schmunzeln fügte Branderup hinzu:

„Man darf das Pferd also nicht in „Salamischeiben“ zerlegen!“

So könne man natürlich durch Betrachtung der Hinterbeine selbst ein Urteil über die Qualität des Vorgriffs aus der Hinterhand fällen, allerdings schadet es hier auch nicht, einen Blick auf das stehende Vorderbein zu werfen. In welchem Winkel steht das Bein? Ist das Bein senkrecht am Boden, wenn der nächste Schritt gemacht wird oder schiebt es sich weit unter die Körpermasse des Pferdes nach hinten?
Zum Analysieren gibt es am Pferdekörper ja freilich genug. Was die meisten Reiter wollen: Der Kopf des Pferdes muss bitteschön „unten“ oder „tief“ sein. Hier betonte Bent Branderup einmal mehr die Schulung der Reiterhand – denn nur wenn der Reiter selbst die Ziele und Einwirkungen versteht, kann er sie auch dem Pferd beibringen.

„Das ist so ein Problem mit vielen Reitern. Die wissen eigentlich nicht, was sie wollen, aber sie wollen es jetzt“.

Ist das Pferd also steif und möchte nicht im Genick nachgeben, dann hilft es nichts weder vom Boden, noch vom Sattel aus am Kopf herumzuzerren. Viel besser ist es da schon zu hinterfragen!

Wo kommt die Steifheit her?

Für den guten Analytiker gibt es nicht nur eine Problemzone (Viele Frauen kennen das Problem ;-)). Oft wird hier das Genick als Hauptfehlerquelle für mangelndes Nachgeben herangezogen. Bent Branderup ging hier in seinem Vortrag Stück für Stück auf Analyse: Liegt das Problem bei den Halswirbeln – ist ein Wirbel versteift, möglicherweise gar aus der Reihe gesprungen, oder lassen sich entlang der Halswirbel Verhärtungen des Gewebes feststellen? Gibt das Pferd nicht nach, weil in der Schulter eine Steifheit begründet liegt? Oder ist es gar ein Problem aus der Hinterhand?

„Die Hergabe des Genicks kommt dann, wenn das Pferd aus der Hinterhand gut trägt!“

Und was bei allen biomechanischen Detailverliebtheit nicht verloren gehen darf – die Psyche des Pferdes. So betonte Bent Branderup, dass Losgelassenheit, die Hergabe des Genicks und das Senken des Kopfes für das Pferd auch viel mit mentaler Entspannung zu tun habe. Gerade in den ersten Praxisstunden am Samstag, wobei die meisten Reiter am Boden arbeiteten war dieser Mix aus –  Konzentration auf den Körper, bei gleichzeitig wachsamer Beachtung der Psyche schön zu beobachten.

Erst die Erstsprache „Pferd“ – denn die Zweitsprache „Reiten“

Ein wichtiger pädagogischer Grundsatz, der sich auch aufs Pferd übertragen lässt: Kinder müssen zuerst ihre Muttersprache lernen, dann kann eine Zweitsprache gelernt werden.  Pferde müssen also auch zuerst die „Pferdesprache“ untereinander lernen. Das heißt es ist ungemein wichtig, dass junge Pferdekinder im Herdenverband aufwachsen, um einerseits soziales Verhalten zu entwickeln, andererseits eben die Sprache Pferd zu lernen. Erst dann kann der Reiter (wir setzen an dieser Stelle eine Schulung der Körpersprache und ein Verständnis für die Sprache Pferd voraus) dem Pferd die Sprache „Reiten“ beibringen. Wir als Ausbilder müssen also zuerst die Fremdsprache Pferd erlernen und vor allem verstehen.

sabine1

Meister der Akademischen Reitkunst: Sabine Oettel auf ihrem Jarl

Ist uns das gelungen können wir einen Rahmen um das Pferd legen, so wie unsere vierbeinigen Freunde diesen Rahmen auch aus dem Laufen in der Herde kennen. Beim Aufbau des pädagogischen Konzepts an der Schulparade bedeutet das also auch: Zuerst wird dem Pferd mit Hilfe der Körpersprache beigebracht, die Gelenke ein wenig zu beugen, erst dann wird die Hilfe der Hand hinzugefügt.

Stichwort Hand – ein wichtiges Tool bei der Arbeit ist und bleibt der Kappzaum. Bent Branderup betonte hier bei der Boden und Longenarbeit nicht auf Halfter oder Trensenzaum zurückzugreifen. Der Grund dafür: Wenn man das Genick für eine Innenstellung bewegt, muss sich der Unterkiefer des Pferdes nach außen bewegen können. Dies gelingt aber nur mit dem Kappzaum. Wird beispielsweise mit Trense longiert, rotiert der Unterkiefer nach innen, was ein weiteres Arbeiten an Stellung und Biegung deutlich erschwert.

Vorwärts und Seitengänge zum Geraderichten

Was besonders schön an Bent Branderups Vorträgen ist? Er hat immer ein gutes Beispiel aus Geschichte und Literatur. So fragte der französische König, Ludwig XIII. seinen Lehrmeister Pluvinel nach dem Grund der Seitengänge. Pluvinels Antwort: „Sire, wir reiten die Seitengänge, um gerade reiten zu können„. Das Vorwärts (aber nicht mit Schnell verwechseln!) ist dabei laut Bent Branderup das erste Element in der Ausbildung. Beide Hinterbeine des Pferdes müssen lernen nach vorne zum Schwerpunkt zu greifen. Ziel sei es daher zunächst, dem Pferd den inneren und äußeren Reiterschenkel zu erklären. Dies wurde mit Hilfe der Gerte und Körpersprache bei den anschließenden Boden- und Longenarbeiten in der Praxis demonstriert. Ein essentieller Tipp von Bent Branderup für das Kruppeherein am Boden – rückwärts gehend geführt: Wenn man sich dabei mit seinem Körper zu sehr gegen das Pferd lehnt, dann wirkt man zu verwahrend ein. Wer seinen eigenen Brustkorb ein wenig nach hinten nimmt, lädt das Pferd vermehrt dazu ein, dem Reiter zu folgen.

Zwischen den Schenkeln – zwischen den Zügeln. Damit das Pferd die Zügelhilfen versteht, empfahl Bent Branderup in seinem Theorievortrag ebenso am Boden zu beginnen. Eine wichtige Übung sei hier die Bewegung der Schultern zwischen den Zügeln. Ganz am Anfang dürfe man ruhig den eigenen Ellenbogen oder die Gerte zur Hilfe nehmen. Umso weiter die Ausbildung, umso minimaler werden dann die Hilfen, bis alle 4 Zügel (Kandare und Kappzaumzügel) mittig über dem Wiederrist in einer Hand geführt werden können. Eine Drehbewegung der Hand könne dann mehr oder weniger Stellung beim Pferd abfragen.

Zügeleinwirkung bedeute die Einwirkung am Hals, niemals am Maul, betonte Bent Branderup.

Ein Reiter, der sich am Sattel festhalten muss ist kein Reiter, sondern Gepäck

Im zweiten Theorievortrag befasst sich Bent Branderup hauptsächlich mit der Primärhilfe der Akademischen Reitkunst – dem Reitersitz. Kritisch konstatierte der dänische Reitmeister, dass ein Reiter, der sich am Sattel festhalten müsse, sicherlich kein Reiter sei, sondern für das Pferd eher ein lästiges Gepäckstück.

„Aus diesem Grund kann man auch sagen: Die Kniepauschen hat wohl der Teufel erfunden, damit niemand mehr reiten lernen muss“.

Im Grunde gibt es nach Bent Branderup drei Schritte beim Erlernen des Sitzes:

  1. Oben bleiben
  2. In der Bewegung des Pferdes mitgehen zu lernen und Analysieren lernen, was sich unter dem Reiter gerade bewegt (sprich: welches Hinterbein gerade in der Luft ist)
  3. Mitteilungen über Schwerpunktverlagerungen an das Pferd weiter geben können. Ziel muss es sein, das Pferd lediglich aus der Hüfte heraus über den Sitz zu führen. Aber so lange das Pferd uns noch nicht versteht, brauchen wir Sekundarhilfen, wie Gerte, Hand oder Reiterbein.

Alle diese Hilfen können dem Pferd zuerst vom Boden aus beigebracht werden, dabei betonte Bent Branderup logische Konsequenz und Kontinuität:

„Die Hilfen müssen immer die gleichen sein, nur aus verschiedenen Positionen heraus ausgeführt. Hat das Pferd die Hilfen verstanden, gibt es keinen Unterschied, ob ich die Hilfen vor, neben, hinter oder auf dem Pferd ausführe“.

Ein guter Pädagoge geht dabei beständig auf sein Pferd ein – lernt ein Pferd daher lieber in Bewegung gibt uns Bent Branderup folgenden Merksatz mit:

„Tu ich das was das Pferd will, dann bekomme ich auch das, was ich will!“

Paartanz zur Reitkunst

Wie leicht es gehen kann, demonstrierten auch Gastgeberin Sabine Oettel auf ihrem Frederiksborger Jarl. Bent Branderup verglich in seinem Vortrag die Reitkunst auch mit einem Paartanz.

Hier gab es in den Praxisstunden jede Menge Unterstützung für mehr Harmonie, Balance und Losgelassenheit. Wichtigster Merksatz: Wir reiten Lektionen bzw. deren Inhalt immer aus einem Grund! Reite daher nicht die Lektion, reite den Inhalt.

Damit uns der Einsatz dieser Inhalte vom Sattel auch besser gelingt, gab es ein paar Ratschläge für den Reitersitz: In der Versalbewegung soll der Reiter das Gewicht gedanklich mehr in Richtung Schweif bringen, bei der Traversalbewegung in Richtung innerer Pferdehüfte denken.

Reiten heißt somit: Der Seitengang muss zuerst in meinem Sitz stattfinden, dann kann ich die Hilfen auf mein Pferd übertragen.

Bügeltritte dienen der Schwerpunktverlagerung. Beim Bügeltritt weg vom Pferd wird der Schwerpunkt verlagert, beim senkrechten Bügeltritt kann die Brustkorbrotation (der inner Brustkorb soll nach unten rotieren, damit sich die äußere Oberlinie in der Biegung und Stellung heben kann) unterstützt werden.

Schreib`s dir hinter die Ohren

Für die Blickschulung vom Sattel gab es noch ein paar Tipps des Meisters. Federn die Ohren des Pferdes nach hinten, dann fehlt es an Rückenschwung. Kann der Reiter ein Senken des Kopfes verbunden mit einem Abkippen der Ohren nach vorne/unten entdecken, dann hat der Rücken gut mitgearbeitet. Somit kann ein geschultes Auge von einem Körperteil des Pferdes auf den Rest schließen. Trotzdem sollte aber immer das ganze Pferde im Auge behalten werden.

Das Kursfazit: Es gibt so viel zu entdecken, sehen spüren. Ein gutes Pferd ist nicht käuflich – wer aber ein guter Lehrer für sein Pferd sein kann, bekommt auch ein gutes Pferd!

Ich freue mich schon riesig auf unseren nächsten Kurs mit Bent Branderup in Graz 2015! Bis dahin gehts an die Hausübungen.

Wenn die Hilfen nicht helfen, sind sie keine Hilfen. In diesem Sinne: Arbeiten wir beständig und konsequent an unseren Hilfen, dann Reiten wir Einfach 😉

Ein großes Dankeschön an Sabine Oettel und ihr Team für den tollen Kurs und Fotos. Weitere Bilder findet ihr auf Sabines Facebookseite!

signature2

PS: Nächstes Wochenende gibt es den letzten Kurs im heurigen Jahr in Graz. Diesmal mit Jossy Reynvoet. Schwerpunkt dabei: Pädagogik, Gebisslose Reitkunst und Körpersprache. Wer sich noch Last Minute anmelden möchte, erhält hier alle Kursinformationen!